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Leo Trotzki 19210613 Die Weltlage

Leo Trotzki: Die Weltlage

[Rede zur Vorbereitung des 3. Kominternkongresses auf einer Versammlung von Parteimitgliedern, der kommunistischen Fraktion des Moskauer Sowjets und Aktivisten in Moskau. Nach Die Neue Etappe. Die Weltlage und unsere Aufgaben. Verlag der Kommunistischen Internationale, Auslieferungsstelle für Deutschland: Carl Hoym Nachf. Louis Cahnbley, Hamburg 1921, S. 1-47]

Die Jahre 1917-1921

Seit dem imperialistischen Kriege sind wir in eine revolutionäre Epoche getreten, d. h. in die Epoche, da die Grundlagen des kapitalistischen Gleichgewichtes selbst zerrüttet sind und zusammenstürzen. Das Gleichgewicht des Kapitalismus ist eine sehr komplizierte Erscheinung: der Kapitalismus erzeugt dieses Gleichgewicht, stört es, stellt es wieder her und stört es von Neuem, indem er zugleich den Rahmen seiner Herrschaft erweitert. Auf dem Wirtschaftsgebiete bilden solche beständigen Störungen und Wiederherstellungen die Krisen- und Prosperitätsperioden. In den Beziehungen zwischen den Klassen nimmt die Störung des Gleichgewichtes die Form von Streiks, Aussperrungen, revolutionärem Kampfe an. In den Beziehungen zwischen den Staaten sind die Gleichgewichtsstörungen: Krieg oder in schwächerer Form wirtschaftlicher Zollkrieg oder Blockade. Der Kapitalismus hat also ein bewegliches Gleichgewicht, das stets entweder gestört oder wiederhergestellt wird. Zugleich aber besitzt dieses Gleichgewicht eine große Widerstandskraft; der beste Beweis dafür ist die Tatsache, dass die kapitalistische Welt bis jetzt nicht zusammengebrochen ist.

Der letzte imperialistische Krieg war jenes Ereignis, das mit Recht von uns beurteilt wurde als ein ungeheuerlicher in der Geschichte noch nie dagewesener Schlag gegen das Gleichgewicht der kapitalistischen Welt. In der Tat, aus dem Kriege erwuchs die Periode der größten Massenbewegungen und revolutionären Kämpfe. Russland, das schwächste Glied in der kapitalistischen Kette, verlor als erstes das Gleichgewicht und betrat im März 1917 als erstes den Weg der Revolution. Unsere März-Revolution fand dann den starken Widerhall in den Arbeitermassen Englands. Das Jahr 1917 ist für England das Jahr der größten Streikkämpfe, im Verlauf deren es dem englischen Proletariat gelungen ist, den durch den Krieg hervorgerufenen Prozess der Verschlechterung der Existenzbedingungen der werktätigen Massen zum Stillstand zu bringen. Im November 1917 ergreift die Arbeitermasse Russlands die Macht. Der Streikkampf breitet sich über die ganze kapitalistische Welt aus, angefangen mit den neutralen Ländern. Japan erlebt im Herbst 1918 eine Woge mächtiger „Reis-Unruhen", die in gewissen Bezirken bis zu 25 Prozent der Bevölkerung mitreißen und harte Verfolgungen von Seiten der Regierung des Mikado hervorrufen. Im Januar 1918 haben wir die Massenstreiks in Deutschland, Ende 1918, nach dem Zusammenbruch des deutschen Militarismus findet die Revolution in Deutschland und Österreich-Ungarn statt. Die revolutionäre Bewegung breitet sich aus. Es tritt das für den Kapitalismus – wenigstens für den europäischen Kapitalismus – kritischste Jahr 1919 ein. Im März 1919 entsteht die Räterepublik Ungarn. Im Januar und März 1919 finden in Deutschland harte Kämpfe der revolutionären Arbeiter gegen die bürgerliche Republik statt. In Frankreich wird die Atmosphäre zur Zeit der Demobilisierung gespannt, aber der Sieg und die Hoffnung auf seine goldenen Früchte geben noch zu viel Hoffnungen; der Kampf gewinnt hier auch nicht im entfernten Maße den Schwung, wie in den besiegten Ländern. In den Vereinigten Staaten erreichen Ende 1919 die Streiks einen mächtigen Aufschwung und erfassen die Eisenbahner, Bergarbeiter, Metallarbeiter usw. Die Wilson-Regierung eröffnet die wahnwitzigen Verfolgungen gegen die Arbeiterklasse. Im Frühling 1920 hat der Versuch eines konterrevolutionären Umschwungs in Deutschland, der Kapp-Putsch, die Arbeiterklasse mobilisiert und in den Kampf geworfen. Die intensive, doch ungeordnete Bewegung der deutschen Arbeiter wird auch diesmal von der Ebert-Republik, die sie gerettet hatten, schonungslos zertrampelt. In Frankreich erreicht die politische Lage ihre größte Zuspitzung im Mai vorigen Jahres während der Proklamierung des Generalstreiks, der sich übrigens lange nicht als Generalstreik erwies, schlecht vorbereitet war und von den opportunistischen Führern verraten wurde, die den Streik nicht wollten, aber es nicht einzugestehen wagten. Im August erleidet der Vormarsch der Roten Armee gegen Warschau – auch ein Teil des internationalen revolutionären Kampfes – Misserfolg. Im September ergreifen die italienischen Arbeiter, die die phrasenhafte revolutionäre Agitation der sozialistischen Partei ernst genommen haben, Besitz von den Fabriken, aber schmählich verraten von der Partei, erleiden sie Niederlagen auf der ganzen Linie und erfahren des weiteren die schonungslose Konteroffensive der vereinten Reaktion. Im Dezember ergießt sich der revolutionäre Massenstreik über die Tschechoslowakei. Schließlich, in diesem Jahre, entwickeln sich in Mitteldeutschland revolutionäre Kämpfe mit Massenopfern, und in England flackert von neuem der beharrliche Bergarbeiterstreik auf, der bis jetzt noch nicht zum Abschluss gelangt ist.

Als wir in der ersten Nachkriegsperiode die sich entfaltende revolutionäre Bewegung beobachteten, konnten viele von uns – und zwar mit genügender historischer Begründung – glauben, dass diese Bewegung, die immer stieg und anschwoll, unmittelbar mit der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse enden müsste. Aber nun sind nach dem Kriege fast drei Jahre verstrichen. In der ganzen Welt außer Russland blieb die Macht in den Händen der Bourgeoisie. Während dieser Zeit verharrte die kapitalistische Welt natürlich nicht auf einem Fleck. Sie veränderte sich. Europa und die ganze Welt machten eine für die Bourgeoisie außerordentlich scharfe und gefährliche Periode durch, nämlich die Demobilisierung nach dem Kriege, die Menschen- und Sachdemobilisierung, d. h. die Demobilisierung der Industrie, die Periode des wahnwitzigen Handelsaufschwunges nach dem Kriege, und dann die Krise, die bis jetzt noch nicht zu Ende ist. Und nun entsteht vor uns in ihrem ganzen Umfange die Frage: bewegt sich wirklich die Entwicklung auch jetzt in der Richtung der Revolution, oder aber soll man annehmen, dass der Kapitalismus mit den aus dem Kriege sich ergebenden Schwierigkeiten fertig geworden ist und das kapitalistische Gleichgewicht auf der neuen Nachkriegsgrundlage wiederhergestellt hat oder wenigstens es « wiederherstellt und sich der Wiederherstellung nähert.

Beruhigung der Bourgeoisie.

Wenn wir diese Frage rein politisch anfassen, bevor wir sie auf ihrer ökonomischen Grundlage betrachten, so müssen wir konstatieren, dass es eine ganze Reihe von Merkmalen, Tatsachen und Dokumenten gibt, die davon zeugen, dass die Bourgeoisie als regierende Klasse mächtiger und stärker geworden ist, oder sich wenigstens so fühlt. 1919 befand sich die europäische Bourgeoisie in einem Zustand höchster Kopflosigkeit. Das war die Zeit einer panischen, wahrhaft tollen Furcht vor dem Bolschewismus, den man sich als sehr unklare aber um so bedrohlichere Gestalt vorstellte und sie auf den Wandplakaten in Paris als Mann mit dem Messer usw. usw. darstellte. Eigentlich verkörperte die europäische Bourgeoisie in diesem Gespenst des Bolschewiken mit dem Messer ihre Angst wegen ihrer Verbrechen in der Kriegszeit. Sie wusste jedenfalls doch, wie wenig die Ergebnisse des Krieges jene Versprechungen erfüllten, die sie gegeben hatte. Sie kannte genau den Grad der Opfer an Gut und Blut. Sie fürchtete die Vergeltung. Das Jahr 1919 war für die Bourgeoisie entschieden das kritischste Jahr. In den Jahren 1920 und 1921 kann man allmählich das Anschwellen ihres Selbstbewusstseins und zugleich unzweifelhaft auch die Festigung ihres Staatsapparates wahrnehmen, der unmittelbar nach dem Kriege in manchen Ländern – wie z. B. in Italien – in fast vollständige Zerrüttung geraten war. Die wiedergewonnene Selbstsicherheit der Bourgeoisie nahm besonders krasse Formen in Italien nach dem feigen Verrat durch die Sozialistische Partei im September an. Die Bourgeoisie hatte geglaubt, dass sie es mit bösen Mördern und Räubern zu tun hätte; nun überzeugte sie sich, dass sie Feiglinge vor sich hatte. Da ich in der letzten Zeit krankheitshalber keine aktive Arbeit leisten konnte, so hatte ich die Möglichkeit, viel ausländische Blätter zu lesen. Ich habe eine ganze Mappe von Ausschnitten gesammelt, die den Umschwung in der Stimmung der Bourgeoisie und ihre neue Einstellung zur politischen Weltlage klar charakterisieren. Alle Zeugnisse laufen auf das eine hinaus: das Selbstbewusstsein der Bourgeoisie ist momentan entschieden fester als es 1919 und sogar 1920 gewesen ist. Sehr interessant sind z. B. die Korrespondenzen in der sachlichen, rein kapitalistischen „Neuen Züricher Zeitung" über die politische Lage in Frankreich, in Deutschland und in Italien. Da die Schweiz von diesen Ländern abhängig ist, so hat sie ein großes Interesse an deren innerer Lage. So schreibt z. B. dieses Blatt anlässlich der Märzereignisse in Deutschland folgendes: „Das Deutschland des Jahres 1921 ist etwas ganz anderes, als es das Deutschland des Jahres 1918 gewesen ist. Das Staatsbewusstsein ist überall wieder so sehr erstarkt, dass die Methoden der Kommunisten jetzt in allen Schichten der Bevölkerung auf Widerstand stoßen, trotzdem die Macht der Kommunisten, die in den Tagen der Revolution lediglich eine geringe Kraft entschlossener Menschen darstellte, seitdem um mehr als das Zehnfache gestiegen ist." Im April schildert dasselbe Blatt aus Anlass der italienischen Parlamentswahlen die innere Lage Italiens in folgenden Ausdrücken: „1919: die Bourgeoisie ist kopflos, der Bolschewismus rückt als kompakte Mauer vor. 1921: der Bolschewismus ist geschlagen und zersplittert, die Bourgeoisie tritt als feste Mauer auf." Die französische leitende Zeitung „Le Temps" schrieb zum 1. Mai dieses Jahres, dass jetzt auch nicht die Spur von jenen Befürchtungen eines revolutionären Umsturzes geblieben sei, die die Atmosphäre Frankreichs im Mai vorigen Jahres erfüllten usw.

Es unterliegt also der Aufschwung der Selbstsicherheit der Bourgeoisie keinem Zweifel, und ebenso unzweifelhaft ist die tatsächliche Festigung des Polizei- und Staatsapparates nach dem Kriege. Aber an sich ist diese Tatsache, so wichtig sie auch sein mag, für die Frage noch lange nicht entscheidend, und unsere Feinde schließen jedenfalls voreilig daraus auf den Bankrott unseres Programms. Gewiss, wir hofften, dass die Bourgeoisie 1919 zusammenbrechen würde. Aber wir waren natürlich dessen nicht gewiss, und selbstverständlich war unser Aktionsprogramm nicht auf dieses Datum aufgebaut. Wenn die Theoretiker der 2. und 2½ Internationale sagen, wir hätten in unseren Prophezeiungen Bankrott gemacht, so könnte man, denken, es hätte sich um die Vorhersage einer Himmelserscheinung gehandelt: Wir hätten uns in unseren mathematischen Berechnungen geirrt, wonach an dem und dem Tage eine Sonnenfinsternis hätte eintreten sollen, und wären infolgedessen schlechte Astronomen. Aber die Sache ist in Wirklichkeit ganz anders. Wir prophezeiten nicht eine Sonnenfinsternis, d. h. ein Ereignis, das außerhalb unseres Willens steht und von unseren Handlungen unabhängig ist. Es handelte sich um ein historisches Ereignis, das durch unsere Teilnahme stattfinden muss und wird. Wenn wir von der Revolution als Folge des Weltkrieges sprachen, so hieß es, dass wir bestrebt waren und bestrebt sind, die Folgen des Weltkrieges für die größtmögliche Beschleunigung der Revolution auszunutzen. Wenn die Revolution bis auf den heutigen Tag in der ganzen Welt oder wenigstens in Europa sich nicht vollzogen hat, so bedeutet dies keineswegs einen „Bankrott der Kommunistischen Internationale", denn ihr Programm beruht nicht auf astronomischen Daten. Das sieht jeder Kommunist ein, der seinen Standpunkt einigermaßen durchdacht hat. Aber wenn die Revolution den glühenden Spuren des Krieges nicht gefolgt ist, so ist vollkommen klar, dass die Bourgeoisie die gewonnene Atempause ausgenützt hat, um die entsetzlichsten und fürchterlichsten Folgen des Krieges zu überwinden und zu beseitigen oder wenigstens doch zu maskieren, zu verkleistern usw. usw. Ist ihr dies gelungen? Zum Teil doch. In welchem Grade? Hier beginnt eigentlich die Frage nach der Wiederherstellung des kapitalistischen Gleichgewichts.

