Zusammenbruch des Kerenskischen Abenteuers

Zusammenbruch des Kerenskischen Abenteuers.

Unterdessen verbreitete der Telegraph im ganzen Lande und im Auslande die Nachricht, das „Abenteuer" der Bolschewiki sei liquidiert, Kerenski habe Petrograd bezogen und mit eiserner Faust die Ordnung wieder hergestellt. Zugleich schrieb in Petrograd selbst die bürgerliche Presse – ermutigt durch die Nähe der Kerenskischen Truppen – von der vollkommenen Demoralisation in den Reihen der Petrograder Garnison, und dem unaufhaltsamen Vormarsch der Kosaken, die mit starker Artillerie versehen sein sollten, und prophezeite dem Smolny-Institut ein baldiges Ende. Das Haupthindernis bot uns aber, wie gesagt, das Fehlen eines eingeübten technischen Apparates und der Mangel an Menschen, die militärische Aktionen zu leiten im Stande wären. Sogar jene Offiziere, die gewissenhaft ihre Soldaten an die Stellungen begleiteten, lehnten den Posten des obersten Heerführers ab.

Nach langem Suchen entschieden wir uns für folgende Kombination. Die Garnisonskonferenz wählte eine Kommission aus fünf Personen, und dieser wurde die oberste Kontrolle über alle Operationen gegen die konterrevolutionären Truppen, die auf Petrograd marschierten, anvertraut. Diese Kommission einigte sich nachher mit dem Generalstabsoberst Murawjow, der zur Zeit des Kerenskischen Regimes in der Opposition stand und jetzt aus eigener Initiative der Sowjetregierung seine Dienste anbot.

In einer kalten Nacht, am 30. Oktober, fuhren wir mit Murawjow im Automobil zu den Stellungen hinaus. Der Landstraße entlang zogen Fuhren mit Proviant, Fourage und Kriegsmaterial und Artillerie. All das besorgten die Arbeiter von verschiedenen Fabriken. Einige Male hielten unterwegs Posten von Roten Garden unser Automobil an und prüften den Passierschein. Seit den ersten Tagen der Oktober-Revolution waren alle Automobile in der Stadt requiriert, und ohne ein Zeugnis des Smolny durfte in den Straßen der Stadt oder in der Umgebung der Stadt kein einziges Automobil verkehren. Die Wachsamkeit der Roten Garde war über jedes Lob erhaben. Sie standen um kleine Holzfeuer herum, stundenlang, mit der Flinte in der Hand, und der Anblick dieser jungen bewaffneten Arbeiter bei den Holzfeuern auf dem Schnee war das beste Sinnbild der proletarischen Revolution.

In den Stellungen wurden viele Geschütze aufgestellt, es fehlte auch nicht an Geschossen. Der entscheidende Zusammenstoß spielte sich noch am selben Tage zwischen Krasnoje Selo und Zarskoje Selo ab. Nach einem harten Artilleriekampf wichen die Kosaken, die, so lange sie keinen Hindernissen begegneten, vorwärts stürmten – eilig zurück. Sie wurden die ganze Zeit hindurch belogen, indem man ihnen von den Grausamkeiten und Brutalitäten der Bolschewiki erzählte, die angeblich Russland an den deutschen Kaiser ausliefern wollten. Man redete ihnen ein, dass fast die ganze Petrograder Garnison mit Ungeduld auf sie als ihre Befreier warte. Der erste ernste Widerstand versetzte ihre Reihen in völlige Verwirrung und verurteilte das ganze Unternehmen Kerenskis zum Scheitern.

Der Rückzug der Krasnowschen Kosaken gab uns die Möglichkeit, uns der Radiostation von Zarskoje Selo zu bemächtigen. Wir gaben sofort ein Radiotelegramm über unsern Sieg über die Truppen Kerenskis auf.*

Unsere ausländischen Freunde teilten uns später mit, dass die deutsche Radiotelegraphenstation laut höherem Befehl dieses Radiotelegramm nicht aufgenommen habe.

