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Leo Trotzki 19180114 Rede am 14. Januar 1918

Leo Trotzki: Rede am 14. Januar 1918

[Nach Ernst Drahn (Hg.): Brest-Litowsk. Berlin 1920, S. 48-51]

Bevor wir zu den uns in Anspruch nehmenden Fragen übergehen, halte ich es für unumgänglich, folgendes zu bemerken: In den gestern in unsere Hände gelangten deutschen Zeitungen vom 10. Januar ist der offizielle Bericht enthalten. Im Namen der russischen Delegation protestiere ich in entschiedenster Weise gegen die tendenziöse Umarbeitung, welcher der Text der Erklärung der russischen Delegation in diesem Bericht unterworfen ist. Es genügt zu bemerken, dass von dem Satze: „Unsere Regierung hat an den Kopf ihres Programmes das Wort Frieden gestellt, aber sie hat sich auch zugleich vor dem Volk verpflichtet, nur einen gerechten, demokratischen Frieden zu unterschreiben …" nur die erste Hälfte gebracht ist, um das nötige Licht auf den ganzen Bericht zu werfen, der nicht der Informierung der deutschen öffentlichen Meinung, vielmehr ihrer Desorientierung dient.

Indem ich der genauen Bekanntmachung der öffentlichen Meinung aller Länder mit dem tatsächlichen Gang der Friedensverhandlungen eine ungeheure Bedeutung beimesse, war ich gestern genötigt, unsere Regierung durch direkten Telegraph aufzufordern, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln die öffentliche europäische Meinung zu ersuchen, sich ausschließlich an die stenographischen Berichte, die unsere offizielle Presse ohne jegliche Änderung und Verkürzung bringt, zu halten. Was die Frage an und für sich betrifft, so hoffen wir, dass die heutige Antwort des Vierverbandes jedenfalls eine formelle Schwierigkeit beseitigt. Der Herr General richtete zweimal unsere Aufmerksamkeit darauf, dass er nicht die deutsche Regierung, sondern das deutsche Oberkommando in seiner Person vertritt. Ich beanspruche in diesem Falle nicht meiner Beurteilung der inneren Struktur des deutschen Reiches Ausdruck zu verleihen, aber ich bin jedenfalls der Meinung, dass wir die Unterhandlungen mit einer Vertretung führen, welche von der deutschen Regierung autorisiert ist, und der Herr Staatssekretär hielt es aus einem anderen Anlass für nötig, darauf hinzuweisen, dass alle Unterhandlungen von einem politischen Willen der Regierung getragen werden. Solange dieses von niemand formell widerrufen ist, rechnen wir damit als mit einer formellen Erklärung, welche übrigens sich von selbst versteht. Indem ich die Erörterungen des Generals Hoffmann so zurückweise, halte ich es indessen für unmöglich, in der Rede des Herrn General Hoffmann nicht einige Umstände zu vermerken, welche die Unterhandlungen komplizieren und zum Schaden für beide Teile erschweren können. Der Herr General protestierte vor allem gegen den Ton unserer Erklärung und lenkte unsere Aufmerksamkeit darauf, dass dieser Ton nicht der Tatsache entspricht, dass das deutsche Heer sich auf unserem Territorium befindet. Wenn wir uns an das von Herrn General Hoffmann empfohlene Prinzip halten sollen, so müssen wir ein jedes Mal in anderer Sprache mit den Vertretern Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Türkei oder mit dem neutralen Persien reden. Wir meinen jedoch, dass jene allgemeinen Prinzipien, von denen wir uns leiten lassen, uns das Recht geben, die Unterhandlungen mit den Vertretern sämtlicher Reiche im gleichen Ton zu führen. Des Weiteren wies der Herr General darauf hin, dass unsere Regierung sich auf Gewalt gründet und Gewalt gegen alle anders Denkenden anwendet, die sie zu den Konterrevolutionären und zur Bourgeoisie rechnet. Vor allem begrüße ich die Tatsache, dass der Herr General meiner Aufforderung, sich ungeniert in die inneren Angelegenheiten Russlands zu mischen, so schnell Folge geleistet hat. Sodann muss ich bemerken, dass der Herr General im Recht ist, wenn er behauptet, dass unsere Regierung sich auf Gewalt stützt. Der Weltgeschichte sind andere Regierungen bis jetzt nicht bekannt.