Ist das Weltgleichgewicht wiederhergestellt?

Was bedeutet das kapitalistische Gleichgewicht, von dem jetzt der internationale Menschewismus mit vollendeter Sicherheit redet? Dieser Begriff des Gleichgewichtes wird von Seiten der Sozialdemokraten nicht analysiert, nicht zergliedert, nicht genau präzisiert. Im Gleichgewicht des Kapitalismus sind sehr viele Faktoren, Erscheinungen und Tatsachen enthalten, grundlegender und zweit- und drittgradiger Art. Der Kapitalismus ist eine Weltanschauung. Er hat den ganzen Erdball umfasst, und dies zeigte sich besonders prägnant zur Zeit des Krieges und der Blockade, als das eine Land Überfluss produzierte und keine Absatzmärkte hatte, während das andere warenhungrige Land keinen Zutritt dazu hatte. Und auch jetzt macht sich diese gegenseitige Abhängigkeit des zersplitterten Weltmarktes überall und in allem bemerkbar. Der Kapitalismus in seinem von ihm vor dem Kriege erreichten Stadium basiert auf internationaler Arbeitsteilung und internationalem Produktenaustausch. Amerika muss ein gewisses Quantum Getreide für Europa produzieren. Frankreich muss eine gewisse Menge Luxusartikel für Amerika erzeugen. Deutschland muss ein gewisses Quantum billiger Gebrauchsgegenstände für Frankreich herstellen. Diese Arbeitsteilung ist wiederum nichts Beständiges, ein für allemal Vorhandenes. Diese Arbeitsteilung entsteht historisch, wird stets durch Krisen und Konkurrenz, – geschweige denn Zollkriege, – gestört, wird wieder hergestellt und wieder gestört. Aber im Allgemeinen beruht die Weltwirtschaft darauf, dass die Produktion der nötigen Güter zwischen den verschiedenen Ländern mehr oder weniger verteilt ist. Und diese Welt-Arbeitsteilung ist durch den Krieg radikal gestört worden. Ist sie wiederhergestellt worden oder nicht? Das ist die eine Seite der Frage.

In jedem einzelnen Lande produziert die Landwirtschaft für die Industrie, die Produkte des persönlichen Bedarfes für die Arbeiter und die Produktionsartikel (Rohprodukte) für die Industrie, während die Industrie für die Landbevölkerung die persönlichen Bedarfsartikel und die landwirtschaftlichen Produktionsmittel erzeugt. Hierdurch entstehen wiederum gewisse Wechselbeziehungen. Endlich ist innerhalb der Industrie selbst eine Produktion von Produktionsmitteln und eine Produktion von Gebrauchsgegenständen vorhanden, zwischen denen ein gewisses Wechselverhältnis entsteht, das beständig gestört wird und auf neuer Grundlage neu entsteht. Alle diese Wechselbeziehungen und Verhältnisse wurden durch den Krieg radikal gestört, schon allein dadurch, dass während des Krieges die Industrie Europas und in einem beträchtlichen Grade auch die Amerikas und Japans weniger Gebrauchsartikel und Produktionsmittel herstellte als Vernichtungswerkzeuge. Insofern aber Bedarfsartikel erzeugt wurden, wurden sie weniger für produzierende Arbeiter als für zerstörende Soldaten der imperialistischen Armeen erzeugt. Und dieses gestörte Wechselverhältnis zwischen Stadt und Land, zwischen den verschiedenen Zweigen innerhalb der Industrie der verschiedenen Länder – ist es wiederhergestellt oder nicht?

Ferner besteht das Klassengleichgewicht, das sich auf das Wirtschaftsgleichgewicht stützt. In der Vorkriegszeit bestand nicht allein in den internationalen Beziehungen der sogenannte bewaffnete Friede, aber auch zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat herrschte bis zu einem gewissen Grade ein bewaffneter Friede mit Hilfe eines Systems von kollektiven Tarifverträgen, die von zentralisierten Verbänden und dem immer mehr und mehr zentralisierten Industriekapital geschlossen wurden. Dieses Gleichgewicht wurde durch den Krieg ebenfalls vollkommen gestört, und das führte auch zu der gewaltigen Streikbewegung in der ganzen Welt. Ist das relative Klassengleichgewicht der bürgerlichen Gesellschaft, ohne das keine Produktion möglich ist, wiederhergestellt oder nicht? und auf welcher Basis?

Das Klassengleichgewicht ist mit dem Gleichgewicht in der Politik eng verknüpft. Die Bourgeoisie hielt während des Krieges, ja auch vor dem Kriege – obwohl wir es damals weniger merkten – ihre Mechanik im Gleichgewicht mit Hilfe der Sozialdemokraten, der Sozialpatrioten, die ihre wichtigsten Agenten waren und die Arbeiterklasse im Rahmen des bürgerlichen Gleichgewichtes zurückhielten. Nur dadurch bekam die Bourgeoisie die Möglichkeit, den Krieg durchzuführen. Hat sie nun jetzt das Gleichgewicht ihres politischen Systems wiederhergestellt, und in welchem Maße haben die Sozialdemokraten ihren Einfluss auf die Massen beibehalten oder eingebüßt und sind imstande, ihre Rolle als Beschützer der Bourgeoisie weiterzuspielen?

Dann kommt die Frage nach dem internationalen Gleichgewicht, d. h. nach der „Welt-Koexistenz" der kapitalistischen Staaten, ohne die natürlich eine Wiederherstellung der kapitalistischen Wirtschaft unmöglich ist. Ist auf diesem Gebiete das Gleichgewicht erreicht worden oder nicht?

Alle diese Seiten der Frage müssten untersucht werden, damit man antworten kann, ob die Weltsituation nach wie vor revolutionär ist oder im Gegenteil diejenigen Recht haben, die unsere revolutionären Perspektiven für utopisch halten. Die Untersuchung aller dieser Seiten der Frage erfordert eine Illustration durch viele Tatsachen und Zahlen, ich will versuchen, zur Orientierung in dieser Frage die wichtigsten davon anzuführen.

Ist eine neue internationale Arbeitsteilung eingetreten? Auf diesem Gebiete bildet das Übertragen des Schwergewichtes der kapitalistischen Wirtschaft und der bürgerlichen Macht aus Europa nach Amerika eine entscheidende Tatsache. Das ist eine grundlegende Tatsache, deren jeder von uns aufs deutlichste und klarste eingedenk sein muss, damit wir jene Ereignisse begreifen können, die sich vor uns entrollen und in den nächsten Jahren entrollen werden. Vor dem Kriege war der kapitalistische Mittelpunkt der Welt Europa. Europa war der Hauptladen des Erdballs, seine Hauptfabrik und vor allem seine Hauptbank. Der europäische Industrielle – vor allem der englische und dann auch der deutsche; der europäische Kaufmann – vor allem der englische; der europäische Wucherer, vor allem der englische und dann auch der französische – sie waren faktisch die Lenker der Weltwirtschaft und folglich auch die Politiker des ganzen Erdenrunds. Jetzt ist das nicht der Fall. Europa ist zurückgeschleudert worden.

Der wirtschaftliche Niedergang Europas in Zahlen.

Wir wollen versuchen, die Tatsache der Übertragung des wirtschaftlichen Schwerpunktes und die Dimensionen des wirtschaftlichen Niederganges Europas in Ziffern, wenn auch nur ungefähr, zu bestimmen. Vor dem Kriege betrug das nationale Vermögen, d. h. der Gesamtbesitz aller Bürger und Staaten der am Kriege beteiligt gewesenen Länder ungefähr 2400 Milliarden Goldmark. Das Jahreseinkommen aller dieser Länder, d. h. die Menge der von ihnen jährlich erzeugten Produkte belief sich auf 340 Milliarden Mark. Wie viel hat der Krieg verbraucht und vernichtet? Nicht mehr und nicht weniger, als 1200 Milliarden Goldmark, d. h. genau die Hälfte von dem, was alle kriegführenden Länder während ihres ganzen Bestehens aufgespeichert hatten. Selbstverständlich wurden die Kriegskosten vor allem durch die laufenden Einnahmen gedeckt. Aber wenn wir annehmen, dass die nationalen Einnahmen eines jeden Landes während des Krieges infolge des gewaltigen Arbeitsausfalls sei es auch nur um ein Drittel gesunken sind und infolgedessen 225 Milliarden Mark betragen; wenn wir ferner annehmen, dass alle Nichtkriegseinnahmen 55% verschlangen, so kommen wir zu dem Schluss, dass man mit den neuen Nationaleinnahmen von den Kriegsausgaben nicht mehr als ungefähr 100 Milliarden Goldmark im Jahr decken konnte. In den vier Kriegsjahren macht dies 400 Milliarden Goldmark aus. Infolgedessen mussten die fehlenden 800 Milliarden Mark gedeckt werden auf Kosten des Grundkapitals der kriegführenden Länder und hauptsächlich durch Nichtwiederherstellung ihres Produktionsapparates. Daraus folgt, dass das Gesamtvermögen der kriegführenden Länder nach dem Kriege nicht mehr 2400 Milliarden Goldmark betragen hat, sondern nur noch 1600, d. h. um ein Drittel weniger.

Aber nicht alle Länder, die am Kriege teilnahmen, verarmten im gleichen Maße. Im Gegenteil, unter den Kriegführenden gibt es – wie wir noch sehen werden – reich gewordene Länder, nämlich die Vereinigten Staaten und Japan. Dies bedeutet, dass die europäischen Länder, die am Kriege teilnahmen, mehr als ein Drittel ihres Nationalvermögens verloren, und einige, wie Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland, der Balkan weit über die Hälfte.

Der Kapitalismus als wirtschaftliche Organisation ist bekanntlich voller Widersprüche. Diese Widersprüche erreichten in den Kriegsjahren ungeheure Dimensionen. Um die Mittel zur Kriegsführung zu gewinnen, nahm der Staat hauptsächlich zu zwei Maßnahmen Zuflucht: erstens zu der Emission von Papiergeld und zweitens zu Anleihen. Auf diese Weise kamen sogenannte Wertpapiere immer mehr und mehr in Umlauf, mit deren Hilfe der Staat dem Lande die wirklichen materiellen Güter entzog und sie im Kriege vernichtete. Je mehr sich der Staat verausgabte, d. h. je mehr wirkliche Werte er zunichte machte, um so mehr Scheinwerte häuften sich im Lande an. Berge von Papieren der Staatsanleihen sammelten sich an. Es schien, als ob das Land außerordentlich reich geworden wäre, in Wirklichkeit aber versank der wirtschaftliche Boden immer mehr und mehr unter den Füßen und stürzte zusammen. Die Staatsschulden erreichten zirka 1000 Milliarden Goldmark, was 62% des jetzigen Nationalvermögens der kriegführenden Länder ausmacht. Vor dem Kriege gab es Papiergeld und Kreditscheine ungefähr für 28 Milliarden Goldmark, jetzt aber für 220 bis 280 Milliarden, d. h. zehnmal soviel, und dies natürlich ohne Russland gerechnet, denn wir sprechen allein von der kapitalistischen Welt. All das bezieht sich hauptsächlich oder sogar ausschließlich auf die europäischen Länder, vor allem auf den europäischen Kontinent und insbesondere auf Mitteleuropa. Im Großen und Ganzen wurde Europa in dem Maße wie es verarmte und auch jetzt weiter verarmt, mit einer immer dicker werdenden Schicht von Papierwerten oder fingiertem Kapital bedeckt und wird immer mehr damit bedeckt: Dieses fingierte Kapital – die Kreditscheine, die Kassenscheine, Anleihepapiere, Banknoten usw. – bilden entweder die Erinnerung an das tote Kapital oder die Hoffnung auf das neue Kapital. Aber gegenwärtig entspricht ihm keineswegs ein reales wirkliches Kapital. Wenn ein Staat eine Anleihe zu Produktionszwecken aufnahm, z. B. für den Suez-Kanal, so wurden die entsprechenden Staatspapiere durch einen Realwert, den Suez-Kanal, gedeckt, der Dampfer trug, Gelder einnahm, Profite abwarf, überhaupt einen Teil des Wirtschaftslebens darstellte. Als aber der Staat Kriegsanleihen machte, wurden die mit Hilfe der Anleihe mobilisierten Werte vernichtet, und sie vernichteten dabei neue Werte. Dabei verblieben die Anleihescheine in den Taschen und Mappen der Bürger: der Staat blieb Milliarden und Abermilliarden schuldig. Diese Milliarden existieren in Gestalt eines Papierreichtums in den Taschen derjenigen, die die Anleihe zeichneten. Aber wo bleiben diese realen Milliarden? Sie sind nicht vorhanden. Sie sind verbrannt, sie sind vernichtet. Worauf hofft der Besitzer dieser Papiere? Wenn er Franzose ist, so hofft er darauf, dass Frankreich die Milliarden aus dem Fleisch der Deutschen herausschinden und ihm bezahlen wird.

