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Leo Trotzki 19211015 Die internationale Lage und die Rolle der Roten Armee

Leo Trotzki: Die internationale Lage und die Rolle der Roten Armee

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 1. Jahrgang Nr. 25 (19. November 1921), S. 221]

Unsere ganze Lage wird dadurch bestimmt, dass wir vier Jahre nach dem Sieg der Oktoberrevolution noch von kapitalistischen Staaten umgeben sind. Außerhalb unserer Grenzen hat sich die proletarische Revolution nicht siegreich zu entwickeln vermocht. Die Bourgeoisie konnte sich in der ganzen Welt in der kritischsten Stunde am Ende des imperialistischen Krieges während der Demobilisierung halten. In diesem Augenblick war sie wohl schwächer als jemals als führende Klasse, und stärker als jemals durch die Arbeiter bedroht, denen endlich die ganze Schurkerei des Krieges aufging. Es war die Epoche der größten revolutionären spontanen Massenbewegungen und der größten Panik unter den Herrschenden. Wir hatten daher einiges Recht, zu hoffen, dass die Bourgeoisie in diesem Kampf unterliegen würde, und dass die Armee der Arbeiter und Bauern, die von uns zur Verteidigung unserer Klasse in unserem bedrohten Lande aufgestellt wurde, ihre Aufgabe in diesem nationalen Rahmen erfüllen würde.

Die Ereignisse haben aber anders entschieden. Eine herrschende Bourgeoisie schließt uns noch immer ein. Unsere Hoffnung, dass die erste Erhebung der Massen nach dem Kriege sie niederwerfen würde, ist getäuscht worden. Die wichtigste Tatsache in der heutigen internationalen Lage ist, dass die Bourgeoisie sich gehalten hat. Und was sehen wir weiter? Die revolutionären Kräfte wachsen an. Aber es ist jetzt nicht mehr die Aufstandsbewegung, wie wir sie in den Jahren 1918-19 gekannt haben, wo es noch da und dort Gewaltausbrüche gab. In nahezu allen Ländern sehen wir jetzt die geduldige und systematische Arbeit revolutionärer Parteien, die unter Nutzanwendung der revolutionären Erfahrung, mit methodischer Vorbereitung und mit Berücksichtigung der Machtverhältnisse arbeiten. Wir können nicht mehr hoffen, dass die Offensive der Arbeiter die Bourgeoisie durch einen überraschenden Vorstoß niederwerfen und sie durch eine gewaltsame Anstrengung beseitigen wird.

Wenn auch das wirtschaftliche Leben von den Füßen der Bourgeoisie zertrampelt wird, so hat sie doch genügend kaltes Blut und die politische Beherrschung ihres Staatsapparates bewahrt, so dass von nun ab der Kampf mit ihr hartnäckig, systematisch, langwierig und undankbar sein wird. Das ist das wesentlichste Kennzeichen unserer internationalen Situation. Auf der einen Seite die Sammlung der Kräfte der Arbeiterklasse, auf der anderen Seife die der militärischen, polizeilichen und politischen Gewalt der Bourgeoisie, die schon ihre Schlachtstellungen vorbereitet und sich anschickt, im Kampf bis zum äußersten durchzuhalten.

Daraus ergeben sich verschiedene Folgerungen. Vor allem betrachtet die Bourgeoisie, die sich 1919 zu halten wusste, im Jahre 1920-21, den Bolschewismus nicht mehr als eine Lebensgefahr. Sie betrachtete die Lage nicht mehr als so bedrohlich, wie die Gefährdung durch uns im Jahre 1918-19, weshalb sie uns damals mit militärischer Intervention bekämpfte. Die Gefahr erscheint ihr nicht mehr so groß; da sie drei Jahre nach dem Kriege noch lebt, hofft sie weiter zu leben, und das ist der Grund, weshalb die Wiederaufnahme von Beziehungen mit Russland für sie psychologisch möglich geworden ist. Trotzdem ist sie bereit, einen langen Kampf zu unterhalten, um die proletarische Revolution zu zerschmettern. Wir stehen nicht allein, um ihr auf nationalem und internationalem Kampffeld entgegenzutreten, sowohl Bourgeoisie wie mittlere Bauern unterstützen uns darin zum Teil. Und außerdem haben wir uns auch aus eigener Kraft gehalten. Man darf wohl sagen, dass wir nicht schlecht manövriert haben. Die Bourgeoisie ihrerseits handelt mit Vernunft. Die Stunde ist für sie gekommen, die natürlichen Reichtümer Russlands auszunützen, den russischen Markt wiederherzustellen, die schwersten wirtschaftlichen Schädigungen zu unterbrechen und auf diese Weise die revolutionäre Bewegung zurückzudrängen. Welche Perspektive ergibt sich daraus? Die eines hartnäckigen, andauernden Kampfes der Arbeiterklasse um die Macht, der sich in Europa und in der ganzen Welt mehr und mehr verschärft. Es wird in diesem Kampfe Erfolge und Misserfolge geben. Wie lange Zeit wir brauchen? Niemand kann es vorher sagen. Aber es ist klar, dass die Rückschläge, die sich daraus für unsere internationale Lage ergeben, sehr verschiedener Art sein werden.

Der eiserne Ring wird sich manchmal um uns schließen. Neue Interventionen werden zustande kommen, neue Angriffe, neue Versuche, uns durch die Gewalt der Waffen zu besiegen. Dann wieder werden sich die Fesseln, die unser Feind um uns zu schlingen versucht, lockern, und wir werden Handelsbeziehungen abschließen. Der Ringkampf der Bourgeoisie mit der Arbeiterklasse Brust an Brust wird lang und ohne Unterbrechung währen, und die Rote Armee wird unter diesen Umständen eine der stärksten Kräfte der Arbeiterklasse der Welt sein. So sind die Zukunftsaussichten, unter denen wir in unserer Partei und unter den Arbeitermassen die Rolle der Roten Armee einschätzen müssen.

Wir wiederholen oft, dass wir aus der Periode der militärischen Kämpfe in die der wirtschaftlichen übergehen. Allgemein gesprochen stimmt das: Wir können in Zukunft dem Wirtschaftskampf Kräfte weihen, die nicht mehr an der Front gebraucht werden. Aber man darf deshalb in den Massen nicht den Gedanken groß werden lassen, dass die Aufgabe der Roten Armee erfüllt sei.

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