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Leo Trotzki 19181108 Die Kriegsakademie

Leo Trotzki: Die Kriegsakademie

Rede, gehalten in der feierlichen Sitzung der Kriegsakademie am 8. November 1918 (am Tag ihrer Eröffnung)

[nach Leo Trotzki: Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 182-188]

Genossen, Lehrer, Hörer der Akademie und Gäste! Gestatten Sie mir, den Hörern, Lehrern und, in der Person der Gäste, allen Bürgern der Sowjetrepublik zu der Eröffnung der Kriegsakademie za gratulieren – der militärischen Hochschule der Roten Arbeiter- und Bauernarmee.

Die Akademie entsteht zu spät. Wir wollten sie früher eröffnen, weil in den Kreisen des Militäramtes und in Regierungskreisen im Ganzen man natürlich keinen Tag daran zweifelte, dass eine höhere Lehranstalt für das Kriegswesen für die Armee notwendig ist. Die meisten, wenn auch nicht alle, sind über die Umstände unterrichtet, die die Wiederaufnahme der Arbeit in der Kriegsakademie hemmten und in einem gewissen Moment verhinderten. Erst jetzt, mehr als ein Jahr nach dem Oktoberumsturz, haben wir die Möglichkeit erhalten, uns hier zu versammeln, um den feierlichen Tag der Eröffnung der Kriegshochschule des Arbeiter- und Bauernrussland zu vermerken.

Vor allem möchte ich ein Missverständnis beseitigen, das oft mit den Fragen der Armee und der Kriegskunst verbunden wird. Es besteht ein solches Vorurteil oder wenigstens eine äußere, nicht immer aufrichtige Form des Vorurteils, dass die Armee, die Kriegswissenschaft, die Kriegskunst und die Militärämter außerhalb der Politik stehen könnten. Das ist unrichtig. Das ist niemals der Fall gewesen. Das war nirgends vorhanden und wird niemals irgendwo vorhanden sein. Einer der bekannten Theoretiker der Kriegskunst, von Clausewitz, schrieb, dass „der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ sei. Mit anderen Worten: auch der Krieg ist Politik, die mit Hilfe der brutalen Mittel von Blut und Eisen verwirklicht wird. Das stimmt auch. Der Krieg ist Politik, die Armee ist ein Werkzeug dieser Politik. Die Kriegsakademie ist eine notwendige Anstalt für die Armee und folglich auch für die Politik.

Das Wesen der Sache besteht darin, dass in den Epochen, wo die Ämter und die Ideen sich von Generation zu Generation vererben und wo die Zeitgenossen den Umschwung, die Umwälzung nicht sehen, dass in diesen Epochen die Politik unsichtbar ist, wie die Luft. Die alte Armee war da. Niemand ist individuell dafür schuldig zu machen, – hier unter uns, unter den Professoren, gibt es gar manchen, der in der alten Armee tätig war, und ich zweifle nicht, und niemand von Ihnen hat Grund daran zu zweifeln, dass sie mit den besten Absichten in der alten Armee arbeiteten; aber infolge objektiver historischer Bedingungen waren die alte Armee und die alten Institutionen, darunter auch die Lehr- und Gelehrtenanstalten, ein Werkzeug jener Politik, die die damaligen herrschenden Klassen führten. Dies war ebenfalls eine Politik, eine monarchische, adelige, bürokratische Politik, die sich in den letzten Jahrzehnten mit der kapitalistischen Politik vereinigt hatte. Wir machten den tiefgehendsten Umschwung, eine der tiefgehendsten Umwälzungen durch, die je die Menschheitsgeschichte gekannt hat. Und wenn vor kurzem noch irgend jemand den Gedanken oder die Hoffnung oder die Befürchtung haben konnte, dass diese Umwälzung eine Zufälligkeit oder das Resultat unserer Barbarei (diesen Vorwurf machte man uns im Westen) sei, so ist jetzt, nach der Umwälzung in Deutschland, wo das Rad der Geschichte noch nicht stillsteht und sich in derselben Richtung bewegt, in der sich das Rad der russischen Geschichte bewegte, nach der Umwälzung in Österreich-Ungarn und all jenen ersten Erscheinungen der Revolution, die wir in den westlichen Ländern wahrnehmen, es ist für jeden denkenden Menschen, selbst wenn er in der Vergangenheit keiner Revolutionspartei angehörte, klar, dass wir eine neue Etappe der Weltgeschichte betreten haben, wo alle Ereignisse sich nach gleichen Gesetzen, unter verschiedenen nationalen Bedingungen bewegen. Deutschland holt uns jetzt nur ein hinsichtlich der Wege und Formen der revolutionären Entwicklung, und holt uns rasch ein. Dann ist die Reihe an Frankreich, England und die andern kapitalistischen Länder. Überall wird die Politik eine andere, der soziale Organismus verändert sich, neue herrschende Klassen treten auf den Plan, Klassen, die vorübergehend die Herrschaft ergreifen, um jede Klassenentwicklung und jede Klassenherrschaft zunichte zu machen. Wir leben in dem Moment der Übergangsperiode, wo die alten herrschenden Klassen, jene Klassen, die die Massen ausbeuteten, gestürzt sind oder gestürzt werden, wo neue herrschende, werktätige Klassen das Staatssystem in ihre Hände nehmen, um die Grundlagen der Klassenherrschaft selbst zu beseitigen und um die Gesellschaft in eine planmäßig organisierte Gemeinschaft zu verwandeln, die arbeitet, erzeugt und sich wehrt auf kameradschaftlichen oder kommunistischen Grundlagen.