Die erste Reaktion der deutschen Regierung auf die Oktoberereignisse drückte sich auf diese Weise in der Angst aus, diese Ereignisse könnten in Deutschland selbst eine Gärung hervorrufen. In Österreich-Ungarn wurde ein Teil unseres Telegramms aufgenommen und, soviel uns bekannt ist, wurde es für ganz Europa zur Quelle der Information, dass der unglückselige Versuch Kerenskis, die Gewalt wieder an sich zu reißen, ein trauriges Ende genommen hatte. Unter den Kosaken von Krasnow fing ein Brodeln an. Sie begannen, Patrouillen nach Petrograd und sogar offizielle Delegierte nach dem Smolny zu schicken. Dort hatten sie die Möglichkeit, sich davon zu überzeugen, dass in der Hauptstadt vollständige Ordnung herrschte, und dass diese Ordnung durch die Garnison unterstützt wurde, die Garnison, die bis auf den letzten Mann für die Sowjetregierung eintrat. Die Demoralisation unter den Kosaken nahm um so schärfere Formen an, als ihnen die ganze Sinnlosigkeit ihres Vorhabens klar wurde, wonach Petrograd mit Hilfe von etwas mehr als 1000 Mann Kavallerie eingenommen werden sollte, – die ihnen in Aussicht gestellten Verstärkungen von der Front blieben völlig aus …

Die Truppen Krasnows zogen sich nach Gatschina zurück; als wir uns am nächsten Tag dorthin begaben, war der Krasnowsche Stab eigentlich von seinen Kosaken bereits gefangen genommen worden. Unsere Gatschinaer Garnison besetzte alle wichtigen Positionen. Die Kosaken dagegen, obwohl sie nicht entwaffnet waren, waren ihrer Verfassung nach zu jedem weiteren Widerstand unfähig. Sie wünschten nur noch das eine: man möchte sie möglichst schnell nach Hause, in das Dongebiet, oder wenigstens zur Front ziehen lassen.

Das Palais von Gatschina bot ein kurioses Schauspiel. An allen Eingängen standen verstärkte Posten. An dem Einfahrtstor Artillerie und Panzerautos. In den mit wertvollen Malereien geschmückten Räumen des Palais hatten sich Matrosen, Soldaten und Rote Gardisten niedergelassen. Auf den Tischen aus kostbarem Material lagen Kleidungsstücke der Soldaten, Tabakpfeifen, leere Sardinenbüchsen. In einem der Räume befand sich der Stab des Generals Krasnow. Auf dem Boden lagen Matratzen, Mützen und Mäntel herum. Der Vertreter des Militär-Revolutionären Komitees, der uns begleitete, trat in das Stabszimmer, ließ mit Gepolter den Kolben seiner Flinte auf den Boden aufschlagen, stützte sich darauf und meldete: „General Krasnow, Sie und Ihr Stab sind von der Sowjetregierung verhaftet". An beiden Türen stellten sich sofort bewaffnete Rote Gardisten auf. Kerenski war nicht da. Er war wieder geflüchtet, wie schon einmal aus dem Winterpalais. Über die Umstände dieser Flucht berichtet Krasnow in der schriftlichen Mitteilung, die er am 1. November abgegeben hat. Wir zitieren hier dieses interessante Dokument ohne etwas auszulassen:

Erster November 1917, 7 Uhr abends.

Gegen drei Uhr nachmittags ließ mich heute der Oberste Heerführer (Kerenski) zu sich kommen. Er war sehr aufgeregt und nervös.

General," sagte er, „Sie haben mich verraten … Ihre Kosaken da sagen mit Bestimmtheit, ;dass sie mich verhaften und den Matrosen ausliefern werden."

Jawohl," erwiderte ich, „man spricht davon, und ich weiß, dass Sie nirgends Teilnahme finden werden."

Aber die Offiziere, sagen sie das auch?"

Ja, die Offiziere sind mit Ihnen besonders unzufrieden."

Was soll ich anfangen? Ich muss also meinem Leben ein Ende machen."

Wenn Sie ein Ehrenmann sind, werden Sie sofort mit der weißen Flagge nach Petrograd fahren und werden sich im Revolutionären Komitee melden, mit dem Sie als Haupt der Regierung reden sollten."

Ja, ich werde es tun, General."

Ich werde Ihnen eine Wache mitgeben und werde bitten, dass ein Matrose Sie begleite."

Nein, nur kein Matrose. Wissen Sie, dass Dybenko sich hier befindet?"

Ich weiß nicht, wer Dybenko ist."

Das ist mein Feind."

Nun, was ist da zu machen! Wenn Sie ein großes Spiel spielen, so müssen Sie auch Rede stehen."

Ja, aber ich will in der Nacht abfahren."

Wozu? das wäre eine Flucht. Fahren Sie ruhig öffentlich, damit alle sehen, dass Sie nicht die Flucht ergreifen."

Ja, gut. Aber geben Sie mir eine sichere Wache mit."

Jawohl."

Ich ging fort, ließ den Kosaken vom zehnten Donschen Kosakenregiment Russkow kommen und befahl ihm, acht Kosaken zur Bewachung des Obersten Heerführers zu bestimmen.

