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Leo Trotzki 19200731 Ausweisung des „Sozialisten" Lafont aus der Sowjetrepublik

Leo Trotzki: Ausweisung des „Sozialisten" Lafont aus der Sowjetrepublik

Befehl des Vorsitzenden des Militärischen Revolutionsrates der Republik

[Nach Russische Korrespondenz, 1. Jahrgang, Heft 11 (August 1920), S. 567 f.]

Moskau, 31. Juli 1920.

Der Bürger Erneste Lafont ist mit seiner Frau Sinaide Lafont über Polen in Sowjetrussland eingetroffen. In Warschau hat er die französische Militärmission besucht, die die Zentralstelle aller feindlichen Aktionen der imperialistischen Konterrevolution gegen die 'sozialistische Republik bildet.

In Russland angekommen, gab der Deputierte Lafont aus eigener Initiative der Sowjetregierung keinerlei Erklärungen ab und unternahm keine sofortigen Schritte, um der Sowjetregierung die Kriegführung gegen die bürgerliche Konterrevolution zu erleichtern.

Im Privatgespräch, das in Gegenwart des Genossen Jaques Sadoul geführt wurde, machte der Deputierte Lafont eine ganze Reihe äußerst interessanter Mitteilungen, die mit seinem Besuch in Warschau zusammenhingen, wobei diese Mitteilungen, nach Auflassung des Genossen Sadoul, dessen Sachverständnis und Gewissenhaftigkeit nicht angezweifelt werden können, einen ganz bestimmten Sinn haben, den Sadoul in einem hier beigefügten Brief niederlegt. Der Inhalt der Rede des Deputierten Lafont zeugt, nach Aussagen des Genossen Sadoul, davon, dass der Sozialchauvinist Daszyński, jetzt Mitglied der polnischen Regierung, den Waffenstillstand mit Russland als Atempause betrachte, die die Konzentrierung der militärischen Kräfte zum neuen Vorstoß gegen Sowjetrussland gestatten soll.

Der von mir vernommene Deputierte Lafont bezeichnet zwar eine solche Einschätzung der „Friedensschritte" der polnischen Regierung nicht als unrichtig, dementiert aber energisch den oben genannten Sinn der Rede Daszyńskis, den die Partei Lafonts bekanntlich für einen Sozialisten hält.

Unabhängig davon, wodurch die Erklärung des Deputierten Lafont bestimmt wird, bleiben diejenigen Tatsachen bestehen, dass der Deputierte, der sich als französischer Sozialist betrachtet, während eines Krieges der sozialistischen Republik gegen die bürgerliche Republik, die noch dazu die Rolle eines einfachen Werkzeugs in den Händen der Imperialisten desjenigen Landes spielt, in dessen Parlament der Deputierte Lafont sitzt, – die Tatsache bleibt bestehen, dass der Deputierte Lafont, als neutraler Beobachter aus Paris nach Warschau und aus Warschau nach Moskau fährt, mit Daszynski, den Mitgliedern der französischen militärischen Mission und anderen Organisatoren der niederträchtigen und ehrlosen Offensive gegen Sowjetrussland „kameradschaftliche" Unterhaltungen pflegt, und der Brandmarkung dieser Todfeinde des Proletariats vor den polnischen, französischen und russischen Arbeitern bewusst aus dem Wege geht. In Anbetracht der Verheimlichung der niederträchtigen, verräterischen Pläne der Feinde Sowjetrusslands durch den Bürger Lafont bestehen keine Garantien dafür, dass diese freundschaftlichen Beziehungen nicht zu Folgen führen können, die seine Anwesenheit in Sowjetrussland zu einer Gefahr machen können. In Anbetracht des oben Ausgeführten und um die Interessen der Russischen Sozialistischen Republik vor „Sozialisten", die den Versuch machen, gleichzeitig als Freunde des bürgerlichen Polens und des sozialistischen Russlands aufzutreten, zu schützen, befehle ich:.

den Deputierten Erneste Lafont und seine Frau, die Bürgerin Sinaide Lafont, die in politischer Solidarität mit ihm verbunden ist, aus den Grenzen der Sowjetrepublik auszuweisen und in Russland wie auch in der ganzen 'Welt die Gründe dieser außerordentlichen Maßnahme den Arbeitermassen zur Kenntnis zu bringen. Mit der Ausführung der Ausweisung ist die besondere Abteilung bei der Allrussischen Auswärtigen Kommission beauftragt.

Der Vorsitzende des Militärischen Revolutionsrates der Sowjetrepublik.

L. Trotzki.

Sadouls Brief:

Genosse Erneste Lafont, der französische sozialistische Delegierte, ist in Moskau eingetroffen. Lafont hat eben eine Woche in Warschau verbracht, wo er mit einer Reihe von Politikern gesprochen hat. Über die Lage der Dinge in Polen sagt er folgendes:

Ich habe Daszyński gesehen. Wie die meisten Polen erklärte er, dass er die durch die Niederlage der polnischen Truppen geschaffene Lage nicht hoffnungslos ansehe. Er ist der Ansicht, dass Polen nicht besiegt und folglich der Krieg noch nicht zu Ende sei. Der Waffenstillstand, um den Polen bittet, ist nach Ansicht Daszyńskis notwendig, .um die Armee umzubauen. Diese Armee ist nicht vernichtet, sie ist gezwungen zurückzugehen, da es ihr an Ausrüstung mangelt.

Die Tschechoslowakei, Deutschland und Danzig (die Arbeiter Danzigs haben den Streik erklärt, um den Munitionstransport zu verhindern) blockieren Polen und verhindern die Zufuhr von Munition. Aber wir führen Verhandlungen mit Nachbarstaaten, im besonderen mit Deutschland. Dank der Hilfe der Entente wird Polen von Deutschland ein Teil der Waffen und Munition erhalten, die Deutschland jetzt, in Erfüllung des Versailler Friedensvertrages, der Entente ausliefern muss.

Wenn diese Waffen und diese Munition da sein werden, wird unsere Armee rasch wieder hergestellt sein, es werden Freiwillige herangezogen werden, denn mit dem Herannahen der Sowjettruppen ist die patriotische Begeisterung sehr gestiegen. Alles was wir jetzt brauchen, ist – Zeit zu gewinnen."

Es ist überflüssig, das Interessante in diesen Mitteilungen, die Herr Daszyński (der jetzige Außenminister Polens) Lafont gemacht hat, besonders zu unterstreichen. In diesem Moment, wo die polnische Regierung gegenüber der ganzen Welt feierlichst erklärt, dass sie den aufrichtigen Wunsch, hege, Frieden zu schließen, legt einer ihrer führenden Politiker das zynische Bekenntnis ab, dass seine Regierung den Waffenstillstand wünsche und nur darum Verhandlungen anknüpfe, weil sie Zeit gewinnen will, um die Möglichkeit zu haben, ihre militärischen Kräfte neu auszurüsten und den Krieg von neuem zu beginnen.

Jaques Sadoul.

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