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Leo Trotzki 19200323 Über die Arbeitsarmee

Leo Trotzki: Über die Arbeitsarmee

[Nach Russische Korrespondenz, 1. Jahrgang, Heft 11 (August 1920), S. 492-494]

I. Der Prozentsatz der Arbeiter und die Produktivität der Arbeit.

Die Idee der Bildung von Arbeitsarmeen ist von der 3. Armee aufgebracht worden, die während einer Reihe von Wochen sich in einer unbestimmten Lage befand. Da um diese Zeit unsere Lage an der Kaukasischen Front noch als fraglich erschien, konnten wir den Apparat der 3. Armee nicht auflösen und mussten den Versuch machen, sie als Ganzes zur Verwirklichung von Arbeitsaufgaben zu verwenden. Die Zeitungen haben bereits berichtet, dass die 3. Armee unter solchen Umständen für die unmittelbare Arbeit nicht mehr als 23 Proz ihres Bestandes hergeben konnte.

Zieht man hier zum Vergleich die Tscheljabinsker Kohlengruben in dem Zustande heran, in dem wir sie Mitte Februar vorfanden, so erweist es sich, dass von 3500 Arbeiter etwa 2000 zur Arbeit gehen. Fügt man dazu noch die Frauen und erwachsenen Familienmitglieder, die ebenda wohnen und für die Arbeiter sorgen, so erweist es sich, dass bedeutend weniger als 50 Proz. der erwachsenen Esser tatsächlich arbeiten.

Da sich unsere Lage an der Kaukasischen Front sehr günstig gestaltete und ein Hinüberwerfen der 3. Armee dorthin nicht mehr erforderlich war, so gingen wir bald nach unserer Ankunft im Ural an die Auflösung des Armeeapparates und die Benutzung seiner Bestandteile zu Arbeitszwecken. Das ergab einige Tausend qualifizierter Arbeiter, die in Gruppen und Kommandos auf die Fabriken und Werke abgefertigt werden. Auf dieselbe Weise werden Reparaturkolonnen geschaffen, d. h. wandernde Reparaturwerkstätten für den Transport.

Eine sehr bedeutende Rolle hat die Artillerie gespielt, die die Organisierung des Wagentransports übernahm und dabei als Grundlage ihre eigenen Transportmittel und Kräfte benutzte. In jedem Dorf begannen die Artilleristen damit, dass sie für die Bauern arbeiteten: Reparatur der landwirtschaftlichen Werkzeuge, Beschlagnahme der Pferde, Ausbesserung der Schlitten, Wagen usw. usw. Daneben entwickelten sie eine ausgedehnte Aufklärungstätigkeit: Versammlungen, Kinematograph, Theatervorstellungen usw. Diese Art des Vorgehens milderte außerordentlich die Lasten der Pferde- und Wagengestellungspflicht für die Bauern. Anderseits hat schon das ganze Verhalten unserer Kavalleristen, von denen ein großer Teil aus kommunistischen Arbeitern des Uralgebietes besteht, von Anfang an die Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zu den Bauern zur Folge gehabt.

Die Infanterie ist hauptsächlich zur Bereitstellung von Holz verwandt worden, Einige Genossen haben auf Grund der Arbeitsberichte den Schluss gezogen, dass die Produktivität der Arbeit des Rotarmisten gering sei, und einige müßige Statistiker und Philosophen sprachen aus diesem Anlass von der geringen Produktivität der „zwangsweisen" Arbeit überhaupt. Wenn die zwangsweise Arbeit – unabhängig von den sozialen Verhältnissen – unproduktiv, ist, so bricht das nicht über die Arbeitsarmee den Stab, sondern über die, allgemeine Arbeitspflicht, und damit auch über die ganze Sowjetordnung, deren Weiterentwicklung nur auf Grund der allgemeinen Arbeitspflicht denkbar ist.

Wenn man gegen die zwangsmäßige Arbeit die freie Arbeit ausspielt, so greift man damit auf die Zeit des Überganges von der Hörigkeitswirtschaft zur bourgeoisen Wirtschaft zurück. Diesen Begriff auf die Zeit des Überganges von der bourgeoisen zur kommunistischen Wirtschaft übertragen, heißt eine spießbürgerliche Begriffsstutzigkeit an den Tage legen. Die Abgespanntheit und Zweckmäßigkeit der Arbeit werden im weitgehendsten Maße durch persönliche Interessiertheit der Arbeitenden bestimmt. Die entscheidende Bedeutung für den Werktätigen hat nicht die juristische Lage, in der er die Früchte seiner Arbeit „genießt", sondern die Größe des Anteils, den er erhält.

