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Leo Trotzki 19200510 Sowjetrussland und das bürgerliche Polen

Leo Trotzki: Sowjetrussland und das bürgerliche Polen

(Rede in einer Volksversammlung. Homel am 10. Mai 1920)

[Nach Russische Korrespondenz, 1. Jahrgang, Heft 11 (August 1920), S. 468-474]

Die zukünftigen Historiker werden mit Staunen das Buch lesen, das von den Beziehungen zwischen Sowjetrussland und dem bürgerlichen Polen handelt. Ich denke, dass es hier, in dieser tausendköpfigen Versammlung, nicht viele Bürger gibt, die im Zweifel sind, wer stärker ist: Das Russland der Arbeiter und Bauern oder das Polen der Schlachta? Wir sind unvergleichlich viel stärker, und das werden wir den Pans in Warschau bald beweisen. Aber wir wollten den Frieden. Wir waren bereit, diesen Frieden zu kaufen, ihn mit einem hohen Preis zu bezahlen, um nur das Blut der Arbeiter und Bauern nicht mehr zu vergießen. Wir sind auf schwerwiegende Konzessionen eingegangen. Lest die Zeitungen der letzten Monate, des letzten Jahres, und Ihr werdet nicht nur keinen Monat, sondern auch keine Woche finden, in der die Sowjetregierung nicht Schritte unternommen hätte, die den Friedensschluss mit Warschau bezweckten. Wir haben Funksprüche gesandt, wir haben jede Gelegenheit ausgenützt, wir haben uns direkt nach Warschau und indirekt über London und Paris an Polen gewandt. Wir haben gesagt: Euch, Ihr Warschauer Herren, kommt es auf einen Raub in Russland und in der Ukraine an. Sagt offen, was Ihr haben wollt, vielleicht werden wir Euch im Guten das geben, was Ihr mit Gewalt erzwingen wollt," so sprach immer und unaufhörlich die Stimme der Sowjetregierung.

Als Polen unter dem Joch der Hohenzollern stöhnte, da hat die Sowjetmacht als erste in der Welt das Recht Polens auf Selbständigkeit anerkannt und die Stimme des Protestes gegen die Vergewaltigung des polnischen Volkes durch den deutschen Militarismus erhoben. Als die deutsche Revolution Polen von den deutschen Ketten befreite, da haben wir sofort offen und feierlich Polen als selbständigen Staat anerkannt und erklärt, dass russisches Militär die Grenzen Polens nie antasten würde.

Zu der Zeit herrschte in Polen die Regierung des kleinbürgerlichen Chauvinisten Moraczewski. Wir haben uns an ihn mit dem Vorschlag gewandt, sofort Friedensverhandlungen zu eröffnen; das war noch Ende 1918. Wie hat uns die Regierung Moraczewskis geantwortet? Sie hat uns nicht mit Worten geantwortet, sondern mit Taten. Unsere Rote-Kreuz-Mission befand sich zu der Zeit auf dem Rückwege aus Österreich in Polen. Sie bestand aus friedlichen Menschen – auch Frauen befanden sich unter ihnen, die, nach Russland zurückkehrten, nachdem sie unseren kranken Gefangenen in Österreich die notwendige Hilfe geleistet hatten. Und, Genossen, als diese Rote-Kreuz-Mission, an deren Spitze Genosse Wesselowski stand, ein humaner und edler Mensch, selbst polnischer Nationalität, einer der Begründer der polnischen Arbeiterpartei, – als diese Mission mit Genehmigung der polnischen Regierung durch Polen fuhr, da wurde sie von den Agenten Moraczewskis überfallen und die ganze Rote-Kreuz-Mission, darunter auch eine ältere Frau, wurde getötet. Die Empörung der polnischen Arbeiterklasse zwang die polnische Regierung, die Mörder ein Jahr später vor Gericht zu stellen. Das polnische Gericht hat sie alle freigesprochen … So hat die Regierung der befreiten polnischen Republik unseren Friedensvorschlag beantwortet!

