Die Friedensverhandlungen

Die Friedensverhandlungen.

In der historischen Nachtsitzung des Zweiten Allrussischen Sowjet-Kongresses wurde das Friedensdekret angenommen. Zu jener Zeit befestigte sich erst die Sowjet-Regierung in den wichtigsten Punkten des Landes; die Zahl derer aber, die im Auslande an ihre Macht glaubten, war verschwindend klein. Wir nahmen in der Sitzung das Dekret einstimmig an; das erschien aber vielen lediglich als politische Demonstration. Die Vermittler schrien an allen Straßenecken, dass praktische Resultate von unserer Revolution nicht zu erwarten seien, denn einerseits würden die deutschen Imperialisten uns nicht anerkennen und mit uns nicht unterhandeln wollen, und andererseits würde uns die Entente den Krieg erklären, weil wir Separatfriedensverhandlungen begonnen hätten. Im Zeichen dieser Prophezeiungen vollzogen sich unsere ersten Schritte zum Zweck eines allgemeinen demokratischen Friedens. Das Dekret wurde am 26. Oktober angenommen, als Kerenski und Krasnow dicht vor den Toren von Petrograd standen; schon am 7. November wandten wir uns radiotelegraphisch an unsere Verbündeten sowohl wie an unsere Gegner mit dem Vorschlag eines allgemeinen Friedensschlusses. In Antwort darauf wandten sich die Regierungen der Entente durch ihre Militäragenten an den damaligen Obersten Heerführer, General Duchonin und gaben die Erklärung ab, dass alle weiteren Schritte auf dem Wege zu Separatfriedensverhandlungen die schwersten Folgen nach sich ziehen würden. Wir beantworteten diesen Protest vom 11. November mit unserem „Aufruf an alle Arbeiter, Soldaten und Bauern". In diesem Aufruf erklärten wir, dass wir in keinem Fall zulassen würden, dass unter der Fuchtel der ausländischen Bourgeoisie unsere Armee ihr Blut vergieße. Wir wehrten die Drohungen der Imperialisten Westeuropas ab und nahmen die Verantwortung für die Friedenspolitik vor dem Angesicht der internationalen Arbeiterklasse auf uns. Vor allem aber veröffentlichtlichten wir, in Erfüllung unserer prinzipiellen Versprechungen, die Geheimverträge und erklärten, dass wir alles verdammen werden, was den Interessen der Volksmassen aller Länder widerstreite.

