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Leo Trotzki 19200200 Die Grundfragen der Ernährungs- und Agrarpolitik

Leo Trotzki: Die Grundfragen der Ernährungs- und Agrarpolitik

(Ein dem ZK im Februar 1920 eingereichter Vorschlag)

[Nach Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-28. Band I, Westberlin 1976, S 408]

Die Ländereien der Großgrundbesitzer und der Krone wurden den Bauern übergeben. Nun richtet sich unsere ganze Politik gegen die Bauern, die viele Pferde oder viel Land haben (die Kulaken). Andererseits stützt sich unsere Ernährungspolitik auf die Eintreibung des Überschusses (dem, was über die Konsumnorm hinausgeht). Das veranlasst die Bauern dazu, nur so viel Land zu bebauen, wie sie für die Bedürfnisse ihrer eigenen Familie brauchen. Vor allem das Dekret über die Abgabe der dritten Kuh, die als überflüssig angesehen wird, führt tatsächlich zum heimlichen Abschlachten der Kühe, zum spekulativen Fleischverkauf und zur Zerrüttung der Milchwirtschaft. Gleichzeitig setzten sich halb proletarische und auch proletarische Elemente im Dorf fest, um sich dort mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Industrie verliert ihre Arbeitskräfte, und in der Landwirtschaft nimmt die Zahl der sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgenden Haushalte ständig zu. Und dadurch wird die Grundlage unserer Ernährungspolitik, die auf der Eintreibung von Überschüssen beruht, untergraben. Wenn wir in diesem Jahr im Vergleich zum vorigen einen bedeutenden Erfolg in der Bereitstellung von Lebensmitteln zu verzeichnen haben, so muss man das auf die Erweiterung des Sowjetgebietes und gewisse Verbesserungen des Proviantwesens zurückführen. Im Allgemeinen drohen aber die Ernährungsquellen zu versiegen, und dagegen kann keine Vervollkommnung des Eintreibungsapparates helfen. Gegen diese Tendenzen des wirtschaftlichen Verfalls kann man mit folgenden Methoden kämpfen:

1) Die Eintreibung der Überschüsse ist durch die Abgabe eines bestimmten Prozentsatzes der Ernte zu ersetzen (eine Art gestaffelter Naturalsteuer), der so bemessen ist, dass eine größere Anbaufläche oder intensivere Bearbeitung sich als vorteilhaft erweisen.

2) Es muss eine größere Übereinstimmung zwischen der Belieferung der Bauern mit Industrieprodukten und der Menge des von ihnen abgelieferten Getreides hergestellt werden, und zwar nicht nur in ganzen Kreisen und Dörfern, sondern auch auf den einzelnen Bauernhöfen.

Die lokalen Industrieunternehmen haben sich daran zu beteiligen. Die Bauern werden für die Rohstoffe, das Brennholz und die Nahrungsmittel, die sie liefern, teilweise mit Industrieprodukten bezahlt.

Es ist jedenfalls klar, dass die augenblickliche Politik der ausgleichenden Eintreibung nach Konsumnormen, die Politik der kollektiven Verantwortung für die Lieferung und gleichmäßige Distribution der Industrieprodukte den Verfall der Landwirtschaft und die Zerstreuung des Industrieproletariats zur Folge hat und droht, das Wirtschaftsleben des Landes endgültig zu zerstören.

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