Der Demokratische Sowjet und das „Vorparlament"

Der Demokratische Sowjet und das „Vorparlament".

Der Demokratische Sowjet, der sich aus der Demokratischen Konferenz abgesondert hatte, sog in sich die ganze Hilflosigkeit der letzteren auf. Die alten Sowjet-Parteien, die Sozialisten-Revolutionäre und die Menschewiki hatten in diesem Sowjet eine künstliche Majorität für sich geschaffen, aber einzig und allein, um ihre politische Erschlaffung um so deutlicher zu offenbaren. Hinter den Kulissen der Sowjets führte Zeretelli verworrene Verhandlungen mit Kerenski und den Vertretern der „Zensus-Elemente", wie man sich im Sowjet auszudrücken begann, um das „beleidigende" Wort Bourgeoisie zu vermeiden. Der Bericht Zeretellis über den Verlauf und den Ausgang der Verhandlungen bildete eine Art Leichenrede für eine ganze Periode der Revolution. Es stellte sich heraus, dass weder Kerenski noch die Zensus-Elemente die Verantwortung vor der neuen halb vertretenden Institution auf sich nehmen wollten. Andererseits gelang es außerhalb der Kadettenpartei keine sogen. „tüchtigen," sozial arbeitenden Persönlichkeiten zu finden. Die Organisatoren des Unternehmens mussten also in beiden Punkten kapitulieren, und die Kapitulation wurde umso vielsagender, da die Demokratische Konferenz doch gerade dazu einberufen wurde, um das verantwortungslose Regime abzustreifen, – dabei lehnte die Konferenz auf dem Wege einer formalen Abstimmung eine Koalition mit den Kadetten ab. Auf den wenigen Tagungen des Demokratischen Sowjets, die vor dem Umsturz stattgefunden hatten, herrschte eine Atmosphäre voller Spannung und völliger Arbeitsunfähigkeit. Der Sowjet spiegelte nicht die Vorwärtsbewegung der Revolution wider, sondern den Zerfall der Parteien, die hinter der Revolution zurückgeblieben waren.

Noch während der Demokratischen Konferenz warf ich in unserer Parteifraktion die Frage auf, ob wir nicht die Konferenz demonstrativ verlassen und den Demokratischen Sowjet boykottieren sollten. Durch eine Aktion sollte den Massen gezeigt werden, dass die „Vermittler" die Revolution in eine Sackgasse getrieben hatten. Der Kampf um die Schaffung einer Sowjet-Regierung konnte lediglich auf rein revolutionärem Wege geführt werden. Die Gewalt musste denjenigen entrissen werden, die zum Positiven unfähig waren und die je weiter um so mehr selbst die Fähigkeit verloren, aktiv – sei es auch nur Negatives zu schaffen. Wir mussten unsern politischen Weg – der durch die Mobilisation der Kräfte um die Sowjets, den Allrussischen Sowjet-Kongress und den Aufstand hindurch führte, – ihrem Weg entgegenstellen, einem Weg, der durch das künstlich zusammengesuchte Vorparlament und die hypothetische Konstituierende Versammlung ging. Das konnte nur durch einen offenen Bruch mit jener Institution geschehen, die von Zeretelli und seinen Gesinnungsgenossen geschaffen worden war, einen Bruch, der sich vor den Augen des ganzen Volkes vollzog; ferner durch die Konzentration der ganzen Aufmerksamkeit und aller Kräfte der Arbeiterklasse auf die Sowjet-Institutionen. Aus diesem Grunde eben schlug ich vor, demonstrativ den Saal zu verlassen und in den Fabriken und den Regimentern eine revolutionäre Agitation gegen die Versuche zu führen, den revolutionären Willen des Volkes zu unterschlagen und die Entwicklung der Revolution wieder in das Fahrwasser eines Paktes mit der Bourgeoisie zu lenken. In diesem Sinne sprach sich auch Lenin aus, von dem wir einige Tage darauf einen Brief erhielten. Unter den Parteispitzen war man in dieser Frage noch schwankend. Die Julitage hatten im Bewusstsein der Partei eine tiefe Spur hinterlassen. Die große Masse der Arbeiter und Soldaten hatte sich vom Julidebakel viel schneller erholt als viele der führenden Genossen, die von einem verfrühten Ansturm der Massen ein Misslingen der Revolution überhaupt befürchteten. In der Fraktion der Demokratischen Konferenz gewann ich für meinen Antrag 50 Stimmen; dagegen waren 70 Stimmen, die sich für eine Mitarbeit am Demokratischen Sowjet aussprachen. Die Erfahrungen dieser Mitarbeiterschaft waren jedoch dazu angetan, den linken Flügel der Partei bald zu stärken. Es wurde nur allzu klar, dass mit Hilfe der an Betrügereien grenzenden Kombinationen, die zur Aufgabe hatten, den Zensus-Elementen die weitere Leitung der Revolution zu sichern; mit Hilfe der in den unteren Volksmengen diskreditierten Vermittler kein Ausweg aus der Sackgasse gefunden werden würde, in die die Revolution durch die Schlappheit der kleinbürgerlichen Demokratie geraten war. Zu der Zeit, da der Demokratische Sowjet, durch die Zensus-Elemente ergänzt, sich in das Vorparlament verwandelte, stand in unserer Partei bereits der Entschluss fest, mit dieser Institution zu brechen.

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