Die kapitalistischen Regierungen versuchten unsere Enthüllungen gegen einander auszuspielen, aber die Volksmassen haben uns verstanden und anerkannt. Nicht eine einzige sozialpatriotische Zeitung wagte es, soviel wir wissen, gegen die Tatsache zu protestieren, dass die Arbeiter- und Bauernregierung alle Methoden der Diplomatie gründlich wechselte, und dass wir auf alle ihre Niederträchtigkeiten und ehrlosen Machinationen verzichteten. Unserer Diplomatie stellte sich zum Ziel, die Volksmassen aufzuklären, ihnen die Augen zu öffnen über das Wesen der Politik ihrer Regierungen und sie im Kampf und im Hass gegen die bürgerlich-kapitalistische Ordnung zusammen zu schmieden. Die deutsche bürgerliche Presse warf uns vor, dass wir die Friedensverhandlungen „verschleppten"; aber alle Völker lauschten mit gieriger Aufmerksamkeit dem Dialog in Brest-Litowsk; - und damit war der Friedenssache während der zweieinhalb Monate Friedensverhandlungen ein Dienst erwiesen worden, den selbst die ehrlicheren unter unseren Gegnern anerkennen mussten. Zum ersten Mal wurde hier die Friedensfrage auf eine Ebene gebracht, die mit keinen Schiebungen und Intrigen hinter den Kulissen mehr verwischt werden konnte. Am 22. November unterschrieben wir die Abmachung zur Einstellung aller Kriegsoperationen an der ganzen Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meere. Wieder wandten wir uns an die Entente mit dem Angebot, sich uns anzuschließen, um mit uns gemeinsam die Friedensverhandlungen zu führen. Es kam keine Antwort, wenn auch die Entente diesmal nicht mehr versuchte, uns mit Drohungen zu schrecken. Die Friedensverhandlungen begannen am 9. Dezember, anderthalb Monate nach der Annahme des Friedensdekretes; aus der Luft gegriffen sind deshalb alle Anschuldigungen der korrupten sozialverräterischen Presse gegen uns, wir hätten es unterlassen, uns mit der Entente in Verbindung zu setzen. Im Laufe von anderthalb Monaten setzten wir die Entente von jedem unserer Schritte in Kenntnis und beschworen sie unaufhörlich, sich den Friedensverhandlungen anzuschließen. Vor den Völkern Frankreichs, Italiens, Englands ist unser Gewissen rein … Wir haben alles getan, was in unseren Kräften stand, um alle kriegführenden Länder zu den Friedensverhandlungen heranzuziehen. Die Schuld, dass wir gezwungen waren, Separatfriedensverhandlungen zu beginnen – diese Schuld fällt also nicht auf uns, sondern auf die Imperialisten Westeuropas, wie auch auf jene russischen Parteien, die während der ganzen Zeit der Arbeiter- und Bauernregierung Russlands einen baldigen Tod prophezeiten und die Entente anflehten, unsere Friedensinitiative nicht ernst zu nehmen. Wie dem auch sei – am 9. Dezember nahmen die Friedensverhandlungen ihren Anfang. Unsere Delegation gab eine prinzipielle Erklärung ab, die die Grundlagen eines allgemeinen demokratischen Friedens in genauer Fassung des Dekrets vom 28. Oktober (8. November neuer Zeitrechnung) charakterisierte. Die Gegenpartei verlangte eine Unterbrechung der Sitzung, wobei die Wiederaufnahme der Verhandlungen laut dem Vorschlag von Kühlmann immer mehr und mehr hinausgeschoben wurde. Es war klar, dass die Formulierung einer Antwort auf unsere Erklärung der Delegation des Vierverbandes große Schwierigkeiten bereitete. Am 25. Dezember wurde diese Antwort abgegeben. Die Diplomaten des Vierverbandes schlossen sich der demokratischen Formel eines Friedens ohne Annexionen und Kontributionen auf Grund der Selbstbestimmung der Völker an. Uns war vollkommen klar, dass es eine pure Heuchelei war. Aber wir hatten von ihnen nicht einmal diese Heuchelei erwartet, denn wie ein französischer Schriftsteller einmal bemerkt, ist die Heuchelei derjenige Tribut, den das Laster der Tugend entrichtet. Der Umstand allein, dass der deutsche Imperialismus es für nötig gehalten hat, den Prinzipien der Demokratie diesen Tribut zu entrichten, bezeugte unserer Meinung nach, dass die Lage im Innern Deutschlands ziemlich ernst sei … Wenn wir aber im allgemeinen uns über den Demokratismus der Herren Kühlmann und Czernin keine Illusionen machten – dazu ist uns die Natur der deutschen und österreich-ungarischen regierenden Klassen nur allzu bekannt – so muss man dennoch zugeben, dass wir jenen Abgrund nicht für möglich hielten, der, wie sich einige Tage später herausstellte, die tatsächlichen Friedensbedingungen des deutschen Imperialismus von denjenigen Formeln trennte, die von Herrn von Kühlmann als Plagiat der russischen Revolution am 25. Dezember aufgestellt worden waren. Auf eine derartige Schamlosigkeit waren wir allerdings nicht gefasst.

Auf die Arbeiterklassen Russlands machte die Antwort Kühlmanns einen ungeheuren Eindruck. Diese Antwort wurde gedeutet als Resultat der Angst der leitenden Klassen der Zentralmächte vor der Unzufriedenheit und der wachsenden Ungeduld der Arbeitermassen Deutschlands. Am 28. Dezember fand in Petrograd eine kolossale Arbeiter- und Soldatendemonstration zu Ehren eines demokratischen Friedens statt. Aber am folgenden Morgen kam aus Brest-Litowsk unsere Delegation zurück und brachte uns jene räuberischen Forderungen mit, die uns Herr von Kühlmann im Namen der Zentralmächte und in Erläuterung seiner „demokratischen" Formel stellte.

