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Leo Trotzki 19211227 Die Rote Armee der Sowjetrepublik auf der Wacht!

Leo Trotzki: Die Rote Armee der Sowjet-Republik auf der Wacht!

Rede auf dem IX. Sowjetkongress Moskau am 27. Dezember 1921

[Nach der Broschüre, Hamburg 1922, S. 5-42]

Verminderung der Armee.

Genossen Delegierte! Vor einem Jahre, auf dem 8. Sowjetkongress, fassten wir den Beschluss, mit einer systematischen Verminderung der Roten Armee und der Roten Flotte zu beginnen. Wir setzten in großen Zügen die Richtung und das Tempo dieser Verminderung fest. Nach jenen Berechnungen mussten wir die Rote Armee so vermindern, dass sie um die Mitte dieses Jahres nicht mehr als die Hälfte des früheren Bestandes hatte. Ich berichtete schon im vorigen Jahre, dass die Rote Armee im Augenblick ihrer höchsten zahlenmäßigen Entwicklung 5.300.000 Mann zählte. Die Herabsetzung um die Hälfte bedeutete ungefähr eine Verminderung um 2.700.000 Mann. Die internationale Lage und die Notwendigkeit, die Kriegslast für die Werktätigen der Sowjetföderation zu erleichtern, zwangen uns zu einer weiteren Verminderung der Roten Armee. Gegenwärtig besteht die gesamte Rote Armee mit der Roten Flotte, den Truppenteilen für den inneren Dienst und dem allgemeinen militärischen Ausbildungsapparat aus 1.595.000 Mann. Wenn man die zahlenmäßig sehr geringe Flotte und die Teile für die örtliche und besondere Verwendung und die Etappenpunkte in Abzug bringt, wenn man die Armee im eigentlichen Sinne des Wortes nimmt, so zählen wir jetzt sogar nur 1.370.000 Mann. Mit anderen Worten: die Armee hat sich auf ein Drittel des früheren Bestandes verringert.

Diese Arbeit war nicht leicht. Viele von Ihnen, die Delegierte der Armee sind, wissen das ebenso gut wie ich. Diese Arbeit verläuft unbeachtet, es ist keine heroische Arbeit, die die Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf sich zieht, aber diese Arbeit erfordert die größte Anspannung aller Nerven des militärischen Organismus.

Wir haben uns nach Möglichkeit bemüht, die Verminderung nicht auf den aktiven Teil der Armee auszudehnen. Die Verringerung der sogen. Hinterlandtruppen ist zu 70 Proz. durchgeführt. Unsere Armee zählt gegenwärtig in den zentralen und örtlichen Behörden etwa 34 Proz. und in ihren aktiven Teilen annähernd 66 Proz. Dieses Verhältnis ist bei weitem günstiger, als es vor einem Jahre war. Die Verschiebung aus dem Hinterlande zum aktiven Teil haben wir in diesem Jahre zu 13 Proz. durchgeführt.

Was früher Kriegsgeheimnis war, die Gesamtzahl der Armee und ihre allgemeinen Formierungen, bildet seit dem Übergang in den Friedenszustand kein Kriegsgeheimnis mehr. Unsere jetzige Friedensarmee besteht, in Brigadeeinheiten umgerechnet, aus 95 Infanterie- und 49 Kavalleriebrigaden. Das sind jene allgemeinen Angaben über die zahlenmäßige Struktur unserer Armee, die hier mitzuteilen ich für möglich und notwendig halte, und ich nehme an, dass der Kongress, wenn er es für notwendig halten sollte die Struktur der Armee eingehender kennen zu lernen, dazu seine Mittel und Wege finden wird.

Die Verminderung der Armee geschah auf Kosten der älteren Jahrgänge. Wir begannen mit den Jahrgängen 1885 und älteren, die teilweise mobilisiert waren. Dann gingen wir zu den Jahrgängen 1886, 1887 und 1888 über; insgesamt demobilisierten wir im Laufe d. J. 13 volle Jahrgänge, von 1886 bis zu 1898 inbegriffen. Wir haben jetzt in unserer Armee drei Jahrgänge: 1899, 1900 und 1901. Dreizehn Jahrgänge, die teilweise mobilisierten nicht mitgerechnet, sind befreit worden. Drei Jahrgänge bleiben in der Armee, einschließlich der Spezialisten, d. h. jener Rotarmisten, die mit qualifizierter Arbeit in der Armee betraut sind.

Es handelt sich um die Frage der Entlassung des Jahrgangs 1899. Zahlenmäßig wäre die Auffüllung der Armee auch aus den beiden anderen Jahrgängen möglich, aber jene beunruhigenden Verhältnisse, von denen noch die Rede sein wird und die die größte Wachsamkeit der Roten Armee erfordern, zwangen uns, weitere Entlassungen und fristlose Beurlaubung einzustellen, um der Armee die maximale Schlagkraft zu erhalten. Dazu war die Beibehaltung des Jahrgangs 1899 als des erfahrensten und am besten geschulten geboten.

Der Demobilisationsprozess war ein Prozess der Zusammenpressung und der schwierigsten Reorganisation; er ist eine schmerzhafte Operation, die mit Blutverlust und einer unvermeidlichen zeitweiligen Schwächung des Organismus verbunden ist. Diese Operation ist gegenwärtig im Großen und Ganzen beendet. Von Ihnen hängt es ab zu bestimmen, ob die Verminderung der Armee weiter fortgesetzt werden soll oder ob die Armee in ihrem jetzigen Zustand bestehen bleiben soll. Aber wenn Sie uns fragen, so denke ich die Meinung aller hier anwesenden Armeedelegierten auszusprechen, wenn ich sage, dass die Armee jetzt nichts mehr wünscht als die Beendigung des Prozesses der Reorganisation, um die erforderliche Festigkeit und Stetigkeit zu erlangen und um an die Tagesarbeit der Vorbereitung und Schulung heranzutreten. (Beifall.)

Besserung der Existenzbedingungen der Armee.

Wenn wir auf dieses Jahr der angespannten Demobilisationsarbeit zurückblicken und uns fragen, wie die Rote Armee gelebt hat, so muss ich sagen, dass dies Jahr für sie sehr schwer war. Das Hauptmerkmal unserer Politik ist es, dass wir die Wahrheit aussprechen und sie in keiner Weise beschönigen, zumal tun wir das nicht vor so hohen gesetzgeberischen Versammlungen wie dieser, deren Stimme über die ganze Welt erschallt. Ja, unsere Armee hat im verflossenen Jahre ein schweres Leben gehabt. Ihr Leben war deshalb schwer, weil ihr Apparat, darunter auch der Verpflegungsapparat, durch die ununterbrochene Demobilisation geschwächt wurde. Der Armee ging es deshalb schlecht, weil eine materielle Demobilisation unvermeidlich die Demobilisation der geistigen Stimmungen im Lande nach sich zieht. Wir waren Zeugen dieses unvermeidlichen, wenn auch vorübergehenden Zustandes, unter dem die öffentliche Aufmerksamkeit unseres Landes aufhörte die Nöte und Bedürfnisse der Armee aufmerksam zu verfolgen, die nach Beendigung der ihr gesetzten Arbeit ihre Dauerquartiere bezog und sich unausgesetzt demobilisierte.

Auf dem Gebiete der Lebensmittel, in der Wohnungs- und Heizfrage – die letztere ist mit der Wohnungsfrage eng verknüpft –, hat unsere Armee in diesem Jahre schwere Entbehrungen leiden müssen, die umso schwerer waren, als ihre eigene Aufmerksamkeit zwischen denen, die sie nach Hause schickte und denen, die sie in ihren Reihen behielt, geteilt war. Und jetzt, nachdem wir die Armee um ein Drittel vermindert haben, ist es die grundlegende Aufgabe – und ich hoffe, dass dieser Kongress diese Tatsache im Bewusstsein eines jeden von uns festlegen wird – der Armee im vollen Umfange jene Versorgung zu sichern, ohne die sie ihre vorbereitende Arbeit nicht restlos durchführen kann. Wir müssen die Kaserne gemütlicher gestalten, man muss sie vor allem sauber, hell und warm machen. Und wir bitten, dass der Sowjetkongress beschließt, trotz der uns allen bekannten Armut, alle Maßnahmen zu treffen, um unseren jungen Rotanrmisten etwas mehr Behaglichkeit, Wärme und Licht zu verschaffen. (Beifall.) Vor allen Dingen müssen sie lernen, denn die Armee besteht heute aus den drei jüngsten Jahrgängen. Von den Prüfungen des Bürgerkrieges sind sie kaum berührt, und in ihrer Masse bedürfen sie der Schulung und der Erziehung.

Jene Tatsache, dass unsere Armee jetzt nur noch aus drei Jahrgängen besteht, bringt ungeheure Vorteile, denn sie sichert ihr die Gleichartigkeit der Stimmung, des Erlebens und die Gleichartigkeit der militärischen Schule. Aber es bedeutet auch ein Minus vom dem Gesichtspunkte der vorangegangenen militärischen Vorschule, und dies Minus muss eingeholt werden. Eingeholt kann es aber nur durch die angestrengte Arbeit des Kommando- und Kommissarpersonals unserer Armee werden.

Der Kommandobestand.

Die wirtschaftliche Tätigkeit unserer Armee hat die größten Änderungen in unserem Kommandobestand gebracht. Er hat wie früher seinen Ursprung aus verschiedenen Quellen. Es sind Arbeiter und Bauern vertreten, die während des Bürgerkrieges sich heraufgearbeitet haben und ohne jede militärische Schulung geblieben sind: ehemalige Unteroffiziere der alten Zarenarmee, alte Offiziere der Zarenarmee, ehemalige militärische Beamte, Arbeiter und Bauern, die unsere militärischen Schulen durchgemacht haben, und endlich zu einem ziemlich hohen Prozentsatz aktive Offiziere der Zarenarmee.

Ich will Ihnen das annähernde Verhältnis dieser Truppen zueinander anführen. Ohne militärische Schulung, – wir rechnen hier die Kommandeure nicht von der Abteilung, sondern von dem Zug – d. h. nach der alten Bezeichnung „Offiziere" ohne militärische Vorschule, haben wir 43,4 Proz. des gesamten Kommandobestandes. So war es im Herbst – im September und Oktober. Ein ungeheurer Prozentsatz, der bei einem qualifizierten, militärisch gebildeten Ausländer die Vorstellung einer schwachen, in militärischer Hinsicht unfähigen Armee erwecken könnte. Wir, die wir unsere Armee, ihre starken und schwachen Seiten kennen, sagen: diese 43,4 Proz. Offiziere, die keinerlei militärische Schulung durchgemacht haben, haben Mängel. Wir kennen diese Mängel ausgezeichnet, aber diese Offiziere sind der Kern, die Grundlage unseres Kommandobestandes. Sie sind die wahrhaft „roten Offiziere der Revolution", sie sind die echten Vertreter ihres Geistes, Sie stammen aus den Fabriken, sie kamen aus den Dörfern, die von Koltschak und Denikin bedroht waren. Sie brachten andere, noch weniger erfahrene, noch weniger wissende Kameraden mit. In den Schlachten haben sie Erfahrung erworben. Und sie sind jener Kommandobestand, auf den wir bauen. Wir richten für sie nachträgliche Kurse ein, wo sie die Lücken ihrer formalen militärischen Ausbildung ausfüllen; wir hoffen, dass die meisten unserer „selbstgemachten" Kommandeure im Laufe des nächsten Winters diese Kurse absolvieren.

Daneben haben wir 13 Proz., also viel zu wenig, ehemalige Unteroffiziere. Wir haben uns dies kostbare Material nicht erhalten. Wir werden uns Mühe geben, diese Elemente zusammenzubringen und unserem Kommandobestand einzuverleiben.

Rote Kommandeure, die militärische Sowjetschulen absolviert haben, haben wir etwa 10 Proz.

Insgesamt zählen diese drei demokratischen, den unteren Schichten nahestehenden Kategorien 66,3 Proz., d. h., zwei Drittel des Offiziersbestandes. Offiziere der alten Armee aus der Kriegszeit haben wir 22,1 Proz., militärische Beamte 6 Proz., Offiziere der alten regulären Armee 5,6 Proz., insgesamt 33,7 Proz.

