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Leo Trotzki 19200223 Russland stets zum Frieden bereit

Leo Trotzki: Russland stets zum Frieden bereit

Handelsvorteile für das Land, das zuerst Beziehungen anfängt.

Trotzki in interessantem Interview.

[Nach New Yorker Volkszeitung, 26. Februar 1920, S. 1 f.]

Angemessene materielle Garantien werden nach Abschluss des Friedens vom auswärtigen Kapital in russischen Unternehmungen verlangt und gegeben. Kein anderes Land hätte leisten können, was die russische Sowjet Republik in den letzten achtzehn Monaten leistete", erklärt Trotzki

Von Lincoln Eyre.

Copyright 1920, by The Press Pubishing Co. (The New York World)

Riga (durch Kurier nach Berlin), 23. Febr. „Trotz der überwältigenden Sieg der Roten Armee sind wir heute ebenso bereit. Friede zu schließen. wie wir es immer waren. Und das Land, welches als erstes in freundschaftliche Beziehungen zu uns tritt, wird auch als erstes die sich daraus ergehenden Handelsvorteile einheimsen."

In der obigen Weise sprach sich der Volkskommissar für militärische Angelegenheiten, Leon Trotzki. über die Haltung von Sowjet-Russland gegenüber dem Kordon von feindlichen Mächten aus, welche das Land umzingelten. Dreimal im Lauf einer einstündigen Unterredung wiederholte Trotzki mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie die Bereitschaft des russischen Volkes, jener Nation, welche mit der Wiederaufnahme friedlicher Beziehungen zu der Sowjet-Regierung den Anfang macht, wichtige Gelegenheiten für materiellen Nutzen zu gewähren. Er machte keinen Versuch, den Wunsch der Bolschewisten für Friede zu verbergen, ohne welchen die Rehabilitierung des desorganisierten. gequälten und von Hunger heimgesuchten Landes nicht mit Erfolg in Angriff genommen werden kann.

Trotz seiner augenscheinlichen Bereitschaft, mit dem Kapitalismus einen Kompromiss zu schließen, soweit es geschehen kann, ohne die Grundlagen der sozialistischen Ordnung zu verletzen, gab Trotzki in keiner Weise zu erkennen, dass sein Vertrauen in die Entwicklung der russischen Republik in kommunistischer Richtlinie irgendwie geschwächt ist. Es mag mehrere Jahre dauern, gab er zu. ehe die Arbeiter und Bauern hoffen können, der ihnen von den Bolschewisten versprochenen Prosperität teilhaftig zu werden. Er sprach jedoch seine feste Überzeugung aus, dass die außerordentliche Tatkraft, welche das russische Proletariat bei seiner Verteidigung gegen die mächtigsten Staaten der Welt an den Tag legte, schnell und in fähiger Weise alle Probleme des inneren Wiederaufbaus lösen werde.

Der Mann, welcher mit Lenin den größten einzelnen Einfluss in diesem großen Gemeinwesen ausübt., antwortete frei und ausgiebig auf jede Frage, die ihm gestellt wurde. Meine Unterhaltung mit ihm veranlasste ihn zu den folgenden bemerkenswerten Bemerkungen:

Bieten materielle Garantien.

1. Die militärische Situation, die niemals besser für die Sowjet-Armeen war sollte noch vor Frühjahr zu der vollständigen Vernichtung aller bewaffneter Gegner Russlands führen – wenn die Entente keine kolonial- oder andere Truppen gegen die Roten schickt.

2. Angemessene materielle Garantie wird nach dem Abschluss des Friedens vom auswärtigen Kapital, das in russischen Unternehmungen angelegt ist, gegeben und gefordert werden.

3. Die Gegner der Intervention in Amerika scheinen wenig Einfluss bei der Regierung zu haben, da die Bundesbehörden es für richtig halten, den Sowjet-Gesandten Martens in New York zu verhaften.

4 Es sollte für einen Bourgeois-Staat nicht schwieriger sein, mit dem kommunistischen Russland in Handelsverkehr zu treten, wie es für die amerikanische Demokratie mit dem zaristischen Russland war.

