Die Kriegsfrage

Die Kriegsfrage

Die Revolution war unmittelbar aus dem Kriege erwachsen, und der Krieg wurde zum Probierstein aller Parteien und aller Revolutionskräfte. Die intellektuellen Führer waren „gegen den Krieg"; während des Zarismus galten viele unter ihnen als Anhänger des linken Flügels der Internationale und schlossen sich Zimmerwald an. Aber kaum standen sie auf „verantwortlichen" Posten, so wurde alles anders. Die Politik des revolutionären Sozialismus führen, hieß unter diesen Verhältnissen soviel, wie mit der Bourgeoisie – der eigenen wie der alliierten – brechen. Aber wie wir schon sagten, suchte die politische Ohnmacht des intellektuellen und halb intellektuellen Kleinbürgertums eine Rückendeckung im Bündnis mit dem bürgerlichen Liberalismus. Daher die traurige und wahrhaft beschämende Rolle, die die kleinbürgerlichen Führer in der Kriegsfrage spielten. Sie beschränkten sich auf Seufzer, Phrasen, geheime Mahnungen oder Bitten, die sie an die verbündete Regierung richteten; in der Wirklichkeit aber trotteten sie in dem Geleise der liberalen Bourgeoisie weiter. Die Soldaten in den Schützengräben konnten selbstverständlich nicht den Schluss ziehen, dass der Krieg, an dem sie seit beinahe drei Jahren teilnahmen, plötzlich ein anderes Gesicht angenommen hätte, und zwar nur deshalb, weil in Petrograd in die Regierung irgend welche neuen Personen eingetreten waren, die sich Sozialisten-Revolutionäre oder Menschewiki nannten. Miljukow löste den Beamten Pokrowski ab, Tereschtschenko löste Miljukow ab; das bedeutete, dass an Stelle der bürokratischen Treulosigkeit zuerst der kriegerische, kadettische Imperialismus und dann später die verschwommene Prinzipienlosigkeit und politische Dienstfertigkeit getreten war, – aber eine objektive Veränderung ergab sich daraus nicht, und ein tatsächlicher Ausweg aus dem schrecklichen Ringen des Krieges wurde nicht gezeigt. Und gerade hier liegt der Urgrund der weiteren Zersetzung der Armee. Die Agitatoren erklärten den Soldaten, dass die zaristische Regierung sie ohne Ziel und Sinn in die Schlächterei sandte. Allein diejenigen, die den Zaren ablösten, vermochten nicht im geringsten den Charakter des Krieges zu ändern, genau so wenig wie sie den Kampf um den Frieden anzubahnen vermochten. In den ersten Monaten kam man nicht vom Fleck. Das rief in gleichem Maße die Ungeduld in der Armee, sowie bei den alliierten Regierungen hervor. Die Folge war dann die Offensive des 18. Juni. Die Alliierten verlangten die Offensive, indem sie alte zaristische Wechsel zur Eintreibung vorlegten. Die Führer des Kleinbürgertums, eingeschüchtert durch ihre eigene Ohnmacht und die wachsende Ungeduld der Massen, nahmen diese Forderung auf. Es begann ihnen tatsächlich einzuleuchten, dass zum Friedensschluss es nur noch eines Anstoßes von Seiten der russischen Armee bedürfte. Die Offensive erschien ihnen als Ausweg aus der Sackgasse, als Lösung der Frage, als Rettung. Man kann sich eine ungeheuerlichere und verbrecherischere Verirrung kaum vorstellen. Zu jener Zeit sprachen sie von der Offensive genau so wie die Sozialpatrioten aller Länder in den ersten Kriegstagen und -wochen von der Notwendigkeit der Vaterlandsverteidigung, von dem Burgfrieden, von der „Union sacrée" usw. usw. sprachen. All ihre Zimmerwaldische, internationalistische Begeisterung war wie weggewischt. Uns, die wir uns in unversöhnlicher Opposition befanden, war klar, dass die Offensive eine schreckliche Gefahr, ja selbst den Untergang der Revolution bedeuten könnte. Wir warnten davor, dass man eine Armee, die gerade erwachte und durch das Rollen der Ereignisse, deren sie sich noch lange nicht bewusst wurde, wankend geworden war, nicht in die Schlacht schicken durfte, ohne ihr neue Ideen beizubringen, die sie als ihre eigenen anerkennen musste. Wir warnten, bewiesen, drohten. Aber da es für die herrschenden Parteien, die ihrerseits durch die eigene und die alliierten Bourgeoisien gebunden waren, keinen andern Ausweg gab, so standen sie natürlich uns nur feindlich und mit erbittertem Hass gegenüber.

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