Genossen, ich habe diese Kategorien nicht zu dem Zweck angeführt, um sie einander gegenüberzustellen. Ich sagte, dass die Rote Armee nichts hätte leisten können, wenn sie diesen kostbaren Gärungsstoff nicht gehabt hätte: diese in militärischer Hinsicht unqualifizierten, ihrer Kampftüchtigkeit nach aber hochqualifizierten Arbeiter- und Bauernoffiziere. Aber jene Armee, die jetzt vor uns steht und die bereit ist, noch heute in den Kampf zu ziehen, diese Armee schmolz in ihrem Kessel verschiedenes Menschenmaterial zusammen, auf dem Wege tragischer Prüfungen, Ebben und Fluten, sogar einzelner Verrätereien und harter Vergeltung für diese Verrätereien, auf dem Wege der Gegenüberstellung der Roten Armee mit andern Armeen und der Gegenüberstellung der Wahrheit der Roten Armee – der Lüge anderer Armeen. Wir haben den Kommandobestand den verschiedensten Quellen entnommen. Aber es existiert jetzt ein in seiner Mehrheit einheitlicher Kommandobestand. Diese 5,6 Proz. des alten Offizierskorps haben in dem allgemeinen Aufbau unserer Armee ihren Platz, und wir haben sie nötig. Sie verstehen das und wissen, dass wir sie wertschätzen. Auch sie haben vieles gelernt. Ich werde mir erlauben, hier die Äußerung eines Offiziers der alten Schule anzuführen, der unter der alten Regierung einen sehr hohen Posten einnahm. Es ist der ehemalige Kriegsminister der Regierung Kerenski, Generalmajor Werchowsky, der in seiner Broschüre „Über die Aufgaben der Militärschulen" – er bekleidet jetzt einen der verantwortungsvollsten Posten in der Organisation unserer militärischen Lehranstalten – folgendes schreibt:

Einer der ernsteren Antriebe in dem von uns durchlebten Kampfe war das Bestreben der Arbeiter und Bauern, ihr Leben und ihre Wohlfahrt zu verteidigen und auch die während der Revolution errungene Position und den Boden gegen die Anschläge der gestürzten Klassen zu schützen. Mit diesem Ziele gingen die Massen in den Kampf. Die besten fortschrittlich und idealistisch gesinnten Menschen gingen im Namen der Idee in den Kampf für den Sozialismus, für die neue Welt der befreiten Arbeit, und der Enthusiasmus dieser Menschen war jene organisierende Kraft, um die sich der Widerstand der Republik gegen die Kräfte der Gegenrevolution gruppieren konnte.

Das erzeugte jenen Siegeswillen, der die Kote Armee zusammenschweißte und ungeachtet der furchtbar schweren Entbehrungen und Niederlagen den Kampf bis zu einem großen historischen Siege führte."

Vielleicht hätten das viele von uns anders und mit anderen Worten gesagt, aber man kann es mit Bestimmtheit sagen, dass Werchowsky damit eine Ansicht klar ausspricht, der sich nahezu der ganze alte Offiziersbestand unserer Armee, der sich in der Armee aufgelöst hat und ihren notwendigen Bestandteil bildet, anschließt.

Wenn wir den Kommandobestand seiner sozialen Abstammung nach prüfen, so ergibt sich im Allgemeinen dasselbe Bild. In unserem Roten Offizierskorps beachten Sie das, Genossen Bauerndelegierte und erzählen Sie es den Dörfern – haben wir jetzt 67,3 Proz. Bauern, (Beifall.) 12 Proz. Arbeiter. In unserem Kommandobestand gibt es insgesamt 80 Proz. Arbeiter und Bauern.

Ich möchte hier noch eine Frage berühren, die auch für den .Sowjetkongress von wesentlicher Bedeutung ist, denn sie betrifft die Rolle, die jene Partei in unserem Kommandostabe einnimmt, die bei uns die führende politische Stellung hat. Nach ungenauen Berichten hatten wir vor der letzten Partei„säuberung", die die Partei bis aufs äußerste komprimiert hat, etwa 20 Proz. Kommunisten in unserem Kommandostabe. Jetzt sind es weniger als 20 Proz. Was die Zahl der Kommunisten in der ganzen Armee und nicht nur im Kornmandostabe betrifft, so beträgt sie jetzt weniger als 10 Proz. Diese Zahlen haben eine sehr große Bedeutung. Was besagen sie? Die Kommunistische Partei, der die Arbeiter und Bauern die Führung in unserem Lande anvertrauen, repräsentiert die historische, politische Erfahrung der arbeitenden Massen. Aber die Zahlen zeigen uns gleichzeitig, dass die Partei durchaus nicht die gesamte militärische, technische, wirtschaftliche und kommerzielle Erfahrung der arbeitenden Massen bedeutet. Die Partei bewahrt die politische Führung durch das Vertrauen der Werktätigen. Aber wo es sich um das Kommandieren handelt, da gehen die kommunistischen Befehlshaber gemeinsam mit den parteilosen vor. Die Partei hat von den arbeitenden Massen das revolutionäre Monopol für die Führung unseres Staates unter den schwierigsten Verhältnissen erhalten, aber die Partei kann und will nicht das Monopol der militärischen, technischen, wissenschaftlichen und jeder anderen Führung für sich beanspruchen. Diese Frage ist für uns umso wichtiger, und ich werfe sie hier offen auf – als die Partei, die doch ein freiwilliger Bund Gleichgesinnter ist, im Laufe der letzten Monate eine recht beträchtliche Zahl von Personen aus dem Kommandostabe aus ihren Reihen entfernt hat. Ich spreche nicht von denen, die wegen Handlungen ausgeschlossen wurden, die mit der bürgerlichen Ehre nicht zu vereinbaren sind. Über sie schlagen wir ein Kreuz. Aber nicht wenige wurden auch deshalb entfernt, weil unsere Partei der Ansicht wurde, dass sie nach ihrer Psychologie, Erziehung und ihren Denkgewohnheiten sich nicht für das Leben in unserem Parteikollektiv eignen. Die Partei sagte ihnen: Ihr seid zweifellos ehrliche, revolutionäre Kämpfer, aber Ihr könnt nicht das Recht für Euch beanspruchen, unser Parteiprogramm und unsere Taktik zu beeinflussen, denn die Vergangenheit hat Euch nicht dazu erzogen. Und die Zahl dieser Befehlshaber, denen die Partei sagte, dass sie sie nicht in ihrer Mitte behalten könne, denen sie aber nicht das Recht auf Achtung und auf die Einnahme verantwortungsvoller Posten absprach, die Zahl dieser Offiziere ist nicht gering. Und wir müssen ihnen sagen, dass der Ausschluss aus der Partei sie natürlich ihrer Parteirechte bis zu dem Augenblick enthebt, bis sie durch geistige Umstellung, durch Selbsterziehung, durch Annäherung an die arbeitenden Massen und durch Prüfung und Arbeit an sich selbst – falls sie es für notwendig halten sollten – erreichen werden, dass die Partei ihnen wieder ihre Tore öffnet. Aber diejenigen, an deren Benehmen die Partei und die Sowjetmacht nichts mit der Würde eines revolutionären Kriegers unvereinbares festgestellt haben, können, ebenso wie die parteilosen Offiziere, der erforderlichen Befehlshaberautorität, der Unterstützung der Sowjetorgane und nicht zuletzt der Unterstützung der ganzen Kommunistischen Partei gewiss sein.

Die militärischen Lehranstalten.

Die Erneuerung des Kommandostabes erfordert zahlreiche militärische Lehranstalten. Dieser Frage haben wir die größte Aufmerksamkeit zugewandt. Aber gerade diese Arbeit erfordert ebenso wie die Arbeit des Offiziersbestandes selbst, vor allen Dingen ein Minimum der materiellen Wohlfahrt, das die Möglichkeit gibt, die Kräfte auf dem schweren und verantwortungsvollen Gebiet der Schulung und des Studiums der militärischen Wissenschaft voll einzusetzen. Genossen! Ich habe gesagt, dass wir die materielle Lage der Armee bessern müssen, und wir müssen auch an die Besserung der schweren Notlage unserer Offiziere, Kommissare und wirtschaftlichen Verwaltungsbeamten denken. Die militärischen Delegierten wissen das sehr gut. Wenn man fragen wird, warum ich vom Kommandobestand besonders spreche – der junge Rotarmist könnte diese Frage stellen und er hat das Recht dazu, und die uns feindliche ausländische Presse versucht diese Frage auszunützen –, so antworte ich: unsere Armee ist die demokratischste Armee der Welt; der beste Beweis dafür sind die von der Masse selbst gestellten 43,4 Proz. des Kommandobestandes, der Teil des Kommandobestandes, der aus den untersten Schichten hervorgegangen ist. Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen der Lage eines Rotarmisten und der eines rotarmistischen Kommandeurs: der eine ist vorübergehend in der Armee, und wir müssen danach trachten, eine bestimmte Dienstzeit einzuführen, sobald wir den zahlenmäßigen Bestand und das jährliche Kontingent genauer festgestellt haben, der andere aber ist ein Berufsmensch, ein Fachmann, und wir wollen, dass er sein ganzes Leben, oder wenigstens den besten Teil seines Lebens, in der Armee verbringt. Wir haben also in dem einen Falle eine vorübergehende Dienstpflicht, im anderen einen ständigen Beruf, der die Möglichkeit bieten muss, zu arbeiten und die Familie zu erhalten. Daher ist die Frage nach der elementarsten und bescheidensten Sicherstellung der Angehörigen des Kommandobestandes eine der wichtigsten Fragen, ebenso wie die Frage nach der materiellen Sicherstellung der militärischen Lehranstalten, die eine ständige Quelle der Befruchtung und Vergeistigung unserer jungen Armee sein müssen.

Unsere militärischen Lehranstalten bestehen aus drei Abteilungen. Die Normalschule der ersten Stufe, aus der nach der Absolvierung eines dreijährigen Studiums ein vorbereiteter Infanteriekommandeur hervorgehen muss.

Wir wollen es erreichen – und wir hoffen auch in nächster Zeit dazu zu kommen dass jeder rote Kommandeur seine Befehlshabertätigkeit nach Beendigung der Lehranstalt nicht mit dem Zug, sondern mit der Abteilung beginnt. Auf diese Weise beabsichtigen wir jene alte Chargeneinteilung allmählich aus der Welt zu schaffen, die den Befehl über die Abteilung dem Unteroffizier überlässt, dessen Karriere auf diesem Punkte auch stehen bleibt, während der Offizier seine Laufbahn mit dem Kommando über den Zug beginnt. Der ganze Charakter, die ganze Natur unserer Armee widersprechen dieser künstlichen Scheidung. Bei uns beginnt der „Marschall der Revolution" als Rotarmist, in unserer Armee gibt es keinerlei undurchdringliche Scheidewände. Die ganze Frage ist nur eine Frage der genügenden Entwicklung des Netzes der militärischen Lehranstalten. Im kommenden März werden unsere Schulen wieder neue Arbeiter und Bauernschichten, neue Gruppen junger Kursanten aufnehmen. Wir bitten und wir bestehen darauf – und ich denke das ganze Land stellt diese Forderung –, dass die lokalen Behörden und alle Organisationen der Arbeitenden dafür Sorge tragen, dass unseren militärischen Lehranstalten die Blüte der Arbeiter und Bauernjugend zugeführt wird.

Die zweite Stufe der militärischen Ausbildung besteht aus einem engen Kreise von Lehranstalten, die Kommandeure höherer Formationen ausbildet. Die dritte Stufe sind unsere Kriegsakademien. In diesem Jahre entließ unsere Kriegsakademie, die ehemalige Akademie des Generalstabes, die erste Gruppe, die ersten hundert Generalstabsoffiziere. Das ist eine große Errungenschaft der Roten Armee, denn die Schaffung dieses Generalstabes bedeutet eine Krönung unseres ganzen militärischen Aufbaues. Aber selbstverständlich haben wir bei weitem noch nicht alles erreicht. Die erste Gruppe besteht aus Leuten, die ehrlich gefochten und ehrlich gelernt haben, aber es haften ihnen noch viele Mängel und Lücken an, die in der praktischen Arbeit ausgefüllt werden müssen, und wir zweifeln nicht, dass es ihnen gelingen wird, sich zu vervollkommnen, sich zu allseitig ausgebildeten, qualifizierten, militärischen Führern zu entwickeln.