Die Zerstörung der Grundlagen der kapitalistischen Länder, die Zerstörung ihres Produktionsapparates ging in vieler Hinsicht bedeutend weiter, als man es statistisch feststellen kann. Das wird besonders an der Wohnungsfrage evident. Die ganzen Kräfte des Kapitals wurden, in Anbetracht der wahnwitzigen Profite im Kriege und nach dem Kriege, auf die Erzeugung von neuen Produkten des persönlichen oder Kriegsgebrauches gerichtet. Die Wiederherstellung des grundlegenden Produktionsapparates wurde dagegen immer mehr und mehr vernachlässigt. Das trifft auf den städtischen Häuserbau vollkommen zu. Die alten Häuser wurden schlecht gehalten und neue Häuser nur in knapper Anzahl gebaut. Daraus entsprang der ungeheure Wohnungshunger in der ganzen kapitalistischen Welt. Wenn gegenwärtig infolge der Krise, bei der die wichtigsten kapitalistischen Länder höchstens die Hälfte oder ein Drittel ihrer Produktionsmöglichkeiten ausnutzen, die Zerstörung des Produktionsapparates nicht so ersichtlich ist wie in der Wohnungsfrage infolge der stetigen Bevölkerungszunahme, so macht sich die Zerrüttung des Wirtschaftsapparates mit voller Kraft bemerkbar. In Amerika, in England, in Deutschland, in Frankreich braucht man Tausende und Millionen von Wohnungen. Aber die entsprechenden Arbeiten stoßen auf unüberwindliche Schwierigkeiten infolge der allgemeinen Verarmung. So muss das kapitalistische Europa sich zusammenpressen, seinen Schwung hemmen, sein Niveau für Jahre hindurch einschränken und wird es für Jahre hindurch tun müssen.

Im Rahmen der allgemeinen Verarmung Europas sind die einzelnen Länder, wie gesagt, in verschiedenem Grade verarmt. Nehmen wir Deutschland als das Land, das unter den mächtigsten kapitalistischen Ländern am meisten unter dem Kriege gelitten hat. Ich will die grundlegenden Zahlen anführen, die die Wirtschaftslage Deutschlands vor dem Kriege und jetzt kennzeichnen. Diese Zahlen sind nicht sehr exakt. Statistische Erhebungen über das Nationalvermögen und das Nationaleinkommen sind bei der kapitalistischen Anarchie ein verzwicktes Ding. Eine wirkliche Statistik des Einkommens und des Vermögens wird erst beim Sozialismus möglich sein, als das in Einheiten der menschlichen Arbeit ausgedrückte Zahlenverhältnis beim wirklichen, natürlich gut organisierten und richtig funktionierenden Sozialismus, von dem wir noch sehr, sehr weit entfernt sind. Aber auch die ungenauen Zahlen werden uns von Nutzen sein, denn sie werden uns eine einigermaßen annähernde Vorstellung von den Veränderungen geben, die sich in der Wirtschaftslage Deutschlands und der anderen Länder in den letzten sechs, sieben Jahren vollzogen haben.

Das Nationalvermögen wurde am Vorabend des Krieges auf 225 Milliarden Goldmark taxiert und das höchste nationale Einkommen auf 40 Milliarden Mark. Deutschlands Reichtum war bekanntlich vor dem Kriege sehr stark im Wachsen begriffen. 1896 betrug sein Einkommen 22 Milliarden. Im Laufe von 18 Jahren (1896-1913) vermehrte es sich um 18 Milliarden, d. h. wuchs ungefähr um eine Milliarde jährlich. Diese 18 Jahre waren überhaupt die Zeit des mächtigen kapitalistischen Aufschwunges in der ganzen Welt und insbesondere in Deutschland. Gegenwärtig wird das Nationalvermögen auf 100 Milliarden Mark geschätzt und das Nationaleinkommen auf 16 Milliarden Mark, d. h. auf 40% des Vorkriegseinkommens. Freilich, Deutschland hat einen Teil seiner Territorien verloren, aber seine Hauptverluste kommen infolge der Kriegsausgaben und der Ausräuberung Deutschlands nach dem Kriege. Der deutsche Wirtschaftspolitiker Richard Calwer meint, dass in der Industrie wie auch in der Volkswirtschaft in Deutschland momentan weit weniger als die Hälfte der Werte produziert wird, die es vor dem Kriege produzierte.

Calwers Berechnungen bestätigen also die von mir angeführten Zahlen vollkommen. Zu gleicher Zeit wuchs die Staatsverschuldung Deutschlands auf 250 Milliarden an, d. h. sie überwiegt um das 2½-fache das jetzige Nationalvermögen Deutschlands. Es ist außerdem Deutschland eine Kontribution von 132 Milliarden Mark auferlegt worden. Wollten die Engländer und Franzosen beschließen, diese Summe sofort und in ganzem Umfang einzutreiben, so müssten sie ganz Deutschland einsacken, angefangen von den Gruben Stinnes' bis zu den Manschettenknöpfen des Präsidenten Ebert. Geldscheine gibt es jetzt in Deutschland für 81 Milliarden Mark. Davon sind höchstens 5 Milliarden durch Gold gedeckt. Der innere Wert der deutschen Mark beträgt also jetzt weniger als sieben Pfennige.

Freilich, Deutschland war in der Nachkriegszeit sehr siegreich auf dem Weltmarkte vertreten, indem es seine Waren zu Schleuderpreisen exportierte. Wenn diese Schleuderpreise den deutschen Kaufleuten und Exporteuren auch große Profite einbrachten, so bedeuten sie letzten Endes für die deutsche Bevölkerung im Ganzen den Ruin, denn die niedrigen Preise auf dem Weltmarkte wurden bedingt durch niedrige Löhne und Unterernährung der Arbeiter, durch Staatszuschüsse zum Brotpreis, durch Regelung der Wohnungsmieten, – und das hatte eine völlige Einstellung der Bautätigkeit, eine außerordentliche Einschränkung der Reparaturen usw., usw. zur Folge. Auf diese Weise entzieht jedes auf den Weltmarkt gebrachte deutsche Produkt dem Lande einen gewissen Teil des Nationalvermögens, für das Deutschland keinerlei Äquivalent erhält.

Um die deutsche Wirtschaft zu „sanieren", müsste man die Valuta festigen, d. h. die Emission von neuen Papierwerten einstellen und die Zahl der vorhandenen einschränken. Dazu müsste man auf die Bezahlung der Schulden verzichten, d. h. den Staatsbankrott erklären. Aber diese Maßnahme bedeutet an sich eine fürchterliche Störung des Gleichgewichts, denn sie ist mit einer Verschiebung des Besitzes aus den einen Händen in die anderen verbunden und muss daher einen erbitterten Klassenkampf um die neue Verteilung des Nationalvermögens hervorrufen. Einstweilen aber fährt Deutschland fort zu verarmen und zu sinken.

Nehmen wir ein Siegerland: Frankreich. Vergleichen wir die Lage Frankreichs mit seiner Lage in den Jahren 1918-19, so müssen wir sagen: ja, hier sind gewisse Verbesserungen eingetreten. Ich will gleich die Ziffern anführen, mit denen die französischen bürgerlichen Nationalökonomen paradieren, wenn sie die Wiederherstellung der kapitalistischen Wirtschaft zu beweisen suchen. Nehmen wir den Ackerbau. An Weizen lieferte Frankreich vor dem Kriege jährlich 86 Millionen Tonnen (1 Tonne = 1000 Kilogramm), an Hafer 52 Millionen, an Kartoffeln 132 Millionen. Das Jahr 1919 ergab 50 Millionen Weizen, die letzte Ernte (1920) 63 Millionen. Das Jahr 1919 brachte 77 Millionen Kartoffeln, das vorige Jahr 103 Millionen. Nehmen wir nun die Viehzucht: Schafe gab es 1913 16 Millionen, jetzt 9 Millionen, Schweine 7 Millionen, jetzt 5 Millionen, – eine gewaltige Verringerung. Nehmen wir Kohle, dieses wichtigste Produkt und den wichtigsten Industriefaktor. Im Jahre 1913 förderte Frankreich 41 Millionen Tonnen Kohle, im Jahre 1919 22 Millionen, im Jahre 1920 25 Millionen; rechnet man Elsass-Lothringen und das Saarbecken hinzu, so beläuft sich die Kohlenförderung im Jahre 1920 auf total 35,6 Millionen Tonnen Kohle. Eine Zunahme ist also da. Aber diese Zunahme erreicht noch lange nicht das Vorkriegsniveau. Aber auf welche Weise wurden diese wenn auch nur bescheidenen Fortschritte erreicht? In der Landwirtschaft wurden sie hauptsächlich durch die beharrliche und mühsame Arbeit des französischen Bauern erzielt. Aber auf rein kapitalistischem Gebiete wurden diese Fortschritte hauptsächlich erlangt durch die Ausplünderung Deutschlands, dem Kühe, Saatgut, Maschinen, Lokomotiven, Gold und insbesondere Kohle fortgenommen wurden.

Vom Standpunkt der allgemeinen Wirtschaft ist kein Plus zu verzeichnen, denn es fehlt die Schaffung neuer Werte und es findet hauptsächlich nur eine Umgruppierung der alten Werte statt. Dazu wäre noch hinzuzufügen, dass Deutschland anderthalbmal oder zweimal soviel verlor, als Frankreich von ihm erhielt.

Wir sehen also insbesondere, dass Frankreich, nachdem es Deutschland die wichtigsten metallurgischen und Kohlendistrikte weggenommen hatte, noch lange nicht seine eigene Vorkriegshöhe erreicht hatte. Nehmen wir den französischen Außenhandel. Die Handelsbilanz charakterisiert das internationale Wirtschaftsgleichgewicht zwischen den verschiedenen Ländern. Ein kapitalistisches Land hält sich für gut fundiert, wenn es mehr exportiert als es importiert. Die Differenz wird ihm mit Gold bezahlt.

Eine solche Bilanz heißt eine aktive. Ist ein Land gezwungen, mehr zu importieren, als es exportieren kann, so wird die Bilanz eine passive sein, und dieses Land wird gezwungen sein, zu den von ihm exportierten Waren noch einen Teil seines Goldvorrates hinzuzufügen. Dieser letztere schrumpft zusammen, und das Fundament unter dem Geld- und Kreditsystem wird allmählich zerstört. Betrachten wir Frankreich in den letzten zwei Jahren – 1919 und 1920 – d. h. in den zwei Jahren der „Reparations"-Tätigkeit der französischen Bourgeoisie, so sehen wir, dass im Jahre 1919 die Handelspassiva 24 Milliarden betrug und im Jahre 1920 13 Milliarden. Solche Zahlen hat der französische Bourgeois vor dem Kriege selbst beim schrecklichsten Alpdruck im Traum nicht gesehen. Der Handelsausfall der letzten zwei Jahre beträgt 27 Milliarden. Freilich, im ersten Drittel dieses Jahres zog Frankreich seine Handelsbilanz ohne Passiva, d. h. die Einfuhr kam der Ausfuhr gleich. Bei diesem Anlass stießen einzelne bürgerliche Nationalökonomen in die Posaune: Frankreich stelle ja seine Handelsbilanz her. Das leitende Organ der Bourgeoisie „Le Temps" schrieb diesbezüglich am 18. Mai: „Sie sind im Irrtum. Wir brauchen in diesen drei Monaten nur deshalb kein Gold zu zahlen, weil wir wenig Rohprodukte importierten. Aber das heißt nur soviel, dass wir in der zweiten Hälfte des Jahres wenig Produkte ausführen werden, die wir im Allgemeinen nur dank dem ausländischen und hauptsächlich den amerikanischen Rohstoffen herstellen. Wenn wir unsere Handelsbilanz in diesen drei Monaten auch glücklich zusammengebracht haben, so wird die Handelspassiva im weiteren Verlauf unvermeidlich wachsen."

