Leo
Trotzki: Der erste Verrat
Aussage
vor dem Obersten Revolutionstribunal in Sachen Stschastni am
20. Juni 1918
[nach
Leo Trotzki, Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S.
76-82]
Genossen
Richter! Ich habe zum ersten Mal den Bürger Stschastni in der
Sitzung des Obersten Kriegsrates Ende April gesehen, nachdem er mit
großer Geschicklichkeit und Energie unsere Flotte aus Kronstadt nach
Petrograd gebracht hatte. Das Verhältnis des Obersten Kriegsrates
und mein eigenes Verhältnis zu dem Admiral Stschastni war in jenem
Moment das allergünstigste, eben dank der so geschickt von ihm
erfüllten Aufgabe. Aber der Eindruck, den das ganze Benehmen
Stschastnis in der Sitzung des Kriegsrates hinterlassen hatte, war
geradezu entgegengesetzter Natur. In seinem Referat, das er in dieser
Sitzung hielt, malte uns Stschastni den inneren Zustand der Flotte in
den düstersten, trübsten Farben. Seinen Worten nach war die Flotte
in technischer Hinsicht wohl noch brauchbar, aber der Zustand des
Flottenpersonals machte sie völlig kampfunfähig. Stschastni
erlaubte sich, die Flotte als „Alteisen" zu bezeichnen, obwohl
diese Schiffe und dieses Flottenpersonal soeben den höchst
beschwerlichen Weg durch das Eis glücklich zurückgelegt hatten.
Es
war vollkommen klar, dass Stschastni allzu schwarz malte. Im ersten
Moment war ich geneigt, seine Übertreibung aus dem Wunsche zu
erklären, seine eigenen Verdienste in helles Licht zu rücken. Das
war nicht besonders angenehm, aber auch nicht besonders wichtig. Als
es sich später herausstellte, dass Stschastni bestrebt war, den
Zustand der zentralen Sowjetmacht in den Augen der Flotte selbst
ebenso düster darzustellen, wurde es klar, dass die Sache ernst war.
Die
Unbrauchbarkeit des Flottenpersonals erklärte sich, nach Stschastnis
Ansicht, aus der „panikartigen Stimmung", die hauptsächlich
durch die Unbestimmtheit der Lage und den Mangel einer bestimmten
Demarkationslinie entstanden war. Das gab Stschastni selbst zu. Als
aber in derselben Sitzung des Obersten Rates bestimmte Vorschläge
gemacht wurden, um die internationale Lage der Baltischen Flotte zu
regeln, und vor allem die Frage der Demarkationslinie geklärt wurde,
da schob Stschastni, ohne irgendwelche Argumente anzuführen,
diese Anträge beiseite. Ihm war es nur um die hoffnungslose Lage,
nicht um den Ausweg zu tun.
Stschastni
wurde damals vom Kriegsrat der Befehl erteilt, mit dem deutschen
Kommando in Verhandlungen einzutreten, um die Frage der
Demarkationslinie zu ordnen. Dennoch hat Stschastni diesen direkten
und genauen Befehl nicht erfüllt. Er blieb bei seiner
„hoffnungslosen Lage".
Dasselbe
Spiel wiederholte sich in der Angelegenheit des Forts Ino. Auf die
Frage nach dem Schicksal dieses Forts gab ich in dieser selben
Sitzung Stschastni zur Antwort, dass das Flottenkommando in dieser
Einzelfrage seine Schritte unserer allgemeinen Politik zu
koordinieren hat. Wir müssten danach streben, eine Demarkationslinie
festzusetzen. Die Flotte dürfe unter keinen Umständen die
Initiative zu militärischen Operationen ergreifen, aber im Falle des
Angriffes müsse sie sich verteidigen und im äußersten Fall, d. h.
wenn kein anderer Ausweg übrig bleibt, die Schiffe vernichten. Ich
gab bloß die allgemeine Direktive; alle anderen Kommandoverfügungen
mussten natürlich je nach den Verhältnissen vom Chef der
Streitkräfte zur See ausgehen, und das war Bürger Stschastni. In
operativen Fragen verfügte Stschastni über unbegrenzte Vollmachten,
und die ganze Verantwortung auf diesem Gebiete ruhte auf ihm.