Es könnte auf den ersten Blick unbegreiflich erscheinen, worauf eigentlich die deutsche Diplomatie rechnete, als sie demokratische Formeln bloß dazu aufstellte, um zwei drei Tage später ihren Wolfshunger offen zu zeigen. Die theoretischen Auseinandersetzungen, die sich – zumeist auf die Initiative von Kühlmann selbst – um die demokratischen Prinzipien drehten, waren zumindest gewagt. Dass auf diesem Wege die Diplomatie der Zentralmächte nicht viel Lorbeeren ernten könnte, das musste ihr selbst von vornherein klar gewesen sein. Das Geheimnis der ganzen Diplomatie Kühlmanns bestand aber darin, dass dieser Herr aufrichtig überzeugt war, wir seien unsererseits gerne bereit, mit ihm vierhändig zu spielen. Er kalkulierte dabei ungefähr so: Russland braucht unbedingt den Frieden. Die Bolschewiki sind dank ihrem Kampf um den Frieden zur Macht gelangt. Die Bolschewiki möchten die Macht beibehalten. Das ist für sie nur denkbar, wenn sie Frieden schließen. Sie sind freilich durch ein bestimmtes demokratisches Friedensprogramm gebunden. Aber wozu gäbe es denn in der Welt Diplomaten, wenn nicht dazu, um Schwarz für Weiß auszugeben! Wir Deutschen wollen den Bolschewiki die Situation erleichtern, indem wir unsere Plünderungen mit dekorativen Formeln schmücken. Die bolschewistische Diplomatie wird Grund genug haben, nach dem politischen Wesen der Dinge nicht näher zu forschen, oder richtiger, den Inhalt der verlockenden Formeln nicht vor den Augen der ganzen Welt zu enthüllen Mit anderen Worten, Kühlmann hoffte auf ein stillschweigendes Übereinkommen mit uns: er würde uns unsere schönen Formeln zurückgeben, wir würden ihm protestlos die Möglichkeit geben, Deutschland Provinzen und Völker einzuverleiben. In den Augen der deutschen Arbeiter hätte auf diese Weise die gewaltsame Aneignung eine Sanktion von Seiten der russischen Revolution erfahren. Als wir aber im Laufe der Debatten zeigten, dass es sich für uns nicht um leere Worte oder um die dekorative Verschleierung einer Schiebung handelte, sondern um demokratische Prinzipien des Beieinanderlebens von Völkern – da fasste Kühlmann es als einen böswilligen Bruch einer stillschweigenden Abmachung auf. Um nichts in der Welt wollte er von der Formulierung vom 25. Dezember zurückweichen, und voller Zuversicht zu seiner geschärften bürokratisch-juristischen Logik bemühte er sich, vor dem Angesicht der ganzen Welt zu zeigen, dass Weiß sich durch nichts von Schwarz unterscheide und dass nur unser böser Wille allein uns zwinge, auf diesem Unterschiede zu beharren. Graf Czernin, der Vertreter Österreich-Ungarns spielte bei diesen Verhandlungen eine Rolle, die kein Mensch imponierend oder würdig nennen könnte. Er spielte ungeschickt den Sekundanten und nahm es in Kühlmanns Auftrag in kritischen Momenten auf sich, die schroffsten und zynischsten Erklärungen abzugeben. Der General Hoffmann trug in die Verhandlungen eine erfrischende Note hinein. Ohne eine große Sympathie zu den diplomatischen Instruktionen Kühlmanns zu zeigen, legte der General mehrmals seinen Soldatenstiefel auf den Tisch, um den sich komplizierte juristische Debatten drehten. Wir unsererseits, wir zweifelten keinen Augenblick, dass gerade dieser Stiefel des Generals Hoffmann als die einzige ernsthafte Realität bei diesen ganzen Verhandlungen zu betrachten sei.

Als großer Trumpf in den Händen des Herrn Kühlmann erschien die Teilnahme der Delegation der Kiewer Rada an den Verhandlungen. Den Kleinbürgern, die in der Ukraine ans Ruder gelangt waren, erschien ihre „Anerkennung" durch die kapitalistischen Regierungen Europas als Sache von ausschlaggebender Wichtigkeit. Zuerst bot sich die Rada den Entente-Imperialisten an und erhielt auch von ihnen einiges Taschengeld; darauf sandte sie ihre Vertreter nach Brest-Litowsk, um hinter dem Rücken der Völker Russlands der österreichischen und deutschen Regierung eine Anerkennung ihrer staatlichen Legalität abzuhandeln. Die Diplomatie von Kiew, die jetzt erst den Weg „internationaler" Existenz betreten hatte, äußerte denselben Gesichtskreis und dasselbe moralische Niveau, die stets die mesquinen Politiker der Balkan-Halbinsel charakterisiert hatten. Die Herren Kühlmann und Czernin machten sich natürlich über die Langlebigkeit dieses neuen Teilnehmers an den Verhandlungen keine Illusionen. Aber sie kalkulierten mit Recht, dass durch die Teilnahme der Kiewer Delegation das Spiel sich kompliziere, und zwar nicht zu ihrem Nachteil.

Bei ihrem ersten Auftreten in Brest-Litowsk hatte die Kiewer Delegation die Ukraine als einen Bestandteil der entstehenden Russischen Föderativen Republik gezeichnet. Das erschwerte offenkundig die Arbeit der Zentralmächte-Diplomaten, die ihre Hauptaufgabe darin sahen, die Russische Republik in einen neuen Balkan zu verwandeln. Bei ihrem zweiten Auftreten erklärten die Delegierten der Rada, unter dem Diktat der österreichisch-deutschen Diplomatie, dass die Ukraine es nunmehr ablehne, in der Russischen Föderation aufzugehen und sich als völlig unabhängige Republik betrachte.

Um den Lesern die Möglichkeit zu geben, recht klar und anschaulich die Situation zu erfassen, die im letzten Augenblick der Friedensverhandlungen für die Sowjet-Regierung geschaffen war, halte ich es für zweckmäßig, in Grundzügen die Rede zu reproduzieren, die der Verfasser dieser Zeilen in seiner Eigenschaft als Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten in der Sitzung des Zentral-Exekutiv-Komitees am 14. Februar 1918 gehalten hat.

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