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Leo Trotzki 19180814 Die Herren des tschechoslowakischen Russland

Leo Trotzki: Die Herren des tschechoslowakischen Russland

14. August 1918

[nach Leo Trotzki, Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 120 f.]

Unsere Kundschafter haben vor einiger Zeit einen Briefwechsel der französischen diplomatischen Agenten abgefangen, der aus Samara nach Petrograd adressiert war. Dieser Briefwechsel charakterisiert außerordentlich prägnant die Herren der Lage und ihr gegenseitiges inneres Verhältnis. Die französischen Agenten sprechen mit unverhüllter Verachtung von den russischen Weißgardisten und den Tschechoslowaken als Werkzeug ihrer Pläne. Ohne sie, ohne die erwählten Vertreter der Pariser Börse könnte sich das Regime von Samara natürlich nicht halten. Sie, die Franzosen, seien alles, aus Samara würde sich ihre Herrschaft über das ganze Land ausbreiten. Ihr Einfluss auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens sei gesichert. Alles würde ihnen unterstellt werden.

Das ist der Ton dieser Briefe. Wie es sich auch gehört, werden im Lager der bürgerlichen Sieger in Samara zahlreiche Intrigen, gegenseitige Ränke, Verleumdungen usw. usw. geschmiedet. Der französische Konsul ist dem französischen Militärbevollmächtigten Jeanot spinnefeind. Wir halten es für sehr lehrreich, eine genaue Übersetzung des Briefes des französischen Konsuls in Samara anzuführen, der in unserer Mappe als Dokument Nr. 4 bezeichnet ist.

Herr Jeanot", schreibt der Konsul an seinen Petrograder Korrespondenten (den Botschafter Noulens), „dementiert die Meldung seiner Bestimmung für den Botschafterposten und konstatiert, dass er bloß die Funktionen des bevollmächtigten Vertreters der französischen Regierung in Militärsachen erfüllt. Da ich ohne Papiere bin, muss ich die Rolle des Beobachters all dieser Phantasien spielen. Dass irgendeine Basis hinter dieser Prätention steckt, kann ich nicht glauben. Das Resultat ist, dass meine ausgezeichneten Beziehungen zu dem Generalstab (Dutow und die Sozialrevolutionäre) seit der Rückkehr des Herrn Jeanot gelitten haben: so hat er mir, angeblich für militärische Zwecke, das Automobil entzogen, das mir zur Verfügung stand, und erklärte, der Konsul hätte sich nur mit konsularischen Angelegenheiten zu befassen. Andererseits ist mir bekannt, und zwar aus absolut sicheren Quellen, dass die militärischen Geschäfte des Herrn Jeanot darin bestehen, dass er 200.000 Pud Metall in Omsk einkaufte und in Affären, wie z. B. die Kaviargeschichte, verwickelt war. Seine offiziellen Vollmachten benutzt er bloß, um die Profite der Spekulanten zu erleichtern, die ihn umgeben. Er empfängt viele Tausende Rubel von Finanzleuten und Handelsmännern und vergeudet sie für die Belohnung seines Generalstabs und die Bezahlung der Anwerber von Gefangenen, die ihn schon zur Genüge ausgebeutet haben. Kann das so weiter gehen? Wenn Sie es gestatten, natürlich! Ich möchte bloß informiert sein, und Sie begreifen, dass in der hiesigen Isolierung die Frage der Autorität die dominierende ist. Ich muss entweder faktisch an der Spitze der Mission stehen oder verhaftet werden. Ich glaube nicht, dass Herr Jeanot mich verhaften lassen wird. Aber er könnte erklären, dass ihm von meinen Vollmachten nichts bekannt sei, und dann werde ich plötzlich als einfacher französischer Bürger dastehen.“

Das ist der Herr Konsul. Sein erster Sekretär schreibt in einem ausführlichen Brief an eine gewisse Jeanne, dass Samara der Hauptmittelpunkt sei, von wo alle weiteren Operationen ausgehen sollen. „Der reichste Kaufmann stellte dem Konsul seine Villa zur Verfügung, die ein wahres Palais ist (sie kostete fast eine Million). Ich werde für das Konsulat mobilisiert werden. Hier, in Samara, werden die Alliierten erwartet.“

Weiter stellte sich plötzlich heraus, dass der Generalsekretär, der über die Geschicke Russlands verfügen will, der Tanzlehrer des Mädchengymnasiums ist. Er klagt darüber, dass der Krieg und die Revolution den Geschmack am Tanzen getötet hätten und dass er jetzt weniger Stunden habe. Aber er verzweifelt nicht. „Mit der Entfaltung der militärischen Operationen wird meine Arbeit in der französischen Militärmission wachsen, die ganz gewiss in Samara gebildet werden wird.“ „In Petrograd“, fährt der Tanzmeister und Diplomat fort, „muss das Leben jetzt absolut unerträglich sein. Hier gibt es alles.“

Des weiteren ladet der Briefschreiber Frl. Jeanne, die ebenfalls Tanzlehrerin ist, nach Samara ein und stellt ihr lohnende Beschäftigung in Aussicht. „Es wird eine Hochschule geschaffen werden. Und wenn Sie hier sind, werden Sie natürlich vor den Russinnen bevorzugt werden. Unser Land und unsere Vertreter gewinnen mit jedem Tage an Einfluss" … „Meine Stellung verleiht mir natürlich viele Vorrechte" … „Ich nehme notgedrungen an allen Banketts und Feierlichkeiten teil. Ich dinierte mit Dutow selbst" usw. usw.

Das sind die neuen Herren der Lage, diejenigen, die Russland „befreien" wollen. Der französische Tanzmeister, der beide Füße auf den Tisch legt, sagt seiner Jeanne, dass von nun ab die Franzosen in Russland alle Vorzüge gegenüber den Russen genießen würden. Herr Jeanot kauft zu Kriegszwecken Metall und Kaviar auf und verdient Hunderttausende an trüben Spekulationen. Dieses Schmarotzergesindel schickt sich an, das revolutionäre Land zu beherrschen und zu verwalten. Man darf hoffen, dass der Besen der Revolution sehr bald die französisch-tschechisch-weißgardistischen Vagabunden mitsamt ihren Tanzmeistern und Jeanots aus allen Ecken und Winkeln des Arbeiter- und Bauernrussland hinaus fegen wird!

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