Als
Stschastni nach einiger Zeit aus Kronstadt die Meldung erhielt, dass
das Fort Ino seitens der angeblich plötzlich aufgetauchten deutschen
Flotte bedroht werde, meinte ich, entsprechend der allgemeinen
Direktive, dass, falls
die Situation hoffnungslos werden sollte, man
das Fort in die Luft sprengen müsste. Was tat aber Stschastni? Er
gab diese bedingte Direktive weiter in Form meines
direkten Befehls, das Fort in die Luft zu sprengen, obwohl gar keine
Notwendigkeit vorlag, dies zu tun. Nach zwei, drei Tagen erhielt ich
Anfragen aus Petrograd. Genosse Sinowjew meldete mir Unruhen in der
Stadt infolge meines Befehls, das Fort Ino in die Luft zu sprengen.
Ganz bestürzt antwortete ich, dass ich einen derartigen Befehl nie
gegeben hätte; die Sprengung des Forts könnte bloß erfolgen, wenn
der Chef der Streitkräfte zur See die Lage als hoffnungslos ansehe;
er trage persönlich die Verantwortung dafür. Aber in der Flotte und
in Petrograd sprach man überall von meinem Befehl. Es zirkulierten
trübe Gerüchte in der Stadt über eine geheime Verpflichtung der
Sowjetregierung gegenüber den Deutschen, diese Sprengung
vorzunehmen. Ich fragte bei dem Admiral Seleni an, ob Stschastni denn
keinen Versuch gemacht hätte, um seine Handlungen zu erklären. Das
hatte er nicht getan. Als Stschastni (in meinem Namen!) Seleni den
Befehl erteilt hatte, das Fort Ino zu sprengen, berief sich
Stschastni gar nicht auf die unmittelbare Gefahr einer Eroberung des
Forts durch die Deutschen. Im Gegenteil: er gab seinen (angeblich
meinen)
Befehl als vollkommen unmotiviert weiter. Es schien, als müsste das
Fort nicht aus militärischen Rücksichten, sondern wegen
irgendwelcher geheimnisvollen Absichten Moskaus vernichtet werden.
Noch
mehr: in
Wirklichkeit war gar keine deutsche Flotte vor dem Fort Ino
erschienen,
die Situation war gar nicht so, wie sie Stschastni in seiner
telegraphischen Meldung schilderte. Stschastni hatte versucht, durch
eine Falschmeldung die Flotte zu terrorisieren.
Stschastni
war nach der Sitzung des Obersten Rates, in der er, wie gesagt, den
bestimmten Befehl erhalten hatte, unverzüglich die Frage der
Demarkationslinie aufzuwerfen, nach Petrograd gefahren. Wir
erwarteten Nachrichten über die Schritte, die er unternommen hatte.
Lange Zeit trafen keine Meldungen von ihm ein. Endlich, nach sechs,
sieben Tagen trifft auf unsere energische Anfrage die kurze Antwort
ein: ,,Seleni findet verfrüht, Verhandlungen über Demarkationslinie
anzuknüpfen", als wenn die Entscheidung in dieser Frage Seleni
überlassen worden wäre.
Stschastni
wird noch einmal der Befehl erteilt, dass er unverzüglich durch
Seleni oder unmittelbar Verhandlungen mit dem deutschen Kommando
aufzunehmen hat. Dessen ungeachtet werden die Verhandlungen nicht
eröffnet. Stschastni erkennt die Unmöglichkeit des Kampfes gegen
die Deutschen an, betont auf jede Weise und übertreibt sogar diese
Unmöglichkeit, aber zu gleicher Zeit lehnt er Verhandlungen zur
Festsetzung der Demarkationslinie ab. Er braucht nur das eine: die
hoffnungslose Lage.