Genossen, haben wir daraufhin die Hoffnung und den Wunsch, Frieden zu schließen, aufgegeben? Nein, unsere Diplomatie verfolgte denselben Zweck weiter, sie wollte den Frieden um jeden Preis. Die Regierung Moraczewskis fiel, an ihre Stelle trat die Regierung Paderewskis, der zwar ein guter Pianist, aber in der Politik ein sehr schlechter Musikant ist. Die Regierung Paderewskis war jedoch anscheinend bereit, uns entgegenzukommen. Ein Bevollmächtigter des polnischen Roten Kreuzes, Alexander Wienckowski, kam zu uns nach Moskau. Unser Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Genosse Tschitscherin, erklärte ihm sofort: „Die Gefangenenangelegenheit ist eine Sache für sich, die kann nebenbei erledigt werden; aber wir schlagen Ihnen vor, sich jetzt sofort hier an diesen Tisch zu setzen, um mit uns alle Fragen zu besprechen, die die Beziehungen zwischen Polen und Russland betreffen. Und ich, Tschitscherin, erkläre Ihnen im Namen der Sowjetregierung, dass es keine einzige Frage gibt, um derentwillen es lohnte, Krieg zu führen. Handelt es sich um Handelsbeziehungen, so werden wir uns verständigen; handelt es sich um Gebiete, so werden wir ein Plebiszit veranstalten, d. h. wir werden die Bürger der betreffenden Gouvernements fragen, zu welchem Land sie gehören wollen, – zu Polen oder zu Russland" So lautete der Vorschlag Tschitscherins und kein ehrlicher Mensch mit gesundem Menschenverstand kann sagen, dass dieser Vorschlag unwürdig oder ungerecht gewesen wäre. Was hat Wienckowski geantwortet? Er hat versprochen, dass die polnische Regierung es sich überlegen wird. Er reiste nach Warschau. Wir haben auf Antwort gewartet, wir haben eine Anfrage nach der anderen gesandt, aber in Warschau schwankte man und „überlegte".

Am 22. September 1919 hat der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Gen. Tschitscherin, sich wieder durch Funkspruch, – sodass die ganze Welt es gelesen hat – mit einer Note an die Regierung Pilsudskis gewandt und vorgeschlagen, Friedensverhandlungen anzuknüpfen. Anfang oder Mitte Dezember nämlich hat der Unterstaatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Skrzynski, im polnischen Landtag – im polnischen Pseudo-Parlament – auf die Anfrage, warum mit Russland keine Friedensverhandlungen angeknüpft werden, die Antwort gegeben: „Russland hat uns keinen Frieden angeboten." Das nach all dem, was wir getan haben! In Antwort darauf hat Gen. Tschitscherin durch Funkspruch, so dass die ganze Welt es hören konnte, erklärt: „Wir haben Euch den Frieden angeboten und wiederholen jetzt zum 12. oder 15. Mal: Wir anerkennen die Unabhängigkeit Polens, wir haben keine Absicht, Euch anzugreifen, wir schlagen vor, sofort einen Waffenstillstand herzustellen und Friedensverhandlungen zu eröffnen."

Welche Antwort haben wir erhalten? Gar keine. Diesmal hatten wir keine Rote-Kreuz-Mission in Polen, die – als Beantwortung unseres Vorschlages – gemordet werden konnte. Wir haben über einen Monat gewartet. Am 28. Januar wandten wir uns mit einem neuen Vorschlag nach Warschau, der die Unterschriften des Vorsitzenden der Sowjets für Volkskommissare, Lenin, des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, Tschitscherin, und meine Unterschrift, als des Kommissars für militärische Angelegenheiten, trug. Der Empfang des Funkspruchs wurde uns bestätigt.. Die ganze Welt hat unsern Funkspruch gelesen und erörtert. Was haben wir erklärt? Wir haben erklärt, dass Polen jetzt vor einem äußerst verantwortungsvollen Entschluss stehe: Krieg oder Frieden. Wir hatten vorgeschlagen, zu überlegen, bevor Blut geflossen ist: „Was verlangt Ihr? Die Unabhängigkeit Polens?

