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Leo Trotzki 19190302 Bericht über die Russische Kommunistische Partei und die Rote Armee

Leo Trotzki: Bericht über die Russische Kommunistische Partei und die Rote Armee

[Nach Kommunistische Internationale, Heft 3, S. 85-87]

Genosse Albert hat gesagt, dass die Rote Armee in Deutschland ein reichliches Thema der Diskussion bildet, und wenn ich ihn richtig verstanden habe, auch die Herren Ebert und Scheidemann in ihren schlaflosen Nächten beunruhigt, nämlich in Bezug auf den drohenden Einbruch der Roten Armee in Ostpreußen. Was den Einbruch betrifft, so kann ja Genosse Al­bert die heutigen Machthaber Deutsch­lands beruhigen: soweit ist es glückli­cherweise oder leider – wie man’s eben nehmen will – heute noch nicht. Jeden­falls stehen wir jetzt in Bezug auf die uns bedrohenden Einbrüche viel besser als zur Zeit des Brest-Litowsker Friedens. Das ist wohl ganz sicher. Damals steck­ten wir noch in Kinderschuhen in Bezug auf die gesamte Entwicklung der Sowjet­regierung und auch die der Roten Armee. Damals nannte sie sich noch die Rote Garde. Dieser Name existiert bei uns schon lange nicht mehr. Die Rote Garde waren die ersten Partisanentruppen, die improvisierten Scharen der revolutionären Arbeiter, die durch ihren revolutionä­ren Geist getrieben, die proletarische Re­volution aus Petrograd und Moskau über das gesamte russische Gebiet verbreite­ten. Diese Periode dauerte bis zum ersten Zusammenstoß dieser Roten Garde mit den regulären deutschen Regimentern, und da hat es sich ganz klar erwiesen, dass diese improvisierten Gruppen nicht imstande waren, der revolutionären sozi­alistischen Republik einen wirklichen Schutz zu verleihen, wenn es sich nicht nur darum handelte, die russischen Ge­genrevolutionäre zu besiegen, sondern eine disziplinierte Armee zurückzuweisen.

Und seitdem beginnt der Umschwung in der Stimmung der Arbeiterschaft in Bezug auf die Armee und auch der Umbruch in deren Organisationsmethoden. Unter dem Druck der Situation sind wir zum Aufbau einer gut organisierten klassenbewussten Armee geschritten. In unserem Pro­gramm steht ja die Volksmiliz. Von der Volksmiliz, von dieser politischen Forde­rung der Demokratie in einem Lande, das die Diktatur des Proletariats regiert, zu reden, ist aber unmöglich, denn die Ar­mee steht ja immer im engsten Zusam­menhang mit der bewaffneten Macht. Der Krieg, wie der alte Clausewitz sagte, ist die Fortsetzung der Politik, nur mit ande­ren Mitteln. Und die Armee ist die Fortset­zung des Krieges und muss der Politik entsprechen. Die Regierung ist eine pro­letarische, und auch die Armee muss nach ihrer sozialen Zusammensetzung dieser Tatsache entsprechen.

So haben wir den Zensus bei der Zu­sammensetzung der Armee eingeführt. Wir sind seit dem Mai des vorigen Jahres von der freiwilligen Armee, von der Roten Garde, zu der Armee, die auf obligatori­scher Militärpflicht beruht, übergegangen, nehmen aber nur diejenigen in die Armee auf, die Proletarier oder Bauern sind, die keine fremde Arbeitskraft aus­beuten.

Von der Volksmiliz in Russland ernst zu sprechen, ist unmöglich, wenn man be­rücksichtigt, dass wir zu gleicher Zeit mehrere feindliche Klassenarmeen auf dem Boden des alten Reiches des russi­schen Zaren hatten und auch jetzt noch haben. Wir haben sogar, wie im Donge­biet, eine monarchistische Armee, von Kosakenoffizieren geleitet, welche aus bürgerlichen Elementen und aus reichen Kosakenbauern besteht. Dann hatten wir im Wolga- und Uralgebiet die Armee der Konstituante. Das war ja auch der Idee nach die „Volks”armee, wie man sie nannte. Diese Armee hat sich ganz rasch aufgelöst. Die Herren von der Konstituante mussten den Kürzeren ziehen, haben das Gebiet der Wolga- und Uraldemokra­tie ganz unfreiwillig verlassen und such­ten bei uns die Gastfreundschaft der Sowjetregierung. Die Regierung der Kon­stituante hat der Admiral Koltschak ein­fach verhaften lassen, und die Armee hat sich zu einer monarchistischen Armee entwickelt. Also in einem Land, das im Bürgerkrieg begriffen ist, kann man eine Armee nur auf dem Klassenprinzip auf­bauen.