Zu
gleicher Zeit beginnen in der Flotte selbst Gerüchte zu zirkulieren,
dass die Sowjetregierung sich durch einen Geheimpunkt des Vertrages
verpflichtet hätte, unsere Kriegsflotte zu vernichten. Diese Legende
diente als Hauptmittel der Aufhetzung der Matrosen gegen die
Sowjetregierung. Durch sein ganzes Benehmen förderte Stschastni
absichtlich die Ausbreitung und Festsetzung dieses böswilligen
Gerüchtes unter den Matrosen, die er andererseits der
Sowjetregierung als völlig unbrauchbar und hoffnungslos darstellte.
Ich
sagte bereits, dass die Lage der Flotte in der Tat sehr prekär war,
vor allem infolge der erschreckenden Unbestimmtheit der Lage. Eine
Demarkationslinie gab es nicht. Die Gefahr des Angriffes war für uns
offenkundig. Die Kampffähigkeit der Flotte war herabgesetzt. Zu mir
persönlich kamen wiederholt Vertreter der englischen Admiralität
und fragten mich, ob wir die notwendigen Maßnahmen zur Vernichtung
der Baltischen Flotte ergriffen hätten, für den Fall, dass die Lage
der Flotte sich als hoffnungslos erweisen sollte. Dieselben
englischen Offiziere wandten sich wiederholt an die Admirale im
Sowjetdienst – Behrens und Altvater. Von unserem Standpunkt aus,
und auch vom Standpunkt der Engländer bestand die Gefahr in diesem
Moment darin, dass die Deutschen durch einen unerwarteten Überfall
unsere Schiffe besetzen und erobern könnten. Deshalb galt es,
während Versuche unternommen wurden, eine Demarkationslinie
festzusetzen, d. h. ein maritimes Abkommen mit den Deutschen zu
schließen, zugleich Maßnahmen zu treffen, um die Schiffe zu
vernichten, falls kein anderer Ausweg übrig blieb.
Wie
benahm sich Stschastni in diesem Punkte? In der Frage der
Demarkationslinie leistete er, wie gesagt, einen beharrlichen,
hartnäckigen und unmotivierten Widerstand –, einen unmotivierten,
wenn man von der konterrevolutionären Absicht, Unruhe und Panik in
der Flotte zu säen, absieht. In der Frage der Vernichtung der
Schiffe benahm sich Stschastni noch ausweichender, oder ich möchte
sagen, rätselhafter, wenn das Rätsel seines Verhaltens nicht so
bald gelöst worden wäre.
Stschastni
musste ja die Notwendigkeit der Vorbereitungen für die Vernichtung
der Flotte einsehen, da ja gerade er – offensichtlich stark
übertreibend – die Flotte als Alteisen bezeichnete. Aber
Stschastni unternahm keine vorbereitenden Schritte, ja mehr noch, er
benutzte diese Frage, um die Matrosen zu terrorisieren und sie gegen
die Sowjetregierung aufzuhetzen. Dies zeigte sich besonders konkret
in folgender Episode: bei der Beratung über die Frage der
vorbereitenden Maßnahmen zur Vernichtung der Flotte wurde die
Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass bei einem plötzlichen Überfall
der deutschen Schiffe unter Mitwirkung des konterrevolutionären
Kommandopersonals in unserer eigenen Flotte, bei uns auf den Schiffen
eine solche Desorganisation und ein solches Chaos eintreten könnten,
dass eine tatsächliche Sprengung der Schiffe vollkommen unmöglich
werden würde. Um sich vor einer solchen Lage zu schützen,
beschlossen wir, auf jedem Schiff eine unbedingt zuverlässige und
revolutionstreue Gruppe von Matrosen auszusondern, die unter allen
Umständen bereit und fähig wären, das Schiff zu vernichten, auch
wenn es ihr Leben kosten sollte.