Wir anerkennen sie. Habt Ihr Angst, dass wir die Warschauer bürgerliche Regierung stürzen werden? Nein, wir werden uns in Eure inneren Angelegenheiten nicht einmischen. Euch wird die polnische Arbeiterklasse stürzen, sobald sie dies für notwendig erachtet. Ihr habt fremde Gebiete besetzt: Weißrussland, Litauen, die litauische Hauptstadt Wilna, habt Ihr Angst, dass wir sie Euch wieder abnehmen? Wir erklären, dass wir uns damit abfinden wollen, denn das russische Volk sehnt sich vor allem nach Frieden und nach ehrlicher Arbeit, um sein Wirtschaftsleben wieder aufbauen zu können. Ihr habt Angst, dass wir mit der deutschen Regierung irgendwelche Abmachungen gegen Euch getroffen haben? Wir erklären Euch in aller Öffentlichkeit, dass wir weder mit der deutschen, noch mit einer anderen Regierung geheime oder offene Vereinbarungen getroffen haben, die sich direkt oder indirekt gegen Polen richten. Wir bieten Euch den Waffenstillstand und die sofortige Eröffnung von Friedensverhandlungen an." So, Genossen, lautete unsere Note an Polen vom 28. Januar.

Ich frage wiederum alle Bürger und Bürgerinnen, – natürlich könnten hier auch einzelne Agenten Pilsudskis anwesend sein, aber sie sind selbstverständlich verpflichtet, zu antworten: sie sind ihrem Handwerk nach bescheiden, sie werden schweigen – aber die übrigen, die ehrlichen Bürger, Arbeiter, Bauern und Rotarmisten, – sie alle werden wie ein Mann sagen, dass die Note, die wir an die Warschauer Regierung gesandt haben, einer Volksregierung die um jeden Preis Frieden haben wollte und ehrlich und offen an diese Aufgabe heranging, würdig war.

Welche Antwort haben wir erhalten? – Gar keine!

Am 2. Februar trat das Allrussische Zentral-Exekutiv-Komitee der Sowjets, die oberste Macht in unserem Lande, zusammen; es billigte offiziell unsere Note an die polnische Regierung und wandte sich an das polnische Volk mit einem Aufruf zum Frieden. Ich wiederhole: das war am 2. Februar. Wie lautete die Antwort? – Bis zum 27. März erhielten wir keine Antwort. Erst am 27. März kam aus Warschau ein Funkspruch, in dem uns befohlen (ja, befohlen!) wurde, innerhalb von 10 Tagen unsere Delegierten nach Borissow zu entsenden. Unsere Diplomatie antwortete darauf: „Wir schlagen vor allem einen Waffenstillstand an der ganzen Front vor. Wenn Ihr, die polnische Regierung selber, anerkennt, dass Friedensverhandlungen eröffnet werden können, warum soll also noch ein überflüssiger Tropfen Blut vergossen werden? Wir wollen den Waffenstillstand an der ganzen Front!" Die polnische Regierung antwortete darauf: „Nein, einen Waffenstillstand gibt es nicht!" Sie wollte also nur zur Irreführung Verhandlungen führen und gleichzeitig den Krieg fortsetzen, um von russischen und ukrainischen Gebieten Besitz zu ergreifen. Wir haben geantwortet, dass wir selbst darauf eingehen, dass wir aber in diesem Falle nicht in Borissow verhandeln könnten weil Borissow eine Stadt ist, die an der Frontlinie liegt. „Wir sind bereit, bei uns in Moskau oder in Petrograd, oder bei Euch in Warschau die Verhandlungen zu führen Wir sind bereit, die Verhandlungen in Estland, einem neutralen Land, oder in London oder Paris – bei Euren Verbündeten, – zu führen." Und am 7. April teilten wir ihnen mit, dass wir sogar auf Bialystok oder Grodno als Verhandlungsort eingehen, nur nicht auf eine Stadt an der Frontlinie, denn wenn man uns zwingt zu kämpfen, so müssen wir dort kämpfen, wo es uns notwendig erscheint. Die polnische Regierung antwortete: „Nein, wir haben Borissow als Verhandlungsort gewählt und in der Gegend Borissows wird der Waffenstillstand erklärt. Kämpfen werden wir aber dort, wo es uns beliebt." Darauf, Genossen, konnten wir nicht eingehen, denn die polnische Schlachta hatte berechnet, wo unsere stärksten Kräfte konzentriert sind und augenscheinlich vorausgesehen dass die 16. Armee den Polen bei Borissow einen ernsten Schlag zufügen könne, und darum wollte das polnische Kommando dort einen Waffenstillstand erreichen, kämpfen aber wollten diese Herren dort, wo ihre Streitkräfte im Übergewicht waren. Es wurde uns natürlich klar, dass sie an einen Waffenstillstand und Frieden gar nicht denken, dass sie die Losung der Friedensverhandlung nur ausnutzen wollen, um ihre Arbeiter, die den Frieden wünschen, zu beruhigen und um unsere Rote Armee irrezuführen. Da wandten wir uns durch Funkspruch nach London und Paris und erklärten: „Ihr Herren Lloyd George, Millerand und alle anderen Beschützer und Wohltäter des Herrn Pilsudski, wünscht mit uns Handelsbeziehungen anzuknüpfen, so befehlt doch Eurem Mietling, Eurem „jungen Mann" Pilsudski mit uns einen Friedensvertrag abzuschließen!" Paris und London schwiegen! Die europäischen Börsen stellten sich abseits, kreuzten die Arme über die Brust und sagten sich: „Wir werden noch sehen, vielleicht wird das russische Volk unter den Schlägen der Polen verbluten, vielleicht wird uns der tote Körper, der einst Russland war, als Erbschaft übrig bleiben." So schätzte man auf der Börse die neue Offensive gegen uns ein.

