Kerenskis Marsch auf Petrograd

Kerenskis Marsch auf Petrograd.

Je solider die Sowjetregierung in Petrograd dastand, um so mehr verlegten die bürgerlichen Gruppen ihre Hoffnungen auf eine militärische Hilfe von außen Die Petrograder Telegraphenagentur, der Eisenbahntelegraph und die Radio-Telegraphenstation von Zarskoje Selo brachten von allen Seiten die Nachrichten von ungeheuerlichen militärischen Kräften, die gegen Petrograd marschierten, um die Aufwiegler dort niederzuringen und Ordnung zu schaffen. Kerenski war nach der Front geflüchtet und die bürgerlichen Zeitungen schrieben, dass er gegen die Bolschewiki unzählige Fronttruppen führe. Wir waren vom Lande abgeschnitten, der Telegraph verweigerte uns seine Dienste. Aber die Soldaten, die in Dutzenden und Hunderten im Auftrag ihrer Regimenter, Divisionen und Korps täglich zu uns kamen, sprachen in einem fort: „Fürchtet Euch vor der Front nicht, sie ist ganz und gar auf Eurer Seite, erlasst nur die Verfügung, und wir schicken Euch, wenn es sein muss heute noch, eine Division oder ein Korps zu Hilfe". In der Armee ging dasselbe vor, wie überall: die unteren Schichten waren für uns, die oberen gegen uns. Diese letzteren hatten aber den ganzen militärtechnischen Apparat in ihren Händen. Die einzelnen Teile der viele Millionen zählenden Armee wurden von einander getrennt. Wir waren von der Armee und vom ganzen Lande abgeschnitten. Dessen ungeachtet verbreitete sich die Botschaft von der Sowjetregierung in Petrograd und deren Dekreten unaufhaltsam über das ganze Land und weckte die lokalen Sowjets zu Aufständen gegen die alte Regierung. Die Nachrichten, wonach Kerenski an der Spitze von irgend welchen Truppen gegen Petrograd marschierte, verdichteten sich bald und nahmen bestimmtere Umrisse an. Aus Zarskoje Selo wurden wir benachrichtigt, dass über Luga dort Kosakenabteilungen angerückt waren. In Petrograd wurde ein von Kerenski und dem General Krasnow unterzeichneter Aufruf verbreitet, der die Garnison aufforderte, sich den Regierungstruppen anzuschließen, die in den nächsten Stunden in Petrograd einziehen sollten. Der Aufstand der Fähnriche vom 29. Oktober befand sich in unverkennbarem Zusammenhang mit dem Unternehmen Kerenskis, er war jedoch infolge der energischen Aktionen unsererseits zu früh bekannt geworden. An die Garnison von Zarskoje Selo wurde der Befehl erteilt: die heranrückenden Kosakenkontingente aufzufordern, die Sowjetregierung anzuerkennen und – im Falle ihrer Weigerung – sie zu entwaffnen. Aber die Garnison von Zarskoje Selo erwies sich für Kampfesoperationen als völlig ungeeignet. Sie hatte weder Artillerie noch Führer: die Offiziere standen der Sowjetregierung feindselig gegenüber. Die Kosaken bemächtigten sich der Radio-Station von Zarskoje Selo, der bedeutendsten im Lande, und rückten vor. Die Garnisonen von Peterhof, Zarskoje Selo und Gatschina zeigten weder Initiative noch Entschlossenheit.

Nach dem fast unblutigen Sieg in Petrograd wiegten sich die Soldaten in der Gewissheit, dass die Sache sich auch weiter genau so abspielen würde: man brauchte zu den Kosaken nur einen Agitator zu schicken, der ihnen den Sinn der Arbeiterrevolution erklären würde und sie würden die Waffen strecken! Mit Hilfe von Reden und Verbrüderungen war der konterrevolutionäre Aufstand von Kornilow überwunden worden. Mit Hilfe von Agitation und planmäßigen Besetzungen von Regierungsinstitutionen wurde – ohne jeden Kampf – die Regierung Kerenskis gestürzt. Dieselben Methoden wandten nun die Sowjetleiter von Zarskoje Selo, Krasnoje Selo und Gatschina auch gegen die Kosaken des Generals Krasnow an. Aber hier blieb der Erfolg aus. Wenn auch ohne Entschlossenheit und Enthusiasmus – so rückten die Kosaken doch immer weiter vor. Einzelne Kolonnen näherten sich Gatschina und Krasnoje Selo, provozierten Zusammenstöße mit den wenigen Truppen der dortigen Garnisonen und entwaffneten sie manchmal. Von der Stärke der Kerenskischen Truppen hatten wir zuerst keine Ahnung. Die einen sagten, der General Krasnow marschiere an der Spitze von 10.000 Mann; die andern behaupteten, es seien nicht mehr als 1000; die uns feindlichen Zeitungen, schließlich, kündigten in fingerlangen Lettern an, dass vor Zarskoje Selo zwei Armeekorps lägen.