Solange die Gesellschaft aus kämpfenden Klassen besteht, solange wird der Staat nolens volens das Werkzeug der Gewalt sein und den Apparat der Gewalt in Anwendung bringen. Ich protestiere jedoch kategorisch gegen die absolut unrichtige Behauptung, dass wir alle Andersdenkenden außerhalb des Gesetzes stellen. Es sollte mich freuen, wenn die sozialdemokratische Presse in Deutschland, so viel Freiheit hätte wie bei uns die Presse der Bourgeoisie und der Konterrevolution.

Das was an unseren Handlungen die Regierungen der anderen Staaten in Staunen setzt und abstößt, das ist die Tatsache, dass wir nicht die Streikenden, sondern die Kapitalisten verhaften, welche die Arbeiter auf die Straße setzen. Die Tatsache, dass wir nicht die Bauern, die das Land begehren, erschießen, sondern diejenigen Gutsbesitzer und Offiziere verhaften, welche Versuche machen, die Bauern zu erschießen. Und als die rumänische Regierung – ich führe dieses als Beispiel an – sich bemühte, bei uns, auf unserem Territorium Gewaltmaßregeln gegen die revolutionären Arbeiter und Soldaten zu ergreifen, so schlugen wir von hier aus vor, den rumänischen Gesandten, seine Gesandtschaft und seine Kriegsmission in Petrograd zu verhaften. Wir erhielten die Antwort, dass dies schon geschehen sei und wir sind der Ansicht, dass die Gewalt, die wir anwenden, eine Gewalt ist, welche von den Bauern und Soldaten diktiert wird und gegen die Minderheit gerichtet ist, welche danach strebt, das Volk in Sklaverei zu halten, dass diese Gewalt eine fortschrittliche und eine von der Geschichte geheiligte Gewalt ist. Was die zwei Beispiele anbetrifft, die der Herr General anführte, so charakterisieren sie in keinem Fall unsere Politik auf dem Gebiete nationaler Fragen. Wir haben uns über den großrussischen Kongress informiert. Dieser großrussische Kongress bestand aus Vertretern großrussischer Agrarier und er machte den Versuch, sich alle streitigen Objekte anzueignen, die dem großrussischen Volke gehören. Und wenn er auf Widerstand gestoßen ist, so ist dieser Widerstand von Soldaten ausgegangen, die zu gleichen Teilen aus Großrussen und Weißrussen bestanden. Ich habe schon in einer unserer Erklärungen darauf hingewiesen, dass die Konflikte, welche mit der ukrainische Rada entstanden und welche bedauerlicherweise noch nicht gelöst sind, in keinem Sinne das Recht des ukrainischen Volkes auf Selbstbestimmung beschränken können und in keinem Sinne uns behindern können, die unabhängige ukrainische Republik anzuerkennen. Gleichzeitig aber erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass der Herr General Hoffmann die Weigerung, die besetzten Gebiete zu räumen, mit der Begründung motiviert, dass alle diese Gebiete keine Regierungsorgane besitzen. Gerade aus dieser Tatsache zieht er die Schlussforderung, dass eine weitere Okkupation bis zu einer bestimmten Frist notwendig sei. Der Staatssekretär begründet das selbständige Recht dieser Gebiete, mit Deutschland und Österreich-Ungarn in Einvernehmen zu treten und ihr Recht, ihr Territorium zu isolieren, gerade damit, dass sie genügend autoritative Organe für derartige internationale Handlungen besitzen. Ich werde mir erlauben, hier auf einige Widersprüche hinzuweisen. Ich meine, dass wenn ein Gebiet kein eigenes Verwaltungsorgan hat und der politischen Vormundschaft bedarf, so tut dieses Gebiet besser, mit dem Abschluss internationaler Einigungen zu warten, andernfalls könnten Organe, die für die innere Verwaltung nicht genügen, sich ebenfalls zur Bestimmung des äußeren Schicksals besagten Volkes als ungenügend erweisen! Ich muss jedoch gestehen, dass in den theoretischen Auseinandersetzungen, die die Herren Staatssekretär Kühlmann und General Hoffmann ihren Reden zugrunde legen, eine starke Verschiedenheit zu bemerken ist; jedoch scheint das Resultat, zu dem sie glücklich gelangen, ein fast einheitliches zu sein. Aus dem Zugeständnis des Vorhandenseins voll berechtigter Organe und aus dem Zugeständnis ihres Nichtvorhandenseins erwächst die nämliche Schlussfolgerung, welche lautet, dass das Schicksal dieser Gebiete sofort während der Okkupationsepoche beschlossen werden kann und muss, ohne abzuwarten, bis die eigene Bevölkerung die Verwaltung ihres Landes in die Hände nimmt. Ich erlaube mir die kleine Nebenbemerkung, dass dieses Beispiel uns aufs Neue in der Ansicht über die absolut untergeordnete Bedeutung der Rechtsphilosophie bestärken kann. Wer die Geschichte des amerikanischen Obergerichts gelesen hat, der weiß, wie oft es die Rechtsphilosophie änderte, in jedesmaligem Hinblick darauf, ob es nötig oder unnötig sei, das Territorium der Vereinigten Staaten zu erweitern.

