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Leo Trotzki 19180501 Der Erste Mai und die Internationale

Leo Trotzki: Der Erste Mai und die Internationale

[„Nachrichten des WZIK [Allrussischen Zentralen Exekutivkomitees]" Nr. 87 (351), 1. Mai 1918. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 13. Москва-Ленинград, 1926, verglichen mit der englischen Übersetzung]

In der Geschichte des Erster-Mai-Feiertags spiegelt sein Schicksal den Charakter der gesamten Arbeiterbewegung während der Zweiten Internationale wider.

Der erste Mai-Feiertag wurde vom internationalen sozialistischen Kongress in Paris 1889 festgesetzt.

Sein Zweck war es, den Boden für die gleichzeitige Aktion der Arbeiter aller Länder an diesem Tag zu bereiten, um sie zu einer einzigen internationalen proletarischen Organisation der revolutionären Aktion mit einem Weltzentrum und einer weltpolitischen Ausrichtung zu vereinen.

Der Pariser Kongress, der den obigen Beschluss annahm, betrat den Weg des internationalen Bundes der Kommunisten und der Ersten Internationale.

Es war unmöglich, dass die Zweite Internationale sich sofort den Typus der ersten beiden internationalen Organisationen des Proletariats aneignete, denn in den 14 Jahren seit der Ersten Internationale waren alle Klassenorganisationen des Proletariats in allen Ländern gewachsen, die in ihrer Tätigkeit auf ihrem Territorium völlig unabhängig waren und nicht auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus an eine Internationale angepasst waren.

Die Feier des Ersten Mai sollte sie auf eine solche Vereinigung vorbereiten, und deshalb stellte seine Losung die Forderung eines 8-stündigen Arbeitstag auf, die durch die Entwicklung der Produktivkräfte begründet und unter den breiten arbeitenden Massen aller Länder populär war.

Die faktische Aufgabe, die für den Erster-Mai-Feiertag bestimmt war, bestand in der Erleichterung des Prozesses der Umwandlung der Arbeiterklasse als einer Kategorie der Wirtschaft zu einer Arbeiterklasse im soziologischen Sinn des Wortes, zu einer Klasse, die sich ihrer Interessen als Ganzer bewusst ist und nach der Errichtung ihrer Diktatur und der sozialistischen Revolution strebt.

Angesichts dessen entsprach der Mai-Feiertag am ehesten einer Demonstration zugunsten der sozialistischen Revolution. Und darauf arbeiteten die revolutionären Elemente des Kongresses hin.1 Aber in dem Entwicklungsstadium, das damals die Arbeiterbewegung durchlief, antwortete die Mehrheit, dass die Forderung nach dem 8-Stunden-Arbeitstag eher der Aufgabe entsprach. In jedem Fall war es eine Losung, der die Arbeiter aller Länder vereinen konnte.

Die gleiche Rolle spielte die Losung des Weltfriedens, die später aufgestellt wurde.

Doch der Kongress nahm an, dass die objektiven Bedingungen für die Entwicklung der Arbeiterbewegung das erforderten.

Der Mai-Feiertag wandelte sich allmählich von einem Mittel des Kampfes des Weltproletariats zu einem Mittel des Kampfes der Arbeiter jedes einzelnen Landes für ihre lokalen Interessen. Und dies wurde durch die dritte Losung – das allgemeine Wahlrecht – gefördert.

In den meisten Staaten wurde der Tag des 1. Mai entweder nur am Abend nach Arbeitsschluss oder am nächsten Sonntag gefeiert. Aber selbst dort, wo die Arbeiter ihn auf dem Wege der Arbeitseinstellung feierten, wie in Belgien und Österreich, diente er dem Zweck, lokale Aufgaben zu erfüllen, und nicht der Aufgabe, die Arbeiter aller Länder in einer Weltarbeiterklasse zu vereinen. Neben den progressiven Folgen (die Arbeiter des jeweiligen Landes zu vereinigen) hatte er auch negative konservative Seiten – er verband die Arbeiter zu sehr mit dem Schicksal des gegebenen Staates und ebnete damit den Weg für die Entwicklung des Sozialpatriotismus.

Die vom Pariser Kongress gestellte Aufgabe erfüllte sich nicht. Die Herausbildung der Internationale als einer Organisation des internationalen proletarischen revolutionären Handelns – mit einem einzigen Zentrum, mit einer einzigen internationalen politischen Orientierung – wurde nicht erreicht. Die Zweite Internationale war nur eine schwache Vereinigung von Arbeiterparteien, die in ihren Aktivitäten unabhängig voneinander waren.

Die Erster-Mai-Feiertage verwandelten sich in ihr Gegenteil. Und mit dem Weltkrieg hörte die Zweite Internationale auf zu existieren.2

Das waren die Folgen der unerbittlichen Logik des dialektischen Prozesses der Entwicklung der Arbeiterbewegung.