In der Petrograder Garnison herrschte ebenfalls eine Atmosphäre von Unsicherheit: soeben erst hatte man einen unblutigen Sieg errungen und schon sollte man gegen einen Feind von wer weiß welcher Stärke zu neuen Kämpfen mit wer weiß welchem Ausgang ausziehen. In den Garnisonskonferenzen sprach man hauptsächlich von der Notwendigkeit, neue und immer neue Agitatoren an die Kosaken abzusenden und Aufrufe zu erlassen: den Soldaten erschien es einfach unmöglich, dass die Kosaken sich weigern sollten, denselben Standpunkt einzunehmen, den in ihrem Kampfe die Garnison von Petrograd eingenommen hatte. Die vorderen Kosakentruppen waren unterdessen schon ganz nahe an Petrograd herangerückt, und wir machten uns darauf gefasst, dass der Hauptkampf sich in den Straßen der Stadt abwickeln würde.

Die größte Entschlossenheit äußerten die Roten Gardisten. Sie forderten bloß Waffen, Kriegsmaterial und Führung. Der militärische Apparat war völlig verwahrlost und verdorben, zum Teil infolge der Vernachlässigung, zum Teil aus böser Absicht. Die Offiziere zogen sich zurück, viele flüchteten; die Gewehre waren an dem einen Orte, die Patronen an einem andern. Noch schlimmer war es um die Artillerie bestellt. Die Geschütze, Lafetten, Geschosse – all das befand sich an verschiedenen Orten, alles musste im Herumtappen erst zusammengesucht werden. Die Regimenter wiesen weder Sappeurinstrumente noch Feldtelefone auf. Der revolutionäre Generalstab, der all das durch Verfügungen von oben in Gang zu setzen suchte, stieß auf unüberwindliche Hindernisse, vor allem in Form von Sabotage des militärtechnischen Personals.

Wir beschlossen dann, uns unmittelbar an die arbeitenden Klassen zu wenden. Wir setzten ihnen auseinander, dass die Errungenschaften der Revolution sich in größter Gefahr befänden, und dass von ihnen, ihrer Energie, Initiative und Opferfreudigkeit allein es jetzt abhänge, das Regime der Arbeiter- und Bauernregierung zu retten und zu befestigen. Dieser Appell wurde fast sofort von einem ungeheuren praktischen Erfolg gekrönt. Tausende von Arbeitern zogen der Armee Kerenskis entgegen und begannen, Schützengräben auszuheben. Die Arbeiter der Geschützfabriken richteten selbst Kanonen zu, verschafften sich selbst aus den Lagern die Geschosse, requirierten Pferde, fuhren die Geschütze auf, stellten sie auf, organisierten die Intendantur, trieben Benzin, Motoren und Automobile auf, requirierten Verpflegungsmaterial und Futtermittel, stellten den Sanitätstrain auf die Füße, kurzum – sie schufen jenen ganzen Kampfapparat, den wir vom revolutionären Generalstab aus, allein durch Verfügungen so erfolglos zu schaffen bemüht waren.

Als in den Stellungen Dutzende von Geschützen erschienen, wurde die Stimmung unserer Soldaten sofort eine andere ; unter dem Schutz der Artillerie waren sie bereit, den Angriff der Kosaken zurückzuschlagen. In den ersten Linien standen die Matrosen und Roten Gardisten. Manche Offiziere, die uns politisch fern standen, aber sich ehrlich an ihre Regimenter gebunden fühlten, begleiteten ihre Soldaten zu den Stellungen und leiteten deren Aktionen gegen die Kosaken von Krasnow.

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