Vor dem Kriege hatte Frankreich weniger als 6 Milliarden Franken Geldscheine, jetzt über 38 Milliarden. Bezüglich der Kaufkraft des Francs weist dasselbe Blatt darauf hin, dass Ende März, als bereits die Krise in der ganzen Welt begonnen hatte, in Amerika die Preise die Vorkriegspreise um 23%, d. h. um weniger als ein Viertel, überstiegen, in Frankreich aber um 260%, dies bedeutet, dass die Kaufkraft des Francs um das Mehrfache gesunken ist.

Betrachten wir jetzt das Budget. Es zerfällt in zwei Teile: einen normalen und einen außerordentlichen. Das normale Budget beläuft sich auf 23 Milliarden Francs, eine Zahl, die der Vorkriegszeit unbekannt war! Wo bleiben diese ungeheuerlichen Summen? 15 Milliarden gehen auf die Bezahlung der Schuldzinsen, 5 Milliarden auf die Erhaltung der Armee; im Ganzen 20 Milliarden. Das ist alles, was der französische Staat aus dem Steuerzahler herauspressen wollte. In der Tat gelang es, bloß ca. 17½ Milliarden herauszupressen. Die „normalen" Staatseinnahmen reichen also nicht einmal für die Zinsen und die Erhaltung der Armee aus. Aber dann kommen außerordentliche Ausgaben: über 5 Milliarden für die Okkupationstruppen, 23 Milliarden für verschiedene militärische Wiedergutmachungen und Reparationen. Diese Ausgaben werden à conto Deutschlands gebucht. Aber es ist vollkommen klar, dass Deutschland je weiter um so weniger imstande sein wird, sie zu bezahlen. Einstweilen aber lebt der französische Staat von neuen Anleihen oder durch neue Emissionen von Papiergeld. Einer der bekanntesten Finanzjournalisten Frankreichs, der Leiter des maßgebendsten Wirtschaftsblattes ,,L'Information", Leon Chavenon, plädiert für den weiteren Druck von Papiergeld, indem er erklärt: „Wir werden von dieser Notwendigkeit nicht anders loskommen, als durch eine offene Bankrotterklärung." Es gibt also nur zwei Möglichkeiten: einen kaschierten Bankrott durch die weitere Emission von Papieren oder den offenen Bankrott.

So steht es mit Frankreich, einem Siegerlande, das in dem herunterkommenden Europa in dem Sinne in günstigen Verhältnissen lebt, da es sein Gleichgewicht auf Kosten Deutschlands wieder herstellen konnte und kann. – Die Lage Italiens und Belgiens ist jedenfalls nicht besser als die Frankreichs.

Wenden wir uns nun dem reichsten, dem mächtigsten Lande Europas, Großbritannien, zu. Wir waren im Kriege gewohnt zu behaupten, dass England sich am Kriege bereichere, dass die britische Bourgeoisie Europa in den Krieg hineingehetzt habe und sich nun die Hände wärme. Das war richtig, aber nur bis zu einem gewissen Grade. England bereicherte sich in der ersten Periode des Krieges und begann sich zu verausgaben in der zweiten. Die Verarmung Europas und insbesondere Mitteleuropas störte die Handelsbeziehungen zwischen England und dem übrigen Teil Europas. Dies musste letzten Endes die Industrie und die Finanzen Englands treffen und traf sie auch. Außerdem sah sich England gezwungen, ungeheure Kosten im Kriege selbst zu tragen. Jetzt befindet sich England im Zustande des Niederganges und zwar eines immer zunehmenden Niederganges. Diese Tatsache kann durch Zahlen aus Industrie und Handel illustriert werden, die ich später anführen werde. Die Tatsache selbst unterliegt keinem Zweifel und findet ihren Ausdruck in einer Reihe offener und ganz offizieller Erklärungen angesehener englischer Bankmänner und Industrieller. In den Monaten März, April und Mai veröffentlichten englische Blätter die Berichte von den Jahresversammlungen der Aktiengesellschaften, Banken usw. Diese Jahresversammlungen, in denen die Unternehmungsleiter Bericht erstatten und die allgemeine Geschäftslage des Landes oder eines einzelnen Industriezweiges charakterisieren, bieten ein ausnehmend lehrreiches Material. Ich habe eine ganze Mappe solcher Berichte gesammelt. Sie alle besagen ein und dasselbe: das Nationaleinkommen Englands, d. h. das Gesamteinkommen all seiner Bürger und des Staates selber ist bedeutend kleiner als es vor dem Kriege war.

England ist verarmt. Die Arbeitsproduktivität ist gesunken. Der internationale Handel ist 1920 im Vergleich mit dem letzten Vorkriegsjahre mindestens um ein Drittel gesunken und in einigen wichtigen Industriezweigen noch mehr. Besonders krass tritt die Veränderung in der Kohlenindustrie hervor, die den Hauptzweig der englischen Wirtschaft darstellte oder richtiger, auf der das ganze wirtschaftliche Weltsystem Englands basierte, denn das Kohlenmonopol bildete die Grundlage der Macht, der Kraft und der Blüte aller übrigen Zweige der englischen Industrie. Jetzt ist von diesem Kohlenmonopol nicht die Spur geblieben. Hier sind die grundlegenden Daten über den Zustand der englischen Wirtschaft. 1913 förderte die Kohlenindustrie Englands 287 Millionen Tonnen Kohle. Im Jahre 1920 aber 233 Millionen Tonnen Kohle, d.h. um 20% weniger. An Gusseisen wurden im Jahre 1913 10,4 Millionen Tonnen erzeugt, im Jahre 1920 etwas mehr als 8 Millionen Tonnen, d. h. wiederum um 20% weniger. Die Kohlenausfuhr betrug im Jahre 1913 73 Millionen Tonnen, im Jahre 1920 im Ganzen nur 25 Millionen, d. h. ein Drittel. Aber der Rückgang der Kohlenindustrie und des Kohlenexportes im laufenden Jahre 1921 ist geradezu ungeheuerlich. Im Januar betrug die Kohlenförderung 19 Millionen Tonnen, im Februar 17, im März 16. Dann brach der Generalstreik aus und die Kohlenförderung näherte sich Null. Die Ausfuhr ist in den ersten fünf Monaten 1921 sechsmal kleiner als die Ausfuhr während desselben Zeitabschnittes 1913. Die ganze in Preisen ausgedrückte Ausfuhr im Mai dieses Jahres ist dreimal kleiner als die Ausfuhr im Mai des verflossenen Jahres. Die Staatsschulden Englands betrugen am 1. August 1914 71 Millionen Pfund. Am 4. Juni dieses Jahres 770,9 Millionen Pfund, d.h. 11-mal soviel. Das Budget ist um das Dreifache angewachsen.

Der Niedergang der englischen Wirtschaft fand seinen klaren Ausdruck im Kurs des englischen Pfundes. Das Pfund Sterling nahm auf dem Geldmarkt der Welt von jeher eine dominierende Stellung ein. Die Valuta aller übrigen Länder wurde mit dem Pfund verglichen, das englisch sovereign d. h. „Herrscher" genannt wird. Gegenwärtig hat das Pfund seine dominierende Stellung verloren. Seinen Platz hat der Dollar eingenommen, der jetzige Beherrscher des Finanzmarktes. Das Pfund hat momentan im Vergleich mit dem Dollar 24% seines Nominalwertes eingebüßt.

So verhält es sich mit England, dem reichsten Lande Europas, das unter den Kriegsoperationen am wenigsten gelitten und sich am Kriege in seiner ersten Periode am meisten bereichert hat.

Die von uns angeführten Daten charakterisieren die Lage von ganz Europa zur Genüge. Von den Ländern, die am Kriege teilgenommen haben, befindet sich an dem einen Pol Österreich als das am meisten mitgenommene Land (wenn man von Russland absieht), an dem anderen England. Dazwischen liegen: Deutschland Italien, Belgien, Frankreich. Die Balkanländer sind vollkommen ruiniert und in einen Zustand wirtschaftlicher und kultureller Barbarei zurück gesunken. Was die neutralen Länder betrifft, so haben sie sich in der ersten Periode unzweifelhaft bereichert, da sie aber eine selbständige wirtschaftliche Rolle nicht spielen können und einstweilen zwischen den Großstaaten leben und in völliger wirtschaftlicher Abhängigkeit von diesen letzteren sind, so führte der Niedergang der Hauptländer Europas zu den größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch für die neutralen Länder, die jetzt ebenfalls sehr heruntergekommen sind im Vergleich mit dem von ihnen erreichten Niveau in der ersten Kriegsperiode. Auf diese Weise ist das Einkommen Europas, d. h. die Gesamtsumme der von der ganzen europäischen Bevölkerung erzeugten Güter mindestens um ein Drittel gesunken im Vergleich mit der Vorkriegszeit. Aber viel wesentlicher ist, wie gesagt, der Niedergang des Wirtschaftsapparates. Der Bauer fand keinen künstlichen Dünger, keine landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte; der Grubenbesitzer erneuerte auf der Jagd nach hohen Kohlenpreisen die Anlagen nicht; der Lokomotivpark wurde verbraucht, der Eisenbahnstrang wurde nicht erneuert usw. usw. All das führte dazu, dass das Grundgewebe der Wirtschaft schwächer, zerrütteter, weniger zuverlässig wurde. Wie soll all das bemessen und berücksichtigt werden? So weit hat es die kapitalistische Statistik nicht gebracht. Eine derartige Inventuraufnahme nicht der einzelnen Wirtschaft, sondern eines ganzen Landes und ganz Europas hätte gewiss gezeigt, dass nicht nur das Kriegsregime, sondern auch das Nachkriegsregime auf Kosten des grundlegenden Produktionskapitals Europas erhalten wurde und erhalten wird. Das bedeutet z. B., dass Deutschland, anstatt 50.000 Arbeiter für die Verbesserung seiner Gruben zu verwenden, überflüssige 50.000 Arbeiter verwendet zur Förderung der Kohle, die es an Frankreich abgeben muss. Andererseits kann Frankreich, das bestrebt ist, möglichst viel Produkte zu exportieren, um sein Handelsdefizit zu verringern, wiederum nicht in dem nötigen Ausmaße seine Anlagen wiederherstellen. Und das trifft für alle Länder Europas zu, denn Europa hat als Ganzes ein Defizit, d. h. eine passive Handelsbilanz. Die Schwächung der Grundlagen der europäischen Wirtschaft wird sich morgen noch stärker bemerkbar machen, als sie sich gestern oder heute bemerkbar gemacht hat. Der mächtige Wurm der Geschichte unterhöhlt selbst das Fundament der europäischen Wirtschaft.

Die wirtschaftliche Blüte Amerikas.

Ein ganz anderes Bild wird entrollt, sobald wir die andere Halbkugel beschreiten. Amerika hat eine Entwicklung gerade entgegengesetzten Charakters durchgemacht. Amerika hat sich in dieser Zeit wahnwitzig bereichert. Am Kriege nahm es hauptsächlich als Lieferant teil. Freilich trug Amerika selbst Kriegsunkosten, aber diese Unkosten erwiesen sich als geringfügig, wenn man sie nicht einfach mit den Kriegsprofiten, sondern mit allen jenen Vorteilen vergleicht, die der Krieg der wirtschaftlichen Entwicklung Amerikas geboten hat. Nicht allein, dass die Vereinigten Staaten im kriegführenden Europa einen fast grenzenlosen Absatzmarkt bekommen hatten, der alles kaufte und dazu zu erhöhtem Preise, – sie wurden für eine Reihe von Jahren ihre Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkte los, sowohl Deutschland wie auch England, die hauptsächlich den Krieg bedienten. Fast bis zu dem Kriege exportierten die Vereinigten Staaten hauptsächlich (nämlich zu zwei Drittel) Landwirtschaftsprodukte und Rohstoffe. 'Während des Krieges wuchs die Ausfuhr der Vereinigten Staaten unaufhörlich und geradezu fieberhaft. Es genügt, zu erwähnen, dass die Ausfuhr in den sechs Jahren (1915 bis 1920) die Einfuhr um 18 Milliarden Dollar übertraf. Dabei hat sich der Charakter der Ausfuhr radikal verändert. Die Vereinigten Staaten exportieren jetzt 60% Industrieprodukte und nur 40% Produkte des Ackerbaus und der Viehzucht, sowie Rohstoffe: Baumwolle usw.