5. Die Sowjets müssen sich an die Ver. Staaten oder Großbritannien halten für den Bezug von Maschinen. Lokomotiven und anderen Waren, welche sie so dringend benötigen. Die wirtschaftliche Instabilität infolge seiner Niederlage verhindert wirksam jeden Versuch Deutschlands, die russischen Märkte zu erobern.

6. Friede würde zu der sofortigen Demobilisierung der Roten Armee führen, nur die Hülle der Organisation und Grenzwachen würden beibehalten werden.

7. Militarismus, der an den Wurzeln von Kommunismus zehrt, kann unmöglich in Russland, dem einzig wirklich friedlichen Land der Welt, existieren.

Ein Interview mit Trotzki bietet zwei Hauptschwierigkeiten. Zuerst muss man seinen Aufenthalt entdecken, was schwierig ist. infolge seiner Gewohnheit, beständig von einem Teil der Front zum andern zu eilen. Nachdem man seinen Aufenthaltsort ausgefunden hat, muss man seinen Widerwillen überwinden, den er mit andern Sowjet-Würdenträgern teilt, sich in ein Gespräch mit Vertretern der kapitalistischen Presse einzulassen Glücklicherweise führte ihn die All-russische Wirtschaftliche Konvention nach Moskau und Einführungs-Briefe, die ich von Paris bei mir hatte, brachten mich nach einigem anfänglichen Aufschub in seine Gegenwart.

In der Hauptstadt hat Trotzki sein Büro in dem großen Gebäude, das ehemals von der Militär-Schule des Zaren eingenommen war und jetzt für mehrere militärische Institutionen benutzt wird. Posten mit aufgepflanztem Bajonett sind an jedem Eingang aufgezogen und oben an der Treppe steht ein Maschinengewehr, mit seiner Mündung drohend an der Richtung; des Haupteinganges Der Pass, welcher mich zu der Domäne von Genossen Trotzki zuließ. wurde ein halbes Dutzend mal geprüft. Im Vorzimmer gelangte ich endlich zu einem jungen Offizier, einem der Aides des Kommissars, der mich zum Niedersitzen nötigte.

Trotzkis Gemach geräumig

Ein paar Augenblicke später – Trotzki besitzt die nicht-russische Tugend der Pünktlichkeit – wurde ich durch drei mehr Vorzimmer, in deren jedem bewaffnete Wachen standen, in das Allerheiligste geführt.

Trotzki saß an einem großen Pult in einer Ecke des großen, reich möblierten Zimmers, eine Art Gemach, wie man es unwillkürlich mit ministeriellem Pomp und Pracht in Verbindung bringt. Es war nichts vorhanden, das den militärischen Status dieses Führers der mächtigen Armee der Weh verraten konnte, denn dies ist heutzutage die Rote Armee unzweifelhaft, mit ihren drei Millionen Mann. Er war in der Uniform eines Sowjet-Soldaten, braun-graue Bluse, kurze Hose und Kniestiefel, die sich wenig von der Zivilkleidung in Russland unterscheidet. Über seinem Herzen war eine kleine rote Flagge in Emaille angesteckt. Das Flaggen- Anzeichen ist, wie ich hörte, das Unterscheidungs-Merkmal des Zentral-Exekutiv-Komitees.

So weit ich sehen konnte, war nur eine einzige Karte an der Wand – eine Karte des russischen Eisenbahn-Netzes. Auf dem Pult lagen eine Anzahl Bücher und Papiere herum, anscheinend ohne militärische Bedeutung.

Trotzkis Persönlichkeit geht die unpersönliche Zurückhaltung vollständig ab. welche man so gern einem Militär-Chef beilegt. Sein dichtes schwarzes Haar, die fast fieberische Intensität seines Blickes, der scharf durch seine Augengläser dringt, seine scharf abgebrochenen Gesten, die Modulation der Stimme des Redners – alles verkündet den Kämpfer des Klassen-Streiks, die Disziplin der Revolution, aber niemals den kühl-überlegenden Schöpfer der sensationellsten Kriegs-Maschine, welche die Welt jemals erblickt hat.