Ich meine, dass in Bezug auf diese Frage es bei Weitem interessanter wäre, eine Parallele zu ziehen nicht mit dem Beschluss des amerikanischen Obergerichts, sondern mit der Meinung und Beurteilung jener britischen Juristen, welche die Grundlage zu dem Recht legten, die amerikanische Kolonie in ihren Händen zu halten.

Was die Form betrifft, in welcher wir der Gegenpartei unsere Erörterungen der Beachtung empfahlen, so ist mir nicht völlig klar, worin der Herr Staatssekretär eine Unbequemlichkeit ersieht. – Er wies darauf hin, dass bei einer genauen Formulierung in erster Reihe das in den Vordergrund tritt, was die beiden Parteien trennt, aber soweit ich dieses verstehe, kämpfen die beiden Parteien eben gerade um das, was sie trennt, und nicht um das, was sie vereinigt, und eben deshalb ist es nötig, in den Unterhandlungen die Punkte in den Vordergrund zu stellen, welche das Objekt der Meinungsverschiedenheiten repräsentieren, und sie mit aller nötigen Entschiedenheit schon deshalb in den Vordergrund zu stellen, weil nur in solchem Falle eine gewissenhafte Entscheidung gefunden werden kann. Die Prinzipien natürlich, können als bequeme Algebraformeln gelten, im Endresultat wird die Sache immer zu einer arithmetischen Lösung geführt, und Algebraformeln sind nur dann nützlich und zulässig, wenn die arithmetischen Formeln und Größen ihnen entsprechen. Wir haben unsere Formulierung eben darum aufgestellt, weil es uns schien, dass in jener Flachheit, mit der die Debatten der beiden letzten Sitzungen geführt wurden, gleichsam jene Formeln gesucht wurden, welche in äußerer Form für die Gegenpartei annehmbar machen sollten, was in seiner Wesenheit unannehmbar war. In diesem Sinne schien der Ton des Herrn General Hoffmann viel mehr realistisch. Wir haben ja absolut nicht erklärt, dass wir die deutsche Regierung durch unsere Philosophie gebunden hätten. Wir wollen nur klar und genau wissen, welches Schicksal Polen, Litauen und Kurland erwartet. Dazu führt die Frage allerdings, meine Herren. Der Herr Vorsitzende der deutschen Delegation stellte uns die Frage, woher wir das Recht, uns für diese Gebiete zu interessieren, nehmen, aber der Herr Vorsitzende der deutschen Delegation datiert sein Recht, sich für diese Gebiete zu interessieren, auch nicht aus der nackten Tatsache der Okkupation, sondern aus dem Prinzip der Selbstbestimmung der Völker, welches er allerdings etwas beschränkt auffasst. Ich meine, dass dieses Prinzip in jedem Fall für uns nicht weniger rechtskräftig ist, und unsere Rechte, sich für das Schicksal derjenigen Völker zu interessieren, denen wir die Loslösung vom Bestände des früheren russischen Reiches nicht verwehren, begründet. Wir behalten uns natürlich das Recht vor, eine genauere Charakteristik derjenigen Anträge zu geben, welche heute hier vorgelegt wurden, und in ihrer augenblicklichen Form nach wie vor für uns unannehmbar sind, denn wenn ich – ich habe den Text nicht vor mir – ihren Inhalt recht verstanden habe, so wird den uns interessierenden Gebieten nach wie vor das „Recht" zugestanden, bis zur endgültigen Staatsverfassung der Sache der Grenzverbesserung des Nachbarstaates zu dienen.

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