Da, Genossen, wurde es uns klar, dass vom Westen her ein schweres Gewitter aufzieht, und wir begannen zur Abwehr zu rüsten. Aber Pilsudski hatte bereits ein Übergewicht: Während er von Friedensverhandlungen sprach, sammelte er seine Divisionen, bereitete er die Offensive vor und fügte uns den ersten Schlag zu: er besetzte Wolhynien und, wenn auch nur vorübergehend, die ukrainische Hauptstadt Kiew.

Genossen, wir müssen uns die Frage stellen, was diese Politik selbst für die hirnlosen, überheblichen, vom Volke vollständig losgerissenen Magnaten bedeutet? Wozu dieser sinnlose Angriff? Glauben Pilsudski und seine Banden im Ernste daran, dem werktätigen Volk ihren Willen aufzuzwingen? Sie handeln unter dem Druck der reaktionärsten, raubgierigsten Clique der polnischen Grundbesitzer, der Magnaten. Auf ihren Befehl hat die polnische Armee Wolhynien, Podolien und einen Teil des Gouvernements Kiew besetzt. Wie viel Polen gibt es dort? Die Statistik zeigt, dass im Gouvernement Podolien nur 2,1 Proz. Polen leben, im Gouvernement Wolhynien etwas mehr – gegen 8 Proz., im Gouvernement Kiew beträgt die Zahl der polnischen Bevölkerung nur 1,5 Proz. All diese Gebiete sind hauptsächlich von Ukrainern bewohnt, es leben dort 75–80 Proz., im Gouvernement Kiew sogar 87 Proz. Ukrainer – das leugnet selbst die polnische Statistik nicht. Aber diese wenigen Polen, die dort leben, das ist ein besonderes Volk, das sind nicht einfache werktätige Polen, nicht einfache ehrliche Arbeiter, – nein, das ist eine bessere Sorte von Menschen, das sind Grundbesitzer, Zuckerfabrikanten, Magnaten, reiche Leute. Die Sowjetrevolution hat ihnen den Boden und die Fabriken genommen. Im Grunde genommen pfeifen sie auf Polen und auf die ganze Welt. Sie haben nur einen Gott, das ist der Profit, der Besitz, das Kapital. Im Namen dieses Gottes sind sie bereit, Polen, die Ukraine, die ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Und diese raubgierige Magnatenbande, die sich ihren Boden, ihre Fabriken, ihren Reichtum zurückerobern will, hetzt das ehrliche, werktätige, polnische Volk in den Krieg gegen die Ukraine und gegen Russland hinein.

Da uns der Krieg aufgezwungen ist, – nachdem wir alles getan haben, um ihn zu vermeiden, – so werden wir bis zu Ende kämpfen. Nicht dazu haben wir die Herrschaft der Romanows und die Herrschaft unserer Pans, Grundbesitzer und Kapitalisten gestürzt, um uns jetzt von Herrn Pilsudski und den polnischen Magnaten unterjochen zu lassen. Nein. Wir waren zu Konzessionen bereit, wir haben den Frieden angeboten und zwar für einen hohen Preis. Aber wenn man uns den Krieg aufzwingt, so werden wir ihn auch gründlich und energisch führen, wie wir um den Frieden gekämpft haben. Wir haben uns an die breiten werktätigen Massen Russlands und der Ukraine gewandt, und diese Massen sind gekommen, sie kommen täglich in immer größerer Zahl zu uns. Dieser Krieg wird nicht ungestraft für die polnische Schlachta zu Ende gehen.