Was ist der Grund für dieses Phänomen? Was ist die Garantie gegen seine Wiederholung? Was ist die Lehre für die Zukunft von hier?

Natürlich ist der Hauptgrund für das Scheitern der Erster-Mai-Feiertage der Charakter dieser Periode der kapitalistischen Entwicklung, der Prozess ihrer Vertiefung in jedem einzelnen Land und der sich daraus ergebende Prozess des Kampfs für die Demokratisierung des staatlichen Systems, zur Anpassung von letzterem an die Erfordernisse der kapitalistischen Entwicklung. Aber schließlich gibt es in der Entwicklung des Kapitalismus und jedes anderen Systems zwei Arten von Tendenzen – konservativ und revolutionär; doch die Arbeiterklasse – als aktiver Teilnehmer am historischen Prozess, und ihre Vorhut, die sozialistischen Parteien – hat die Bestimmung, diesem Prozess vorauszugehen, um seine revolutionären Tendenzen den konservativen in allen Stadien der Arbeiterbewegung gegenüberzustellen, die gemeinsamen Interessen des gesamten Proletariats in seiner Gesamtheit, unabhängig von der Nationalität, zu vertreten und zu verteidigen. Das war die Aufgabe und diese Aufgabe erfüllten die sozialistischen Parteien während der Zweiten Internationale nicht, und dies hatte direkte Auswirkungen auf das Schicksal der Erster-Mai-Feiertage.

Unter dem Einfluss der Parteioberen3, die aus der Intelligenz und der Arbeiterbürokratie bestanden, konzentrierten sich die sozialistischen Parteien während der beschriebenen Periode auf die sehr nützliche parlamentarische Tätigkeit, die aber ihrem Wesen nach national und nicht international, nicht klassenmäßig ist. Die Arbeiterorganisation verkehrten sie bei ihrer Tätigkeit aus einem Mittel des Klassenkampfes zu einem Selbstzweck.4 Es genügt zu erinnern, wie die Führer der deutschen Sozialdemokratie die Verlegung der Maifeiern auf den folgenden Sonntag motivierten. Sie sagten, dass es unmöglich sei, wegen der Demonstration eine vorbildliche Parteiorganisation, parlamentarische Tätigkeit und zahlreiche wohlhabende Gewerkschaften zu gefährden.

Die gegenwärtige Epoche der Arbeiterbewegung ist im Charakter der vergangenen Epoche direkt entgegengesetzt. Sie wurde durch den Krieg, insbesondere durch die russische Oktoberrevolution, eröffnet und ist eine Epoche des direkten Kampfes des Proletariats um die Macht im Weltmaßstab.

Ihr Charakter begünstigt, dass der Maifeiertag die Rolle erfüllt, die ihm die revolutionären Elemente des Pariser Kongresses von 1889 zuzuschreiben versuchten. Er wird den Bildungsprozess der III. revolutionären Internationale5 erleichtern und der Sache der Mobilisierung der proletarischen Kräfte für die sozialistische Weltrevolution dienen.

Aber zur Erleichterung der Erfüllung dieser großen Rolle diktieren die Lehren der Vergangenheit und die Forderungen dieser Ära den Sozialisten aller Länder: 1) eine radikale Veränderung ihrer Politik; 2) Aufstellung der entsprechenden Losungen am Tag des Ersten Mai. In ersten Linie werden sie sein: 1) Konzentration der Bemühungen auf die Bildung der III. revolutionären Internationale; 2) Unterordnung der Interessen jedes Landes unter die gemeinsamen Interessen der internationalen proletarischen Bewegung, der parlamentarischen Tätigkeit unter die Interessen des Kampfes der proletarischen Massen.

Die wichtigsten Losungen des Ersten-Mai-Feiertags können in der heutigen Zeit sein: 1) III. Internationale; 2) Diktatur des Proletariats; 3) Weltsowjetrepublik; 4) sozialistische Revolution.

1In der englischen Übersetzung: „erreichten das“. Das ist zwar eine mögliche Übersetzung für das russische „добиваться“ (dobiwat'sja), aber aus dem Kontext ergibt sich, dass das in diesem Fall nicht gemeint sein kann.

2In der englischen Übersetzung: „Der erste Mai verwandelte sich in sein Gegenteil und hörte mit dem Krieg auf zu existieren“

3In der englischen Übersetzung: „Parteibosse“

4 In der englischen Übersetzung: „Die Arbeiterorganisation betrachteten ihre Tätigkeit nicht als Mittel des Klassenkampfes, sondern als Selbstzweck.

5 In der englischen Übersetzung: „Dritten Revolutionären Internationale“

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