Um die jetzige Rolle der Vereinigten Staaten in der Weltwirtschaft zu kennzeichnen, will ich folgende Zahlen anführen: in den Vereinigten Staaten leben 6% der Gesamtbevölkerung der Welt. 7% der gesamten Erdoberfläche entfallen auf die Vereinigten Staaten; von der Goldproduktion der Welt liefern die Vereinigten Staaten 20%; auf die Vereinigten Staaten entfallen 30% der Welthandelstonnage, während sie vor dem Kriege höchstens über 5% verfügten. Die Vereinigten Staaten erzeugen 40% Stahl und Eisen, 40% Zinn, 40% Silber, 50% Zink, 45% Kohle, 60% Aluminium, ebenso viel Messing und Baumwolle, 66-70% Erdöl, 75% Mais und 85% Automobile. Es gibt jetzt in der ganzen Welt zirka 10 Millionen Automobile; davon entfallen auf Amerika 8½ Millionen und auf die ganze übrige Welt 1 500.000. Auf je 12 Amerikaner kommt ein Automobil.

Die von England eingebüßte Vorherrschaft auf dem Kohlenmarkte ist also endgültig auf die Vereinigten Staaten übergegangen. Ebenso wichtig ist die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten auf dem Gebiete des Erdöls, das eine immer größere Rolle in der Industrie spielt. Aber nicht allein in der Industrie und im Welthandel, auch auf dem Geldmarkte hat sich dieselbe Veränderung vollzogen. Der wichtigste Geldoperateur der Vorkriegszeit war England, dann kam Frankreich. Ihnen war die ganze Welt schuldig, darunter auch Amerika. Jetzt aber ist das einzige Land, das niemanden etwas schuldig ist, dem aber alle schuldig sind, die Vereinigten Staaten. Europa, d. h. die europäischen Staaten, Städte und Unternehmen schulden den Vereinigten Staaten 18 Milliarden Dollar in Gold. Aber das ist erst der Anfang. Mit jedem Tag wächst diese Schuld um 10 Millionen Dollar infolge der Nichtbezahlung der Zinsen und der Gewährung neuer Kredite. Dementsprechend ist, wie gesagt, der Dollar zum „sovereign" des Finanzmarktes der Welt geworden. Früher konnte sich der Dollar empfehlen: Ich bin ungefähr ein Fünftel des Pfundes Sterling wert. Was das letztere betrifft, so brauchte es gar keine Empfehlung für sich: es existierte als Pfund Sterling – sonst nicht. Jetzt hat sich die Sache radikal geändert. Jetzt braucht das Pfund einen Passausweis wie alle übrigen Geldzeichen, und in diesem Pass steht vermerkt, dass ein Pfund Sterling eigentlich gar nicht ein Pfund Sterling ist, sondern soundsoviel Dollar (genau um ein Viertel weniger, als es in den alten Kursbüchern heißt). Fast die Hälfte des Goldes der Welt, das dem Geldsystem zugrunde liegt, ist jetzt in den Vereinigten Staaten konzentriert: ungefähr die Hälfte des Weltvorrates.

Das ist die Lage Nordamerikas nach dem Kriege. Wie ist sie entstanden? Sie erwuchs aus dem Kriegsmarkte Europas, der unermesslich war und jede beliebigen Preise zahlte. In den englischen Kolonien, in Asien, in Afrika, ebenso in Südamerika gab es keine Konkurrenten, sie waren beinahe ganz verschwunden und die Vereinigten Staaten machten sich breit. Wir hatten auf diese Weise im Verlauf von sieben Jahren einen völligen Umschwung in der Arbeitsteilung der Welt. Europa verwandelte sich in den vier Jahren in einen Scheiterhaufen, auf dem es nicht nur sein Einkommen, sondern auch sein Grundkapital verbrannte, während die amerikanische Bourgeoisie sich an diesem Scheiterhaufen die Hände wärmte. Die Produktionsfähigkeit Europas ist außerordentlich gewachsen, aber der Markt ist verschwunden, denn Europa verelendete und konnte nicht weiter die amerikanischen Waren kaufen. So entstand eine Situation, als ob Europa zuerst aus aller Kraft Amerika geholfen hätte, die höchste Stufe zu erklimmen und dann das Brett unter seinen Füßen fortgezogen hätte.

Die übrigen Länder. – Die Krise.

Japan hat sich ebenfalls die Kriegszeit zunutze gemacht, und sein Kapitalismus hat große Fortschritte gemacht, die natürlich aber in keinem Verhältnis zu der Entwicklung der Vereinigten Staaten stehen. Gewisse Zweige der japanischen Industrie entfalteten sich im Treibhaustempo. Wenn Japan sich als fähig erwies, aus Mangel an Konkurrenten einzelne Zweige seiner Industrie rasch zu heben, ist es dennoch jetzt, da viele Konkurrenten sich wieder eingestellt haben, nicht immer imstande, die errungenen Positionen zu verteidigen. Die Gesamtzahl der japanischen Arbeiter und Arbeiterinnen (in Japan ist Frauenarbeit außerordentlich verbreitet) beträgt 2.370.000, davon sind 270.000 (zirka 12%) gewerkschaftlich organisiert.

In den Kolonial- und Halbkolonialländern in Ostindien und in China hat der Kapitalismus in den letzten sieben Jahren gewaltige Eroberungen gemacht. Vor dem Kriege lieferte Asien 56 Millionen Tonnen Kohle. Im Jahre 1920 lieferte es 76 Mill. Tonnen, d. h. um 36% mehr.

Gegenwärtig macht die ganze Welt eine harte Krise durch, die im Frühling vorigen Jahres in Japan und Amerika, d. h. gerade in den Ländern einsetzte, die in der letzten Zeit im Aufstieg begriffen waren und nicht sanken.

Die höchst solide englische ökonomische Zeitschrift „Economist" berichtet recht amüsant, wie die Krise begonnen hat. Das ist eine sehr interessante Episode. Der amerikanische Arbeiter soll danach reich geworden sein und hätte angefangen, seidene Hemden zu kaufen, deren Produktion den Hauptzweig der japanischen Textilindustrie bildet. In kurzer Zeit entwickelte sich die japanische Textilindustrie ganz außerordentlich; da aber die Kaufkraft der Arbeiter dennoch ziemlich beschränkt ist und mit einem Schlage sank, sobald die amerikanische Industrie infolge des Friedensschlusses umgestellt wurde, so stellte sich in der japanischen Seidenindustrie sofort eine scharfe Krise ein, die auf die anderen Industriezweige übersprang, Amerika erfasste, über den großen Teich hinüber griff und nun in der ganzen Welt eine in der Geschichte des Kapitalismus noch nie dagewesene Schärfe erreicht hat. Auf diese Weise fing alles mit Kleinigkeiten an: mit einem seidenen Hemde und endete mit großen Sachen: die Preise stürzten hinab und stürzten wahnwitzig, die Fabriken wurden stillgelegt, die Arbeiter wurden aufs Pflaster gesetzt. In Amerika gibt es jetzt mindestens 5, aber wie manche behaupten, 6 Millionen Arbeitslose.

Die Episode mit den seidenen Hemden hat in der Geschichte der Krise ungefähr dieselbe Bedeutung, wie der Flügelschlag des Vogels, der eine Schneelawine zum Sturz bringt. Offenbar war die Lawine schon fallbereit. Aber diese Episode ist auch dadurch noch interessant, dass sie die unzweifelhafte Verbesserung der materiellen Lage wenigstens bestimmter Kategorien von Arbeitern in den letzten Jahren kennzeichnet. Von den 8½ Millionen Automobilen gehört ein beträchtlicher Teil amerikanischen qualifizierten Arbeitern, aber jetzt und insbesondere in der nächsten Zeit werden die amerikanischen Arbeiter etwas anderes im Kopfe haben als Automobile und seidene Hemden.

Folglich – eine Krise in Europa und eine Krise in Amerika. Aber diese Krisen sind verschiedener Natur. Europa ist verarmt, Amerika ist reich geworden. Der Produktionsapparat Amerikas ist verhältnismäßig intakt. Die Fabriken sind erstklassig. Das Inventar ist da. Freilich ist die Qualität der Produkte während des Krieges gesunken, die Eisenbahnen sind in Unordnung geraten, denn die Kapitalisten sorgten hauptsächlich dafür, dass Waren an die im Osten gelegenen Häfen transportiert werden, – aber im großen und ganzen hielt Amerika seinen Wirtschaftsapparat bei, ja, steigerte ihn.

Die Kaufkraft Europas ist gesunken. Es kann als Äquivalent für die amerikanischen Waren nichts bieten. Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft rückte jäh nach Amerika, zum Teil nach Japan. Wenn Europa an Blutarmut leidet, so kranken jetzt die Vereinigten Staaten ebenso sehr an Hypertrophie. Dieses ungeheuerliche Missverhältnis zwischen dem Wirtschaftszustand Europas und dem Amerikas, – ein verderblicher Zustand für die beiden Teile, – findet seinen besonders krassen Ausdruck im Seetransportwesen. Auf diesem Gebiete nahm, wie auf vielen anderen, die dominierende Stellung vor dem Kriege England ein. England verfügte über 50% der Welttonnage. Im Bestreben, sich die Weltherrschaft in jeder Hinsicht zu sichern, bauten die Vereinigten Staaten ihre Handelsflotte in demselben Tempo aus, wie sich im Kriege ihr Handel entwickelte. Sie hoben ihre Tonnage von 3-4 Millionen auf 15 Millionen und haben jetzt England fast eingeholt.

Die Welttonnage stieg in diesen Jahren absolut um ungefähr ein Fünftel. Indessen ist die Industrie und der Welthandel gesunken. Es ist nichts mehr zum Exportieren da. Europas Anämie und Amerikas Hypertrophie lähmen im gleichen Maße die Transporttätigkeit auf dem Atlantik

Prosperität und Krise.

Die bürgerlichen und reformistischen Nationalökonomen, die ideell daran interessiert sind, den Zustand des Kapitalismus zu beschönigen, sagen: „Die jetzige Krise beweist an und für sich rein nichts. Im Gegenteil, sie ist eine normale Erscheinung. Wir nahmen nach dem Kriege einen industriellen Aufschwung wahr, jetzt haben wir die Krise; folglich lebt der Kapitalismus und entwickelt sich weiter." In der Tat, der Kapitalismus lebt durch Krisen und Prosperitätsperioden, wie der Mensch durch Ein- und Ausatmen lebt. Zuerst ein Industrieaufschwung, dann Stockung, Krise, dann Stockung in der Krise, Besserung, Aufschwung, Stockung usw.

Die Kombination von Krise und Aufschwung mit allen Übergangsmomenten bildet einen Zyklus der industriellen Entwicklung. Jeder Zyklus umfasst acht – neun – zehn – elf Jahre. Nimmt man die letzten 138 Jahre, so entfallen auf diesen Zeitabschnitt ungefähr 16 Zyklen. Jeder Zyklus braucht also weniger als 9 Jahre. Kraft seiner inneren Widersprüche entfaltet sich der Kapitalismus also nicht in gerader Linie, sondern im Zickzack, durch Auf- und Abstiege. Dieser Umstand gibt jetzt den Apologeten des Kapitalismus den Grund zu behaupten: da wir nach dem Kriege eine Aufeinanderfolge von Aufschwung und Krise wahrnehmen, so ist in der kapitalistischen Welt alles aufs Beste bestellt. Aber in Wirklichkeit ist es nicht so. Die Tatsache, dass der Kapitalismus seine zyklischen Schwankungen nach dem Kriege fortsetzt, bedeutet bloß, dass der Kapitalismus nicht tot ist, dass wir es nicht mit einer Leiche zu tun haben. So lange der Kapitalismus von der proletarischen Revolution nicht zerschmettert sein wird, wird er in Zyklen fortleben: auf und ab. Die Krisen und Prosperitätsperioden waren dem Kapitalismus schon bei seiner Geburt eigen, sie werden ihn bis ans Grab geleiten. Damit wir aber das Alter des Kapitalismus und seinen Allgemeinzustand bestimmen können, ob er sich entwickelt, ob er die Reife erreicht hat, ob es mit ihm bergab geht, – müssen wir den Charakter der Zyklen analysieren, genau so wie man den Zustand des menschlichen Organismus danach beurteilen kann, wie er atmet: gleichmäßig oder stoßweise, tief oder oberflächlich usw. Das Wesen der Frage kann folgendermaßen dargestellt werden: Nehmen wir die Entwicklung des Kapitalismus – die Zunahme der Kohlenförderung, die Produktion von Textilien, Eisen, Gusseisen, den Außenhandel in den letzten 138 Jahren und stellen diese Entwicklung in Form einer Kurve dar. Wenn wir durch die Krümmungen dieser Kurve den tatsächlichen Gang der wirtschaftlichen Entwicklung ausdrücken, so wird es sich herausstellen, dass diese Kurve ansteigt, aber nicht als fortlaufende Linie, sondern zickzackartig – auf und ab, auf und ab, entsprechend den Prosperitätsperioden und Krisen. Auf diese Weise kann man an der Kurve der wirtschaftlichen Entwicklung zwei Bewegungen verfolgen: die eine grundlegende, die ihren allgemeinen Aufstieg ausdrückt, und eine zweite Bewegung anderer Natur: dies sind die beständigen periodischen Schwankungen, die den 16 Zyklen im Verlauf von 138 Jahren entsprechen. In dieser Zeit lebte der Kapitalismus, atmete ein und aus, aber zu verschiedenen Zeitabschnitten verschieden.