Eine der Aufgaben der Erziehung des Kommandobestandes – nicht der Ausbildung, sondern Erziehung – besteht in der Aneignung der Psychologie und des Bewusstseins, Söhne der führenden, herrschenden und regierenden Klasse zu sein. Das ist keine leichte Aufgabe. Ihre Söhne, Genossen Bauern und Genossen Arbeiter, bringen in die militärische Lehranstalt nicht jenen Geist mit, der den Söhnen des Adels und der Bourgeoisie eigen war, die, aus ihren ausbeuterischen Familienverhältnissen kommend, die feste Überzeugung in die Schule mitbrachten, dass sie herrschen, leiten, kommandieren, befehlen und siegen müssen. Dieser Geist stammte damals aus der Ausbeutung und Knechtschaft, aber die auf diesem Boden wachsende Gesinnung half ihnen dazu, die Armee zu beherrschen. Unsere Armee gründet sich auf revolutionäre Eigentätigkeit der arbeitenden Massen. Und der Kommandobestand unserer Armee, die mit dem hartnäckigen Feinde gekämpft hat und noch weiter kämpfen wird, unsere jungen Befehlshaber müssen die feste, leider harte Überzeugung aufbringen, müssen diese Überzeugung in Fleisch und Blut umwandeln, dass die Arbeiterklasse in unserem Lande unerschütterlich die Macht in ihren Händen hält, dass sie sich diese Armee geschaffen hat, um auf Tod und Leben zu kämpfen, dass kein anderer diese Macht in seine Hände nehme wird, und dass jede Kraft, die die unantastbare Macht der Arbeitenden in diesem Lande angreift, vernichtet und weggefegt werden wird.

Und mit dieser Frage ist ein psychologisches Moment verknüpft – die übermäßige Güte, ich möchte fast sagen, zuweilen einfältige Güte des arbeitenden Menschen. Der Offizier der regierenden Klasse wusste, dass man einen Kampf mit dem Feinde unbedingt zu Ende führen muss. Halte den Feind niemals für schwach! Ein schwacher Feind plus deine Fehler kann im Resultat ein sehr starker Feind werden. Wende dem großen und dem kleinen Feinde deine ganze Aufmerksamkeit zu, lass keine Kleinigkeit außer acht! Und hat der Kampf einmal begonnen, so führe ihn auch zu Ende! Ein teilweiser Erfolg – und das ist eben die schwache Seite unseres niedrigen Kommandobestandes – ein teilweiser Erfolg darf niemals unsere Aufmerksamkeit einschläfern und unser Vorgehen hindern. Woher haben wir diesen Fehler? Es ist die Gutmütigkeit des arbeitenden Menschen, des Proletariers und Bauern. Wir aber müssen einen Arbeiter- und Bauernkommandobestand erziehen, der, ich wiederhole es, von der Überzeugung durchdrungen ist, dass der Kampf – wenn der Feind einmal den Handschuh hingeworfen hat – dann auch bis zu Ende geführt werden muss. Wenn ein Teilerfolg zu verzeichnen ist, strenge die Kräfte doppelt an, der Erfolg wird ein doppelter sein, stoße dreimal so stark zu, führe ihn bis zu Ende, bis zum vollen Siege, bis zur vollen Vernichtung des Feindes!

Das Land lernt die Armee näher kennen.

Die Ausbildung und Erziehung unserer Armee nimmt jetzt durch den Übergang in dauernde Quartiere, durch den Umstand, dass wir zum ersten Male die Möglichkeit haben, die Rote Armee und das Land einander gegenüberzustellen, einen für uns ungewohnten Charakter an. Genossen Delegierte! Sie haben häufig unsere Armee begrüßt, in Gouvernements, bei den jährlichen Konferenzen, nach ihren Siegen und Prüfungen, auch nach ihren Niederlagen, denn Ihr Kontakt mit der Armee blieb immer bestehen. Aber wenn wir fragen – kennt Ihr Eure Armee, so müssen wir antworten: nein, Ihr kennt sie nicht. Ihr kennt Eure Rote Armee so gut wie gar nicht! Warum? Darum, weil Sie nur den kostbarsten Bestandteil unserer Armee – unsere Kavallerie kennen, sie hat Ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Aber Sie kennen die Infanterie fast gar nicht. Unsere gesamte Armee ist nicht in Friedenszeiten entstanden, in denen die Regimenter bestimmte Quartiere einnehmen, ihre Nummern und Bezeichnungen haben. Unsere Armee wuchs in den Schlachten, das Kriegsgeheimnis machte sie unkenntlich. Sie lasen in Kriegsberichten davon, dass dieses oder jenes Regiment, diese oder jene Division irgendeinen Erfolg oder Misserfolg gehabt hätte. Jetzt kehrt die Armee zeitweilig „nach Hause" zurück. Sie gliedert sich den örtlichen Sowjets, den Arbeiterorganisationen, Gouvernements und Städten an. Aus dem bisherigen Inkognito tritt unsere Armee plötzlich ins hellste Licht. Sie wird wie auf einem Präsentierteller vor dem Lande stehen. Wir werden unsere Divisionen, Brigaden und Regimenter kennen lernen. Sie werden sie kennen und sie beobachten, und wenn für die Kavallerie jene Tatsache eine stete Anregung bildet, dass das Land sie kennt und ihre Bewegung verfolgt, so wird auch jener Umstand, dass die örtlichen Sowjets und die Sowjetrepublik mit den einquartierten Truppenteilen in nähere Berührung treten werden, deren Energie anregen. Heute kann unsere Rote Armee in ihrer Gesamtheit und jede ihrer Divisionen und Regimenter ihre kurze, aber ruhmreiche Geschichte offen schildern. Wir haben nicht nur eine Armee, wir haben schon die Traditionen einer revolutionären Armee. Diese Traditionen müssen wir niederschreiben, festigen und dem Bewusstsein der jungen Rotarmisten einprägen. Jener Kontakt zwischen den Divisionen und den örtlichen Sowjets, dessen Beispiel die Moskauer und Petrograder Sowjets gegeben haben und das jetzt immer mehr im ganzen Sowjetland befolgt wird, ist eine im höchsten Grade wichtige Erscheinung. Jedes Regiment muss seinen Chef haben, aber nicht einen persönlichen, sondern einen Kollektivchef, den örtlichen Sowjet oder andere Organe der Sowjetmacht, zu dem es in engster geistiger und materieller Beziehung steht.

Die Technik.

Die Frage über die Technik unserer Armee ist die schwierigste Frage. Auf ihr bauten und bauen auch jetzt noch unsere Feinde den größten Teil ihrer Hoffnungen. Sie wissen, dass es bei uns unübersehbare Strecken und unbegrenzte zahlenmäßige Stärke gibt, dass wir aber technisch schwach sind. Und das ist richtig. Die Technik der Armee spiegelt im Großen und Ganzen die Produktionstechnik des Landes wider. Aber immerhin kann die Technik der Armee die der Produktion in gewissen Grenzen übersteigen und wenn sie es kann, so muss sie es auch. Wir beobachten jetzt nur die ersten Symptome der Wiederbelebung unserer Wirtschaft. Wir zweifeln nicht daran, dass diese Symptome sich schon in den nächsten Monaten in zweifellose Tatsachen der Entwicklung unserer Volkswirtschaft verwandeln werden.Wir müssen gleichzeitig damit alle unsere Kräfte darauf richten, unsere Kriegstechnik aufzubauen, um die Armee mit den notwendigen Kriegswerkzeugen auszurüsten. Vor allem bezieht sich das auf die Aviatik. Wir müssen eine starke Luftflotte haben. Sie werden befehlen, dass die wirtschaftlichen Organe ihr Plus und Minus auf dem Gebiete der Aviatik feststellen, dass das Kriegskommissariat die besten, qualifizierten Elemente zusammenbringt, damit die Armee eine Luftflotte erhält, die den Aufgaben und Bedürfnissen der bevorstehenden Prüfungen gewachsen ist.

Wirtschaftliche Arbeit der Armee, Wachtdienst.

Die wirtschaftliche Tätigkeit unserer Armee hat die größten Änderungen erfahren. Im vorigen Jahre nahm die selbständige wirtschaftliche Arbeit der Armee einen großen Platz ein. Jetzt kann davon nicht die Rede sein. Die sogenannten Arbeitstruppen sind von der Roten Armee abgetrennt, dem Volkskommissariat für Arbeit übergeben und werden jetzt aufgelöst. Die Armee hat sich vermindert, und ihre Arbeit muss vor allen Dingen auf die Arbeit der Vorbereitung der Verteidigung der Grenzen und der Unabhängigkeit des Landes gerichtet sein. Die wirtschaftliche Verwendung der Armee, abgesehen von dem Kampfe gegen elementare Gewalten, wie Einschneiungen, Hochwasser usw., beschränkt sich notwendigerweise auf die Selbstversorgung. Aber auch auf diesem Gebiet der Selbstversorgung ist die Anwendung der Arbeitskräfte der Rotarmisten nur in jenen Grenzen zulässig, die die Aufgaben der Ausbildung und Erziehung nicht hindern. Es sind zwei Gebiete, auf denen die Armee wichtige, aber durchaus nicht gleichwertige wirtschaftliche Funktionen ausübt: Das eine ist das Gebiet der Erziehung der Armee im Geiste einer wirtschaftlichen, gewissenhaften und ehrlichen Behandlung des Volkseigentums überhaupt und jenes im Besonderen, das der Roten Armee anvertraut wird – genauer Haushalt, peinliche Pflege, Reinhaltung, Reparatur und wieder Pflege – das ist die wirtschaftliche Tätigkeit der Roten Armee. Die zweite und wichtigste Rolle der Roten Armee besteht darin, mit dem Bajonett in der Hand die wirtschaftliche Arbeit der russischen Arbeiter und Bauern gegen alle Angriffe von außen her zu verteidigen.

In Friedenszeiten besteht der wichtigste Teil des Armeedienstes im Wachtdienst. Ich möchte einige Worte darüber sagen. Bei uns wird die Rolle eines Postens, der Behörden, Lager, das Eigentum der Republik bewacht, bei weitem nicht überall und nicht immer richtig aufgefasst; das ist das Ergebnis der noch ungereiften Verhältnisse.

Wenn Sie aber, Genossen, eine Armee haben wollen, die ihre hohe Bestimmung schon in der friedlichen Periode voll erfasst, so fangen Sie mit dem Posten, dem Wächter an. Wenn ein junger Bauer von 19 Jahren auf dem Posten steht, so ist er eine unantastbare Person, er ist der Ausdruck des höchsten Volkswillens unseres Staates, und daher ist es notwendig, ihn mit einer Atmosphäre von Achtung und Unterstützung zu umgeben, damit er sich in den schweren Stunden des Wachtdienstes nicht als „Gemeiner" Iwanow fühlt, sondern als die Verkörperung des Willens des Arbeiterstaates, dem er mit dem Gewehr in der Hand Achtung verschafft.

Die Rote Flotte.

Genossen, ich möchte vieles von dem, was ich gesagt habe, auch für unsere Rote Flotte gelten lassen. Aber sie hat auch ihr besonderes Schicksal, und ich möchte darüber einige Worte sagen. Das Schicksal der Roten Flotte ist höchst tragisch. Wir hatten es in diesen Jahren nur mit dem unendlichen Ozean unseres Festlandes zu tun und auf diesem trockenen Ozean manövrierten wir. Wir gingen vor und zogen uns zurück, wir bauten die Rote Armee. Es fehlte uns der wahre Ozean, man hatte uns vom Wasser abgeschnitten. Unsere Flotte war eingeschlossen in den engsten Grenzen. Denken Sie daran, wie unsere Flotte in die Oktoberrevolution eintrat, wie viel mutige, entschlossene Kämpfer die Seeleute uns geliefert haben, wie viel Kommandeure zu Land, wie viel rote Soldaten uns unsere Flotte gegeben hat. Und wie viele von ihnen sind an den Fronten unseres Bürgerkrieges gefallen! Allen Teilen des Landes lieferte die Flotte ausgezeichnete Arbeiter der Sowjetmacht. Die Flotte wurde schwach, als man sie vom Wasser abschnitt, als man sie in enge Grenzen einpferchte, und als die Arme der Gegenrevolution nach diesem komplizierten Kriegswerkzeug griffen. Die russischen Weißgardisten und der ausländische Imperialismus haben unserer Flotte schwere, grausame Wunden geschlagen. Nicht selten taucht in der Seele unserer besten Seeleute ein bitteres Gefühl darüber auf, dass die Flotte zeitweilig wie vergessen war; man spricht von der Roten Armee, aber viel zu wenig, viel zu selten spricht man von der Roten Flotte, viel zu selten denkt man an sie. Wir wollen uns hier nicht mit Prophezeiungen befassen. Wir wissen nicht, wie die Weltrevolution verlaufen, welche Richtung sie einschlagen wird, in welche Ozeane ihre Ströme fließen werden. Aber wir wissen, dass wir das menschliche und technische Material unserer Flotte für die Verteidigung unserer Küsten erhalten müssen. Eine Wiedergeburt der Flotte innerhalb dieser Verteidigungsgrenzen ist eine schwierige Aufgabe. Sie kann und muss gelöst werden auf der Grundlage des Wiederauflebens der gesamten Wirtschaft des Landes. Ich wiederhole hier, was ich über die Technik der Roten Armee gesagt habe. Die Sowjetmacht muss alle Kräfte aufbieten, um den menschlichen Kern der Roten Flotte zu erhalten und zu festigen und sie mittels der Technik zum Schutze der Küsten der Sowjetföderation genügend zu bewaffnen. Innerhalb dieser Grenzen – das bezweifelt niemand – wird die Flotte ihre verantwortungsvolle Aufgabe erfüllen.

