Leo Trotzki‎ > ‎1918‎ > ‎

Leo Trotzki 19180819 Genossen Matrosen der Wolga-Flottille

Leo Trotzki: Genossen Matrosen der Wolga-Flottille!

[nach Leo Trotzki: Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 129 f.]

Als ich gestern in den Stab der Flottille, auf den Dampfer „Ilja Muromez" kam, wurde ich durch das Bild verblüfft, das sich vor meinen Augen zeigte. Auf dem Dampfer trieb sich wie in einem Durchgangshof allerhand fremdes Publikum herum, der Posten überprüfte die Passierscheine nicht, solche Passierscheine gibt es überhaupt nicht. Jeder, der will, kommt hin, redet über alles, was er will, und geht, wann er will. Alles Übrige war auch danach. Niemand weiß, wer Herr auf dem Schiffe ist. Es war unmöglich festzustellen, wer die Schiffe befehligt, die dem Verbindungsdienst dienen. Irgendjemand wurde irgendwohin auf irgendwessen Befehl geschickt. Die Abgesandten ließen irgendwo den Tender zurück, in der Hoffnung, dass die anderen ihn mitbringen würden. Keine Organisation, kein Gefühl für Verantwortung! Auf dem Dampfer, der als Arbeitsstätte des Stabes dient, halten sich viele Frauen und Kinder auf.

Unter diesen Umständen ist ein einigermaßen ernsthaftes, sachliches Arbeiten vollkommen ausgeschlossen. Noch weniger lässt sich irgendein militärisches Geheimnis bewahren. Während meines Aufenthaltes auf dem Schiff ließ der Kommissar Markin einen Mechaniker kommen, der den Motor nicht in Gang setzen konnte. „Das ist jedes Mal bei uns so“, erklärte Kommissar Markin. „Wenn es gilt, die Positionen zu verlassen, arbeiten die Motoren ausgezeichnet, aber wenn man Positionen besetzen will, versagen die Motoren sofort“.

Genossen Matrosen! Eine solche Wirtschaft ist unzulässig. Unter solchen Umständen ist die Flotte nicht lebensfähig. Nicht umsonst sehen alle, dass unsere neue Wolga-Flottille außerordentlich lax, faul, energie- und erfolglos arbeitet. Wenn im Zentrum die nötige Ordnung fehlt, kann es kein energisches Arbeiten auf den Schiffen geben. Wir führen indes einen ernsthaften Kampf, einen großen Kampf, einen Kampf auf Leben und Tod. Wenn wir jetzt nicht gleich Kasan einnehmen, wird der Feind uns Nischni-Nowgorod wegnehmen und sich mit den englisch-französischen Banditen an der Archangelsk-Küste vereinigen. Dann werden sie eine gemeinsame Front haben. Dadurch wird unsere Sache sehr erschwert werden. Und dann, das kann man mit Sicherheit sagen, werden die Deutschen vom Westen und vom Süden her vormarschieren, um die Tschechoslowaken und die Engländer und Franzosen zu verhindern, auf russischem Boden eine feste Front zu bilden. Wir, Arbeiter und Bauern, Soldaten und Matrosen der Sowjetrepublik werden zwischen zwei Feuer geraten: zwischen die Engländer und Franzosen, Tschechoslowaken und Weißgardisten – im Nordosten die Deutschen im Westen und im Süden. Zwischen diesen beiden Feuern wird unsere junge Republik zugrunde gehen. Die brutalste Willkür wird in unseren Städten und Dörfern Platz greifen und alle Errungenschaften, die mit den schwersten Opfern, zu denen auch viele Matrosen zählen, erkauft worden sind, werden für Jahrzehnte hinfällig werden.

Genossen Matrosen! Ich appelliere an Euch alle, über die Lage nachzudenken, die jetzt bei uns im Lande entstanden ist. Wenn wir Kasan erobern, werden wir dadurch die feindliche Front brechen. Simbirsk und Samara werden von selbst fallen. Das schwache englisch-französische Landungskorps wird uns keine Furcht mehr einflößen. Die Deutschen werden nicht mehr vorzumarschieren brauchen, wenn sich keine neue Front in Russland bilden wird. Sämtliche Interessen unseres Landes erfordern von uns die größte Kraftanspannung zur Wiedereroberung von Kasan.

Genossen Matrosen! Reißt Euch zusammen! Schmeißt die Miesmacher hinaus, wenn solche unter Euch vorhanden sind. Fegt alle Schlamperei. Schlappheit und Saumseligkeit hinweg. Alles muss auf militärischen Fuß gestellt werden. Keine Minute ist zu verlieren. Kein Fußbreit Land ist herzugeben. Dem Feinde alles wegnehmen, was sich nehmen lässt. Den Kampf mutig, kühn, angreifend führen! Wer nicht riskiert, der gewinnt niemals.

Ich drücke Euch die Hand, Ihr Genossen Matrosen!

Kommentare