Große Schwierigkeiten bereitete uns die Frage der militärischen Führer. Selbstverständlich, die erste Sorge war, Rote Offiziere aus der Arbeiterschaft und den entwickelteren Bauernkindern zu er­ziehen. Zu dieser Arbeit sind wir von An­fang an geschritten und auch hier vor der Tür dieses Saales könnt ihr manchen ro­ten „Fähnrich” sehen, der in kurzer Zeit als roter Offizier in die Sowjetarmee ein­treten wird. Wir haben ihrer eine ziemlich große Zahl. Ich will die Zahl nicht nennen, denn Kriegsgeheimnis ist immer Kriegs­geheimnis. Die Zahl – wiederhole ich – ist ziemlich groß, aber wir können nicht warten, bis die jungen roten Fähnriche sich zu Roten Generälen entpuppten, denn der Feind wollte uns keine so große Pause geben. Wir mussten uns, um aus dieser Reserve manch tüchtigen Mann mit Erfolg herauszuholen, auch an die früheren militärischen Führer wenden. Selbstverständlich haben wir nicht in der glänzenden Schicht der militärischen Hofleute unsere Offiziere gesucht, son­dern aus den schlichteren Elementen ganz tüchtige Kräfte herausgeholt, die uns jetzt mithelfen, ihre einstigen Kolle­gen zu bekämpfen. Einerseits aus den besseren und ehrlicheren Elementen des alten Offizierskorps, denen wir tüchtige Kommunisten als Kommissaren beigeben, und andererseits aus den bes­ten Elementen aus den Reihen der Sol­daten, der Arbeiter, der Bauern für die unteren Kommandoposten – auf diese Weise haben wir uns ein rotes Offizierskorps zusammengesetzt.

Seitdem die Sowjetrepublik in Russland besteht, war sie immer gezwungen, Krieg zu führen und führt ihn heute noch. Wir haben eine Front von mehr als 8.000 Ki­lometern, im Süden wie im Norden, im Osten wie im Westen, überall mit den Waffen in der Hand sind wir bekämpft und müssen uns wehren. Ja, Kautsky hat uns sogar beschuldigt, dass wir den Mili­tarismus großgezogen haben. Nun glaube ich aber, dass wir, wenn wir den Arbeite­rn die Macht erhalten wollen, uns auch ernst wehren müssen. Um uns zu wehren, müssen wir die Arbeiter leh­ren, von den Waffen, die sie schmieden, Gebrauch zu machen. Wir haben damit begonnen, dass wir das Bürgertum ent­waffnet und die Arbeiter bewaffnet haben. Wenn das Militarismus heißt, nun gut, dann haben wir unseren sozialisti­schen Militarismus geschaffen, und wir bestehen fest darauf.

Unsere Situation im August vorigen Jah­res war in dieser Beziehung verdammt schlecht; man hatte uns nicht nur einge­kreist, sondern der Kreis war ziemlich eng um Moskau gezogen. Seit dieser Zeit ha­ben wir diesen Kreis immer mehr ausge­weitet, und in den letzten sechs Monaten hat die Rote Armee für die Sowjetrepublik nicht weniger als 700.000 Quadratkilo­meter zurückerobert mit einer Bevölke­rung von 42 Millionen, 16 Gouvernements mit 16 großen Städten, in denen die Ar­beiterschaft einen tüchtigen Kampf zu führen pflegte und pflegt. Und auch heute noch, wenn Ihr aus Moskau auf der Karte in irgendeiner nach Belieben gewählten Richtung eine Linie zieht und dieselbe verlängert, so werdet ihr überall einen russischen Bauern, einen russischen Ar­beiter an der Front finden, der in dieser kalten Nacht mit seinem Gewehr an der Grenze der sozialistischen Republik steht, um sie zu verteidigen. Und ich kann euch versichern, dass die kommunistischen Arbeiter, die in dieser Armee wirk­lich den Kern bilden, sich nicht nur als die Schutztruppe der russischen sozialisti­schen Republik fühlen, sondern auch als die Rote Armee der Dritten Internationale. Und wenn wir heute die Möglichkeit ha­ben, dieser kommunistischen Konferenz Gastfreundschaft zu erweisen, um einmal damit den westeuropäischen Brüdern für ihre jahrzehntelange Gastfreundschaft zu danken, so verdanken war es unsererseits den Bemühungen und Opfern der Roten Armee, in der die besten Genossen aus der kommunistischen Arbeiterschaft tätig sind, als einfache Soldaten, als rote Offiziere oder als Kommissare, d.h. als die direkten Vertreter unserer Partei, der Sowjetregierung, die bei jedem Regiment, bei jeder Division den politischen und moralischen Ton an­geben, d.h. die roten Soldaten durch ihr Beispiel belehren, wie man für den Sozialismus kämpft und stirbt. Und das sind bei den Leuten keine leeren Worte, denn ihnen folgt die Tat, und wir haben Hunderte und Tausende bester sozialisti­scher Arbeitern in diesem Kampf verloren. Ich glaube, sie sind nicht nur für die Sowjetrepublik, sondern auch für die Dritte Internationale gefallen.

Und wenn wir heute gar nicht daran den­ken, in Ostpreußen einzubrechen – im Gegenteil, wir würden ganz glücklich sein, wenn die Herren Ebert und Scheidemann uns in Frieden ließen –, so ist es jeden­falls richtig, dann wir, wenn einmal die Zeit kommt und die Brüder vom Westen uns zu Hilfe rufen, ant­worten werden: „Wir sind hier, wir haben während dieser Zeit den Gebrauch der Waffen gelernt, wir sind bereit für die Sa­che der Weltrevolution zu kämpfen und zu sterben!”

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