Beginn des Aufstandes

Der Beginn des Aufstandes

Die Regierung Kerenskis warf sich kopflos hin und her. Von der Front wurden zwei neue Bataillone Kraftfahrer und die Flieger-Abwehrbatterie zitiert; es wurde auch versucht, die Kavallerie-Kontingente herbeizuholen … Die Kraftfahrer schickten von unterwegs an den Petrograder Sowjet ein Telegramm: Man führt uns nach Petrograd, wissen nicht wozu, bitten um Aufklärung. – Wir hießen sie Halt machen und eine Delegation nach Petrograd schicken. Die Delegierten kamen und erklärten uns in den Sitzungen der Sowjets, dass das Bataillon vollzählig auf unserer Seite wäre. Das rief einen Sturm der Begeisterung hervor. Das Bataillon wurde angewiesen, sofort die Hauptstadt zu beziehen.

Die Zahl der Delegierten von der Front wuchs mit jedem Tag. Sie kamen, erkundigten sich nach dem Stand der Dinge, ließen sich von uns Literatur geben und kehrten nach der Front zurück, um dort die Botschaft zu verbreiten, dass der Petrograder Sowjet für eine Regierung der Arbeiter, Soldaten und Bauern kämpfte. „Die Schützengräben werden Euch unterstützen" sprachen sie zu uns. Die alten Armeekomitees, die während der letzten vier, fünf Monate keine Neuwahlen erfahren hatten, schickten uns Telegramme voller Drohungen, die aber niemanden schreckten: Wir wussten, dass die Komitees den Massen der Soldaten mindestens so fern standen, wie das Zentral-Exekutiv Komitee den lokalen Sowjets.

Das Militär-Revolutionäre Komitee setzte an allen Bahnhöfen Kommissare ein. Diese verfolgten aufmerksam die ankommenden und abgehenden Züge und, besonders, die Verschiebung der Truppen. Ein ununterbrochener Telefon- und Automobilverkehr mit den anliegenden Städten und deren Garnisonen wurde eingeführt. Alle an Petrograd anschließenden Sowjets wurden verpflichtet, aufmerksam darauf zu achten, dass in die Hauptstadt keine konterrevolutionären oder, richtiger, keine von der Regierung betrogenen Truppen einträfen. Das untere Bahnhofpersonal und die Arbeiter erkannten unsere Kommissare sofort an. Auf der Telefonstation traten am 24. Schwierigkeiten ein: wir bekamen keine Verbindung mehr. Die Station war von Fähnrichen besetzt worden, unter deren Schutz die Telefonistinnen sich in Opposition zum Sowjet setzten. Das war das erste Anzeichen der kommenden Sabotage. Das Militär-Revolutionäre Komitee schickte nach der Telefonstation eine Abteilung Soldaten und stellte am Eingang zwei kleine Kanonen auf. So begann die Besitzergreifung der Regierungsorgane. Die Matrosen und die Roten Gardisten belegten mit kleinen Trupps den Telegraph, das Postamt und andere Ämter. Es wurden Maßregeln ergriffen, um die Staatsbank zu erobern. Der Mittelpunkt der Regierung, das Smolny-Institut, wurde in eine Festung verwandelt. Auf dem Dachboden hatten sich noch als Erbe vom alten Zentral-Exekutiv-Komitee ein paar Dutzend Maschinengewehre gefunden; aber sie waren verwahrlost, und es fehlte die kundige Bedienung. Wir beorderten nach dem Smolny eine ergänzende Maschinengewehr-Abteilung. Am frühen Morgen rollten schon die Soldaten unter dröhnendem Gepolter ihre Maschinengewehre über die Steinfliesen der langen und halbdunklen Korridore des Smolny-Instituts. Zu den Türen schauten die erstaunten oder erschreckten Gesichter der wenigen im Smolny noch zurückgebliebenen Sozialisten-Revolutionäre oder Menschewiki heraus.

Der Sowjet versammelte sich im Smolny täglich, genau so wie die Garnisonskonferenz.

Im dritten Stockwerk des Smolny, in einem kleinen Eckzimmer, tagte in Permanenz das Militär-Revolutionäre-Komitee. Dort liefen alle Nachrichten zusammen: über die Verschiebung der Truppen, über die Stimmung unter den Soldaten und den Arbeitern, über die Agitation in den Kasernen, über die Exzesse der Pogromleute, über die Beratungen der bürgerlichen Politiker, über das Treiben im Winterpalais und die Pläne der früheren Sowjet-Parteien. Von allen Seiten trafen die Berichterstatter ein. Es kamen Arbeiter, Offiziere, Pförtner, sozialistisch gesinnte Fähnriche, Dienstmädchen, Damen. Viele erzählten blanken Unsinn, andere wieder übermittelten ernsthafte und wertvolle Nachrichten. Der entscheidende Augenblick rückte näher. Es war klar, dass es kein Zurück mehr gab.