Vom Standpunkt der grundlegenden Bewegung, d. h. vom Standpunkt der Entwicklung oder der Stagnation des Niederganges des Kapitalismus könnte man den ganzen Zeitausschnitt von 138 Jahren – hypothetisch und ohne besondere Genauigkeit zu beanspruchen – in fünf Perioden zerschlagen.. Von 1783 bis 1851 ging die kapitalistische Entwicklung sehr langsam vor sich, die Kurve stieg außerordentlich träge an. Nach der Revolution von 1848, die den Rahmen des europäischen Marktes erweitert hat, tritt ein Wendepunkt ein. Von 1851 bis 1873 steigt die Entwicklungskurve steil empor. Im Jahre 1873 stoßen die erweiterten Produktivkräfte an den Rahmen des Marktes. Es findet ein Zusammenbruch statt. Dann beginnt eine Periode der Depression, die bis 1894 fortdauert. Zyklische Schwankungen finden auch in dieser Zeit statt, aber die Kurve verbleibt ungefähr auf demselben Niveau. Mit 1894 beginnt eine neue Ära der kapitalistischen Blüte, und die Kurve steigt fast bis zum Kriege wahnwitzig in die Höhe. Schließlich in der fünften Periode beginnt seit 1914 die Zerstörung der kapitalistischen Wirtschaft.* Wie reimt sich die Grundbewegung der Kurve mit ihren zyklischen Schwankungen? Sehr einfach. In Perioden der raschen Entwicklung des Kapitalismus haben die Krisen einen kurzen oberflächlichen Charakter, die Prosperitätsperioden dauern lange und greifen tief. In Niedergangsperioden des Kapitalismus haben die Krisen einen langjährigen Charakter, der Aufschwung ist kurz, oberflächlich und spekulativ. In Perioden der Stagnation vollziehen sich die Schwankungen um ein und dasselbe Niveau.

Das bedeutet eben, dass man verstehen muss, aus der besonderen Art der Atmung oder des Pulsschlages den allgemeinen Zustand des kapitalistischen Organismus zu bestimmen.

Der Aufschwung nach dem Kriege.

Gleich nach dem Kriege entstand eine unbestimmte wirtschaftliche Lage. Aber seit dem Frühling 1919 setzte ein Aufschwung ein: die Börsen bekamen Leben, die Preise hüpften in die Höhe wie die Quecksilbersäule im kochenden Wasser, die Schiebergeschäfte entfalteten sich in tollem Wirbel. Und die Industrie? In Mittel-, Ost- und Südosteuropa hielt die Depression an, was die Zahlen auch beweisen. In Frankreich war hauptsächlich infolge der Auspowerung Deutschlands eine gewisse Besserung eingetreten. In England war teilweise Stagnation, teilweise Depression, abgesehen von der Handelsflotte, deren Tonnage in dem Maße zunahm, wie der tatsächliche Handel zurückging. Auf diese Weise erhielt im großen und ganzen der Aufschwung in Europa einen halb fingierten, spekulativen Charakter und bedeutete nicht Entwicklung, sondern weiteren Verfall der Wirtschaft.

In den Vereinigten Staaten fand nach dem Kriege eine Einschränkung der Kriegsindustrie und eine Umstellung auf Friedensarbeit statt. Ein Aufschwung ist wahrzunehmen in der Kohlen-Naphtha-, Automobil- und Schiffsbauindustrie.


Kohle

Naphtha in Millionen

Automobile

Schiffbau

1918

615 Tonnen

356 Tonnen

1.153.000 Stück

3.033.000 Tonnen

1919

494 Tonnen

378 Tonnen

1.974.000 Stück

4.075.000 Tonnen

1920

580 Tonnen

442 Tonnen

2.350.000 Stück

2.746.000 Tonnen

Genosse Varga sagt in seiner wertvollen Broschüre vollkommen richtig: „Die Tatsache, dass der Aufschwung nach dem Kriege einen spekulativen Charakter trug, offenbart sich am deutlichsten am Beispiel Deutschlands. Während die Preise in den 1½ Jahren um das Siebenfache gestiegen sind, ist die Industrie Deutschlands zurückgegangen. Ihre Konjunktur war die Konjunktur des Ausverkaufs: die Überreste der auf dem Innenmarkt vorhandenen Warenvorräte wurden zu fabelhaft billigen Preisen nach dem Auslande verschoben."

Am meisten stiegen die Preise in Deutschland, wo die Industrie zu sinken fortfuhr. Am wenigsten stiegen die Preise in den Vereinigten Staaten, wo die Industrie im Aufstieg ist. Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten liegen Frankreich und England.**

Wodurch sind diese Tatsachen zu erklären und worin findet der Aufschwung selbst seine Erklärung? Erstens in wirtschaftlichen Ursachen: nach dem Kriege wurden, – wenn auch in geschmälertem Maße, – die internationalen Beziehungen wieder angeknüpft, und überall stellte sich die Nachfrage nach Waren der mannigfachsten Art ein. Zweitens, durch politisch-finanzielle Gründe: die europäischen Regierungen fürchteten sich vor der Krise, die nach dem Kriege eintreten musste und hatten alle Maßnahmen getroffen, um zur Zeit der Demobilmachung den künstlichen Aufschwung festzuhalten, der durch den Krieg geschaffen worden war. Die Regierungen setzten nach wie vor viel Papiergeld in Umlauf, nahmen neue Anleihen auf, regulierten den Profit, die Arbeitslöhne und die Brotpreise, schossen aus dem Nationalvermögen zu den Löhnen der demobilisierten Arbeiter zu und schufen eine künstliche wirtschaftliche Prosperität im Lande. So fährt das fingierte Kapital in dieser Zeit zu wachsen fort, besonders in jenen Ländern, wo die Industrie im Abstieg begriffen ist.

Der fingierte Aufschwung nach dem Kriege hatte jedoch große politische Folgen: mit einem gewissen Rechte kann man sagen, dass er die Bourgeoisie gerettet hat. Wären die kriegsentlassenen Arbeiter von Anfang an auf Arbeitslosigkeit und das selbst im Vergleich mit der Vorkriegszeit herabgesetzte Lebensniveau gestoßen, so hätte dies für die Bourgeoisie fatale Folgen haben können. Der englische Professor Edwin Cannan schrieb diesbezüglich in der Neujahrsrundschau des „Manchester Guardian": „Die Ungeduld der Menschen, die vom Schlachtfeld zurückgekehrt sind, ist sehr gefährlich", und er erklärte den glücklichen Verlauf der schlimmsten Nachkriegsperiode des Jahres 1919 ganz richtig durch die Tatsache, dass die Regierung und die Bourgeoisie mit vereinten Kräften die Krise zurückdrängten, hinausschoben, indem sie mit Hilfe einer weiteren Zerstörung des Grundkapitals Europas eine künstliche Prosperität erzeugten. „Wenn die Wirtschaftslage im Jahre 1919 so gewesen wäre, wie sie es im Jahre 1920 war," schreibt Cannan, „so hätte Westeuropa vom Chaos erfasst werden können." Das Krankenfieber des Krieges wurde auf weitere anderthalb Jahre hinausgezogen, und die Krise trat erst dann ein, als die heimgekehrten Massen der Arbeiter und Bauern schon mehr oder weniger unter Dach und Fach gebracht worden waren.

Die jetzige Krise.

Nachdem die Bourgeoisie mit der Demobilisierung fertig geworden war und dem ersten Ansturm der Arbeitermassen standgehalten hatte, kehrte sie vom Zustand der Kopflosigkeit, Unruhe und sogar Panik zu ihrer Selbstsicherheit zurück. Sie fing nun an zu glauben, dass erst jetzt gerade erst die Ära der größten Blüte, der kein Ende abzusehen ist, begonnen hätte. Angesehene englische Politiker und Finanzmänner machten den Vorschlag, eine internationale Anleihe von 2 Milliarden Pfund Sterling für Reparationsarbeiten aufzunehmen. Es hatte den Anschein, als würde ein Goldregen auf Europa herab gehen und einen allgemeinen Wohlstand schaffen. Die Zerstörung Europas, die Vernichtung seiner Städte und Dörfer verwandelte sich also in dieser phantastischen Anleiheziffer in Reichtum, obwohl es in Wahrheit ein gigantischer Schatten des Elends war. Die Wirklichkeit vertrieb jedoch bald die Bourgeoisie aus der Welt der Phantastereien. Ich erwähnte bereits, wie die Krise in Japan (im März) begann, dann in den Vereinigten Staaten (im April) ausbrach und darauf nach England, Frankreich und Italien überging und in der zweiten Hälfte des Jahres sich über die ganze Welt ausbreitete. Aus dem bisher Gesagten geht vollkommen deutlich hervor, dass wir nicht eine einfache Schwankung eines periodischen Industriezyklus vor uns haben, sondern die Vergeltung für die Zerstörungen und Vergeudungen der ganzen Kriegs- und Nachkriegsperiode.

Im Jahre 1913 betrug die reine Einfuhr aller Staaten 65,7 Milliarden Goldmark. Von dieser Summe entfielen auf Russland 2½ Milliarden, auf Österreich-Ungarn 3 Milliarden, auf den Balkan 1 Milliarde, auf Deutschland 11 Milliarden Goldmark. Auf diese Weise entfiel auf Mittel- und Osteuropa mehr als ein Viertel des Warenimportes der Welt. Gegenwärtig importieren alle diese Länder weniger als ein Fünftel ihrer früheren Einfuhrziffer. Diese Zahl charakterisiert zur Genüge die jetzige Kaufkraft Europas.

Welches sind die nächsten ökonomischen Perspektiven?

Es ist evident, dass Europa sich wird einschränken müssen, da es den europäischen Kriegsmarkt nicht wieder erlangen kann. Andererseits wird Europa sich ebenfalls den rückständigsten, d. h. den ruiniertesten Gegenden und Industriezweigen anpassen müssen. Das wird ein ökonomischer Ausgleich nach rückwärts sein, also eine langwierige Krise, in den einzelnen Zweigen und Ländern Stagnation, in den anderen schwache Entwicklung. Die zyklischen Schwankungen werden fortbestehen, aber im großen und ganzen wird die Kurve der kapitalistischen Entwicklung nicht auf-, sondern absteigen.

Krise, Aufschwung und Revolution.

Das Wechselverhältnis zwischen dem ökonomischen Aufschwung und der Krise in der Entwicklung der Revolution ist für uns nicht nur von großem theoretischen Interesse, sondern vor allem von praktischer Bedeutung. Viele von uns werden sich erinnern, dass Marx und Engels im Jahre 1851 – als die Prosperität mit voller Macht einsetzte – schrieben, man müsste jetzt die Revolution von 1848 als abgeschlossen oder wenigstens bis zur neuen Krise als unterbrochen betrachten. Engels schrieb, die Krise von 1847 wäre die Mutter der Revolution gewesen, aber die Prosperität von 49/51 die Mutter der siegreichen Konterrevolution. Es wäre jedoch sehr einseitig und im Grunde genommen unrichtig, wollte man diese Betrachtungen in dem Sinne deuten, dass die Krise stets eine revolutionäre Wirkung ausübe, die Prosperität dagegen die Arbeiterklasse beruhige. Die Revolution des Jahres 1848 war nicht aus der Krise geboren. Diese war nur der letzte Anstoß. Eigentlich entstand die Revolution aus dem Gegensatz zwischen den Bedürfnissen der kapitalistischen Entwicklung und den Fesseln des halb feudalen gesellschaftlichen und staatlichen Regimes. Die Revolution von 48, an sich unentschlossen und halb, fegte jedoch die Überbleibsel des Zunft- und Feudalregimes fort und erweiterte dadurch den Rahmen der kapitalistischen Entwicklung. Unter diesen und nur unter diesen Umständen bildete der Aufschwung von 1851 den Anfang einer ganzen Epoche kapitalistischer Blüte, die bis 1873 anhielt.

Ist dieselbe Wirkung von dem Aufschwung der Jahre 1919-20 zu erwarten? Keinesfalls. Hier konnte von einer Erweiterung des Rahmens der kapitalistischen Entwicklung nicht die Rede sein. Heißt das, dass in der ferneren oder sogar mehr oder weniger nahen Zukunft ein neuer handels-industrieller Aufschwung ausgeschlossen ist? Keineswegs. Ich sagte bereits, dass, solange der Kapitalismus lebt, er ein- und ausatmet. Aber in der Epoche, in die wir getreten sind, in der Epoche der Vergeltung für die Vernichtungen und Vergeudungen des Krieges, in der Epoche des Ausgleichs nach rückwärts, – können die Prosperitätsperioden bloß einen oberflächlichen, vorwiegend spekulativen Charakter tragen, die Krisen dagegen sind viel langwieriger und tiefer.