Ich
schlug den Mitgliedern des Kollegiums des Marine-Kommissariats vor,
sich persönlich nach Petrograd und Kronstadt zu begeben, um dort,
auf die besten und kühnsten Elemente der Flotte gestützt, auf den
Schiffen derartige Stoßgruppen zu organisieren Stschastni benahm
sich offiziell so, als ob diese Frage ihn gar nichts anginge.
Richtiger gesagt, benahm er sich so, dass er bei den Matrosen die
Überzeugung hervorrief, dass die Vorbereitungen zur Vernichtung der
Flotte nicht von den Interessen der Revolution und des Landes
diktiert würden, sondern von irgendwelchen geheimen Abmachungen der
Sowjetregierung mit den Deutschen, und dass er, Stschastni, gezwungen
sei, diese Maßnahmen von Amts wegen zu dulden.
Als
die Organisierung dieser Stoßgruppen sich noch im
Vorbereitungsstadium befand, erschien bei einem der Mitglieder des
Marinekollegiums ein angesehener englischer Seeoffizier und erklärte,
dass England so sehr daran interessiert sei, dass die Schiffe nicht
in die Hände der Deutschen gerieten, dass es bereit sei, die
Matrosen reichlich zu entlohnen, die sich verpflichten würden, im
entscheidenden Moment die Schiffe in die Luft zu sprengen. Ich erließ
sofort die Verordnung, alle Verhandlungen mit diesem Herrn
abzubrechen. Aber ich muss gestehen, dass dieser Vorschlag mich auf
einen Gedanken brachte, den ich im Drange der Ereignisse bis dahin
außer acht gelassen hatte: nämlich, die Versorgung der Familien
jener Matrosen, die sich der Lebensgefahr aussetzen wollten. Ich ließ
Stschastni
eine telegraphische Mitteilung zukommen, dass die Regierung auf den
Namen der Matrosen der Stoßgruppen eine bestimmte Summe deponiere.
Diese Verfügung widersprach von meinem Standpunkt aus keineswegs
irgendwie der allgemein menschlichen oder speziellen „Marinemoral".
Jedenfalls sicherte sie unter diesen schwierigen Umständen noch eine
Chance, in dem Sinne, dass die wahren Interessen der Revolution unter
diesen höchst schwierigen Verhältnissen gewahrt würden.
Was
tut aber Stschastni? Diese Mitteilung kam ihm für die von ihm
geleitete gegenrevolutionäre Arbeit wie gerufen. Ohne Rücksicht
darauf, dass die Verfügung, die einen sekreten und militärischen
Charakter trug, streng geheim bleiben sollte, trifft Stschastni
sofort Maßnahmen, um sie in der breitesten Öffentlichkeit bekannt
zu machen. Er schickt sie in den Sowjet der Signaloffiziere und den
Sowjet der Flotten-Kommissare, der seiner Zusammensetzung nach sehr
zufällig ist, und erklärt von sich aus, dass er diesen Plan für
unmoralisch halte; dabei unterstützt er die Version, dass all das in
Erfüllung eines Geheimpunkts des Vertrags von Brest-Litowsk
geschehe. Er spricht direkt davon, dass die Sowjetregierung die
Matrosen „kaufen” wolle, damit sie die eigene Flotte
vernichteten. Darauf werden in der ganzen Baltischen Flotte Gerüchte
verbreitet, die Deutschen hätten der Sowjetregierung das Angebot
gemacht, dass sie die Vernichtung der russischen Schiffe mit Gold
bezahlen wollten, obwohl sich die Sache in Wirklichkeit gerade
umgekehrt verhielt, d. h. das Gold boten uns die Engländer an, denn
es handelte sich ja darum, dass die Deutschen die Flotte nicht
kriegten. Aber die Situation war sehr kompliziert und daher
außerordentlich günstig für die teuflische Agitation weißer
Elemente. Und an der Spitze dieser Agitation stand Admiral
Stschastni. Er nährte sie gleichermaßen durch seine Handlungen und
seine Worte, wie durch sein Schweigen.
