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Leo Trotzki 19190306 Große Zeiten

Leo Trotzki: Große Zeiten

[Nach Sonntagsblatt der New Yorker Volkszeitung, 23. Mai 1919]

Die Zaren und die Popen – diese alten Herren des Moskauer Kremls – hätten meiner Ansicht nach wohl nie geglaubt, dass in den grauen Mauern des Kremls die Vertreter revolutionären Teiles der Menschheit der Gegenwart sich versammeln sollen. Und siehe, das Unglaubliche ist geschehen. In einem Saale des Justizpalais, in dem noch immer die traurigen Schatten der Strafgesetzartikel der zarischen Ordnung vorbeirauschen, tagen die Delegierten der III. Internationale. Die Flut der historischen Zeiten hat wahrlich die Mauern des Kremls untergraben.

Dieser tatsächliche Umstand des kommunistischen Kongresses bringt auch äußerlich die riesigen Veränderungen prägnant zum Ausdruck, die während der jüngsten zehn bis zwanzig Jahre in der Lage der ganzen Welt eingetreten sind.

Nicht nur in der Periode der I., sondern auch in der der II. Internationale war das zaristische Russland die Hauptfeste der Weltreaktion. Auf den internationalen Sozialistenkongressen vertraten die russische Revolution die Emigranten, auf welche die Mehrheit der opportunistischen Führer des europäischen Sozialismus mit ironischer Überlegenheit herabblickten. Die Bürokraten des Parlamentarismus und des Trade-Unionismus waren fest überzeugt, Elend der Revolution sei das Schicksal des asiatischen Russlands, während in Europa die stufenweise. schmerzlose und friedliche Entwicklung vom Kapitalismus bis zum Sozialismus gesichert ist.

Im August 1914 haben jedoch die gehäuften imperialistischen Widersprüche die „friedliche" Hülle des Kapitalismus samt seinem Parlamentarismus, seiner institutiven Freiheit, seiner sanktionierten politischen und anderen sonstigen Prostitution gesprengt. Die Menschheit wurde von der Höhe der Zivilisation in das Elend der entsetzlichen Barbarei und der blutigen Verwilderung gestoßen. Obwohl die Marxsche Theorie die blutige Katastrophe, vorausgesehen und vorhergesagt hat, trafen dennoch die Ereignisse die reform-sozialistische Partei überraschend. Die Perspektiven der friedlichen Entwicklung wurden zu Rauch und Staub. Die opportunistischen Führer vermochten sich keine andere Aufgabe zu finden, als die Massen zur Verteidigung des nationalen Bourgeoisie-Staates aufzufordern. Am 4. August 1914 ist dann die II. Internationale ruhmlos verschieden.

Von diesem Augenblick an steckten sich die wahren Revolutionäre, die Erben des Marxschen Geistes, das Ziel, eine neue Internationale zu schaffen, um gegen die kapitalistische Gesellschaft einen unversöhnlichen revolutionären Kampf zu beginnen. Der durch den Imperialismus seiner Fesseln befreite Krieg brachte die ganze kapitalistische Welt aus ihrem Gleichgewicht. Die alten sozialpatriotischen Flickarbeiter, verwendeten all' ihre Kunst darauf, den Schein der alten Hoffnungen, die alten betrügerischen Phrasen und die alten Organisationen zu retten. All' das hat jedoch nichts genützt. Von dem Kriege hat es sich – und zwar in der Geschichte nicht zum ersten Male – erwiesen, er sei der Vater der Revolution. Der imperialistische Krieg erwies sich als Vater der Proletarier-Revolution. Der Ruhm des Beginnens gebührt der russischen Arbeiterklasse und ihren kampfgestählten kommunistischen Parteien, Das russische Proletariat hat durch seine Oktober-Revolution nicht nur die Tore des Kremls für die Vertreter des internationalen Proletariats geöffnet, sondern auch den Grundstein zu dem Gebäude der III. Internationale gelegt.

Die Revolutionen in Deutschland, in Österreich und in Ungarn, das mächtige Umsichgreifen der Sowjetbewegung und des Bürgerkrieges, das durch den Tod Karl Liebknechts, der Rosa Luxemburg und vieler Tausender namenlosen Helden besiegelt wurde, haben es offenkundig gemacht, es gebe für Europa keinen anderen Weg als den Russlands. Die Einheit der Methoden des Kampfes um den Sozialismus hat. so wie es in der Praxis zum Ausdruck gekommen ist. die Schaffung der kommunistischen Internationale auch ideell gesichert, zugleich die Einberufung des kommunistischen Kongresses unaufschiebbar gemacht.

Jetzt tagt dieser Kongress in den Mauern des Kremls. Wir sind Zeugen und Teilnehmer eines der größten Ereignisse der Weltgeschichte. Die Arbeiterklasse der ganzen Welt hat die am schwersten zugängliche Festung – das gewesene zaristische Russland, – von den Feinden erobert. Gestützt auf Russland, vereinigt sie ihre Kräfte zu dem letzten entscheidenden Kampfe.

Welches Glück, in einer solchen Zeit zu leben und zu kämpfen!

MOSKAU, im März 1919.

Trotzki.

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