Es ist klar, dass in einer solchen Periode die Armee umgebaut, angepasst werden muss jenen Klassen, die die Macht ergriffen haben. Es ist klar, dass die Akademie als höchste Lehranstalt dieser Armee, angepasst werden muss der ganzen Roten Arbeiter- und Bauernarmee. Sie muss, soweit dies die Natur der Sache selbst zulässt, allen äußeren Akademismus abstreifen, alles, was die Vorstellung der Pedanterie, der Scholastik, der Routine, des ganzen Mandarinengeistes hervorruft; sie muss den Kern der Militärwissenschaft von der Schale reinigen, jenen Kern, der besonders jetzt, wo wir uns unter der Fuchtel der internationalen Kriegsnotwendigkeit befinden, einen unmittelbaren und tiefen Nützlichkeitscharakter tragen muss, d. h. ihr müsst lernen, damit Ihr unverzüglich die anderen lehren könnt und alles in der Praxis anzuwenden versteht. Wir sind gezwungen, uns zu verteidigen; wir wollen uns gut verteidigen, d. h. mit der größten Ökonomie an Kraft, Mitteln und Blut unserer Roten Arbeiter- und Bauernarmee. Freilich, unsere Lage kann nicht als leicht bezeichnet werden, aber wenn wir auf diese mehr als vier Jahre Weltkrieg zurückschauen, so müssen wir zum Schlusse gelangen, dass die Weltgeschichte die Verhältnisse eher zu unseren Gunsten als zu unserem Nachteil geändert hat. Im Weltkrieg hatten wir eine fürchterliche Niederlage erlitten. Jetzt ist es jedermann klar, dass diese Niederlage durch drei Grundursachen bedingt war.

Erstens – durch unsere technische Rückständigkeit. Die Militärtechnik ist bloß eine Folge der ganzen Wirtschaftsmacht des Landes. Wir waren ökonomisch und technisch die Rückständigeren. In der ersten Kriegsperiode machte sich das nicht so bemerkbar, weil wir die Möglichkeit hatten, uns auf einen bestimmten Vorrat von jeder Klassengesellschaft notwendigen Vernichtungswerkzeugen zu stützen, aber je mehr der Krieg sich in die Länge zog, je mehr materielle Kriegsgüter verbraucht wurden, je größere Anforderungen an den Wirtschaftsorganismus des Landes gestellt wurden, umso mehr entpuppte sich unsere wirtschaftliche Rückständigkeit und auch unsere Schwäche.

Die zweite Ursache ist das Menschenmaterial der Armee, die Soldatenmasse. Den vielmillionenköpfigen Massen der russischen Bauern, die vom Zarismus, von der Unwissenheit und der Not niedergehalten waren, fehlte jene Initiative und jener persönliche Unternehmungsgeist, die untrennbar mit den neuen Methoden des Krieges, wie sie die neue Technik erzeugt hat, verknüpft sind. Der Bauer, der aus dem Dorfe kam mit seinen alten Vorurteilen, ohne persönliche Initiative, konnte sich kaum in den Verhältnissen des jetzigen Krieges auskennen. Er wusste heldenhaft zu sterben und zugrunde zu gehen, aber als militärische Individualität zog er den Kürzeren.

