Der Aufstand von Kornilow

Der Aufstand von Kornilow

Ende August spielte sich der Aufstand des Generals Kornilow ab. Er erschien als unmittelbare Folge der Mobilmachung der konterrevolutionären Kräfte und bekam einen energischen Anstoß durch die Offensive vom 18. Juni. Auf der viel gelobten Moskauer Konferenz Mitte August versuchte Kerenski, sich in die Mitte zwischen den Zensus-Elementen und der kleinbürgerlichen Demokratie zu stellen. Die Bolschewiki betrachtete man überhaupt als außerhalb der „Legalität" im Lande stehend. Unter stürmischem Applaus der Zensus-Hälfte der Konferenz und dem verräterischen Schweigen der kleinbürgerlichen Demokratie drohte ihnen Kerenski mit Blut und Eisen. Aber das hysterische Geschrei und die Drohungen Kerenskis befriedigten die Rädelsführer der konterrevolutionären Sache nicht. Nur allzu gut beobachteten sie die revolutionäre Flut in allen Teilen des Landes, sowohl in der Arbeiterklasse wie auf dem Lande und in der Armee; und sie hielten es für unumgänglich notwendig, unverzüglich die äußersten Maßregeln zu ergreifen, um den Massen eine Lektion zu erteilen. Diese gewagte Aufgabe hatte General Kornilow auf sich genommen, im Einvernehmen mit der Zensus-Bourgeoisie, die in ihm einen Helden sah. Kerenski, Sawinkow, Filonenko und andere regierende und halb regierende Sozialisten-Revolutionäre waren die Mitverschworenen dieses Komplotts, aber in einem gewissen Stadium der Entwicklung der Ereignisse gaben sie alle Kornilow auf, denn sie begriffen, dass sie im Falle seines Sieges über Bord fliegen würden. Wir erlebten die Kornilowschen Ereignisse, während wir im Gefängnis saßen und verfolgten sie nach den Zeitungen. Dass wir offen Zeitungen erhalten durften – das war der einzige wesentliche Unterschied der Kerenskischen Gefängnisse von den Gefängnissen des alten Regimes. Das Abenteuer des Kosaken-Generals misslang. Die sechs Monate Revolution hatten im Bewusstsein der Massen und in ihrer Organisation eine genügende Stütze gegen einen offenen gegenrevolutionären Ansturm geschaffen. Die vermittelnden Sowjet-Parteien schraken im höchsten Grade vor den eventuellen Folgen des Kornilowschen Putsches zurück, der nicht allein die Bolschewiki sondern die ganze Revolution überhaupt mit all ihren regierenden Parteien nieder zu fegen drohte. Die Sozialisten-Revolutionäre und die Menschewiki machten sich daran, die Bolschewiki zu legalisieren, – nicht ohne Vorbehalt, und auch nur zur Hälfte, aus Angst vor einer möglichen Gefahr in der Zukunft. Die gleichen Kronstädter Matrosen, die nach den Julitagen als Plünderer und Gegenrevolutionäre verschrien wurden, wurden im Augenblick der Kornilowschen Gefahr nach Petrograd zitiert, um die Revolution zu schützen. Sie erschienen wortlos, ohne Vorwürfe zu machen, ohne an die Vergangenheit zu erinnern, und besetzten die verantwortlichsten Posten. Ich hatte das volle Recht, Zeretelli an die Worte zu erinnern, die ich ihm im Mai zugerufen hatte, als er die Hetzjagd auf die Kronstädter Matrosen betrieb: „Wenn ein konterrevolutionärer General einmal versuchen wird, der Revolution eine Schlinge um den Hals zu werfen, dann werden die Kadetten den Strick einseifen, aber die Kronstädter Matrosen werden kommen, um mit uns zusammen zu kämpfen und zu sterben."

Die Sowjet-Organisationen zeigten überall: an der Front wie im Hinterland ihre Lebensfähigkeit und ihre Macht gerade im Kampf gegen den Kornilowschen Aufstand. Bis zu einer Schlacht ist es fast nirgends gekommen. Die revolutionäre Masse fegte den Putsch des Generals auseinander. Wie die Vermittler im Juli gegen uns in der Petrograder Garnison keine Soldaten auftreiben konnten, so fand auch jetzt Kornilow auf der ganzen Front keine Soldaten gegen die Revolution. Seine Aktion war auf Betrug gestellt, aber die Worte der Propaganda zerstörten seine Pläne mit Leichtigkeit.

Den Zeitungen zufolge hoffte ich auf eine schnellere Entwicklung der weiteren Ereignisse im Sinne einer Übernahme der Regierungsgewalt durch die Sowjets. Es war unzweifelhaft, dass die Einflusssphäre und die Kräfte der Bolschewiki gewachsen waren und einen ungeheuren Schwung bekommen hatten. Die Bolschewiki hatten vor der Koalition und vor der Offensive vom 18. Juni gewarnt, sie hatten die Kornilow-Affäre prophezeit; so konnten sich die Volksmassen aus Erfahrung überzeugen, dass wir Recht hatten. Im aufregendsten Moment des Kornilowschen Aufstandes, als die kaukasische Division sich Petrograd näherte, wurden die Arbeiter vom Petrograder Sowjet bewaffnet, während die Regierung die Ereignisse an sich herankommen ließ. Die Regimenter, die man einst gegen uns aufgeboten hatte, waren in der heißen Atmosphäre Petrograds längst regeneriert und standen nun vollkommen auf unserer Seite. Die Kornilowsche Meuterei musste der Armee endgültig die Augen öffnen und ihr zeigen, dass eine weitere Politik der Verständigung mit der bürgerlichen Gegenrevolution unmöglich sei. Man konnte deshalb erwarten, dass die Unterdrückung des Kornilowschen Aufstandes lediglich den Auftakt dazu bilden werde, dass die revolutionären Kräfte unserer Partei zum unmittelbaren Ergreifen der Regierungsgewalt übergingen. Aber die Ereignisse entwickelten sich viel langsamer. Bei aller Intensität der revolutionären Stimmung waren die Massen nach der grausamen Lektion der Julitage vorsichtiger geworden; sie verzichteten auf jede eigene Initiative und erwarteten einen direkten Appell und Leitung von oben herab. Aber auch „oben" herrschte in unserer Partei die abwartende Stimmung vor. Unter diesen Umständen konnte die Liquidierung des Kornilowschen Abenteuers trotz der tiefen Modifikation der Kräfte zu unseren Gunsten zu keinen unmittelbaren politischen Veränderungen führen.

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