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Leo Trotzki 19210316 Bemerkungen für die ausländische Presse

Leo Trotzki: Bemerkungen für die ausländische Presse

[Nach W. I. Lenin, L. Trotzki, V. Serge, Kronstadt, Frankfurt/Main 1981, S. 67 f. Dort übersetzt aus Как вооружалась революция (Kak vooruzhalas revolutsiia, Wie die Revolution sich selbst bewaffnete) Band 3, Buch 1, S. 203/204. Interview, das Trotzki ausländischen Reportern gewährte, zuerst in der Prawda Nr. 57 veröffentlicht.]

Dass die Meuterei in Kronstadt zusammenfällt mit der bevorstehenden Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Polen und eines Handelsabkommens mit England, ist natürlich kein Zufall. Kräfte, die sehr mächtig sind – nicht so sehr in Bezug auf ihre zahlenmäßige Stärke als vielmehr bezüglich ihres politischen Einflusses – nicht nur in Frankreich und unter russischen Emigranten, sondern auch in Polen und England – sind daran interessiert, dass der Friedensvertrag und das Handelsabkommen nicht zustande kommen.

Ihnen ist zweifellos bekannt, dass in einer Reihe ausländischer Zeitungen, darunter Le Matin, schon Mitte Februar über einen Aufstand in Kronstadt berichtet wurde, d.h. zu einer Zeit, als in Kronstadt vollkommene Ruhe herrschte. Wie ist das zu erklären? Sehr einfach. Die Zentren der konterrevolutionären Verschwörungen befinden sich im Ausland. Zwischen diesen Zentren russischer Emigranten und bestimmten Gruppierungen des europäischen Imperialismus und der europäischen Presse gibt es sehr enge Beziehungen, deren Charakter natürlich nicht platonischer Art ist. Die konterrevolutionären russischen Organisationen versprechen, zu einem günstigen Zeitpunkt eine Meuterei zu inszenieren; die ungeduldige gelbe Finanzpresse schreibt darüber wie über eine schon feststehende Tatsache.

Aufgrund der Meldung in Le Matin schickte ich eine Warnung an meine Marinekollegen in Petrograd, in der ich darauf verwies, dass im vergangenen Jahr die ausländische Presse – zu unserer vollkommenen Überraschung – über einen Coup in Nischni-Nowgorod und die Bildung einer Tschernow-Spiridonowa-Regierung berichtet hatte, und dass es tatsächlich etwa einen Monat nach der Veröffentlichung der Meldung eines Aufstandsversuchs in Nischni-Nowgorod gegeben hatte.

Die imperialistische Presse druckt also nicht nur absichtlich eine große Anzahl von fiktiven Berichten über Russland, sondern sagt auch von Zeit zu Zeit mit einem gewissen Maß von Genauigkeit Umsturzversuche in bestimmten Zentren Sowjetrusslands voraus. Die journalistischen Agenten des Imperialismus „sagen nur voraus", was anderen Agenten desselben Imperialismus zur Ausführung übertragen wird.

Kronstadt wurde ausgewählt, weil es Europa und Petrograd am nächsten liegt. Da die Baltische Flotte in der gegenwärtigen internationalen Situation, vor der die Republik steht, keine aktive Rolle spielen konnte, wurde zwangsläufig Personal von ihr abgezogen. Ein großer Teil der revolutionären Matrosen, die eine Hauptrolle in der Oktoberrevolution von 1917 gespielt hatten, waren in der Zwischenzeit anderweitig eingesetzt worden. Sie wurden zum großen Teil durch zufällige Elemente ersetzt, darunter viele lettische, estnische und finnische Matrosen, die ihre Aufgabe als zeitweilige Beschäftigung betrachteten, und deren Mehrheit sich gegenüber dem revolutionären Kampf gleichgültig verhielt. Dieser Umstand erleichterte natürlich den Organisatoren der Verschwörung die Arbeit. Sie machten sich einen begrenzten Konflikt zunutze und weiteten ihn derart aus, dass für einen großen Teil der Matrosen jede Rückzugsmöglichkeit abgeschnitten wurde. Während die Garnison und die Zivilbevölkerung, die keine Möglichkeit hatten, sich in dieser Situation zurechtzufinden, passiv blieben, brachten die Aufständischen die schwere Artillerie der Festung und zweier Kriegsschiffe unter ihre Kontrolle.

Berichte über einen Coup in Petrograd und die Beschießung Petrograds durch Kronstadt sind lächerliche Erfindungen. Petrograd ist so unerreichbar für konterrevolutionäre Coups, wie für die Kronstädter Artillerie.

Die Verzögerung bei der Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes lässt sich durch die Maßnahmen erklären, die wir ergreifen mussten, um unsere Einheiten vor unnötigen Verlusten zu schützen, aber auch um die Zivilbevölkerung und die Kronstädter Garnison, die sich nicht an der Revolte beteiligt hatten, soweit wie möglich zu schonen. Unsere Verluste durch die Kronstädter Artillerie sind bis jetzt sehr gering.

Ich vergaß zu erwähnen, dass die Sozialrevolutionäre eingestandenermaßen als Organisatoren der Revolte in Erscheinung getreten sind. Aber hinter ihnen tauchten unmittelbar gewichtigere Gestalten auf: konterrevolutionäre Generale, deren Verbindungen über Finnland und Estland zu den imperialistischen Zentren führen. Zu denken, dass die Sozialrevolutionäre (oder die Menschewiki) fähig wären, in Russland eine Regierung zu bilden, bedeutet Vorstellungen über die interne und internationale Situation unseres Landes zu haben, die denen eines Mr. Pickwick entsprechen. Die historische Funktion der Sozialrevolutionäre und Menschewiki ist es, zu versuchen, die russische Konterrevolution als direkten Agenten des Weltimperialismus in den Sattel zu heben.

So lange wie Russland von bürgerlichen Ländern eingekreist ist, in denen es mächtige Cliquen gibt, die vor nichts zurückschrecken, um der Arbeiterrepublik Schläge zu versetzen, sind Ereignisse, wie die Kronstädter Revolte absolut unvermeidlich und werden sich wohl auch in der Zukunft mehr als einmal wiederholen.

Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die proletarische Revolution mit solchen Anschlägen genau wie bisher verfahren wird.

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