Anderthalb Stunden danach kamen die Kosaken und meldeten, Kerenski sei nicht da, er sei geflüchtet. Ich ließ Alarm schlagen und befahl, ihn zu suchen; ich nehme an, dass er Gatschina nicht verlassen hat und sich hier irgendwo verborgen hält.

Kommandierender des III. Korps Generalmajor Krasnow.

Damit war dieses Unternehmen zu Ende.

Unsere Gegner gaben dennoch nicht nach und weigerten sich anzuerkennen, dass die Frage der Regierung gelöst sei. Sie fuhren fort, ihre Hoffnungen auf die Front zu setzen. Eine ganze Reihe von Führern der früheren Sowjetparteien – Tschernow, Zeretelli, Awksentjew, Götz und andere – begaben sich nach der Front, führten Verhandlungen mit den alten Armeekomitees, versammelten sich im Hauptquartier bei Duchonin, überredeten ihn, Widerstand zu leisten und versuchten sogar, laut Zeitungsmeldungen, im Hauptquartier ein neues Ministerium zu bilden. Aus alledem wurde nichts. Die alten Armeekomitees hatten ihre ganze Bedeutung verloren, und an der Front ging eine intensive Arbeit zur Einberufung von Konferenzen und Kongressen vor sich, deren Aufgabe die Neuwahlen für alle Frontorganisationen war. Bei diesen Neuwahlen trug die Sowjetregierung überall den Sieg davon.

Aus Gatschina zogen unsere Truppen mit der Eisenbahn weiter, in die Richtung von Luga und Pskow. Dort traten ihnen noch einige Eisenbahnzüge mit Stoßtruppen und Kosaken entgegen, die von Kerenski herbeizitiert oder von einzelnen Generälen abgesandt worden waren. Mit einer dieser Abteilungen gab es sogar einen bewaffneten Zusammenstoß Die meisten Soldaten aber, die von der Front nach Petrograd geschickt wurden, erklärten bei der ersten Begegnung mit den Vertretern der Sowjettruppen, sie seien betrogen worden, und sie würden gegen die Arbeiter- und Soldatenregierung nicht einen Finger rühren.

* Wir führen hier den Text des Radiotelegramms an: „Dorf Pulkowo. Generalstab, 2 Uhr 10 Minuten nachts. Die Nacht vom 30. auf 31. Oktober wird der Geschichte angehören. Der Versuch Kerenskis, gegen die Hauptstadt konterrevolutionäre Truppen zu führen, erhielt einen entscheidenden Schlag. Kerenski weicht zurück, wir schreiten vorwärts. Die Soldaten, Matrosen und Arbeiter von Petrograd haben gezeigt, dass sie im Stande und willens sind, mit den Waffen in der Hand, den Willen und die Macht der Arbeiterdemokratie zu befestigen. Die Bourgeoisie suchte die Revolutionsarmee zu isolieren. Kerenski versuchte mit Hilfe der Kosaken sie zu brechen. Sowohl das eine, wie das andere erlitt ein trauriges Fiasko.

Die große Idee der Diktatur der Arbeiter- und Bauerndemokratie hat die Reihen der Armee festgefügt und ihren Willen gestärkt. Das ganze Land wird von heute an überzeugt sein müssen, dass die Sowjetregierung keine vorübergehende Erscheinung, sondern die unvergängliche Tatsache der Herrschaft der Arbeiter, Soldaten und Bauern bedeute. Das Zurückschlagen Kerenskis heißt das Zurückschlagen der Grundbesitzer, der Bourgeoisie und der Anhänger Kornilows. Die Abwehr Kerenskis heißt die Bestätigung des Rechts des Volkes auf ein friedliches und freies Leben, auf Land, Brot und Macht. Die Truppen von Pulkowo besiegelten mit ihrem tapferen Angriff die Sache der Arbeiter- und Bauernrevolution. Es gibt kein Zurück zur Vergangenheit mehr. Vor uns liegen noch Kämpfe, Hindernisse und Opfer. Aber der Weg ist gebahnt und der Sieg gesichert. Das revolutionäre Russland und die Sowjetregierung können mit Recht auf ihre Pulkowoer Truppen stolz sein, die unter dem Kommando des Obersten Waiden standen. Ewiges Angedenken den Gefallenen! Ruhm und Ehre den Kämpfern der Revolution, den Soldaten und den volkstreuen Offizieren! Es lebe die revolutionäre sozialistische Volksregierung Russlands. Im Namen des Sowjets der Volkskommissare: L.Trotzki. 31. Oktober 1917."

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