Die Allgemeine Militärische Ausbildung.

Wir besitzen ein wichtiges Organ der Armee, das Organ der Allgemeinen Militärischen Ausbildung. Wir erwarteten einen schnelleren Übergang zu dem Milizsystem. Das ist nicht geschehen. Dank der allgemeinen Weltlage hat sich dieser Übergang verzögert. Die Verminderung der Armee hat die Allgemeine Militärische Ausbildung schwer getroffen. Aber, Genossen, der Allgemeinen Militärischen Ausbildung ist eine im Prinzip ungeheure Aufgabe anvertraut worden, eine Aufgabe, die sich stetig fortentwickeln wird. Es ist die militärische Ausbildung der jungen, noch nicht wehrpflichtigen Generationen. Es ist ein Anbahnen der Wege für den Übergang zum Milizsystem. Es ist die Entwicklung des Sports im Lande, unter Berücksichtigung des Kriegshandwerks und der Arbeit. Und wir möchten den Genossen aus der Allgemeinen Militärischen Ausbildung sagen: „Jetzt, unter den schwierigen Verhältnissen, habt Ihr schwere Tage durchzumachen, aber lasst das Land nur etwas freier atmen, wartet ab, bis sich der materielle Wohlstand etwas gehoben hat, und die Allgemeine Militärische Ausbildung wird eine ungeheure militärische, erzieherische Arbeit im Lande entfalten können."

Banditentum und neue ökonomische Politik.

Ich muss einen bedeutenden Teil meines Berichts der Verwendung der Roten Armee zu Zwecken der Aufrechterhaltung der revolutionären Ordnung oder des Kampfes gegen das gegenrevolutionäre Banditentum widmen. Ich gehe damit zu jenem Teil meiner Rede über, der das innere politische und ökonomische Leben des Landes behandeln. Die erste Jahreshälfte des Rechnungsjahres war eine Zeit der unerhörten Verbreitung des Banditentums. Am Anfang des Jahres hatten wir Tambow und Kronstadt, die Banditenbewegungen in Sibirien, im Kaukasus, in Transkaukasien und in der Ukraine folgten. Die zweite Jahreshälfte brachte eine radikale, grundlegende Änderung dieser Lage. Jetzt gibt es natürlich noch hier und da Banditenbanden, aber es sind eben nur Banden. Das Banditentum, als breite soziale Erscheinung, als bewaffnete Kräfte des Spekulantentums und zum Teil des mittleren Standes, gehört der Vergangenheit an. Das beobachten wir in allen Teilen des Landes. Es ist also etwas mehr als ein Verdienst der militärischen Behörde. Es ist eine sozialpolitische Wendung, die mit der Wendung unserer wirtschaftlichen Politik eng verknüpft ist. Wenn wir jetzt die Frage der ökonomischen Politik erörtern würden, wenn man mir vom Gesichtspunkte meines Berichtes die Frage stellen würde: Bedeutet unsere neue wirtschaftliche Politik ein Plus oder Minus, einen Schritt vor oder rückwärts, eine Bewegung zum Kommunismus oder den Rückzug? – wenn man mich fragen würde: Was war unsere frühere ökonomische Politik – Fehler oder Notwendigkeit? – auf diesem Gebiet ließe sich eine große Anzahl sehr verzwickter Fragen stellen – so würde ich antworten: Zu Beginn dieses Jahres hatten wir Kronstadt und Tambow, jetzt haben wir sie nicht, und wir sind überzeugt, dass es diese Erscheinungen nicht mehr geben wird. Bedeutet die ökonomische Politik einen Schritt vorwärts oder einen Schritt rückwärts? Die nicht nur militärische, sondern auch politische Liquidation des Banditentums ist der grellste, deutlichste, unmittelbarste, militärisch bekräftigte Beweis dafür, dass unsere militärische Politik einen riesigen Schritt nach vorwärts getan hat. Es ist wahr, dass man sagen könnte, dass unsere neue ökonomische Politik vom Gesichtspunkte der Idee eines planmäßigen sozialistischen Aufbaues auf jedem Quadratzoll unseres Territoriums, ein Schritt nach rückwärts genannt werden könne. Aber ich wiederhole, im Vergleich mit Kronstadt und Tambow ist es ein ungeheurer Schritt vorwärts. War nun die alte Politik ein Fehler, und in welchem Grade? Diese Frage hat bis jetzt eine rein theoretische Bedeutung, die zu beantworten dem Historiker vorbehalten bleibt. Aber, dass die Sowjetmacht ihre Politik richtig und rechtzeitig geändert hat, in dem Augenblick, als es die Umstände klar und bestimmt verlangten, dass sie damit eine neue, bessere Atmosphäre in der Roten Armee geschaffen hat, das ist Tatsache, und auf diese Tatsache bauen wir jetzt.

Die Geschichte unseres Banditentums ist die Geschichte der agrarisch-bürgerlichen Gegenrevolution. Das Banditentum ist ihr Ausdruck und auch ihre Waffe. Die Geschichte des Banditentums ist die Geschichte des Rückzugs der Gegenrevolution aus dem Moskauer Herzen zu den Randgebieten. Aber auf diesem Rückzug bildete das Banditentum lange Zeit eine umfangreiche Bewegung der Dorf-Bourgeoisie und zum Teil des städtischen Kleinbürgertums. Das gilt besonders von der Ukraine. Die Petljurabewegung in der Ukraine setzte ursprünglich als eine nationaldemokratische Bewegung ein. Später zersplitterte sie in einzelne bewaffnete Abteilungen und verwandelte sich schließlich in Banden, die sogar von den Spitzen der ukrainischen Dorfbevölkerung nicht mehr unterstützt wurden und jetzt ihre Basis im Auslande, hauptsächlich in Polen und Rumänien suchen müssen.

Banditenbanden und ausländisches Kapital.

Nehmen wir ein, mit Verlaub zu sagen, „klassisches" Beispiel für das Banditentum – die Machnobewegung in der Ukraine. Erst gestern bekam ich ein sehr interessantes Dokument. Ich muss sagen, dass wir dank der Zersetzung unter den Emigranten aller Schattierungen eine ungeheure Menge von Dokumenten zugeschickt bekommen, die von allen diesen russischen Ministerien, ukrainischen Ministerien usw. ausgehen, die in den Straßen von Paris, Prag, Wien, Berlin usw. usw., wohnen, miteinander im Verkehr stehen und ihre Pläne, „staatliche Erwägungen" usw. austauschen. Die Behörde, die sich damit zu befassen hat, ist verpflichtet, alle diese Schriftstücke in recht großer Anzahl von Exemplaren zu vervielfältigen, was bei der Ihnen bekannten Papiernot unter der wir zu leiden haben, außerordentlich schwierig ist. Nun stammt eins dieser Dokumente vom … – ich hoffe, mich nicht zu irren – vom „Ressort für Auswärtige Angelegenheiten" Petljuras. Glauben Sie nicht, dass ich mich geirrt habe, diese Institution heißt wirklich wörtlich: „Ressort für Auswärtige Angelegenheiten". Ich kann seine Adresse nicht genau angeben. Wer sich dafür interessiert, kann die Adresse von der erwähnten Behörde erfahren. Dieses Ressort benachrichtigt alle Gesandten Petljuras in allen Zentren Europas, dass Machno und seine Bande in Rumänien eingetroffen sei. Wie es sich in einem streng konstitutionellen Staat gehört, in dem die Freiheiten der Bürger und Emigranten so hochgehalten werden wie in dem klassischen Staate der Freiheit und Konstitution – Rumänien, fand Machno dort die freundschaftlichste Aufnahme. In diesem Bericht finden sich sogar Einzelheiten darüber, auf welche Weise sechs Vollblutpferde, die natürlich aus der Ukraine weggeschafft sind, verkauft wurden, um Machno eine auskömmliche Existenz in Bukarest zu ermöglichen. Nun erscheint er in jenem selben „Ressort für Auswärtige Angelegenheiten" der Regierung Petljuras, wo er einem Interview über die Lage in der Ukraine unterzogen wird. Es versteht sich, dass er zunächst eine übertriebene Würde zur Schau trägt, aber dann sagt der Bericht buchstäblich folgendes: „Nach systematischem Befragen erscheint die Lage Machnos folgenderweise: Nachdem die Organisation Machnos nach der Niederlage Wrangels ihren Einfluss in der Ukraine eingebüßt hatte, ging sie auf die Suche nach Verbündeten. Zu diesem Zweck warf sie bedeutende Truppenteile über den Don, überzeugte sich davon, dass sich auch im Dongebiet keine in Betracht kommenden antibolschewistischen Kräfte und keinerlei Hilfe für den Kampf gegen die Bolschewisten auftreiben ließen. Darauf rückte sie nach Osten vor, um mit Antonow in Kontakt zu treten, aber auch dort stellte sich das Gleiche heraus wie am Don und in der Ukraine. Nun zog sie nach Kursk, wo sie sich ebenfalls überzeugte, dass die antibolschewistischen Kräfte unbedeutend und geschlagen sind." Ich muss bemerken, dass der Bericht einige Zeilen vorher äußert, dass die ganze Bedeutung Machnos darin bestand, dass er den Kampf Wrangels gegen die Sowjetmacht für sich ausnützte und nur dadurch eine gewisse Rolle spielen konnte.

Darauf – heißt es in dem Bericht weiter – machten die Machnobanden den Versuch, nach Polen hinüber zu kommen, aber da sie fürchteten, dass die Roten ihnen den Weg abschneiden würden, wandten sie sich nach Rumänien, wo sie sich jedenfalls in Sicherheit fühlten; und darin irrten sie sich nicht, denn den russischen gegenrevolutionären Banden gegenüber sind Polen und Rumänien nur zwei verschiedene Zimmer ein und desselben Hotels.

Wir haben, Genossen, einen anderen Bericht über die Tätigkeit jener Banden, die sich von Zeit zu Zeit in unser Gebiet herüber schlagen. Es handelt sich um das „Schwarzmeer-Komitee zur Errettung Russlands". (Auch auf dem Schwarzen Meer rettet man Russland.) An der Spitze dieses Komitees stehen Sozialrevolutionäre. Enthüllungen von zweifellos politischer Bedeutung haben gezeigt, dass die sogenannte Bauernwehr des Schwarzen Meeres von dem erwähnten Komitee geleitet, von armenischen und russischen Industriellen finanziert wird, hinter denen zwei Gruppen stehen: Die eine (wir können sie genau bezeichnen) ist eine englische, die andere eine italienische: englische Naphthaindustrielle und italienische Manganindustrielle. Wie Sie sehen, sind es Leute, die am Schicksal der kaukasischen und transkaukasischen Demokratien außerordentlich „interessiert" sind! Die italienischen Mangankapitalisten und die englischen Liebhaber für das kaukasische Naphtha besitzen ihre eigene militärische Agentur in einem von Sozialrevolutionären geschaffenen Rettungskomitee. Die Wirksamkeit der Sozialrevolutionäre drückt sich in der Organisation von Räuberbanden aus, die, ausgerüstet mit dem Geld der italienischen und amerikanischen Industriellen, die russische Bevölkerung terrorisieren und die russischen Eisenbahnen zerstören.

Die Ritter der II. Internationale.

