Die Kampagne gegen die Bolschewiki

Die Kampagne gegen die Bolschewiki

Der künftige Geschichtsschreiber wird nicht ohne Erregung die russischen Zeitungen vom Mai und Juni, der Zeit der ideellen Vorbereitung der Offensive, durchblättern. Fast ohne Ausnahme waren alle Artikel in den offiziösen und Regierungsblättern gegen die Bolschewiki gerichtet. Es gab keine Beschuldigung, keine Verleumdung, die in dieser Zeit nicht gegen uns mobil gemacht worden wäre. Die Hauptrolle in dieser Kampagne spielte selbstverständlich die kadettische Bourgeoisie. Ihr Klasseninstinkt sagte ihr, dass es sich nicht nur um die Offensive handelte, sondern um die ganze Weiterentwicklung der Revolution und vor allem um das Schicksal der Staatsgewalt. Der bürgerliche Apparat der „öffentlichen Meinung" entfaltete sich hier in seiner ganzen Kraft. Alle Organe, Behörden, Publikationen, Tribünen und Katheder wurden in den Dienst des einen gemeinsamen Zieles gestellt: Die Bolschewiki als politische Partei unmöglich zu machen. Die konzentrierte Spannung und die ganze Dramatik der Presskampagne gegen die Bolschewiki verrieten schon vorzeitig den Bürgerkrieg, der sich in der folgenden Revolutionsepoche entwickeln sollte. Die Aufgabe der Hetze und der Verleumdung war aber, eine gänzliche Entfremdung und Feindseligkeit, eine dichte Mauer zwischen den werktätigen Massen einerseits und der „gebildeten Gesellschaft" andererseits zu schaffen. Das liberale Bürgertum begriff, dass es ihm nicht gelingen würde, ohne Vermittlung und Hilfe der kleinbürgerlichen Demokratie die Massen zu zähmen, die, wie wir schon oben sahen, die Leitung der revolutionären Organisationen vorübergehend inne hatte. Die politische Hetzjagd auf die Bolschewiki stellte sich deshalb zur unmittelbaren Aufgabe die unversöhnliche Feindschaft zwischen unserer Partei und den weiten Schichten der „sozialistischen Intelligenz", da die letztere, losgetrennt vom Proletariat, dem Frondienst bei der liberalen Bourgeoisie verfallen musste.

Während des ersten Allrussischen Kongresses der Sowjets schlug der erste erschreckende Donner ein, der die künftigen furchtbaren Geschehnisse ahnen ließ. Für den 10. Juni hatte die Partei eine bewaffnete Demonstration in Petrograd beschlossen. Diese sollte unmittelbar auf den Allrussischen Kongress der Sowjets einwirken: „Ergreift die Macht", wollten die Petrograder Arbeiter den aus dem ganzen Lande versammelten Sozialisten-Revolutionären und Menschewiki zurufen: „Brecht mit der Bourgeoisie, verwerft die Koalitionsidee und ergreift die Macht". Uns war klar, dass ein Bruch der Sozialisten-Revolutionäre und Menschewiki mit der liberalen Bourgeoisie sie gezwungen hätte, eine Stütze in den entschlossensten vorderen Reihen des Proletariats zu suchen. Sie hätten sich somit auf Kosten der letzteren eine führende Stellung gesichert. Aber gerade davor schraken die kleinbürgerlichen Führer zurück. Als sie von der geplanten Demonstration erfuhren, eröffneten sie, gemeinsam mit der Regierung, in der sie ihre Vertreter hatten, und Hand in Hand mit der liberalen und gegenrevolutionären Bourgeoisie einen wahrhaft wahnwitzigen Feldzug gegen die Demonstration. Alles wurde auf die Beine gebracht. Wir waren damals auf dem Kongress in unbedeutender Minderheit, und so traten wir den Rückzug an. Die Demonstration fand nicht statt. Doch diese nicht ausgeführte Demonstration hinterließ die tiefsten Spuren im Bewusstsein der beiden Parteien; sie vertiefte die Gegensätze und verschärfte die Feindseligkeit. In einer geschlossenen Sitzung des Kongresspräsidiums, an der die Fraktionsvertreter teilnahmen, sprach Zeretelli, damaliger Minister in der Koalitionsregierung, mit aller Entschlossenheit des beschränkten kleinbürgerlichen Doktrinärs davon, dass die einzige Gefahr, die der Revolution drohe, die Bolschewiki und das von ihnen bewaffnete Petrograder Proletariat seien. Hieraus zog er die Schlussfolgerung, dass es notwendig sei, Leute, die „nicht mit Waffen umzugehen verstehen", zu entwaffnen. Das bezog sich auf die Arbeiter und auf diejenigen Teile der Petrograder Garnison, die unserer Partei folgten. Allein die Entwaffnung kam nicht zustande, da für eine solch scharfe Maßnahme weder die politischen noch die psychologischen Vorbedingungen in genügendem Maße ausgereift waren.

Um den Massen für die nicht vollzogene, aufgelöste Demonstration eine Genugtuung zu gewähren, setzte der Sowjet-Kongress eine allgemeine, waffenlose Demonstration auf den 18. Juni an. Aber gerade dieser Tag wurde zum Tag des politischen Triumphes unserer Partei. Die Massen traten in mächtigen Kolonnen auf die Straßen und trotzdem sie, im Gegensatz zu unserer nicht ausgeführten Demonstration vom 10. Juni, von einer offiziellen Sowjetbehörde auf die Straße gerufen worden waren, hatten die Arbeiter auf ihre Fahnen und Standarten die Losungen unserer Partei geschrieben: „Nieder mit den Geheimverträgen!" „Nieder mit der Offensive-Politik!" „Es lebe der ehrliche Friede!" „Nieder mit den zehn Kapitalisten-Ministern." „Die ganze Regierungsgewalt den Sowjets!" Es gab nur drei Plakate, die dem Koalitionsministerium ihr Vertrauen ausdrückten: Das eine vom Kosakenregiment, ein zweites von der Gruppe Plechanows und das dritte von der Petrograder Organisation des jüdischen „Bund", der hauptsächlich aus unproletarischen Elementen besteht. Die Demonstration zeigte nicht nur unsern Feinden, sondern auch uns selbst, dass wir in Petrograd viel stärker waren, als wir es vorausgesetzt hatten.

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