Ihr wisst, Genossen, dass die Bourgeoisie und der Adel in allen Ländern eine beutegierige, demoralisierte Klasse ist, aber auch hier gibt es Unterschiede. Wenn die polnische Arbeiterklasse, die ehrlich, energisch und revolutionär ist, große Verdienste hat, wenn das polnische Bauerntum unter Gewalttat und Unterjochung schwer zu leiden hatte, so ist die polnische Schlachta und die polnische Bourgeoisie unter allen bürgerlichen Klassen die zynischste, gewissenloseste, frechste, abenteuerlichste Adelskaste. Wer hat Polen im 18. Jahrhundert ins Verderben gestürzt? Wer hat es in den Zustand vollständigen Zerfalls gebracht? Natürlich haben Könige und Zaren Polen ausgeplündert, aber wer hatte es zuvor geschwächt? – Die polnische Schlachta. Sie ist an der Aufteilung Polens Schuld. Und die Enkel und Urenkel der Pans des 18. Jahrhunderts sind der Politik ihrer Großväter und Urgroßväter treu geblieben.

Sie haben uns den Fehdehandschuh zugeworfen. Sie haben sich verrechnet. Sie haben geglaubt, es würde ein Krieg sein, den die Arbeiter und Bauern Russlands um Polens mit ihrem Blute bezahlen werden, die Schlachta und die Bourgeoisie aber würden nur Profite einheimsen. Die polnische Schlachta war stets sehr kriegerisch auf Kosten des polnischen werktätigen Volkes. Und Ihr wisst, dass es sogar ein Sprichwort gibt: „Die Herren zanken sich, und ihren Knechten krachen die Schöpfe"; dieses Sprichwort bezieht sich auf die Kriege, die die polnische Bourgeoisie gegen den russischen und den ukrainischen Adel geführt hat. „Die Herren zanken sich und ihren Knechten krachen die Schöpfe". So sprachen die getretenen, armen, unterjochten, polnischen, ukrainischen, weißrussischen und russischen Bauern.

Aber diesmal haben die streitlustigen Pans, nicht die ukrainischen, weißrussischen und russischen Pans, sondern die russischen Arbeiter und Bauern – das werktätige Russland – herausgefordert. Und hier sagen wir: „Nein, Ihr Machthaber Warschaus, dieser Krieg wird den alten Kriegen, wo den Knechten „die Schöpfe krachten", nicht ähnlich sehen. Sowjetrussland wird Euch einen neuen Krieg zeigen; wir werden so Krieg führen, dass in ganz Polen, in ganz Europa, in der ganzen Welt die Schöpfe der polnischen Pans krachen werden." (Starker Beifall.)

Genossen, bevor wir nach den ersten Misserfolgen in den schweren Kampf ziehen, müssen wir unsere Seele, unser Gewissen freimachen von Feindschaft und Hass gegen das polnische Volk, falls solche Gefühle in uns leben. Das polnische Volk ist unser Freund und Bruder. Ein Teil von ihm ist betrogen und irregeführt, der andere Teil ist sich des großen Verbrechens seiner Regierung bewusst, aber er windet sich in eisernen Ketten. Unser Krieg ist nicht gegen die polnischen Arbeiter und Bauern gerichtet – nein, er wird für sie geführt. Einst haben die polnischen Rebellen, deren Aufstand sich gegen den Zaren und gegen den Zarismus richtete, zu den russischen Revolutionären, zu den russischen Bürgern gesagt: „Für unsere und Eure Freiheit." Die polnischen Aufständischen waren der Ansicht, dass sie für die polnische und russische Freiheit kämpften und sie hatten damals recht. Jetzt werden wir zum Krieg gegen die polnischen Magnaten gezwungen, und wir erklären den polnischen Arbeitern und Bauern: „Nicht gegen Euch, Freunde und Brüder, – für unsere und Eure Freiheit, gegen unsere und Eure Feinde, gegen die Unterdrücker, gegen die Magnaten ziehen wir in den Kampf." Und das, Genossen, darf nie vergessen werden. Der Rotarmist muss im Eifer des Gefechts, wenn er einen Schlag gegen den Feind führt, daran denken, dass, wenn die polnische Bourgeoisie gestürzt und Polen ein freies Land sein wird, wir mit dem Polen der Arbeiter und Bauern einen brüderlichen Verband im Interesse sowohl unseres, als auch des polnischen Volkes, abschließen werden.