Ist also eine Wiederherstellung des kapitalistischen Gleichgewichtes auf neuer Grundlage möglich? Wenn man zugibt, (wir wollen es einen Moment lang tun), dass die Arbeiterklasse sich zum revolutionären Kampfe nicht emporschwingen und der Bourgeoisie die Möglichkeit geben wird, im Verlauf einer langen Reihe von Jahren, – sagen wir zwei-drei Jahrzehnte lang, – die Geschicke der Welt zu meistern, so ist unzweifelhaft, dass ein gewisses neues Gleichgewicht eintreten würde. Europa wird stark zurückgehen. Millionen europäischer Arbeiter werden infolge Arbeitslosigkeit und Unterernährung aussterben. Die Vereinigten Staaten werden sich auf dem Weltmarkte neu orientieren, ihre Industrie umgruppieren und für eine längere Zeitdauer abbauen müssen. Nachdem auf diesem Schmerzenswege im Verlauf von 15-20-25 Jahren eine neue Arbeitsteilung in der Welt eingetreten wäre, könnte vielleicht eine neue Epoche des kapitalistischen Aufschwunges beginnen.

Doch diese ganze Betrachtung ist sehr abstrakt und einseitig.. Wir stellen die Sache hier so dar, als ob das Proletariat den Kampf einstellen würde. Indes kann davon nicht die Rede sein, schon allein deshalb nicht, weil die Klassengegensätze gerade in den letzten Jahren eine außerordentliche Verschärfung erfahren haben.

Zuspitzung der sozialen Gegensätze.

Die ökonomische Entwicklung ist kein automatischer Prozess. Ich sprach bisher von den Produktionsgrundlagen, aber damit ist ja die Sache nicht abgetan. Auf dieser Grundlage leben und arbeiten Menschen, und durch diese Menschen vollzieht sich die Entwicklung. Was geschah nun auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen den Menschen oder richtiger zwischen den Klassen? Wir sahen, dass Deutschland und auch andere Länder Europas im Sinne ihres Wirtschaftsniveaus für 20-30 Jahre zurückgeworfen sind. Aber sind sie gleichzeitig auch im sozialen Klassensinne zurückgeworfen? Nichts derartiges! Deutschlands Klassen, die Zahl der Arbeiter und ihre Konzentration, die Konzentration des Kapitals, seine Organisiertheit, – all das vollzog sich vor dem Kriege, insbesondere infolge der letzten zwanzigjährigen Blüteperiode (1894-1913) und spitzte sich dann noch mehr zu: während des Krieges mit Hilfe der staatlichen Einmischung und nach dem Kriege während des Spekulationstaumels und der Konzentration des Kapitals. Wir haben also zwei Entwicklungsprozesse. Das Nationalvermögen und das Nationaleinkommen sinken, aber die Entwicklung der Klassen schreitet dabei nicht rückwärts, sondern vorwärts. Die Zahl der Proletarisierten steigt, die Kapitalien konzentrieren sich in immer weniger Händen, die Banken verschmelzen, die Industrieunternehmen konzentrieren sich in Trusts. Infolgedessen verschärft sich auf Grund des abnehmenden Nationaleinkommens der Klassenkampf. Darin liegt der ganze Sinn. Je kleiner das materielle Fundament unter den Füßen wird, um so mehr müssen die Klassen und Gruppen um ihren Anteil an diesem Nationaleinkommen kämpfen. Dieser Umstand darf keinen Augenblick außer acht gelassen werden. Wenn Europa in seinem Nationalvermögen für dreißig Jahre zurückgeschleudert ist, so heißt es nicht, dass es um dreißig Jahre jünger geworden ist. Nein, es wurde um 30 Jahre ärmer, aber im Sinne der Klassen wurde es um 300 Jahre älter. So steht es mit dem Wechselverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie.

Das Bauerntum.

In der ersten Kriegsperiode sprach und schrieb man davon, dass das Bauerntum in ganz Europa sich am Kriege bereichere. Und in der Tat, Brot und Fleisch waren dem Staate für die Armee dringend notwendig. Für alles wurden tolle Preise gezahlt, die immer stiegen, und die Bauern stopften sich die Taschen mit Kreditscheinen voll. Mit diesen immer mehr entwerteten Kreditscheinen bezahlten die Bauern die Schulden, die sie früher in vollwertiger Valuta gemacht hatten. Das war für sie natürlich eine sehr vorteilhafte Operation.

Die bürgerlichen Nationalökonomen glaubten, dass das Aufblühen der bäuerlichen Wirtschaft nach dem Kriege die Stabilität des Kapitalismus sichern würde. Aber sie verrechneten sich. Die Bauern bezahlten die Hypotheken, doch die Landwirtschaft besteht keineswegs allein aus der Bezahlung der Bankschulden. Sie besteht aus der Bestellung des Bodens, dem Düngen, dem Inventar, dem gesunden Saatgut, den technischen Verbesserungen usw. Das fehlte entweder ganz oder kostete wahnwitziges Geld. Dazu mangelte es an Arbeitskräften. Die Landwirtschaft verfiel, und die Bauern fingen nach dem ersten, halb fingierten Aufschwung an, zu verarmen. Dieser Prozess ist in verschiedenem Grade in ganz Europa zu beobachten. Aber besonders krass zeigt er sich in Amerika. Besonders litten die amerikanischen, kanadischen, australischen und südamerikanischen Farmer, als es sich herausstellte, dass das ruinierte Europa außerstande sei, weiter ihr Getreide zu kaufen. Die Getreidepreise sanken. In der ganzen Welt findet unter den Farmern eine Gärung und Unzufriedenheit statt. So hört das Bauerntum auf, die Stütze der bestehenden Ordnung zu sein. Die Arbeiterklasse erhält die Möglichkeit, zumindest einen Teil des Bauerntums (die Unterschicht) mit sich in den Kampf mitzureißen, einen anderen Teil (die Mittelschicht) zu neutralisieren und die Oberschicht (die Ausbeuterelemente) zu paralysieren.

Der neue Mittelstand.

Die Reformisten setzten auf den sogenannten Mittelstand große Hoffnungen. Die Ingenieure, Techniker, Ärzte, Anwälte Buchhalter, Kontorangestellten, Privat- und Staatsbeamten usw. all das gibt eine halb konservative Schicht, die zwischen Kapital und Arbeit steht und laut Auffassung der Reformisten die beiden Seiten versöhnen, das demokratische Regime lenken und zugleich stützen sollte. Während des Krieges und nach dem Kriege hat diese Klasse sogar mehr gelitten, als die Arbeiterklasse, d. h. ihre Lebenshaltung ist noch tiefer gesunken, als die der Arbeiterklasse. Die Hauptursache davon liegt im Sinken der Kaufkraft des Geldes und der Entwertung der Kreditscheine. In allen Ländern Europas hat auf diesem Boden eine starke Unzufriedenheit das niedere und sogar mittlere Beamtentum und die technischen Kopfarbeiter erfasst. Natürlich sind die Staats- und Privatangestellten, die Bankbeamten usw. usw. nicht zur proletarischen Klasse geworden, aber sie büßten ihren früheren konservativen Charakter ein. Sie unterstützen viel weniger den Staat, als sie durch ihre Unzufriedenheit und ihren Protest seinen Apparat erschüttern und zerrütten.

Die Unzufriedenheit der bürgerlichen Intellektuellen wird noch vertieft durch ihren Zusammenhang mit der kleinen und mittleren Handels- und Industriebourgeoisie. Diese letztere fühlt sich übervorteilt und vernachlässigt. Die vertrustete Bourgeoisie wird trotz der Verarmung des Landes immer reicher. Sie eignet sich einen immer größeren Teil des sich verringernden Nationaleinkommens an. Die nicht vertrustete Bourgeoisie und der neu Mittelstand sinken absolut wie relativ.

Was das Proletariat betrifft, so ist es sehr wahrscheinlich, dass ungeachtet seiner verschlechterten Lebenshaltung sein allgemeiner Anteil an dem sich verringernden Nationaleinkommen jetzt größer ist, als er vor dem Kriege gewesen ist. Das vertrustete Kapital ist bestrebt, den Anteil des Arbeiters herabzusetzen und ihn auf das Vorkriegsmaß zurückzuführen. Der Arbeiter aber geht nicht von statistischen Betrachtungen aus, sondern von seiner herabgesetzten Lebenshaltung und ist bestrebt, seinen Anteil am Nationaleinkommen zu erhöhen. Also: die Bauern sind mit dem Niedergange der Wirtschaft unzufrieden, die Kopfarbeiter verarmen und verkommen; das Kleinbürgertum und der Mittelstand sind ruiniert und unzufrieden. Der Klassenkampf spitzt sich zu.

Die internationalen Beziehungen.

Die internationalen Beziehungen spielen natürlich eine gewaltige Rolle im Leben der kapitalistischen Welt. Die letztere hat es allzu deutlich verspürt während des Weltkrieges. Auch jetzt, wenn wir die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Wiederherstellung des Weltgleichgewichts für das Kapital aufwerfen, müssen wir betrachten, bei welchen internationalen Beziehungen diese Wiederherstellungsarbeit stattfindet. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die internationalen Beziehungen viel gespannter wurden, sich viel weniger mit der „friedlichen" Entwicklung des Kapitals vertragen, als es vor dem Kriege der Fall war.

Weswegen fand der Krieg statt? Deswegen, weil es den Produktivkräften im Rahmen der mächtigsten kapitalistischen Länder zu eng wurde. Das Bestreben des imperialistischen Kapitals ging dahin, die Staatsgrenzen aufzuheben, den ganzen Erdball zu erfassen, Grenzpfähle und Schranken, die die Entwicklung der Produktivkräfte hemmen, zu beseitigen. Das ist die wirtschaftliche Grundlage des Imperialismus und die Ursache des Krieges. Und das Ergebnis? Europa ist an Grenzen und Zollschranken jetzt reicher denn je. Es bildete sich eine Reihe von Kleinstaaten. An Stelle des früheren Österreich-Ungarn sind zehn Zolllinien gezogen. Der Engländer Keynes nannte Europa ein Tollhaus, und in der Tat, vom Standpunkte der ökonomischen Entwicklung stellt dieser ganze Partikularismus der Kleinstaaten mit ihrer Abgeschlossenheit und ihrem Zollsystem einen ungeheuerlichen Anachronismus dar, ein blödsinniges Hineinklingen des Mittelalters ins zwanzigste Jahrhundert. Während der Balkan barbarisiert wird, wird Europa balkanisiert.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich schließen nach wie vor die Möglichkeit irgend eines europäischen Gleichgewichtes aus. Frankreich ist gezwungen, Deutschland auszuplündern und zu vergewaltigen, um sein Klassengleichgewicht zu erhalten, dem das erschöpfte Fundament der französischen Wirtschaft nicht entspricht. Deutschland kann das Objekt dieser Ausplünderung nicht bleiben und wird es nicht bleiben können. Momentan ist freilich ein Abkommen getroffen worden. Deutschland hat sich verpflichtet, jährlich 2 Milliarden Goldmark und außerdem 26% seines Exportes zu bezahlen. Dieses Abkommen ist ein Sieg der englischen Politik, die bestrebt ist, die französische Besetzung des Ruhrgebietes zu verhindern. Gegenwärtig befindet sich die Hauptmenge der europäischen Eisenerze in den Händen Frankreichs, die Hauptmenge der Kohle in den Händen Deutschlands. Die erste Bedingung der Wiederherstellung der europäischen Wirtschaft ist die Kombinierung des französischen Erzes mit der deutschen Kohle, aber eine solche für die wirtschaftliche Entwicklung absolut notwendige Kombination ist für den englischen Kapitalismus lebensgefährlich. Alle Bemühungen Londons gehen deshalb darauf hinaus, eine offensive sowie friedliche Kombination der französischen Erze mit der deutschen Kohle zu verhindern.

Frankreich ist vorübergehend auf den Kompromiss eingegangen, umso mehr, da es infolge seines zerrütteten Produktionsapparates außerstande ist, auch jene Kohle zu verdauen, die ihm Deutschland jetzt zwangsweise liefert. Aber das bedeutet keineswegs, dass die Frage des Ruhrgebietes endgültig gelöst sei. Das erste Nichteinhalten der Verpflichtungen Deutschlands wird die Frage nach dem Schicksal der Ruhrprovinz von neuem akut machen.

Das Zunehmen des europäischen und teilweise auch des internationalen Einflusses Frankreichs wird in den letzten Jahren nicht durch die Stärkung Frankreichs bestimmt, sondern durch die offensichtliche und zunehmende Schwächung Englands.