Da der Sowjetstaat die Arbeit im eigenen Interesse der Werktätigen organisiert, so kann die Zwangsmäßigkeit der persönlichen Interessiertheit keinesfalls widersprechen, sie stimmt im Gegenteil voll und ganz mit ihr überein, vorausgesetzt natürlich, dass die Arbeitskraft vernunftgemäß und sparsam angewandt wird. Diese gewaltige Aufgabe – die richtige Durchführung und Anwendung der Arbeitspflicht – harrt noch in vollem Umfange ihrer Lösung. Wir machen in dieser Hinsicht noch eine Zeit ungeordneter Einzelversuche und recht unbeholfener Experimente durch. Alle Anzeichen aber sprechen dafür, dass wir auch in dieser Hauptfrage den richtigen Weg finden werden, und zwar durch eine immer präzisere Organisierung der Arbeitspflicht, durch ihre immer regelrechtere Durchführung und vor allem durch Vervollkommnung, Vereinfachung und Präzisierung der entsprechenden Wirtschaftsapparate.

Gegenwärtig stehen die roten Truppenteile, die als Bruttoarbeitskraft Verwendung finden, jedenfalls höher als die Arbeitstrupps, die unmittelbar durch die Arbeitsmobilmachung (beispielsweise zum Schneeschaufeln) geschaffen werden. Die Truppenteile verfügen über alle Vorzüge einer geregelten Organisation, Präzision, Ordnung und strengen Disziplin.

Wenn die Produktivität der Arbeit zur Bereitstellung von Holz, den Berichten aus der ersten Zeit zufolge, nichtsdestoweniger äußerst gering ist, so erklärt sich dies aus zahlreichen Ursachen. Eine von ihnen liegt in der Entfernung vom Standort des Truppenteils bis zum Arbeitsort. Manche Regimenter haben täglich einen Marsch von 10-15 Werst zurückgelegt, was den Arbeitstag um 3-4 Stunden verkürzte.

Die Hauptarbeit des Arbeitsarmeesowjets bestand in der Behebung aller dieser Mängel durch Heranziehung praktischer, erfahrener Leiter, Prüfung der Arbeitsmethoden an jedem Ort, Vergleichung dieser Methoden an den verschiedenen Arbeitspunkten usw. usw. Zugleich wurde auch die Berechnung der Produktivität der Arbeit wissenschaftlicher gestaltet, so dass in Zukunft die von den Arbeitssoldaten bis zum Arbeitsort zurückgelegte Entfernung und andere höchst wesentliche Umstände die für die Produktivität der Arbeit bestimmend sind, entsprechend Berücksichtigung finden werden.

Die erste Hauptbedingung für eine Steigerung der Produktivität der Arbeit, sowohl der Arbeitssoldaten als auch aller in der Sowjetwirtschaft Tätigen überhaupt, ist die Erweckung des Wetteifers. Die Organisierung des Wetteifers ist eine der wichtigsten Aufgaben des wirtschaftlichen Aufbaues, – ohne diese subjektive Antriebskraft werden weder Kohle noch Naphtha und Torf noch auch die Aufhebung der Blockade etwas helfen. Das Wetteifern einer Fabrik mit einer anderen, der Wetteifer zwischen Arbeitergruppen in einer Werkstatt, zwischen einzelnen Arbeitern, der Wetteifer zwischen den Gouvernements-Volkswirtschaftsräten, den Gewerkschaftsverbänden, den einzelnen Eisenbahnen, den einzelnen Arbeitsregimentern, den Arbeitskompanien eines Regiments, den einzelnen Arbeitssoldaten einer Kompanie, – das ist die aller notwendigste Vorbedingung für ernstliche wirtschaftliche Erfolge. Der Wetteifer muss sowohl durch geistige als auch durch materielle Maßnahmen angefacht und unterhalten werden. Mit allen Mitteln muss das Gefühl der Arbeitsehre anerzogen werden, sowohl der Körperschaft (Fabrik) als auch der Einzelperson. Solange die Sowjetrepublik hinsichtlich der Gegenstände des Eigengebrauchs noch in ihren Quellen sehr beschränkt ist, muss der energische, ehrliche, gewissenhafte Arbeiter sich besser nähren und kleiden können als der Faulenzer und Egoist. Das gilt auch von den Arbeitssoldaten. Die Truppenteile, die sich durch ihre Arbeit hervortun, müssen die Feldration erhalten, die mittelmäßigen Truppenteile – die Trainration, und die Teile endlich, die ein unzulässiges Verhalten zu ihren Arbeitspflichten zeigen, müssen durch Herabsetzung der Ration und schlechtere Versorgung mit Kleidung usw. gestraft werden.