Drittens schließlich – das Kommandopersonal. Dem Kommandopersonal wurde in den Augen der Soldatenmasse zu Recht und Unrecht die Verantwortung für alle Misserfolge, das ganze Blutvergießen, das ziellos war, für alle Erniedrigungen auferlegt, eben deshalb, weil es eben das Kommando war, und deshalb, weil dieses Kommando seiner ganzen Vergangenheit nach eng verbunden war mit jenen herrschenden Klassen, die im Bewusstsein der gemeinen Soldatenmasse das Geschick des Landes in ihren Händen hielten, zum Kriege geführt und die fürchterlichen Niederlagen hervorgerufen hatten. Daraus ergab sich die erschreckende Kluft zwischen der Soldatenmasse und dem Kommando, eine Kluft, die in gewissen Momenten der Revolution dramatische, blutige, allbekannte Formen annahm.

Wenn wir uns jetzt fragen, welche Veränderungen in diese drei Faktoren die Ereignisse der letzten Jahre und Monate hineingetragen hatten, so werden wir zugeben müssen, dass wir in dem ersteren Punkte, in der Technik, natürlich nicht stärker oder mächtiger geworden sind. Aber alle Länder sind unvergleichlich schwächer geworden. Der Organismus der deutschen Technik ist unvergleichbar, unnachahmbar, selbst für die europäischen Länder, aber man braucht nur aus diesem vollkommenen Organismus, oder richtiger gesagt Mechanismus, dieses oder jenes Kettenglied zu entfernen, damit er in völlige Unordnung gerät. Dort fehlen diese oder jene Metalle, es fehlt an Brennstoffen, es mangelt an Benzin, an verschiedenen Orten fehlt dieses und jenes, und folglich gerät auch die Kriegsindustrie in Zerfall.

In Deutschland macht sich dies schon in katastrophaler Form bemerkbar. Morgen wird sich das in Frankreich und in England, und dann in Amerika, in allen Ländern bemerkbar machen. Folglich sind wir alle einander nähergekommen auf der Linie der Verarmung, der Erschöpfung.

Nun bezüglich der Soldatenmasse und der Prüfungen des Krieges mit all seinen Drangsalen und Mühsalen. Vor allem weckte die kolossale Erschütterung der Revolution die menschliche Persönlichkeit selbst in dem gedrückten, verfolgten und unwissenden Bauer. Gewiss, diejenigen, die an die Revolution und ihre Mentalität nicht gewöhnt sind, die nicht früher im Geiste das durchgemacht hatten, was sich dann vor ihnen physisch, materiell entrollt hat, konnten mit einem gewissen Entsetzen, oder gar Ekel, auf jene Exzesse und Willkür der Anarchie schauen, die auf der Oberfläche der revolutionären Geschehnisse wahrzunehmen waren. Aber in diesen Exzessen, selbst in den negativsten Erscheinungen, wo der Soldat, der gestern noch Sklave war, heute im Kupee 1. Klasse den Samtbezug herunterriss, um sich daraus Hosen zu machen, in diesem Vandalismus steckte noch das Erwachen der Persönlichkeit. Dieser geduckte, erniedrigte russische Bauer, dem man in die Fresse schlug, den man mit den gemeinsten Worten beschimpfte, ist vielleicht zum ersten Mal in einem Kupee 1. Klasse, und sieht Samt, während seine Beine in stinkige Lumpen gehüllt sind; er reißt den Samt herunter und sagt sich, dass er das Recht hat auf ein Stück guten Stoff oder Samt. Am Tage darauf, oder drei Tage, einen Monat oder ein Jahr, nein, einen Monat darauf, wird er die Abscheulichkeit des Raubes von Volksgut begriffen haben, aber die erwachte Persönlichkeit, die Individualität, nicht mehr Nummer soundso, sondern die menschliche Persönlichkeit ist ein für allemal in ihm erwacht. Die Aufgabe besteht darin, die Persönlichkeit dem Rahmen der Gemeinschaft zuzuführen, sie zu zwingen, sich nicht als Nummer, nicht als Sklaven wie früher, und auch nicht bloß als Iwanow oder Petrow zu fühlen, sondern als Iwanow, der erstens eine Person ist und zweitens einen Bestandteil der Gemeinschaft ohne Sklaven und ohne Herren bildet. Das ist die Aufgabe der Erziehung im breiten Sinne des Wortes. Aber in dieser Hinsicht haben wir unzweifelhaft einen gewaltigen Schritt vorwärts getan. Nicht nur das städtische Proletariat, sondern die breiten Schichten der vielmillionenköpfigen Bauernschaft sind in dieser kurzen Periode wie neugeboren. Ein französischer Revolutionär sagte einmal, dass in den sechs Jahren französischer Revolution das französische Volk mehr Erfahrungen gesammelt hat als in sechs Jahrhunderten sonst.