Am 4. Oktober, abends, erschien Kerenski im Vorparlament und verlangte die Genehmigung der Repressivmaßregeln gegen die Bolschewiki. Aber das Vorparlament befand sich im Zustand trauriger Kopflosigkeit und völligen Zerfalls. Die Kadetten überredeten die rechtsstehenden Sozialisten-Revolutionäre, eine Vertrauensresolution anzunehmen, die rechtsstehenden Sozialisten-Revolutionäre übten eine Pression auf das Zentrum aus, das Zentrum schwankte, der „linke" Flügel führte eine Politik parlamentarischer Opposition. Nach vielen Beratungen, Streitigkeiten und vielem Hin und Her ging die Resolution des linken Flügels durch, die die aufrührerische Bewegung des Sowjets verurteilte; die Verantwortung für diese Bewegung wurde aber auf die antidemokratische Politik der Regierung geschoben. Mit der Post liefen Dutzende von Briefen ein, die uns Nachrichten von Todesurteilen, die gegen uns gefällt wurden, brachten, von Höllenmaschinen, von einem bevorstehenden Dynamitattentat auf das Smolny-Institut usw. Die bürgerliche Presse heulte wild vor lauter Hass und Furcht. Gorki, der sein „Lied vom Falken" gründlich vergessen zu haben schien, fuhr in der„Nowaja Schisn" mit seinen Prophezeiungen eines bevorstehenden Weltunterganges fort.

Die Mitglieder des Militär-Revolutionären Komitees hatten die ganze letzte Woche Smolny nicht mehr verlassen; sie schliefen auf den Diwans und gönnten sich nur wenig Schlaf, in einem fort geweckt von Kurieren, Kundschaftern, Radfahrern, Telegraphisten und Telefonanrufen Am aufregendsten war die Nacht vom 24. auf den 25. Wir wurden telefonisch aus Pawlowsk benachrichtigt, dass die Regierung die Artillerie von dort abberiefe, ebenso aus Peterhof – die Unteroffiziersschule. Im Winterpalais wurden um Kerenski Fähnriche, Offiziere und die Angriffstruppen vom Frauenregiment gesammelt. Wir erteilten telefonisch die Order; auf allen Wegen, die nach Petrograd führten, sichere Militärposten aufzustellen und dem von der Regierung herbeigerufenen Militär Agitatoren entgegen zu senden, Wenn Worte allein nicht wirken sollten, dann sollte man die Waffen in Gang setzen. Alle Verhandlungen wurden telefonisch ganz offen geführt und waren infolgedessen den Regierungsagenten vollkommen zugänglich.

Die Kommissare teilten uns telefonisch mit, dass auf allen Zufahrtsstraßen nach Petrograd unsere Freunde wachten. Dennoch drang ein Teil der Oranienbaumer Fähnriche nachts durch und wir verfolgten telefonisch ihre weitere Bewegung. Die Außenwache des Smolny wurde verstärkt, indem wir eine neue Kompanie herbeiholten. Die Verbindung mit allen Teilen der Garnison blieb ununterbrochen. Die wachhabenden Kompanien blieben in allen Regimentern auf den Füßen. Tag und Nacht standen die Delegierten zur Verfügung des Militär-Revolutionären Komitees. Es wurde Befehl erteilt, die Agitation der Schwarzen Hundert energisch zu unterdrücken und beim ersten Versuch von Straßenkrawallen Waffen zu gebrauchen und unbarmherzig vorzugehen.

Im Lauf dieser entscheidenden Nacht gingen alle wichtigsten Punkte der Stadt in unsere Hände über – fast widerstandslos, ohne Kampf, ohne Opfer. Die Staatsbank war von einer Regierungswache und einem Panzerauto bewacht gewesen. Das Gebäude wurde auf allen Seiten von unseren Truppen umzingelt, und das Panzerauto wurde überrumpelt, sodass die Bank ohne einen einzigen Schuss in die Hände des Militär-Revolutionären Komitees überging.

Auf der Newa lag neben der Franco-Russischen Fabrik der Kreuzer „Aurora", der sich in Reparatur befand. Seine Besatzung bestand ausschließlich aus Matrosen, die der Revolution bedingungslos ergeben waren. Als Kornilow Ende August Petrograd bedrohte, wurden die Matrosen der „Aurora" von der Regierung herbeigerufen, um das Winterpalais zu schützen. Und obwohl sie schon damals der Regierung Kerenskis mit größter Feindseligkeit gegenüberstanden, so begriffen sie doch ihre Pflicht, den konterrevolutionären Ansturm abzuwehren, und nahmen ohne jede Gegenrede ihre Posten ein. Als die Gefahr vorbei war, wurden sie dann abgeschoben. Jetzt, in den Tagen des Oktoberaufstandes waren sie allzu gefährlich. So wurde vom Marineministerium an die „Aurora" der Befehl erteilt, auszulaufen und die Gewässer Petrograds zu verlassen. Die Besatzung teilte es uns unverzüglich mit. Wir hoben den Befehl auf, und der Kreuzer blieb auf seinem Platz, bereit, jeden Augenblick alle seine Kampfeskräfte im Namen der Sowjetregierung in Bewegung zu setzen.

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