Trotzki, der Pazifist, der eingefleischte Gegner von Militarismus, an der Spitze von drei Millionen ausgebildeter Soldaten, übersteigt unsere Einbildungskraft. Man kam sich leicht Napoleon vorstellen bei der Leitung eines Kindergartens. Und doch, wenn auch nur die Hälfte von dem wahr ist,was man in Moskau und an der Front über seine Fähigkeit als Generalissimus hört, dann muss dieser frühere Zeitungs-Berichterstatter einer der größten Soldaten sein, welche die Geschichte der Menschen kennt.

Erklärt Erfolg der Armee

Man konnte Andeutungen in seinem Gespräch spüren, wenn militärische Angelegenheiten besprochen wurden, aber ganz offenbar zog er es vor, sich mit der internationalen Situation zu befassen und den guten Dingen, die der Frieden den russischen Arbeitern bringen werde, lieber als über die Schlachtfelder in der Ukraine und in Sibirien zu sprechen. Meine erste Frage, nachdem wir abgemacht hatten, dass wir französisch sprechen wollten, das Trotzki fließender als englisch beherrscht, betraf die Offensiven der Roten Armee, aber Trotzki wehrte mit einer Handbewegung ab und mit der Bemerkung, dass die Geschehnisse zu klar zutage liegen, um eines Kommentars zu bedürfen.

Unsere militärischen Erfolge haben uns nicht gegen unser Friedensbedürfnis blind gemacht", sagte er. Dann, in sorgfältig gewählten Worten, formulierte er die zwei Sätze, die am Anfang des Artikels stehen und welche die Hauptnote seiner sämtlichen Äußerungen waren.

Wir brauchen Frieden." fuhr er fort, „für die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Stabilität. Während der letzten 18 Monaten, wo alle Mächte, welche der imperialistische Kapitalismus der Welt aufbringen konnte, den Versuch machten, unsere Vernichtung herbeizuführen, waren wir gezwungen, unsere sämtlichen Anstrengungen auf militärische Maßnahmen zu konzentrieren. Wir waren gezwungen, die Wohlfahrt unseres Volkes und die Gesundheit zukünftiger Generationen den verzweifelten Bedürfnissen der Stunde aufzuopfern. Um Hände von unserer Kehle wegzureißen, welche uns erwürgen wollten, waren wir gezwungen, eine friedliebende Bevölkerung von Arbeitern und Bauern, in diesen 18 Monaten in ein bewaffnetes Lager umzuwandeln. Mit Riesen-Anstrengungen haben wir eine wirklich starke Armee organisiert; und mit ihrer Hilfe haben wir jeden Versuch zurückgeschlagen, welchen die Verbrecher der Entente und des Zarismus machten, um die Revolution zu ermorden.

Kein anderer Staat in der Welt hätte tun können, was das bankrotte, blutende und durch vier Jahre imperialistische Hinmetzelungen ausgehungerte Russland in den zwei letzten Jahren getan hat. In Frankreich, in England, selbst in Amerika hatte das Volk die Schlachterei satt, welche ihre Kapitalisten ins Werk gesetzt hatten. Ohne Hoffnung auf etwas Besseres hatten sie sich geweigert, ihren Herrschern weiter auf dem blutigen Weg zum Verderben zu folgen. Fragen Sie Clemenceau. fragen Sie Lloyd George, ob sie heute imstande sind, eine Armee von der Stärke und dem Geist der unsrigen auf die Beine zu bringen. Sie können es nicht, weil die Arbeiter in ihren Ländern die schuftigen Aufgaben einzusehen beginnen, welche den Soldaten von Bourgeois-Regierungen aufgegeben werden. Machtlos, ihre eigenen Untertanen weiterhin zu konskribieren, geht die Entente und Amerika dazu über, zaristische Reaktionäre und hilflose kleine Nationen zu bestechen und zu zwingen, gegen uns Krieg zu führen Die Niederlagen, welche unsere Proletarier-Kämpfer ihren Söldner-Gegnern beigebracht haben, werden aber sicher ihre heilsame Wirkung ausüben. Bereits konferieren die Ostsee-Staaten mit unseren Abgesandten mit der Hinsicht auf Frieden.

Der Friede ist nur eine Frage der Zeit und ich wiederhole, dass diejenige Nation, welche zuerst in freundschaftliche Beziehungen zu Russland tritt, auch zuerst der Ernte eines solchen Schrittes teilhaftig wird.

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