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Leo Trotzki 19180123 Funkspruch

Leo Trotzki: Funkspruch

[Nach Ernst Drahn (Hg.): Brest-Litowsk. Berlin 1920, S. 56 f.]

In den Berichten über die letzte Sitzung der Friedenskonferenz, welche in den Zeitungen der Zentralmächte erschienen sind, wurden jene Erklärungen des Volkskommissars Trotzki unterdrückt, in welchen er klarlegte, dass die Zentralmächte auf Forderungen bestehen, welche den am 25. Dezember verkündeten Grundsätzen vollständig widersprechen.

Die russischen Abgeordneten haben zu verschiedenen Malen gegen diese absichtliche Fälschung des Tatbestandes protestiert, denn sie halten es für gefährlich, die öffentliche Meinung durch gewissenlose Berichte irrezuführen. Wir fühlen uns verpflichtet, auf das bestimmteste Verwahrung einzulegen und diesen Protest an die russische und die fremde Presse zu verschicken.

Die Völker Deutschlands und Österreich-Ungarns sind verraten. Das Spiel, das die Regierungen der Zentralmächte ihren Völkern gegenüber spielen, ist ganz unglaublich.

Die Annexionisten sind mächtig genug, die ausweichenden Diplomaten von der Schule Hertlings und Kühlmanns ihrem Willen zu unterwerfen, aber die Regierungen, die den Willen der Annexionisten erfüllen, wagen nicht mehr, dem Volke ihr Programm zu zeigen.

Kühlmann erklärte, dass die Zentralmächte die Gebiete nicht räumen könnten, die von ihren Truppen besetzt seien, ehe ein allgemeiner Friede geschlossen sei. Daraus hat die ganze Welt und vor allem das deutsche Volk den Schluss gezogen, dass Deutschland und Österreich-Ungarn darauf eingingen, Polen, Litauen, Kurland, Riga und die Inseln zu räumen, wenn der allgemeine Friede geschlossen ist. In Wirklichkeit verhält es sich nicht so. Die österreichische und die deutsche Delegation hat sich geweigert, irgendwelche Verpflichtungen in Bezug auf die Räumung der besetzten Gebiete auf sich zu nehmen. Es kommt also auf eine gewalttätige Annexion hinaus. Dies wurde mit voller Klarheit in Brest-Litowsk konstatiert. Die ganze Welt weiß es, nur die Völker Deutschlands und Österreich-Ungarns nicht. Vor diesen wird der wichtigste Teil der Verhandlungen geheim gehalten. Die deutsche Regierung wagt nicht, ihrem Volke die Forderungen mitzuteilen, die Russland gegenüber in Brest-Litowsk aufgestellt worden sind. Die Völker Deutschlands und Österreich-Ungarns werden von ihren Regierungen vor der ganzen Welt zum Narren gehalten.

Petrograd, den 23. Januar 1918.

Trotzki.

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