Genossen, Pilsudski hat, als er Wolhynien, Podolien und Kiew besetzte und Hornel, Witebsk, und Smolensk bedrohte, seinen ganzen Weg mit Gewalttat, Plünderung und Pogromen gezeichnet; Pilsudski sagt, er habe die Aufgabe, die Ukraine zu befreien! Von wem? Von den ukrainischen Arbeitern und Bauern!

Und er fand für seinen räuberischen Feldzug ein Schild, zwar ein altes, abgenutztes und nicht sehr appetitliches, aber immerhin ein „befreiendes", dieses Schild heißt – Petljura. Er, Pilsudski, anerkennt in der Ukraine die Regierung Petljuras und er kämpft für Petljura. Er vergießt das Blut der polnischen Arbeiter und Bauern, damit Methan Petljura zur Macht kommt.

Genossen, wer ist denn dieser Petljura, als dessen Verteidiger sich Pilsudski aufspielt? Wir kennen Petljura – in den letzten Jahren ist sein Name oft genannt worden. Ich bitte im Voraus um Entschuldigung, wenn hier vielleicht zwei oder drei seiner Freunde anwesend sein sollten, aber, ich muss ein paar offene Worte über ihn sagen.

Ihr erinnert Euch noch, Genossen, jener furchtbar schweren Tage, als wir in Brest-Litowsk mit der deutschen Regierung verhandelten. Damals erging aus Kiew, aus der Kiewer Rada an die österreichischen und deutschen Truppen die Aufforderung, nach der Ukraine zu kommen, um sie zu „befreien". Und auf Einladung der Kiewer Rada befreite Kaiser Wilhelm die Ukraine von der Herrschaft der ukrainischen Arbeiter und Bauern. Wer saß in der Kiewer Rada? Ihre militärischen Angelegenheiten verwaltete Petljura. Er hatte den Kaiser gerufen, der Kaiser kam, die Ukraine nahm er für sich, den ukrainischen Arbeitern und Bauern nahm er alles fort und hielt blutige Abrechnung mit ihnen, Petljura aber warf er, wie einen alten schmutzigen Lappen auf den Misthaufen, und an seine Stelle setzte er den Methan Skoropadski – einen zuverlässigeren Diener Im November 1918 fiel Kaiser Wilhelm. Nach ihm Skoropadski. Da kroch Petljura aus dem Mistkasten hervor und wandte sich an die Entente, an Frankreich und England, d. h. an ihre Börsen und bot seine Dienste an. Er schwor dabei, dass seine Firma die beste sei, – Kaiser Wilhelm selbst hatte sie gebilligt. Und die Entente, die damals Truppen nach Odessa schickte, gab ihm 30 Silberlinge oder auch 30 Millionen Silberlinge, – wir haben nicht genau gezählt – für die Gründung einer Petljura-Armee. Und er begann, sie unter der Fahne der englisch-französischen Börse aufzubauen, aber die ukrainischen Arbeiter und Bauern bereiteten diesem verräterischen Spiel ein rasches Ende.

In der Ukraine wurde die Sowjetmacht errichtet und Petljura zum zweiten Male auf den Misthaufen geworfen. Dort lag er so lange, bis Pan Pilsudski den Beschluss fasste, die Ukraine auszuplündern. Pilsudski schlug sich auf die Stirn und sagte: „Dafür gibt es ein passendes Aushängeschild, zwar ist es etwas zerdrückt, abgenutzt und ein bisschen angespuckt, aber mit nur saubern Mitteln werden wir unser Geschäft nicht zustande bringen können." Und er holte sich Petljura aus dem Mistkasten heraus. So soll also die Ukraine zum dritten Male befreit werden: Zuerst der Kaiser, dann die englisch-französische Börse und jetzt die polnischen Magnaten.