So sieht die Realität aus. Und im Lichte dieser Realität erinnere ich mich, dass die englischen Sozialisten aus der II. Internationale von der Art des Herrn Henderson und einiger anderer windschiefen Demokraten jetzt zwar in ihrer Presse von der Notwendigkeit einer offiziellen Anerkennung der Sowjetmacht schreiben (welche schwindelnde historische Höhen haben doch diese Leute erreicht!), aber gleichzeitig stellen sie ihre Bedingungen: die Sowjetmacht muss ihre Truppen aus Georgien entfernen, sie muss das Selbstbestimmungsrecht des georgischen Volkes respektieren, dann würde die Achtung seitens der Demokratie der ganzen Welt ihr sicher sein. Ausgezeichnet, meine Herren Sozialisten der II. Internationale, gestatten Sie aber die Frage: „Nun gut, wir werden die Roten Truppen entfernen, die sich übrigens mit den Arbeitern und Bauern Georgiens außerordentlich gut vertragen; nehmen wir an, die georgischen Arbeiter und Bauern würden uns sagen, dass sie einverstanden sind mit dem Wegzug der Roten Truppen, – würden Sie dann, meine verehrte Demokratie, uns Garantien dafür bieten, dass die englischen Naphtha- und italienischen Manganindustriellen in Tiflis und Baku nicht die Macht des Komitees der Errettung des Naphtha errichten werden?" Das ist die Frage! Sie fordern Kleinigkeiten.Sie fordern die Entwaffnung Transkaukasiens. indessen besagt eben jener Bericht, den ich Ihnen zitiert habe, dass in Prag (eine der Zentralen, wo die „russische" Politik gemacht wird), in den Emigrantenkreisen jene Tatsache außerordentlich hoch bewertet wird, dass das erwähnte Komitee endlich mit dem georgischen aufständischen Komitee einen Vertrag geschlossen hat. Das Komitee zur Rettung Russlands am Schwarzen Meer. d. h., die Sozialrevolutionäre Agentur der englischen Naphtha- und italienischen Mangankapitalisten trifft ein Abkommen mit der georgischen menschewistischen Agentur. Wenn wir so naiv wären, um an die lächerlichen Argumente dieser Pseudodemokratie zu glauben und unsereTruppen, falls es die georgischen Arbeiter fordern sollten, zurückziehen würden, so würden in Batum sehr bald Elemente in sozialrevolutionärer und menschewistischer Verkleidung erscheinen (die Engländer kennen die Seewege sehr gut), ebenso wie die Japaner seinerzeit in Wladiwostok auftauchten. Und diese Elemente, die auch offen als Monarchisten auftreten könnten, würden den Ausländern den Weg weiter nach Osten, nach Baku bahnen.

Wir können der II. Internationale sagen: wenn Sie die Macht der demokratischen Prinzipien prüfen wollen, so wenden Sie ihre Blicke von Transkaukasien ab und betrachten Sie den Fernen Osten. Dort haben wir auch eine Republik, und zwar eine durchaus demokratische, in der die Regierung auf der Grundlage des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts gewählt wurde. Die englische Regierung hat dieser Tage eine überaus wichtige Vereinbarung mit Japan getroffen, und Japan hat erst vor drei Tagen durch seine militärischen Agenten unser Chabarowsk an sich gerissen. Chabarowsk ist gefallen. In einer demokratischen Republik wurde eine Stadt durch den Angriff monarchistischer Banden genommen, die mit dem Gelde des ausländischen Imperialismus gegen eine Demokratie ausgerüstet waren. Aber, Genossen, bevor ich darüber ausführlicher spreche, möchte ich ein näher liegendes Kapitel berühren!

Polen und Banditentum.

Ich erwähnte schon, dass das Banditentum, durch die Wendung der inneren, auf die Herbeiführung eines normalen Verhältnisses zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft sich richtenden Politik sich in die Randgebiete zurückziehen musste. Es folgte auch bald der Augenblick, wo es nach dem Ausland flüchten musste. Ich habe gelegentlich schon darauf hingewiesen, dass das Banditentum sich hauptsächlich in zwei Länder, die Ihnen allen gut bekannt sind, zurückgezogen hat. Und wenn man mich mit der Absicht, mich zu überrumpeln, fragen würde, warum wir unsere Armee nicht vermindern können, so würde ich, Genossen, auf das hier angeführte Schema hinweisen (Schema Nr. 1). Dieses Schema könnte man in verschiedener Weise benennen: Man könnte es „Die Russisch-Polnischen oder Sowjet-Polnischen Beziehungen" nennen, oder – „Der Rigaer Vertrag in Aktion", oder – „Triumph des internationalen Rechts", man könnte dieses Schema auch als eine „Verteidigung der Westlichen Zivilisation gegen das Sowjet-Barbarentum" bezeichnen. Dieser rote Strich auf der Karte ist unsere Grenze mit Polen, die von dem Rigaer Vertrag festgesetzt wurde. Diese rote Punktierlinie ist die Grenze, die uns von dem uns abgenommenen Bessarabien trennt. Der Rigaer Vertrag wurde am 18. März 1921 unterzeichnet, und dies Schema ist seine Geschichte. Die Pfeile auf dem Schema sind von verschiedener Farbe, aber sie haben den gleichen Sinn. Sie bezeichnen jene Banden, die von Polen her unsere Grenzen überschritten. Diese Pfeile haben eine verschiedene Farbe, weil sie verschiedenen Perioden angehören, und nicht deshalb, weil sie von verschiedener Qualität sind. Sie sind von ein und derselben Qualität und tragen ein und dieselbe Fabrikmarke: Zweite Abteilung des Polnischen Generalstabs. Einige von ihnen sind kleiner, die anderen größer. Aber das hing nicht vom guten oder bösen Willen des Polnischen Generalstabs ab, sondern lediglich von seiner Kraft. Er tat, was er konnte, um möglichst viele Banden auf unser Gebiet hinüberzuwerfen und um uns möglichst viel Schaden zu tun.

Dort ist die Grenze mit Polen nach dem Rigaer Vertrag vom 18. März eingezeichnet. Sie sehen, Genossen, wie sie allenthalben durch diese Pfeile durchbrochen ist. Das ist kein Scherz, kein Feuilletonmaterial, – es sind systematisch organisierte Banden, die unser wirtschaftliches Leben, unsern Aufbau jeden Monat, jede Woche stören. Einige dieser Pfeile sind länger, giftigen Schlangen ähnlich, andere kürzer. Sie alle richten sich gegen den Körper des russischen Volkes, gegen die russischen Arbeiter und Bauern. Alle diese Erscheinungen sind die Folge des Rigaer Vertrages. Wenn man den Bericht unserer Verhandlungen mit Polen nach dem Rigaer Vertrag aufschlägt, – ich spreche schon gar nicht von unseren Versuchen vor dem Kriege und vor dem Rigaer Vertrag, friedliche Beziehungen mit Polen aufzunehmen, – so wird kein vernünftig denkender Mensch daran glauben können. Man wird sagen: Es ist unmöglich, dass die russischen Arbeiter und Bauern, wenn auch geschwächt und erschöpft, eine solche unglaubliche Hartnäckigkeit, diese erstaunliche Festigkeit bewiesen haben, in dem Bestreben, den Frieden zu erhalten und einen blutigen Krieg zu vermeiden. Denken Sie an alle jene Proteste Tschitscherins und Rakowskis anlässlich des Sawinkowschen und Bulakowschen Banditentums. Erinnern Sie sich an die letzte Episode, Ende September, als es wirklich schien, dass die polnischen Spitzen um jeden Preis mit uns kämpfen wollten. Der Rat der Volkskommissare schickte mich damals an unsere westlichen Grenzen, um mich über die Ereignisse und unsere Truppen zu orientieren. Auch der Hauptkommandierende fuhr mit – es war im September, und am 6. Oktober erhielten wir die frohe Nachricht vom Genossen Karachan, unserem Gesandten in Polen: Die neue Vereinbarung mit Dombsky ist unterzeichnet, es wird keine Banden mehr geben, alle aktiven Gegenrevolutionäre werden aus Polen ausgewiesen. Das war am 6. Oktober. Und am 25.-26. desselben Oktobers schickte man aus demselben Polen diese längsten Pfeile gegen uns– die größten Banden.

Ich spreche vor dem Sowjetkongress, die Reden werden stenographiert und ich muss mir bei der Wahl der Ausdrücke einige Beschränkung auferlegen. …Und das ist schwer, sehr schwer. …

Nun, Genossen, was bedeutet das? Können wir unter solchen Verhältnissen leben, bei denen wir fortwährend Angriffen und – man könnte sagen: Nadelstichen ausgesetzt sind. Aber auch Nadelstiche sind nicht so harmlos, wie sie aussehen. Die Mediziner werden Ihnen sagen, dass es genügt, einen Teil der Haut zu zerstechen oder zu zerschneiden, um den ganzen Organismus zum Tode zu verurteilen. Ist es etwas anderes, als ein Versuch, uns unter dem Anschein friedlicher Beziehungen andauernd zu quälen, die Haut Sowjet-Russlands langsam zu zerstören, um uns auf diese Weise der Vernichtung entgegen zu treiben? Ich frage: Kann man unter solchen Verhältnissen leben? Nein! Und deshalb brauchen wir eine Rote Armee. Und deshalb müssen wir sie aufbauen und festigen.

(Zwischenrufe der Delegierten: Es lebe die Rote Armee! Langanhaltender Beifall.)

Rumänien und Banditentum.

Jetzt muss nur noch einiges gesagt werden über das zweite „Zimmer" desselben „Hotels" – über Rumänien, mit dem wir eine provisorische, zeitweilige Grenze haben. Wir haben den Versuch gemacht, eine feste Grenze festzustellen und dauernde Beziehungen anzuknüpfen, aber es ist uns nicht gelungen, denn Rumänien sprengte faktisch die Unterhandlungen, weil es sich für den Fall eines Angriffs gegen uns seitens eines anderen Staates zu keiner Neutralität verpflichten wollte. Durch diese Punktierlinie hindurch schicken die Rumänen ihre Banden genau ebenso, wie es die Polen durch die rote Linie zu tun pflegen, und zwar tun sie es zu ein und derselben Zeit.

Die letzten Banden von Tjutjunikow in der Ukraine sind liquidiert worden – sie sind niedergemacht, zum Teil über die Grenze vertrieben worden. Vom inneren politischen Gesichtspunkte aus ist es eine außerordentlich wichtige Tatsache, dass die letzten Banden Tjutjunikows absolut keine Sympathie im Lande gefunden haben und sozusagen in einem leeren Raum umhergeirrt sind. Und eben deshalb wurden sie in kurzer Frist liquidiert und zum größten Teil aufgerieben. Wer dahintersteht, das wissen wir: Es ist nicht nur Polen und Rumänien. Wir wissen, dass die „Zweite Abteilung des Generalstabs" in Polen und die Stäbe in Bendera und Bukarest nur Zwischeninstanzen für den französischen Imperialismus sind. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Und jene telegraphischen Nachrichten über bevorstehende Verhandlungen, auf die wir lange gewartet haben und die wir mit der größten Bereitschaft aufnehmen werden, diese Nachrichten über die Wiedereinführung des Friedens mit Einschluss Sowjet-Russlands werden für uns in jenem Augenblick durchaus konkrete und inhaltsreiche Formen annehmen, in dem Frankreich aufhören wird, die unsere Ruhe, unsere Arbeit und unsere Grenzen gefährdenden Banden zu unterhalten.

Der Ferne Osten.

Mit der Frage nach dem Fernen Osten, wo wir, ich wiederhole es, Chabarowsk verloren haben, mit dieser Frage, Genossen, berühre ich eine Frage von besonders großer aktueller Bedeutung. Natürlich haben wir zeitweilig sehr viele Städte verloren, die viel wichtiger und viel bedeutender waren und näher zu Moskau lagen als Chabarowsk, und die wir doch wieder zurückerobert haben, – aber hier hat der Kampf einen sehr lehrreichen Charakter, nicht nur für uns, sondern auch für die ganze Arbeiterklasse der Welt. Herr Briand hat oft genug, zuletzt in Washington, davon gesprochen, dass er mit großer Ungeduld die Zeit erwarte, in der in Russland eine Regierung geschaffen wird, die den nationalen Willen zum Ausdruck bringt. Der nationale Wille bedeutet in seiner konventionellen Sprache, die wir eine Sprache des Betrugs der arbeitenden Massen nennen, – eine Regierung, die mittels eines Drucks von oben und der Sklavenherrschaft des Kapitals unter der Fiktion eines allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts künstlich fabriziert wird. Wie steht es nun mit der Fernöstlichen Republik? Was für Menschen leben dort? Russische Bauern und russische Arbeiter. Warum ist sie eine Fernöstliche und nicht eine Russische Republik? Warum existiert sie getrennt und nicht gemeinsam mit uns? Warum gibt es dort keine Sowjets? Wer ist dort an der Macht? Die Kommunisten. Auf welchen Grundlagen? Auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts der Demokratie. Warum? Weil der fernöstliche Bauer und Arbeiter den japanischen, amerikanischen und französischen Imperialisten gesagt haben: „Ihr wollt eine Demokratie – da habt Ihr die Demokratie; wir wählen sie auf Grund des allgemeinen Wahlrechts. Ihr habt versprochen, dass Ihr Russland nicht anrühren werdet, wenn es eine demokratische Republik sein wird, – also da habt Ihr die Fernöstliche Republik als einen Flügel dieser Sowjetföderation." Hat diese Fernöstliche Republik nun eine unabhängige Stellung? Wird sie von Banditen verschiedenster Art nicht in Stücke gerissen? Ist dort nicht im Mai d. J. zum soundsovielten Male unter der Leitung der japanischen Agenten ein militärischer Umsturz inszeniert worden? Welch erschütternder Beweis ihres durch und durch verlogenen Demokratismus! Wir haben bisher den Aufruf der Volksversammlung der Fernöstlichen Republik zu wenig verbreitet. Ich kann ihn hier leider nicht ganz vorlesen, aber hören Sie, Genossen Arbeiter und Bauern, hören Sie die Stimme, die uns aus dem Fernen Osten zuruft: „Schon das vierte Jahr vergewaltigt das japanische Bajonett den Willen des russischen Volkes. Japan brachte seine Truppen nach Wladiwostok. Jetzt im vierten Jahre der Intervention beherrscht Japan faktisch das ganze Küstengebiet des Stillen Ozeans. Auf russischem Gebiet wurden japanische Befestigungen, Schützengräben und Drahtverhaue errichtet. In russischen Flüssen liegen japanische Minenfelder. Die Mündung unseres Hauptflusses – des Amur – ist nicht allein für unsere Handelsschiffe gesperrt, sondern in eine Basis der feindlichen militärischen Kräfte verwandelt, von der aus Angriffe gegen uns unternommen werden und von der aus Japan seine Annexion erweitern wird.