Ihr
wisst, Genossen Richter, dass Stschastni, als er das letzte Mal auf
unsere Aufforderung hin nach Moskau gekommen war, den Wagen nicht auf
dem Passagierbahnhof verlassen hatte, sondern dass er weit hinter dem
Bahnhof auf offenem Felde ausstieg, wie es sich für einen
Konspirator auch geziemt. Nachdem Stschastni eingetroffen war, fragte
ich ihn während meiner Unterredung mit ihm, ob ihm etwas über die
konterrevolutionäre Agitation in der Flotte bekannt sei. Stschastni
antwortete unwillig: „Ja“, aber er verlor kein Wort darüber,
dass in seiner Mappe Dokumente lagen, die die Geheimverbindung der
Sowjetregierung mit dem deutschen Stab beweisen sollten. Die grobe
Fälschung musste für Admiral Stschastni klar sein. Als Chef der
Flotte Sowjetrusslands war Stschastni verpflichtet, unverzüglich und
brutal gegen diese verräterische Verleumdung aufzutreten. In
Wirklichkeit aber unterstützte er durch sein ganzes Verhalten, wie
wir gesehen haben, diese Fälschung und nährte sie. Es kann keinem
Zweifel unterliegen, dass diese Dokumente von Offizieren der
Baltischen Flotte fabriziert worden waren. Es genügt zu sagen, dass
eines dieser Dokumente, ein Schreiben des sagenhaften deutschen
Operationsstabs
an Lenin, im Ton einer Strafpredigt gehalten ist, weil Blochin als
Hauptkommissar der Flotte eingesetzt sei, was den Absichten der
Deutschen widerspreche. Es sei bemerkt, dass Blochin eine ganz
zufällige Person, die Kreatur von Stschastni selbst war. Die
Unzulänglichkeit Blochins war auch für ihn selbst absolut
offenkundig. Aber Stschastni brauchte den Blochin. Und nun wird von
vornherein eine Atmosphäre geschaffen, dass die Absetzung Blochins
als Diktat seitens Deutschlands ausgelegt werden musste. Ich kann
nicht beweisen, dass Stschastni diese Dokumente selbst verfasst hat;
es ist wohl möglich, dass sie von seinen Untergebenen verfasst
worden sind. Aber es genügt, dass Stschastni diese Dokumente kannte,
sie in seiner Mappe herumtrug und der Sowjetregierung keine
Mitteilung von ihnen machte –, im Gegenteil, sie geschickt gegen
die Sowjetregierung ausnutzte.
Inzwischen
nahmen die Ereignisse in der Flotte einen entscheidenderen Verlauf
an. In der Minendivision begannen zwei Offiziere, ich glaube, sie
hießen Sassimuk und Lissinewitsch, offen zum Aufstand gegen die
Sowjetregierung aufzurufen, die angeblich den Deutschen zu Gefallen
die Baltische Flotte vernichten wolle. Sie fassten eine Resolution
über den Sturz der Sowjetregierung und die Einführung einer
„Diktatur der Baltischen Flotte”, was natürlich eine Diktatur
des Admirals Stschastni bedeuten sollte. Unter dem Einfluss
gefälschter Dokumente und aller andern Mittel zur Schürung der
Panik schlossen sich einige Schiffe der Minendivision dieser
Resolution an; als jedoch die Delegierten der Minenschiffe auf die
großen Schiffe kamen, stießen sie auf revolutionären Widerstand.