II. Das Gebietsorgan.

Im Allgemeinen ist die dem Uralgebiet für seine gewaltigen Arbeitsaufgaben zur Verfügung stehende Militärkraft vollkommen unzureichend. Es musste daher schon von Anfang an zur Arbeitsmobilmachung gegriffen werden. Um die Durchführung dieser Arbeitsmobilmachung zu leiten, war, wie bei allen anderen Mobilmachungen, die Schaffung eines entsprechenden Organs erforderlich. Ein solches Organ wurde in Gestalt des Ausschusses für Arbeitspflicht unter leitender Teilnahme des Bezirkskommissars und des Vertreters des Volkskommissariats für Arbeit im Ural geschaffen.

Dieser Ausschuss für Arbeitspflicht wurde zu einem höchst wichtigen Arbeitsorgan des Arbeitsarmeesowjets; er entnahm Arbeiter aus der Armee, gruppierte sie in Werktrupps und verteilte diese im Einvernehmen mit den entsprechenden Wirtschaftsorganen. Er hatte auch (in rein geschäftlicher Hinsicht) die Verteilung der von den Parteiorganisationen mobilgemachten Arbeitskräfte zu besorgen.

Zu den Aufgaben des Arbeitsarmeesowjets gehörte u. a. die Versorgung der Uralfabriken mit Lebensmitteln und Fourage. Durch Verfügung des Abwehrrats wurden dem zum Bestande des Arbeitsarmeesowjets gehörenden Bevollmächtigten des Volkskommissariats für Verpflegungswesen bestimmte Vollmachten in Bezug auf die Verteilung eingeräumt, das Recht, Lebensmittel im Notfalle aus einem Gouvernement in ein anderes hinüber zuwerfen usw. Dadurch wurde die Lage sofort verbessert, wenngleich dies auch noch bei weitem keine Lösung der Verpflegungsfrage für die Uralindustrie bedeutete.

Dem Bestände des Arbeitsarmeesowjets gehört ein Vertreter des Obersten Volkswirtschaftsrats an, der gleichzeitig auch Mitglied der zeitweilig an der Spitze der Uralindustrie stehenden Ural-Sibirischen Kommission ist Nach 2-3 Wochen gemeinsamer Arbeit gelangten wir Mitglieder des Arbeitsarmeesowjets zur Überzeugung, dass wir nichts anderes vorstellen als ein Wirtschaftszentrum des Uralgebiets. Und wir erkannten einstimmig das Bestehen eines solchen Zentrums als absolut notwendig an. Entfernte Gebiete von Moskau aus, nur auf die Gouvernementsinstitutionen gestützt, zu verwalten, ist vollkommen unmöglich.

Das südliche Transwolgagebiet (die Gouv. Samara und Orenburg, das Uralgebiet, die Baschkirische und die Kirgisische Republik) benötigen ebenfalls ein vereinigendes Wirtschaftszentrum. Ein – vorläufig noch recht formloser – Keim dafür hat sich in Gestalt der wirtschaftlichen Konferenz beim Revolutionskriegsrat der ehemaligen Turkestanfront gebildet. Jetzt, nach Auflösung der letzteren, organisiert sich das südliche Transwolgagebiet in Form eines selbständigen Militärbezirks, der als Arbeitsfeld für den 2. Arbeitsarmeesowjet dienen soll. Neben einer Unterstützung des Transportwesens und besonders des Baus der Bahnlinie Alexandrow-Gai–Emba wird die Aufgabe des 2. Arbeitsarmeesowjets in einer energischen Unterstützung des Volkskommissariats für Ackerbau in Sachen der Bodenbearbeitung im Uralgebiet bestehen.

In Gestalt des Kaukasischen, des Ukrainischen und des Petrograder Arbeitsarmeesowjets sind in Wirklichkeit wirtschaftliche Gebietszentren geschaffen worden. Auch im befreiten Weißmeergebiet wird die Schaffung eines solchen Zentrums zweifellos notwendig werden. Der Zentralausschuss hat seine diesbezügliche Ansicht bereits zum Ausdruck gebracht, indem er die Schaffung von Gebietszentren als notwendig erkannte.

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