Aus Dankbarkeit dafür gab Petljura im Voraus die Gebiete westlich vom Styr und Sbrutsch dem Pan Pilsudski zum Eigentum. Welche Gebiete sind das? Das von den Ukrainern bewohnte Ostgalizien, West-Wolhynien, Polesie und das Cholmer Land. In diesen Provinzen leben 7¼ Millionen Menschen, davon 5¼ Millionen Ukrainer und eine geringe Zahl Weißrussen und Großrussen. Polen sind nur in einer verschwindenden Minderheit vorhanden. Petljura hat nichts zu verlieren, und großmütig verschenkt er ein ganzes Land, – denn dieses Gebiet ist größer als die Schweiz, größer als Holland, größer als Schweden, – ein ganzes Land macht er Herrn Pilsudski zum Geschenk, weil dieser ihn aus dem Mistkasten hervorgeholt hat.

Solche Leute, Genossen, sind es, die jetzt das Schicksal der Ukraine bestimmen, in deren Händen sich jetzt die Stadt Kiew befindet und gegen die wir gezwungen sind, einen rücksichtslosen Kampf zu führen. Ja, einen angestrengten und harten Kampf müssen wir führen, denn, Genossen, sie stehen unter dem Schutz der Entente, sie sind technisch gut ausgerüstet, und sie wissen, dass, wenn ihnen ihr Unternehmen misslingt, Polen zur Sowjetrepublik wird. Die Sowjetrepublik Polen wird zu einer Brücke werden zwischen unserem Land und ganz Europa, und über diese Brücke werden die revolutionären Ideen der russischen Arbeiter und Bauern in die andern Länder wandern. Darum wird die polnische Schlachta bis zum letzten Atemzuge kämpfen und die Unterstützung der Bourgeoisie der Entente finden, und darum wird der Kampf für uns ein harter werden; wir müssen uns auf einen rücksichtslosen, mit aller Energie geführten Kampf vorbereiten. Dazu rufen wir Euch auf, Bürger und Bürgerinnen!

Genossen, ich war heute im Frontabschnitt Reschitza. Man erzählte mir dort, an unserer Front, von den unbeschreiblichen Grausamkeiten, die die polnischen Weißgardisten an Gefangenen und verwundeten Rotarmisten verüben. Sie anerkennen überhaupt keine Gefangenen mehr. Sie erhängen nicht nur die Kommunisten, sondern jeden parteilosen Rotarmisten, der ihnen in die Hände fällt, und sie töten selbst die Verwundeten und Kranken in den Lazaretten. Genossen, ich fragte, ob das nicht übertrieben, nicht Verleumdung sei, denn auch den Feind dürfte man nicht verleumden. Aber die es erzählten, waren vertrauenswürdige Leute, sie haben die furchtbaren Gräueltaten mit eigenen Augen gesehen.