Nachdem Japan die Mündung des Amur besetzt hat, annektierte es ebenso gewaltsam die russische Insel Sachalin. Die Japaner wirtschaften dort wie auf eigenem Gebiet, verkaufen unsere Wälder und beuten unsere Fisch- und Bodenschätze aus. Auf der Insel Sachalin und im Gebiet der Mündung des Amurflusses kann kein Russe ohne Erlaubnis der japanischen Behörden sieh aufhalten."

Am Schluss dieses Aufrufs sagt unser Ferner Osten das folgende: „Das Volk des Russischen Fernen Ostens hat wiederholt seine Proteststimme gegen die von Japan geübten Gewaltakte erhoben. Bisher hat niemand auf unseren Protest geantwortet." Natürlich ist hier die Rede von den kapitalistischen Staaten, von den „großen Demokratien", von jenen, die sich in Washington versammelten, und wo man, ohne uns zu fragen, über das Schicksal des Stillen Ozeans entscheidet. Betrachten Sie die Karte. Der Stille Ozean ist ein ungeheures Wassergebiet, das von den Kriegsschiffen der Vereinigten Staaten, Japans und Englands beherrscht wird: und nun haben diese Staaten gemeinsam mit Frankreich eine Vereinbarung über den Stillen Ozean getroffen. Aber dieser Stille Ozean wird von zwei Küsten begrenzt – der amerikanischen und der asiatischen. Und auf dieser asiatischen Küste zieht sich das Eigentum russischer Bauern und Arbeiter viele hundert Werst weit hin. Und m Washington entscheidet man diese Frage ohne uns. Und nicht allein das. Denn nach Abschluss der Vereinbarung der vier imperialistischen Staaten fahren die Banden, die ihren Stützpunkt in Wladiwostok haben, fort, gegen Norden, nach Chabarowsk, vorzudringen, sie nehmen Chabarowsk, einen wichtigen Punkt des Amurflusses, ein und versuchen weiter nach Westen zu dringen. Wer bewaffnet sie? Japan. Die drei übrigen lassen dies zu, also sind sie mit daran beteiligt. Bis zu uns dringt die Stimme des Protestes des Fernen Ostens, der Ruf um Hilfe. Und natürlich kann der Allrussische Sowjetkongress die Stimme der fernen Brüder nicht unbeachtet lassen, die jetzt, in den Stunden, in denen wir mit Ihnen diese Frage erörtern, 8000 Werst von uns entfernt, den östlichen Flügel der Sowjetföderation mit ihrem Leibe verteidigen. Denn es besteht kein Zweifel darüber, dass die Fernöstliche Republik nur eine Verteidigungskonstruktion ist, die der staatliche Instinkt dem russischen Arbeitsmenschen des Fernen Ostens eingegeben hat, um auf diese Weise den Andrang des östlichen Imperialismus aufzuhalten. Wir haben jetzt die klare Tatsache vor uns. Die Anklage des gefallenen Chabarowsks schleudern wir der ganzen europäischen Pseudodemokratie ins Gesicht. Wir schleudern sie der II. Internationale ins Gesicht und sagen: Das ist Euer demokratischer Schild, – diese demokratische Schutzwehr vermag niemand zu schützen. Vielleicht befehlen Sie uns, unsere Truppen aus der Fernöstlichen Republik zu entfernen? Aber das Unglück ist, dass es zu wenig Truppen dort gibt. Wir sagen, dass, wenn der Angriff von Osten Eure demokratische Schutzwehr noch nicht über den Haufen geworfen hat, so zweifeln wir nicht daran, dass dies einen Monat früher oder später das rote Bajonett tun wird. Genossen, wir haben öfters nachgegeben, und werden es wohl noch häufig in unserem Leben tun müssen. Wir haben Geduld und Ausdauer. Und daher rufen wir über die 8000 Werst hinweg: „Wenn wir Euch nicht so schnell und entscheidend helfen können, wie wir wollen, so könnt Ihr unserer Hilfe doch sicher sein. Wir bitten die fernöstlichen Arbeiter und Bauern, nicht zu vergessen, dass weder das Schicksal Chabarowsks noch dasjenige von Wladiwostok durch diese vier ein für allemal entschieden werden kann. Außer diesen vier gibt es noch einen fünften und das ist die Sowjetrepublik und ihre Rote Armee.

Banden in Karelien.

Unsere letzte Erfahrung auf dem Gebiete der Demokratie und des internationalen Rechts sehen Sie in dieses bescheidenere Schema eingetragen, auf dem die Karelische Arbeitskommune westlich von jener Grenze eingetragen ist, die wir Finnland gutwillig überlassen haben im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Interessen. Rechts von diesem Strich liegt die Karelische Arbeitskommune. Dieser Landstrich ist zweimal größer als Belgien und hat eine verstreut lebende Bevölkerung von 150.000 Menschen. In dieser Karelischen Arbeitskommune herrschen Sowjets der werktätigen Karelier. Hier, jenseits des Strichs, herrscht unter dem Mantel des allgemeinen Wahlrechts das ausländische Kapital durch Vermittlung seiner Agenten, der finnländischen Bourgeoisie. Während der Friedensverhandlung mit Finnland teilte unsere Diplomatie zu Informationszwecken mit, dass Karelien die Autonomie erhält, ebenso wie alle anderen Landesteile unserer viele Millionen zählenden Föderation, die eine solche Autonomie wünschen. Aber die finnländische herrschende Klasse ist mit der Klassenrichtung der Karelischen Autonomie unzufrieden. Sie zieht ihre eigene Form der staatlichen Selbstbestimmung vor. Das wussten wir auch, als wir den Vertrag mit ihnen unterschrieben. Wir wussten, dass es ein Vertrag ist zwischen dem zu einem Staate organisierten Proletariat und zwischen einer staatlich organisierten Bourgeoisie, die ihr Proletariat massakriert und viele Tausende von Arbeitern aufgerieben hat. Wir haben es gewusst und den Vertrag unterschrieben, obwohl wir schon im Voraus wussten, dass unsere Autonomie sich ebenso sehr von der finnländischen unterscheiden wird, wie der Proletarier und der arbeitende Bauer sich von dem ausbeutenden Bürger unterscheidet. Und darin besteht eben der Friedensvertrag mit Finnland. Wir haben keinen Grund, uns darüber zu wundern.

Aber im Herbst dieses Jahres, als im Wolgagebiet das furchtbare Hungergespenst auftauchte, und als der Feind annahm, die letzte Stunde der Sowjetmacht sei gekommen, – damals begann an dieser Grenze die Vorbereitung zum Angriff gegen uns. Man plante den Angriff zunächst auf den 28. August, dann wurde er auf den September verschoben, endlich auf den Oktober. Und nun, Genossen, diese Pfeile bezeichnen die weißfinnischen Banden, die aus Finnland kommend, in Karelien einbrachen. Ihre zahlenmäßige Stärke ist hier genau angegeben, ebenso auch ihre Richtung. Diese Banden überschritten die Grenze am 24./25. Oktober. Fast am selben Tage mit den Banden Tjutjuniks-Balys, nach ein und demselben Plan.

Das Ergebnis unserer Demobilisation war, dass überhaupt alle Truppen aus Karelien zurückgezogen waren. Die einzige Brigade, die dort stand, wurde entfernt. Warum? Wir hatten keinerlei Veranlassung daran zu zweifeln, dass in diesem Gebiet zur Aufrechterhaltung der Ordnung nicht nur eine Brigade, sondern sogar ein Regiment überflüssig war. Allerdings verrechneten wir uns in Bezug auf unseren nordwestlichen Nachbarn.Wir haben uns geirrt und sind natürlich dafür verantwortlich. Nicht, dass wir an die Fiktion des internationalen Rechts geglaubt hätten, das taten wir natürlich nicht, aber immerhin verließen wir uns, bei allem unserem Misstrauen den bürgerlichen Fiktionen gegenüber, diesmal allzu sehr auf den Buchstaben des Vertrages. Daran tragen wir zweifellos die Schuld. Wir entfernten die Brigade von dort und ließen nur schwache Grenztruppen zurück, die zwar für den Kampf gegen die Schmuggler genügten, aber keineswegs für militärische Operationen. Und nun begann am 24., 25. und 26. Oktober die Verschiebung der finnländischen Banden. Das Gebiet ist ungeheuer groß, die Wege sind schlecht passierbar. Bis wir die notwendigen Truppenmassen nach Karelien schafften, verging geraume Zeit, während der sich die Banden in den Grenzgebieten festsetzten. Das ganze bürgerliche Europa berichtete darüber, dass unsere nördlichen Eisenbahnen zerstört, dass wir von Murmansk abgeschnitten seien usw. usw. Das war natürlich alles erfunden! Die Banden sind niemals bis zu den Eisenbahnen gekommen. Sie stehen Dutzende von Werst von ihnen entfernt. Und das eben ist das Lehrreichste daran und gibt eine klare Vorstellung von ihnen: sie fürchten sich überhaupt, gegen Osten vorzurücken. Das sind nicht örtliche Banden, wie die finnländische Presse verbreitet, und nach ihr die ausländische Presse, wenn von dem „Aufstande" in Karelien die Rede ist. In Karelien gibt es keinen Aufstand. Es sind finnische, weißkarelische Emigrierte und weißfinnische Banden, unter der Leitung von finnländischen Offizieren, insbesondere der Zweiten Finnischen Division. Diese Banden begannen ihre Operationen nach erfolgter Vereinbarung mit Petljura und Sawinkow, durch Vermittlung des Viktor Sawinkow, der nach Finnland gereist war, um diese Aktion zu organisieren.

Dabei wendet sich die finnländische Regierung – ist es nicht erstaunlich? – an den Völkerbund mit einer Beschwerde, d. h. mit dem Hinweis darauf, dass in der Sowjetrepublik das Karelische Volk eine Sowjetautonomie besäße. Der Völkerbund solle diese Frage der Selbstbestimmung der Karelier entscheiden. Wie die finnischen Politiker sich das denken, weiß ich nicht. Die Frage der Selbstbestimmung des werktätigen karelischen Volkes anders lösen, als sie jetzt gelöst ist, kann nur militärische Gewalt. Das versuchen eben die weißen Banden. Die Kraft ist ein Argument. Diesem Kraftargument stellen wir ebenfalls die Kraft entgegen. Und was wird der Völkerbund dabei tun? Dem Völkerbund gehören auch Japan und Frankreich an. Mit dem japanischen Mitglied des Völkerbundes unterhalten wir uns augenblicklich irgendwo im Gebiet von Chabarowsk, und die Unterhaltung unserer Rotarmisten und Partisanen-Abteilungen wird nicht in der diplomatischen Sprache des Völkerbundes geführt. Ist eine militärische Intervention des Völkerbundes in Karelien zu erwarten? Wenn dem so ist, so bedeutet das, dass Finnland mit einem dritten Staat eine Vereinbarung abschließt zum Zweck eines militärischen Angriffs auf unsere Gebiete. Denn die diplomatische Intervention ist nur eine Wegbereitung für eine militärische Intervention. Ob Finnland das erstrebt, ist uns nicht klar. Wir wissen nicht, in welchem Maße die finnländische Regierung sich Rechenschaft ablegt über die Ereignisse unter dem Einfluss unserer weißgardistischen Emigranten, der rechtsstehenden Elemente des finnländischen Chauvinismus und insbesondere des ausländischen Imperialismus. Es hat den Anschein, als wenn die finnländische Regierung sich einfach treiben lässt. Zunächst versuchte sie, Widerstand zu leisten, dann ließ sie die Ereignisse ihren Gang gehen und endete jetzt bei einer offenen Unterstützung der weißgardistischen Banden. Wir erhalten Berichte, dass an diesem oder jenem Orte Finnlands eine Abteilung formiert wird, und nach ein bis zwei Wochen registrieren wir diese selbe Abteilung in Karelien. Die finnländische Regierung versorgt diese Abteilung mit der erforderlichen Ausrüstung. Unser Oberster Befehlshaber befindet sich jetzt in Sowjetkarelien, um die Lage zu prüfen und den Operationen die notwendige Richtung zu geben. Heute Morgen berichtet er mir folgendes, – und ich halte es für möglich, diesen Bericht zu veröffentlichen:

Die Einschätzung der Stimmung in einzelnen Bezirken ergibt, dass von allen 46 Bezirken 26 zweifellos und aktiv auf unserer Seite sind. In passiver oder unbestimmter Stimmung befinden sich 14 Bezirke und es gibt 11 Bezirke, in denen den Weißen mit einer gewissen Sympathie begegnet wird.