Karl Marx sagt, dass die Revolution die Lokomotive der Weltgeschichte ist, und das stimmt auch. In dieser Periode ist die russische Bauernmasse trotz aller Rohheit, aller Vorurteile, trotz aller Dumpfheit und Unwissenheit innerlich eine andere geworden, und ist einer viel größeren Initiative und Selbständigkeit fähig geworden. Wenn die Lehren der Geschichte endgültig verdaut sein werden, wird unser Volk, das jahrhundertelang in Erniedrigung lebte, einen mächtigen Sprung vorwärts machen, und wird viele andere Völker einholen oder gar überholen.

Die Frage des Kommandopersonals ist der dritte und bis jetzt noch der wundeste Punkt. Hier, in dieser Versammlung der jetzigen und künftigen Akademiker, können wir eine gewisse Distanz zu den Ereignissen einnehmen, mit jener Objektivität, die wir uns im revolutionären Kampfe nicht erlauben können und dürfen; hier können wir uns Rechenschaft darüber abgeben, wieso und warum die breiten Kreise der alten Offiziere sich den Reihen der Arbeiter- und Bauernarmee nicht anschließen wollten. Unter ihnen gab es solche, die sich verkauften, aber es gab entschieden auch ehrliche Leute. Es gab auch ehrliche Leute, aber ihrer Mentalität, ihren Gewohnheiten, Anschauungen und Auffassungen nach hatten sie eine bestimmte historische Formation ergeben, die keine weiteren Veränderungen erleiden konnte, so dass sie eine bestimmte Abgeschlossenheit offenbarten. Es gab andere, die sich zu der Auffassung durchrangen (das ist natürlich ein höherer Typus), dass hierbei nicht die Streiche einer Bande von Ignoranten und nicht die Willkür einer einzelnen Partei ihr Spiel treiben, sondern dass hier eine tiefe, man möchte sagen geologische Verschiebung der sozialen Lebensgrundlagen stattfindet, gegen die das Ankämpfen durch Verfluchungen oder weißgardistische Aufstände bestenfalls eine klägliche und traurige Don-Quichoterie wäre. Aber es gab auch viele solche, die sich als unfähig erwiesen, sich dem Geist der neuen Epoche zu unterwerfen. Sie traten in die Arbeiter- und Bauernarmee als Agenten unserer Feinde. Vielleicht ist auch bis jetzt ein gewisser Prozentsatz solcher Elemente geblieben. Aber es gab auch höherstehende Elemente, die einsahen, dass unser Land auf eine gewisse höhere Stufe emporstieg, aus jenem Sumpfe und Blute, wohin es durch die Prüfungen und Erniedrigungen dieses entsetzlichen Krieges gestürzt worden war. Aber solcher Männer gab es nur wenige.

Wir begannen das neue Kommandopersonal aus dem Schoße der Arbeiter und Bauern zu bilden. Dieses neue Kommandopersonal ist einstweilen noch in quantitativer und qualitativer Hinsicht sehr unzureichend, denn wir haben noch keine Kommandeure und keine Roten Offiziere mit höherer Bildung aus diesem neuen Kreise.

Diese Lücke ausfüllen ist auch die Aufgabe dieser Akademie. Wenn die Aufgabe der Bildung und Formierung von Soldaten und Kommandeuren einen doppelten Charakter hat, – den Charakter der Erziehung der Soldaten und Kommandeure und den Charakter der Schulung, – so müssen wir sagen, dass auch hierbei die historische Umwälzung, diese ganze soziale Verschiebung der Sache der sozialen Erziehung auch die Arbeit der militärischen Erziehung außerordentlich erleichtern wird, denn man braucht nicht Kommunist und alter Revolutionär zu sein, um jetzt einzusehen, dass das alte Erziehungssystem, jenes System, das seinen klassischen Ausdruck in Deutschland gefunden und dort ein klassisches Fiasko erlitten hat, darauf hinauslief, dass aus den Reihen der unterdrückten Klassen, der werktätigen Klassen, Millionen herausgeholt und so erzogen wurden, dass sie das Staatsregime stützten, das ihre eigene Unterdrückung stützte und festigte. Darin eben bestand die Schwierigkeit der alten militärischen Erziehung. Das war eine komplizierte, soziale Dressur, sie kostete viel Zeit, Kraft und Interesse. Unsere soziale Erziehung, auch die militärische, (ich spreche von unserer Erziehung im Sinne dieser Epoche) besteht darin, dass jeder Arbeiter, Soldat und Bauer die Gemeinschaft verstehen lernt, die seinen eigenen Interessen und zwar nur seinen Interessen dient. Unser Vorzug besteht darin, dass wir vor dem Arbeiter und dem Bauer nichts zu verheimlichen, nichts zu verbergen haben, dass alle Fehler unseres Regimes, alle Irrtümer dieses Regimes bloß Fehler der Herrschaft der Arbeiter und Bauern sind. Die Lebensmittel werden bei uns nicht deshalb schlecht verteilt, weil die Bourgeoisie oder der Adel, oder der Zar diese Lebensmittel an sich reißt, sondern weil die Arbeiter und die Bauern noch nicht gelernt haben, sie zu verteilen, wie es sich gehört. Daher der Schluss: Lernt! Unsere Militärversorgung ist nicht so, wie sie sein sollte. Lücken und Missstände gibt es überall gar viele. Wir entlarven sie viel zu wenig durch die Presse; gerade in einer Unterhaltung mit dem Vorsitzenden der Militärhochschule bestand ich darauf, dass alle Mängel, alle Missstände unseres Mechanismus ans Tageslicht gefördert werden, denn wir brauchen nichts vor jenen Klassen zu verheimlichen, die jetzt zu herrschen berufen sind, d. h. vor den werktätigen Klassen. Darin besteht der außerordentliche Vorzug jener Lage, in der sich jetzt der Kommandeur befindet. Wenn er straffe Disziplin fordern wird – er ist verpflichtet, sie zu fordern – wenn er in diesem Sinne seine Stimme erheben wird, so wird niemand die Stirn haben zu behaupten, dass er es im Interesse des Adels und des Zaren tue. Er wird sagen: ich bin von der Allrussischen Sowjetregierung eingesetzt, die sich in dem Allrussischen Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten als ihrem höchsten Organ manifestiert. Das ist eine gewaltige moralische Autorität, die im Vergleich mit unserem neuen russischen Offizier kein Offizier der Welt hat.