Wie haben wir geantwortet? Heute erlassen wir im Namen des Revolutionären Kriegsrates der Republik einen Befehl an alle Truppen der Westfront, in dem ihnen verboten wird, für diese Grausamkeiten an den hilflosen polnischen Gefangenen Rache zu üben. Wenn wir einen polnischen Arbeiter oder Bauern gefangen nehmen, dann möge die Hand desjenigen Rotarmisten abgeschlagen werden, der gegen einen Gefangenen und Unbewaffneten, gegen einen Kranken oder Verwundeten, die Waffe erhebt. Wir kämpfen nur Waffe gegen Waffe. Warum mordet die polnische Schlachta unsere gefangenen Arbeiter und Bauern? Weil sie weiß, dass ein ehrlicher Rotarmist immer der Todfeind der Magnaten und Vergewaltiger sein wird. Wenn wir aber einen polnischen Arbeiter und Bauern, den wir gefangen nehmen, neben uns setzen und ihm über die Lüge Pilsudskis und seiner Magnaten unsere Wahrheit sagen, so wird dieser polnische Arbeiter oder polnische Bauer innerhalb von wenigen Wochen oder sogar Tagen zum wütendsten Feind Pilsudskis werden. So haben wir deutsche Soldaten, die nachher gegen Wilhelm rebelliert haben, die österreichischen, ungarischen, Koltschakschen und Denikinschen Soldaten zu Revolutionären gemacht, – sie alle sind durch unsere Schule gegangen; wir haben die Gefangenen nicht erschossen, wir haben sie zu klassenbewussten Kämpfern gemacht. Darum haben auch die polnischen Legionäre, die polnischen Arbeiter und Bauern, die zu uns in Gefangenschaft geraten, nichts zu fürchten; nicht Tod und Gewalttat bringen wir ihnen, sondern das Licht des Kommunismus, das Licht von der Lehre der Brüderlichkeit aller arbeitenden Menschen. Unter der gelben Fahne des räuberischen Imperialismus kommen sie zu uns – unter dem roten Banner der Revolution und des Kommunismus werden sie von uns gehen. Wir brauchen rücksichtslosen Kampf während der Schlacht und Großmut gegenüber dem gefangenen Feind. Rücksichtslose Feindschaft gegen die Magnaten und Kapitalisten, die freundschaftlich entgegen gestreckte Hand für die polnischen arbeitenden Massen. Wir werden nicht erlauben, dass Anschläge gegen uns verübt werden, aber wir werden auch unsere Hand nicht gegen die Unabhängigkeit des polnischen Volkes erheben. Wir glauben und wissen, dass die polnische Republik aus diesem Krieg als eine vollkommen andere hervorgehen wird.

Unser Land – Russland – hat Jahrhunderte hindurch den zweiköpfigen Adler als .Symbol gehabt. Was bedeuteten diese beiden Köpfe? Der eine hat das russische werktätige Volk gerupft und gemartert,- der andere war gegen die Randstaaten – die Polen, Litauer, Esten, Finnen – gerichtet und bedrohte die andern Völker außerhalb Russlands. Das waren die beiden Köpfe des raubgierigen zaristischen Adlers.

Wir haben beide Köpfe abgeschlagen, wir leben unter einem neuen Zeichen, das die Sichel und den Hammer trägt – das Symbol der Arbeit, die Arbeit aber führt die Menschen zur Brüderlichkeit.

Die polnische Republik ist nicht die Republik der Arbeit, – sie ist die Republik der Bourgeoisie und der Schlachta. Ihr Symbol ist ein weißer Adler, der zwar nur einen Kopf trägt, aber dies ist ein Raubtierkopf, der sich nach links und rechts dreht und sowohl die eigenen polnischen Arbeiter, wie auch die ukrainischen und weißrussischen Arbeiter und Bauern rupft und martert. Der polnische weiße Adler ist ganz mit Blut bedeckt. Es ist unsere Aufgabe, diesem Raubtier den Kopf abzuschlagen und den polnischen Arbeitern und Bauern zu helfen, über der polnischen Republik das Banner zu entfalten, das ebenso wie unseres, das Symbol der Arbeit trägt. Dann wird es zwischen Polen und Russland keine Feindschaft mehr geben, Einvernehmen und Brüderlichkeit werden herrschen und wir werden all unsere Kräfte der ruhigen, ehrlichen, friedlichen Arbeit widmen können. Wir werden unser Land aus Armut und Zerrüttung, aus Elend und Krankheit herausführen und – durch die Arbeit Hunderttausender von Arbeitern und Bauern, die jetzt an der Front ihr Blut vergießen, – werden wir es in einen blühenden Garten verwandeln, wo die Menschen im Wohlstand, in friedlicher und glücklicher Arbeit Wissenschaft und Kunst genießen und für die späteren Generationen noch bessere Lebensbedingungen schaffen werden, so dass schließlich die ganze Menschheit zum wahrhaft freien Herrn unseres Planeten werden wird.

Im Namen all dessen, Genossen, ist es notwendig, der polnischen Schlachta Widerstand zu bieten und das werden wir tun. Sie haben uns zum Kampf herausgefordert, wir werden diesen Kampf bis zu Ende führen. „Für unsere und Eure Freiheit, – sagen wir den polnischen Arbeitern und Bauern – wir kommen Euch entgegen!'' Es lebe das Polen der Arbeiter und Bauern! Es lebe das Russland der Arbeiter und Bauern! Es lebe die Weltrevolution, die Befreierin aller Werktätigen!

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