Ich bitte, sich daran zu erinnern, dass die Strecken ungeheuer, die Wege schwer passierbar sind, und dass es daher viele Bezirke gibt, deren Stimmung noch nicht festgestellt werden konnte.

Indessen ist die Zahl 11 zweifellos übertrieben. … Fälle von Banditentum konnten nach erhaltenen Berichten nur in sieben Bezirken beobachtet werden.

Als bester Beweis für die loyale Einstellung der Bevölkerung zu der Sowjetmacht erscheint jene Tatsache, dass Vernichtung und Störungen unserer sich über ungeheure Gebiete erstreckenden und von niemand bewachten Telegraphenlinien nur im Grenzgebiet und auch da nur ein einziges Mal zu beobachten waren.

Die Führer der Banditenabteilungen bestehen entweder aus finnischen Elementen, Offizieren der finnischen Armee, oder aus jenen heimischen Elementen, die in der gegenrevolutionären Armee Millers gedient haben. In vielen Abteilungen wird in finnländischer Sprache kommandiert. Aus der Zweiten Finnischen Division sind Offiziere in Karelien eingetroffen.

In den aufgefangenen Berichten (unterschrieben mit dem finnischen Familiennamen Ekkel) finden sich systematische Angaben über die Anzahl der Gehöfte in den Dörfern, was für den auswärtigen Charakter der Banden spricht."

Im weiteren Bericht des obersten Befehlshabers findet sich die genaue Aufzählung von neuen kleinen Banden, die in den letzten Tagen aus dem Ausland aufgetaucht sind, und auch der Hinweis darauf, dass diese Banden während des Kampfes Raketen verwenden, um die Verbindung untereinander und mit ihren jenseits der Grenze sich aufhaltenden Stäben herzustellen.

Die Angaben unseres ausländischen Nachrichtendienstes über die Formierung dieser oder jener Abteilung in Finnland werden immer durch ihr Auftauchen auf unserem Gebiete bestätigt.

Bei den Banden ist finnische Seeuniform festgestellt worden, desgleichen Patronen der finnischen Fabrik Richimjaki.

Die Banden zeigen eine offenkundige Ängstlichkeit, sich von ihrer ausländischen Basis zu weit zu entfernen. Alle ausländischen Berichte über die Murmaneisenbahn, ihre Zerstörung usw. sind Phantasieerzeugnisse. Die Linie ist in Ordnung.

Eine Vergrößerung der Banden durch die Einheimischen wird nicht beobachtet. Überall, wo wir mit dem Gegner in Berührung traten, konstatierten wir eine Verminderung und nicht eine Auffüllung der Banden. Der Zuwachs an Kräften kommt aus dem Auslande."

Gleichzeitig gebärden sich Finnland und seine Aktivisten, d. h. die radikalen Chauvinisten in ihrer chauvinistischen Presse immer zügelloser. So liest man jetzt täglich in den leitenden finnischen Zeitungen, dass Sowjetrussland eine unerträgliche Nachbarschaft sei. Die Phraseologie von der Schutzwehr gegen das Sowjet-Barbarentum ist nicht nur den Pariser Boulevardhelden, sondern auch den Journalisten in Helsingfors bekannt. Sie schreiben also, dass Russland für sie eine unerträgliche Nachbarschaft sei! Was befehlen Sie uns zu tun, meine Herren aus Helsingfors? Wir können unser Land nicht an einen anderen Ort versetzen. Wir leben so, wie wir leben, und wir bleiben dort, wo wir sind. Ihnen gefällt nicht die Selbstbestimmung Kareliens, Ihnen gefällt auch nicht die Selbstbestimmung Petrograds, eine Größe, die bedeutender ist als Karelien und ganz in der Nähe der finnischen Grenze? Sie würden ein bürgerliches Petrograd vorziehen, ebenso wie wir – wir verheimlichen es Ihnen nicht, denn es ist kein Geheimnis – ein proletarisches Finnland vorziehen würden? Und davon sprechen wir offen in unseren Zeitungen. Aber es ist etwas anderes, in der Zeitung seine Wünsche aussprechen, als diese Banditenpfeile über die Grenzen schicken. Solche Pfeile schicken wir nicht nach Finnland. Wir halten ehrlich den Vertrag, trotzdem er uns keineswegs sympathisch ist, denn das erfordern die Interessen unseres Staates.

Die finnische Armee zählt 35.000 Mann. Die finnische Bevölkerung zählt – ich weiß nicht, ob die durch die finnische Bourgeoisie erschlagenen Arbeiter in Abrechnung gebracht sind – 3.300.000 Menschen. Die Offiziere der finnländischen Armee rühmten sich offen (davon spricht die finnische Presse), dass Mannerheim – Sie kennen ihn – bald gegen Petrograd vorgehen wird. Der Tanz um Petrograd geschah schon oft, und die Finnländer waren dabei nicht unbeteiligt. Sehr viele von uns sahen aus nächster Nähe, wie die finnländischen Mannerheims in den Tagen Judenitschs und Kronstadts mit den meuternden Truppenteilen der Festung und der Flotte in Kontakt zu treten versuchten. Den Hexentanz um Petrograd haben wir oft genug gesehen und wir haben davon genug. Wir wollen eine derartige Durchführung des Rigaer Vertrages nicht mehr dulden, ebenso wenig können wir diese schmachvollen Drohungen gegen Petrograd ertragen.

Genossen, auf dieser Sowjetkonferenz, zu der sich die Delegierten der Arbeiter und Bauern versammelt haben, brauche ich nicht davon zu reden, dass wir aufrichtig und ehrlich den Frieden erstreben. Aber der Friede fordert die Säuberung Kareliens von den Banden, und wir geben Finnland den ernsthaften Rat, weder Hände noch Ellenbogen über diesen Strich hinaus vorzustrecken, denn wir beabsichtigen in den nächsten Tagen uns diese Gegend anzusehen. In vollem Bewusstsein der Verantwortung raten wir den finnländischen Feldherren, sich mit der Abmessung des Weges von Helsingfors bis Petrograd nicht allzu sehr zu beeilen. Denn wenn es ans Messen geht – wir wollen es nicht –, so wird es sich zeigen, dass der Weg von Petrograd nach Helsingfors kürzer ist, als der von. Helsingfors nach Petrograd.

Wir wollen den Frieden.

Nach dem gesagten brauche ich der Sowjetkonferenz nicht zu beweisen, dass wir eine starke Rote Armee eben deshalb brauchen, weil wir den Frieden wollen!

Sie sind aus verschiedenen Gegenden hierher gekommen, einige Vertreter auch aus dem hungernden Wolgagebiet, und unsere hungernden und sterbenden Wolgabauern und deren Kinder, die in den Armen ihrer Eltern sterben, denken nicht an die Eroberung fremder Gebiete. Das ist ohne weiteres klar. Und es gehört der Stumpfsinn der ausländischen imperialistischen Zeitungsschreiber und parlamentarischen Schwätzer dazu, um anzunehmen, dass wir bei unserem furchtbaren wirtschaftlichen Zerfall, mit den entsetzlich klaffenden Wunden an unserem Leibe, militärisch aggressive Pläne schmieden, dass wir uns anschicken, andere anzugreifen und zu knechten. Das ist Verleumdung und Lüge!

Ja, wir erhalten noch eine Armee von über 1.300.000 Mann. Das stimmt. Und unsere internationale Lage und die imperialistische Einkreisung? Und die Ausdehnung unseres Landes? Unsere Armee, mit der französischen verglichen, ist an den Bevölkerungszahlen gemessen noch nicht halb so groß, an den Territorien aber gemessen, beträgt sie nur den achtzehnten Teil der französischen. Und wir müssen doch unsere Gebiete verteidigen, jenen Boden, auf dem wir stehen! Und die Gefahr der Weltlage? Wo liegt die Gefahr für Frankreich? Davon hat Briand in Washington gesprochen. Die gefahrvolle Lage Frankreichs besteht darin, dass bei einer Erlahmung seines Armes diejenigen, die Frankreich jetzt an der Gurgel gepackt hält, versuchen könnten, sich auf die Knie, vielleicht sogar auf die Füße zu stellen. Hierin liegt die Gefahr Frankreichs. Wenn aber unser Arm schwächer werden sollte, dann wird man uns niederwerfen, vielleicht erdrosseln. Wenn man die Größe des Gebietes, die Bevölkerungszahl und die Gefahr in Betracht zieht, so müssten wir eine hundertfach größere Armee haben als Frankreich. Unsere Armee ist in höherem Grade eine Verteidigungsarmee, als irgendeine Armee der Welt. Haben wir das nicht bewiesen? Beweisen wir das nicht jeden Tag? Ist unsere ganze Politik nicht ein angestrengter Kampf um den Frieden, um den Preis der schwersten Zugeständnisse? Legt davon unsere Anerkennung der Zarenschulden nicht ein klares Zeugnis ab? Ja, Sie wissen es, die ganze Welt weiß es, dass wir – die stolze und sieghafte Revolution, die der Reaktion die Macht entrissen und sich gegen unzählige Feinde behauptet hat, dass wir unter gewissen Bedingungen bereit sind, die alten Zarenschulden mögen sie dreifach verflucht sein – anzuerkennen. Wir haben uns dazu bereit erklärt. Weshalb taten wir das? Aus Achtung vor dem, was die Wucherer der ganzen Welt heilige Verpflichtungen nennen? Nichts dergleichen. Es ist nicht die Bezahlung für die Vergangenheit, die nicht unsere Vergangenheit, sondern eine Vergangenheit gegen uns war, nein, es ist das Lösegeld für die Zukunft. Wir sagen: Wenn die Gläubiger des Zaren bereit sind, uns um den Preis der Bezahlung der Zarenschulden in Ruhe zu lassen, wenn sie uns die Möglichkeit geben, zu atmen, zu leben, zu arbeiten, so soll es uns recht sein. Denn nicht um den Preis des Blutes unserer Rotarmisten erkaufen wir den Frieden, sondern um den Preis unserer Arbeitsleistung, um den Preis des Goldes.

Man berichtet, dass englische und französische Kaufleute und Industrielle auf der Börse sagen: Das ist noch nicht alles; außer den Staatsschulden sind noch Ansprüche von privaten Personen vorhanden. Wir erblicken darin keinen prinzipiellen Unterschied. Darüber ließe sich reden! Das hat unsere Diplomatie oft genug gesagt. Unsere Diplomatie ist die geduldigste Diplomatie der Welt. Sie ist an die Propaganda gewöhnt, und jedes Mal, wenn neue Forderungen an sie gestellt werden, pflegt sie zu sagen: Setzen wir uns an den Tisch und erörtern wir die Frage der staatlichen und privaten Ansprüche. Es versteht sich doch von selbst, dass für uns kein prinzipieller Unterschied zwischen diesen und jenen bestehen kann. Es handelt sich nur um die Bedingungen, um weiter nichts. Diese Art Erklärungen, die wir schon häufig abgegeben haben, bringen unser Bestreben, sich vom Kriege loszukaufen, zum Ausdruck. Der Rigaer Vertrag war der gleiche Versuch. Und was bedeuten alle diese Pfeile auf der Karte? Es sind Provokationen zum Kriege, und jeder einzelne eine besondere Herausforderung, denn sie stimmen in der Zeit nicht überein. Und wie antworteten wir darauf? Wir vernichteten jede Bande, die wir auf unserem Gebiet fassen konnten, und leisteten unsere Zahlungen entsprechend den Bedingungen des Rigaer Vertrages.