In
Kronstadt tagte der Delegiertenkongress der Baltischen Flotte. Diese
ganze Geschichte wurde dem Kongress gemeldet, und der Kongress nahm
eine Resolution an, Sassimuk, Lissinewitsch und andere aus dem
Flottenverband zu entlassen. Genosse Sachs, Mitglied des Obersten
Marine-Kollegiums forderte im Namen des Volkskommissariats für die
Marine, dass Stschastni sofort der Forderung des Kongresses nachkomme
und die konterrevolutionären Meuterer verhaften lasse. Stschastni
weigerte sich jedoch, den Haftbefehl zu erlassen und berief sich auf
irgendwelche Formalitäten, die der Genosse Sachs nicht erfüllt
hatte. Für uns alle war es in diesem Moment bereits klar, dass
Sassimuk und Lissinewitsch bloß Agenten von Stschastni, seine
Helfershelfer, waren. Stschastni selbst benahm sich vorsichtiger,
aber er verfolgte das gleiche Ziel, nämlich die „Diktatur der
Baltischen Flotte”.
Der
Sowjet der Volkskommissare setzt Genossen Flerowski zum
Hauptkommissar der Flotte ein. Nun muss die Lage eine bestimmte
Wendung nehmen. Stschastni beginnt offenen Widerstand zu leisten, der
direkt an Aufstand gegen die Sowjetregierung grenzt. Der Verfügung
des Sowjets der Volkskommissare zuwider, befiehlt Stschastni Ende
Mai, zum Hauptkommissar der Flotte Blochin zu ernennen, der, laut
eigener Aussage, ganz unter dem Einfluss Stschastnis stand und zu
einem derartigen Posten nicht passte. Ich will nicht weiter
bei der wahrhaft ungeheuerlichen Tatsache verweilen, dass der Admiral
Stschastni sich selbst zum Kommissar ernennt!
Unter
Stschastnis Papieren wurde der Entwurf eines politischen Referats
gefunden, das er, nach seinen eigenen Worten, auf dem bereits
erwähnten Kongress der Marine-Delegierten halten wollte. Das Referat
sollte einen rein politischen Charakter, mit klar ausgesprochener
konterrevolutionärer Tendenz tragen. Wenn Stschastni vor Vertretern
der Regierung die Baltische Flotte als Alteisen bezeichnet, so
spricht er vor Vertretern dieses „Alteisens" von der Absicht
der Sowjetregierung, die Flotte zu vernichten, in einem Ton, als ob
es sich um einen Verrat der Sowjetregierung handelte und nicht um
eine Maßnahme, die unter bestimmten Umständen von der traurigen
Notwendigkeit diktiert war. Der ganze Entwurf ist von Anfang bis zu
Ende, trotz aller äußeren Vorsicht, das unleugbare Dokument einer
konterrevolutionären Verschwörung.
Stschastni
hielt seinen Vortrag im Sowjet des Kongresses, und dieser beschloss,
das Referat auf dem Kongress selbst nicht zuzulassen. Als ich
Stschastni fragte, wer ihn eigentlich gebeten hätte, ein politisches
Referat zu halten (was ja gar nicht zu den Pflichten eines
Flotten-Chefs gehört), antwortete er ausweichend, er könnte sich
nicht mehr besinnen, wer ihn gebeten hätte. Ebenso blieb Stschastni
die Antwort schuldig auf die Frage, welche praktischen Ziele er
eigentlich verfolgt hätte, als er beabsichtigte, ein solches Referat
auf dem Kongress der Baltischen Flotte zu halten.
Aber
diese Ziele sind an sich klar. Stschastni vertiefte beharrlich und
unentwegt den Abgrund zwischen der Flotte und der Sowjetregierung. Er
säte Panik, und propagierte energisch seine Kandidatur für die
Rolle des Retters. Die Vorhut der Verschwörung – die Offiziere der
Minendivision – stellte offen die Losung der „Diktatur der
Baltischen Flotte" auf.
Das
war ein bestimmtes politisches Spiel, ein großes Spiel, zum Zweck
der Machteroberung. Wenn aber die Herren Admirale und Generale in der
Revolution ihr eigenes persönliches politisches Spiel zu treiben
beginnen, so müssen sie sich stets darauf gefasst machen, für
dieses Spiel zu haften, falls es schief geht. Und im Fall Stschastni
ging es schief!