Die Sozialisten-Revolutionäre und die Menschewiki

Die Sozialisten-Revolutionäre und die Menschewiki

Wir standen vor der Frage, ob uns die linken Sozialisten-Revolutionäre auf diesem Wege folgen würden oder nicht. Diese Gruppe befand sich im Prozess der Entstehung, wobei aber dieser Prozess, mit unserem Parteimaßstabe gemessen, viel zu langsam und zaghaft vor sich ging. Zu Beginn der Revolution war die Partei der Sozialisten-Revolutionäre auf dem ganzen Gebiete des politischen Lebens dominierend. Bauern, Soldaten, sogar Arbeiter stimmten unter den Volksmassen für die Sozialisten-Revolutionäre. Die Partei selbst war auf nichts derartiges gefasst gewesen, und mehr als einmal hatte es den Anschein, als ob sie in den Wellen ihres eigenen Erfolges ertrinken sollte. Nach Abzug der rein kapitalistischen und Großgrundbesitzer-Gruppen und der Zensus-Elemente der Gebildeten stimmten Alle und Alles für die revolutionären „Narodniki". Das entsprach ganz dem anfänglichen Stadium der Revolution, da die Klassengrenzen noch nicht scharf geschieden waren, und der Drang nach einer sogenannten einheitlichen revolutionären Front seinen Ausdruck in dem verschwommenen Programm derjenigen Partei fand, die sowohl den Arbeiter, der sich vom Bauernstand loszutrennen fürchtete, wie den Bauer, der Land und Freiheit suchte, wie auch den Intellektuellen, der diese beiden zu lenken trachtete, und den Beamten, der sich an das neue Regime anzupassen suchte, unter ihre Fittiche nahm.

Als Kerenski, der zur Zeit des Zarismus zu den „Trudowiki" zählte, nach dem Erfolg der Revolution zu den Sozialisten-Revolutionären überging, da wuchs die Popularität dieser Partei desto mehr an, je höhere Stufen der Regierung Kerenski erklomm. Aus lauter Respekt (er war nicht immer rein platonisch) vor dem Kriegsminister beeilten sich viele Generale und Oberste, sich in die Partei der ehemaligen Terroristen einzutragen. Die alten Sozialisten-Revolutionäre von revolutionärem Schlage beobachteten schon damals mit einer gewissen Unruhe die stets wachsende Zahl der „März-Sozialisten-Revolutionäre", d. h. solcher Parteimitglieder, die erst im März den revolutionären Geist eines Narodnik in sich entdeckt hatten, – also erst nachdem die Revolution das alte Regime gestürzt und die revolutionären Narodniki an die Spitze der Regierung gestellt hatte. Auf solche Weise schloss diese Partei, im Rahmen ihrer Formlosigkeit, nicht allein die inneren Widersprüche der sich entwickelnden Revolution in sich, sondern auch die zurückgebliebenen Vorurteile der Bauernmassen, sowohl wie die Sentimentalität, die Haltlosigkeit und die Streberei der gebildeten Schichten. Es war vollkommen klar, dass die Partei in dieser Form nicht lange bestehen konnte. Im ideellen Sinne erwies sie sich von Anfang an als ohnmächtig.

Die politisch leitende Rolle gehörte den Menschewiki. Diese waren durch die Schule des Marxismus gegangen und hatten daraus gewisse Methoden und Gepflogenheiten übernommen, die ihnen halfen, in der politischen Situation sich soweit zu orientieren, um den Sinn des sich vollziehenden Klassenkampfes zu fälschen und in dem unter den gegebenen Bedingungen höchstmöglichen Grade die Hegemonie der liberalen Bourgeoisie zu sichern. Das war auch der Grund, warum die Menschewiki, die direkten Fürsprecher des Rechtes der Bourgeoisie auf die Regierungsgewalt, sich so schnell ausgegeben hatten und zur Zeit des Oktober-Umsturzes beinahe beim Nichts angelangt waren.

Die Sozialisten-Revolutionäre verloren ebenfalls immer mehr und mehr an Einfluss – zuerst unter den Arbeitern, dann in der Armee, und schließlich auch auf dem Lande. Aber numerisch waren sie zur Zeit des Oktober-Aufstandes noch eine sehr mächtige Partei. Die Partei war jedoch durch Klassengegensätze von innen heraus zerfressen. Im Gegensatz zum rechten Flügel, der in der Person seiner höchst chauvinistischen Elemente, wie Awksentjew, Breschko-Breschkowskaja, Sawinkow und anderer, endgültig in das Lager der Gegenrevolution übergegangen war, bildete sich ein linker Flügel, der die Verbindung mit den arbeitenden Massen zu behalten strebte. Zieht man die Tatsache ab, dass der Sozialist-Revolutionär Awksentjew in seiner Eigenschaft als Innenminister die bäurischen Agrar-Komitees wegen ihrer eigenmächtigen Lösung der Agrarfrage verhaften ließ, die Komitees also, die aus Sozialisten-Revolutionären bestanden – so wird uns die Tragweite der „Widersprüche" innerhalb dieser Partei zur Genüge klar.

Im Mittelpunkt stand der traditionelle Parteiführer Tschernow. Ein erfahrener Schriftsteller, in der sozialistischen Literatur belesen, mit viel Erfahrung im Fraktionskampf, blieb er unveränderlich an der Spitze seiner Partei zu den Zeiten, da das Parteileben sich in den Emigrantenkreisen im Auslande abwickelte. Die Revolution, die durch ihre erste, unterscheidungslose Welle die Partei der Sozialisten-Revolutionäre auf eine ungeahnte Höhe empor gehoben hatte, hob rein automatisch auch Tschernow hoch, aber scheinbar nur dazu, um seine völlige Hilflosigkeit selbst in den Reihen der leitenden Politiker der ersten Periode zu enthüllen. Die harmlosen Mittelchen, die Tschernow in den ausländischen Kreisen der Narodniki das Übergewicht sicherten, erwiesen sich auf der Wage der Revolution als viel zu leicht. Er beschränkte sich darauf, keine verantwortlichen Beschlüsse zu fassen, in allen kritischen Fällen auszuweichen, abzuwarten, und Enthaltung zu üben. Ein solche Art Taktik sicherte ihm einstweilen das Zentrum zwischen den immer mehr auseinandergehenden Flügeln. Aber die Einheit der Partei lange zu bewahren – das war nicht mehr möglich. Sawinkow, der ehemalige Terrorist, nahm an der Verschwörung Kornilows teil, lebte in rührender Übereinstimmung mit den konterrevolutionären Kreisen der Kosaken-Offiziere und bereitete den Anschlag gegen die Petrograder Arbeiter und Soldaten vor, in deren Mitte sich eine genügend große Anzahl linksstehender Sozialisten-Revolutionäre befand. Sawinkow fiel als Opfer des linken Flügels: das Zentrum hatte ihn aus der Partei ausgeschlossen; man wagte es aber nicht, gegen Kerenski die Hand zu erheben. Im Vorparlament stellte sich die ganze Zerfahrenheit der Partei heraus: drei Gruppierungen traten, wenn auch unter der Fahne der einen und derselben Partei, selbständig hervor. Dabei wusste keine einzige Gruppe genau, was sie wollte. Eine formale Vorherrschaft dieser „Partei" auf der Konstituierenden Versammlung hätte nur eine Fortsetzung der politischen Erschlaffung bedeutet.

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