Natürlich kann man von uns nicht sagen, dass wir geneigt sind, passiv bald diese, bald jene Seite den Hieben auszusetzen. Nein, wir sind Revolutionäre und verstehen zu kämpfen. Aber im Kampfe um den Frieden beweisen wir die größte Ausdauer. Aber alles hat seine Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Und, Genossen, es besteht die Gefahr, dass diese Grenze von gewisser Seite nicht respektiert wird. Einerseits mehrt sich jeden Tag die Zahl der Telegramme, die von der Anerkennung der Sowjetmacht sprechen: man will uns nach London oder nach Cannes einladen und die Sowjetmacht endgültig anerkennen. Natürlich werden wir dort erscheinen, wohin man uns rufen wird, um über den Frieden zu verhandeln. Wenn es auch nicht jener Friede sein wird, den wir für gerecht und notwendig erachten, so hoffe ich doch, dass wir zu einem Ergebnis kommen werden. Aber gerade diese Atmosphäre der Änderung der internationalen Lage treibt alle unsere Todfeinde – die weißgardistische Emigration und die rechtsradikalen ausländischen Imperialisten – zu der Folgerung: Schmiede das Eisen solange es heiß ist, oder solange es wenigstens nicht ganz erkaltet ist. Es bleiben noch wenige Monate, vielleicht sogar Wochen, und wenn man jetzt der Sowjetmacht den entscheidenden Stoß versetzen würde, so würden vielleicht auch alle Verhandlungen zunichte werden. Im Zusammenhang damit entwickelt sich die Politik der imperialistischen Cliquen Polens und Rumäniens. Den Posten des rumänischen Ministerpräsidenten hat jetzt Take-Jonescu eingenommen, dessen ganzes politisches Verdienst in dem Aufhetzen der rumänischen Bourgeoisie gegen die Ukraine und die Sowjetföderationen besteht. Mit seinem Vorgänger, Averescu, hatten wir des Öfteren einen Strauß zu pflücken. Im Jahre 1918 unterzeichnete er den Vertrag, nach dem er sich verpflichtete, Bessarabien binnen zwei Monaten zurückzugeben. Unter diesen Umständen tut die allergrößte Wachsamkeit Not.

Befreit Marty und Badina.

Ich möchte eine Episode erwähnen, die zeigt, wie sehr sich die nahende Anerkennung der Sowjetmacht mit blutgierigem Hass verflicht gegen alle Symptome, die faktisch zu einer Annäherung an Sowjetrussland führen können. Sie erinnern sich an Briands Rede in Washington: sie war von Hass gegen Sowjetrussland erfüllt. Er schilderte uns als ein Volk, das bestrebt ist, andere Völker zu knechten, als ein Volk, das die Zivilisation bedroht usw. In denselben Tagen und Stunden wählte das Proletariat von Paris in die Pariser Stadtverwaltung zwei Zuchthausinsassen – Marty und Badina. Marty und Badina sind zwei französische Seeleute. Sie waren auf französischen Kriegsschiffen, die auf dem Schwarzen Meere bei Odessa standen, und als der Befehl erteilt wurde. Sowjet-Odessa zu bombardieren, gaben Marty und Badina das Signal zum Aufruhr. Die französischen Seeleute weigerten sich, Odessa zu bombardieren, und die Schiffe wurden abkommandiert. Unsere Helden wurden verhaftet. Marty und Badina wurden nur deshalb nicht erschossen, weil das ganze französische werktätige Volk gegen den Krieg mit Sowjet-Russland war, – sie wurden zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. An jenem Tage, als Briand, der angebliche Vertreter des französischen Volkes, der auf Grund des allgemeinen Wahlrechts gewählt ist, die Sowjetrepublik in Washington verleumdete, machten die Arbeiter von Paris kleine Korrekturen an der Rede Briands, indem sie unsere Freunde, Marty und Badina, in das Stadtparlament wählten. Durch ganz Frankreich ging die Protestwelle mit der Forderung der Befreiung Martys und Badinas. Welche Antwort gab darauf die französische Regierung, jene Regierung, die jetzt angeblich mit uns in Verhandlungen zu treten wünscht, die also anerkennen muss, dass Marty und Badina Recht hatten, als sie sich gegen das Bombardement Odessas auflehnten? Unter dem Anschein einer Begnadigung „befreit" sie die Seeleute aus dem Zuchthaus und schickt sie nach Afrika, in das Disziplinarbataillon von Biribi, wo Hunderte und Tausende französischer Bürger durch das tropische Klima zugrunde gegangen sind. Genossen, wir, die Delegierten der Sowjetkonferenz, sagen: „Ihr Herren französische Bourgeois, Ihr wollt mit uns eine Vereinbarung treffen? Was die Zarenschulden und die anderen Ansprüche betrifft, so sind wir bereit mit Euch zu verhandeln – wir sind es deshalb, weil Ihr noch auf der Welt seid. Aber wenn Ihr wollt, dass die russischen Arbeiter und Bauern Euch glauben, dass Ihr wirklich ehrliche, friedliche Absichten habt, so gebt uns einen kleinen Vorschuss für unsere Bereitschaft, die Zarenschulden zu bezahlen, – gebt uns Marty und Badina zurück.

Unsere revolutionäre Einheit.

Allerdings sprechen die feindliche Presse und die uns feindlich gesinnten Politiker davon, dass die Sowjetregierung möglicherweise wirklich den Frieden wolle, dass aber in Russland eine militärische Clique existiert, die ehrgeizige Pläne verfolge, Angriffskriege und Knechtung der anderen Völker erstrebe. Wahrlich, sie zeichnen uns nach ihrem eigenen Bilde. Wir kennen ein Land – und es liegt nicht hinter Bergen und Meeren – in dem das Haupt des Landes und der militärischen Gewalt, wenn der Minister des Auswärtigen einen Vertrag unterzeichnet, als Gegenleistung Banditenbanden ausrüstet. Ein solches Land gibt es. Wir sagen, dass dort eine Spaltung des Willens der regierenden Klassen eintritt, wodurch die gefahrvollste Lage geschaffen wird, denn eine solche Spaltung führt zu unkoordinierten, d. h. zu im vernünftigen und zuweilen sinnlosen Handlungen, und diese unkoordinierten Handlungen führen in internationalen Verhältnissen zuweilen zu Kriegen, die sich bei gutem Willen und klarer Vernunft leicht vermeiden ließen. Aber, Genossen, wenn bei uns, in unserer Sowjetrepublik, die in diesen vier Jahren so viele Änderungen erfahren hat, die gekämpft, laviert und manövriert hat, und zwar auf ökonomischem, politischem, militärischem und diplomatischem Gebiet, wenn es in unserem Sowjetstaat auch die kleinste Spur einer Spaltung des Regierungswillens, auch nur eine Andeutung eines Kampfes einer friedlichen Partei mit einer militärischen geben würde, so hätten wir in diesen vier Jahren schon hunderte von Malen Gelegenheit gehabt zugrunde zu gehen. Was unsere Kraft ausmacht, Genossen, Delegierte, – mögen es alle Journalisten und Diplomaten, sowohl die anwesenden, als auch die auswärtigen wissen – das ist unsere unerschütterliche revolutionäre Einheit. Die Behauptung ist unwahr, ist ein kindischer Irrtum oder bewusste Verleumdung, dass es bei uns eine Partei, Gruppen oder auch nur einzelne Personen gäbe, die den Krieg wollen. Wenn das der Fall wäre, so würden wir sagen, dass man sie in Zwangsjacken stecken muss. Aber solche Leute haben wir nicht. Einen Krieg will niemand bei uns. Das beweist unsere ganze Politik. Und unsere führende Partei und die Sowjetmacht sagen, dass wir den Frieden wollen, dass man diesen Frieden uns aber nicht gibt. Und daher müssen wir auf alles gefasst sein, müssen darauf gefasst sein, dass unverantwortliche Gruppen und Cliquen außerhalb Russlands ihr und unser Volk zu den Qualen eines Krieges verurteilen könnten, obwohl man alle Vorzüge des Friedens genießen könnte. Wir haben keine militärischen und keine friedlichen Parteien, wir haben nur eine sachliche Arbeitseinteilung. Die Rote Armee will ebenso sehr den Frieden wie das ganze Land, dieselbe Rote Armee, die, wenn es notwendig sein sollte, kämpfen wird, und zwar bis zum Ende kämpfen wird.

Unsere Agitation wird nicht in Aufrufen zum Angriff bestehen. Das brauchen die russischen Bauern und Arbeiter nicht. Diese Arbeiter und Bauern regieren das Land, sie sind es, die am Steuer ihrer Sowjets stehen. Was wollen sie? Aufrufe zum Kriege? Nein. Sie wollen die internationale Lage verstehen, um zu wissen, wohin man das Schiff lenken muss. Unsere ganze Propaganda und Agitation wird darin bestehen, unseren jüngeren Brüdern, Söhnen und Enkeln die tatsächliche Lage zu erklären. Diese Karte, dieses Schema z. B. werden wir nicht nur den Befehlshabern, sondern jedem Rotarmisten zeigen, im Laufe des ganzen Winters werden wir bestrebt sein, der Roten Armee die Tatsachen zu zeigen. Und welches sind die Tatsachen? Es ist unser Kampf um den Frieden und von der anderen Seite die unermüdliche, unerbittliche Provokation. Wir können aber nicht die Rolle der internationalen Geduldsakrobaten spielen. Keinesfalls sind wir damit einverstanden, dass die Provokateure der verschiedenen Länder an unserem Leibe ihren Mut oder ihre Frechheit beweisen. In den letzten Wochen vermehrte sich die Gefahr, ungeachtet der Nachrichten über das Gerede von unserer Anerkennung. Das werden wir jedem Kommandeur und Kommissar sagen, und der Kommissar und der Kommandeur werden es jedem Rotarmisten sagen. Wir werden die internationale Lage verfolgen, sowohl nach dem Material unseres Nachrichtendienstes als auch nach der polnischen, finnländischen, französischen und sonstigen Presse, von Tag zu Tag werden wir die Pulsschläge des Weltimperialismus zählen. Wir werden unserem Rotarmisten sagen, dass er auf das Schlimmste gefasst sein müsse, denn wir, die Kommunistische Partei und die gesamte Arbeiterklasse der Welt, sind heute noch nicht imstande, unser Land vor neuen Kriegen zu bewahren.

Diesen Winter werden wir fleißig die Kriegführung erlernen, wir werden uns fleißig für das Frühjahr und den Sommer, auf alle jene Gefahren, die uns aus der internationalen Lage und ihren unzählbaren Gegensätzen erwachsen, vorbereiten. Im Winter sind wir vor Überraschungen mehr oder weniger geschützt. Nur von Finnland lässt sich nichts Bestimmtes sagen, denn die Finnländer sind ausgezeichnete Skiläufer. Aber im Frühjahr eröffnet sich uns eine Serie, wenn auch nicht von Überraschungen, denn wir erwarten sie zum Teil, aber eine Reihe neuer schwerer Prüfungen und blutiger Schicksalsschläge. Jedenfalls ist das nicht ausgeschlossen. Ich möchte nicht, dass Sie aus meinen Worten eine größere Gefahr ersehen, als in Wirklichkeit besteht, aber unsere Lage wird furchtbar sein, auch wenn wir uns die Gefahr geringer denken als sie sein kann. Es ist besser, die Gefahr zu übertreiben als sie zu unterschätzen. Und wir werden mit unserem unerschütterlichen Bestreben zum Frieden in das Frühjahr und den Sommer eintreten, aber gleichzeitig werden wir dann gestärkt und mehr geschult sein, ohne die Erfahrungen des vierjährigen Bürgerkrieges vergessen zu haben. Aber wenn ein Angriff gegen unsere Grenzen erfolgt, gegen unsere Freiheit und Unabhängigkeit, dann werden wir sagen: Wir haben das nicht gewollt, wir haben nicht nach anderen Gebieten gestrebt, wir haben viel zu viel Arbeit, – aber wenn es sein muss, wenn Ihr den Krieg wollt, umso schlimmer für Euch. Das Jahr 1922 ist nicht das Jahr 1918 und auch nicht das Jahr 1919. Im Jahre 1922 sind wir darauf vorbereitet die jetzigen Sowjetgrenzen zu verteidigen, aber wenn man uns dazu zwingen wird, so werden wir beweisen, dass es im Jahre 1922 leichter sein wird das Sowjetgebiet zu erweitern, als es zu beschneiden und einzuengen. (Rufe: „Hurra!" – „Es lebe der Führer der Roten Armee!" – „Es lebe die Rote Armee!" – „Hurra!")

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