Ich habe damit begonnen, dass die Akademie nicht außerhalb der Politik stehen kann. Es ist Aufgabe der Akademie, dem Offizierspersonal, das diese Akademie absolvieren wird, den Sinn der neuen Verhältnisse, das Wesen der neuen Klassen und jener neuen Armee beizubringen, der sie dienen werden. Diese neuen Klassen, diese neue Armee muss alle jene Ergebnisse der Kriegskunst und -technik berücksichtigen und anwenden, die sich aus dem jetzigen Kriege ergeben.

Die Fachleute haben das Programm der Akademie von dem rein „akademischen" Altkram gereinigt und befreit. Wir brauchen jetzt in dieser kurzen Periode, die uns die Weltgeschichte gewährt, uns nicht mit den Kriegsfragen der Griechen, der Römer und des Mittelalters zu befassen. Wir haben jetzt einen vierjährigen Kriegsabschnitt, in dem alles, was in sämtlichen Ländern, in sämtlichen Epochen und bei sämtlichen Völkern war, seine Anwendung fand, wo die Menschen einerseits in den Lüften schwirrten und wo sie wie Maulwürfe und Troglodyten in Höhlen und schmutzigen Erdgräben hausten. Sämtliche Gegensätze und Pole der gegenseitigen Völkervernichtung fanden hier ihren Ausdruck und ihre Anwendung. Wenn die Akademie will – sie wird es wollen – wenn sie kann und mag, wird sie dieses Material des letzten Krieges auszunutzen wissen und wird unser Kommandopersonal mit neuen praktischen Erkenntnissen bereichern, die von größtem Werte sein werden. Noch mehr, sie wird gerade deshalb eine Akademie sein, die von aller Pedanterie, Routine und allem Servilismus frei ist, weil sie nicht in den Sternen geboren ist, sondern aus einem unmittelbaren Bedürfnis heraus, aus der Praxis und der inneren Notwendigkeit. Ein solches Bedürfnis ist da. Es ist unabwendbar. Wir sind verpflichtet, unser Land zu verteidigen, das zu einem ehrlichen werktätigen Land der Arbeiter und Bauern geworden ist. Wir sind verpflichtet, es gegen jede Gewalt und alle Versuche der Unterdrückung zu schützen. Der Wille zu einer solchen Verteidigung ist bei den breiten Massen des russischen Volkes da. Es ist der Wille der Arbeiterklasse und der Bauernschaft. Und die Initiative dieser Klassen, ihr Bewusstsein, ihre Unternehmungslust sind entschieden gewachsen. In vielen Fällen fehlt es ihnen bloß an militärischer Leitung. In der Person der hier Anwesenden gratuliere ich noch einmal Sowjetrussland zu diesem feierlichen Akt der Eröffnung unserer Hochschule.

Es lebe die Kriegsakademie der Roten Arbeiter- und Bauernarmee! Es lebe die Rote Arbeiter- und Bauernarmee selbst! Hurra!

8. November 1918.

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