Großbritannien hat Deutschland besiegt. Das war die Hauptfrage, die durch den letzten Krieg gelöst wurde. Und der Krieg war eigentlich kein Weltkrieg, sondern ein europäischer Krieg, wenn auch der Kampf der zwei mächtigsten Staaten – Englands und Deutschlands – unter Beteiligung und mit Hilfe der ganzen Welt ausgefochten wurde. Deutschland wurde von England besiegt. Aber jetzt ist England auf dem Weltmarkte und überhaupt in der Weltsituation bedeutend schwächer, als es vor dem Kriege war. Die Vereinigten Staaten sind auf Kosten Englands viel mehr gewachsen, als England auf Kosten Deutschlands gewachsen ist.

Amerika schlägt England vor allem durch den rationelleren, fortschrittlichen Charakter seiner Industrie. Die Arbeitsproduktivität des amerikanischen Arbeiters übertrifft die des englischen Arbeiters um 150%. Mit anderen Worten, zwei amerikanische Arbeiter produzieren infolge der höher organisierten Industrie ebenso viel wie fünf englische. Allein diese Tatsache, die von englischen statistischen Forschungen bestätigt wird, zeugt davon, dass Englands Schicksal im Kampf mit Amerika besiegelt ist, und dies allein genügt, um England in den Krieg gegen Amerika zu stoßen, so lange die englische Flotte das Übergewicht auf dem Ozean behält.

In der ganzen Welt und sogar in Europa selbst wird die englische Kohle durch die amerikanische verdrängt. Indessen fußte Englands Welthandel vor allem auf dem Kohlenexport. Außerdem gewinnt jetzt Naphtha eine entscheidende Bedeutung in der Industrie und dem Verteidigungswesen: nicht nur, dass es Automobile, Traktoren, Unterseeboote und Aeroplane speist, aber es hat auch gewaltige Vorzüge im Vergleich mit der Kohle selbst für die großen Ozeandampfer. Bis zu 70% der Naphthaförderung der Welt wird in den Vereinigten Staaten gewonnen. Im Kriegsfalle ist also das ganze Naphtha in den Händen der Washingtoner Regierung. Außerdem hält Amerika in seinen Händen das mexikanische Naphtha, das 12% der Weltförderung ergibt. Freilich, die Amerikaner machen England zum Vorwurf, dass es außerhalb der Vereinigten Staaten schier 90% aller Naphthaquellen der Welt angesammelt habe und die Amerikaner von ihnen fern halte, während die amerikanischen Quellen in den nächsten Jahren versiegen würden. Aber diese autochthonen statistischen Berechnungen sind ziemlich zweifelhafter und willkürlicher Natur. Sie sind auf Bestellung gemacht, um Amerikas Ansprüche auf das Naphtha in Mexiko, Mesopotamien usw. zu rechtfertigen. Aber wenn auch die Gefahr der Erschöpfung der amerikanischen Quellen zur Realität werden würde, so wäre es nur eine Ursache mehr, den Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und England zu beschleunigen.

Eine akute Frage ist die Verschuldung Europas gegenüber Amerika. Die Schuld macht im ganzen 18 Milliarden Dollar aus. Die Vereinigten Staaten haben stets die Möglichkeit, durch Einforderung der Schuld auf dem englischen Geldmarkt die größten Schwierigkeiten zu erzeugen. Bekanntlich hatte England Amerika sogar angeboten, auf die englische Schuld zu verzichten, und versprach seinerseits, die europäischen Schulden gegenüber England zu annullieren. Da aber England Amerika bedeutend mehr schuldet, als ihm selbst die kontinentalen Länder der Entente schuldig sind, so wäre England bei dieser Operation im Vorteil gewesen. Amerika lehnte ab. Es ist nicht schwer einzusehen, dass die kapitalistischen Yankees wenig Lust hatten, Großbritanniens Kriegsvorbereitungen gegen die Vereinigten Staaten mit eigenen Mitteln zu finanzieren.

Das Bündnis Englands mit Japan, das wegen der Vorherrschaft in Asien gegen Amerika kämpft, verschärft ebenfalls die Beziehungen zwischen Amerika und England außerordentlich.

Aber am schärfsten wird in Anbetracht all dieser genannten Verhältnisse die Frage der Kriegsflotte. Nachdem die Wilson-Regierung auf den Widerstand Englands in einer internationalen Frage gestoßen war, brachte sie ein gewaltiges Programm des friedlichen Aufbaus zustande. Die Harding-Regierung übernahm dieses Programm von ihrem Vorgänger, und das Programm wird nun mit Volldampf verwirklicht. Im Jahre 1924 wird die Flotte der Vereinigten Staaten nicht nur bedeutend mächtiger sein als die englische, sondern wird – wenn nicht nach der Tonnage, so nach der Schlagkraft, – die englische und die japanische Flotte zusammen übertreffen.

Was bedeutet dies vom englischen Standpunkt? – Entweder muss England bis 1924 die Herausforderung annehmen und versuchen, die militärische, maritime und ökonomische Macht der Vereinigten Staaten zu zerstören, indem es seine jetzige Überlegenheit ausnutzt, oder aber England muss sich passiv in eine Macht zweiter oder dritter Größe verwandeln und den Vereinigten Staaten den Vorrang auf den Ozeanen und Meeren endgültig abtreten. Das letzte Völkergemetzel, das die europäische Frage auf seine Art „gelöst" hatte, hat also in vollem Umfange eine Weltfrage aufgeworfen, d. h. die Frage, ob England oder die Vereinigten Staaten dominieren sollen. Die Vorbereitungen zum neuen Weltkrieg sind in vollem Gange. Die Ausgaben für Armee und Flotte sind im Vergleich mit der Vorkriegszeit außerordentlich gewachsen. Das englische Heeresbudget ist um das dreifache, das amerikanische um das 3½-fache gewachsen.

Am 1. Januar 1914, d. h. im Moment der höchsten Spannung des bewaffneten Friedens standen in der ganzen Welt ca. 7 Millionen Soldaten unter Waffen. Zu Beginn des jetzigen Jahres standen unter Waffen ca. 11 Millionen Soldaten. Die Hauptmasse dieser Armeen fällt natürlich auf das erschöpfte Europa zurück.***

Die scharfe Krise, die aus der Verengung des Weltmarktes erwachsen ist, verschärft außerordentlich den Kampf der kapitalistischen Staaten und nimmt den internationalen Beziehungen jede Stabilität. Nicht nur Europa, aber die ganze Welt wird zum „Tollhause". Unter diesen Umständen kann von einer Wiederherstellung des kapitalistischen Gleichgewichtes wohl kaum geredet werden.

Die Arbeiterklasse nach dem Kriege.

Gleich nach dem Kriege war die Bourgeoisie kopflos und höchst erschreckt – die Arbeiter, besonders die Heimkehrer waren anspruchsvoll gestimmt. Aber die Arbeiterklasse als Ganzes war desorientiert, wusste nicht genau, wie sich das Leben nach dem Kriege gestalten würde, was und wie sie fordern, welchen Weg sie gehen sollte. Die Bewegungen nahmen, wie wir bereits gesehen haben, einen außerordentlich stürmischen Verlauf, aber eine feste Leitung hatte die Arbeiterklasse nicht. Andererseits ließ sich die Bourgeoisie zu sehr großen Zugeständnissen herbei. Sie setzte das finanzielle und wirtschaftliche Regime der Kriegszeit fort (Anleihen, Geldemissionen, Brotrationierung, Versorgung der erwerbslosen Arbeitermassen usw. usw.). Mit anderen Worten, die regierende Bourgeoisie fuhr fort, das Wirtschaftsfundament zu ruinieren und das Produktions- und Finanzgleichgewicht immer mehr zu stören, damit sie in der schärfsten Periode das Klassengleichgewicht erhalten könne. Bisher ist es ihr mehr oder weniger gelungen.

Jetzt nimmt sie die Frage der Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes in Angriff. Hier handelt es sich nicht um vorübergehende Zugeständnisse und Almosen an die Arbeiterklasse, sondern um Maßnahmen grundlegender Natur. Es soll der zerrüttete Produktionsapparat wiederhergestellt werden. Die Valuta muss wiederhergestellt werden, denn ein allgemeines Weltäquivalent ist ohne Weltmarkt undenkbar und folglich ist auch eine „ausgeglichene" nationale Industrie, die vom Weltmarkt abhängt, undenkbar.

Den Produktionsapparat wiederherstellen heißt, die Arbeit zur Herstellung der Gebrauchsgegenstände beschneiden und die Arbeit für die Produktionsmittel steigern. Die Akkumulation muss vermehrt werden, d. h. die Arbeitsintensität gesteigert und der Lohn herabgesetzt werden.

Damit die Valuta wiederhergestellt werde, müsste man außer der Annullierung der Schulden die Handelsbilanz verbessern, d. h. weniger einführen und mehr ausführen. Dazu müsste man weniger verbrauchen und mehr produzieren, d. h. wiederum den Arbeitslohn herabsetzen und die Arbeitsintensität steigern.

Jeder Schritt, der auf die Wiederherstellung der kapitalistischen Wirtschaft gerichtet ist, ist an eine gesteigerte Ausbeutungsnorm geknüpft und wird infolgedessen unvermeidlich auf den Widerstand der Arbeiterklasse stoßen. Mit anderen Worten, jeder Versuch der Bourgeoisie, das Gleichgewicht in der Produktion, in der Verteilung, in den Staatsfinanzen wiederherzustellen, stört unvermeidlich das labile Gleichgewicht der Arbeitermasse. Wenn die Bourgeoisie zwei Jahre lang im letzten Kriege in ihrer Wirtschaftspolitik vor allem sich vom Wunsche hatte leiten lassen, das Proletariat zu beschwichtigen, sei es auch um den Preis eines weiteren Ruins der Wirtschaft, so hat sie jetzt im Moment der ungeheuersten Krise angefangen, die wirtschaftliche Lage aufzubessern durch einen immer stärker werdenden Druck auf die Arbeiterklasse.

In England sehen wir am deutlichsten, wie dieser Druck Widerstand erzeugt. Und der Widerstand der Arbeiterklasse stört die Stabilität der Wirtschaft und verwandelt alles Gerede über die Wiederherstellung des Gleichgewichtes in leeren Schall.

Gewiss, der Kampf des Proletariats um die Macht hat sich in die Länge gezogen. Er erwies sich nicht als ununterbrochener Sturmangriff. Er ergab nicht das Bild immer ansteigender Wellen, von denen die letzte das kapitalistische Regime hinweg spült

In diesem Kampfe nehmen wir sowohl Anschwellen wie Abklingen, sowohl Schutz wie Verteidigung wahr. Kurzum, das Klassenmanövrieren ist unsererseits noch lange nicht immer geschickt. Die Ursachen davon sind zweierlei Art. Erstens die Schwäche der kommunistischen Parteien, die nach dem Kriege entstanden, ohne die nötige Erfahrung, ohne den notwendigen Apparat, ohne den genügenden Einfluss und ohne – und das ist das wichtigste! – genügendes Verständnis für die Arbeitermassen. In dieser Hinsicht haben wir in den letzten Jahren jedenfalls einen großen Schritt vorwärts getan. Die kommunistischen Parteien erstarkten und entwickelten sich. Die zweite Ursache des langwierigen und ungleichmäßigen Charakters des Kampfes bildet die heterogene Zusammensetzung der Arbeiterklasse selbst, wie sie aus dem Kriege hervorgegangen ist.

Am wenigsten wurde durch den Krieg die Arbeiterbürokratie in den Gewerkschaften, Parteien und Parlamenten erschüttert. Die kapitalistischen Staaten aller Länder widmeten viel Sinn und Sorgfalt diesem Überbau, denn sie wussten, dass es ohne ihn nicht gelingen würde, die Arbeiterklasse während der Blutjahre im Zaum zu halten. Die Arbeiterbürokratie erhielt allerlei Privilegien und ging aus dem Kriege mit allen Gepflogenheiten des stumpfsinnigen Konservatismus hervor, mit denen sie in den Krieg gezogen war, nur noch kompromittierter, noch verbundener mit dem kapitalistischen Staat. Die gelernten Arbeiter älterer Generation, die an ihre Gewerkschafts- und Parteiorganisation gewöhnt sind, bleiben, besonders in Deutschland, zum großen Teil auch jetzt noch die Stütze der Arbeiterbürokratie, aber ihre Stabilität ist nicht absolut. Die Arbeiter, die durch die Schule des Krieges hindurchgegangen sind, haben in das Proletariat, – und das ist der Kern der werktätigen Klasse, – eine neue Mentalität, neue Gewohnheiten und eine neue Stellungnahme zu den Fragen des Kampfes, des Lebens und des Todes hineingebracht. Sie sind bereit, die Fragen durch Gewalt zu lösen. Aber im Kriege haben sie gelernt, dass eine erfolgversprechende Anwendung der Gewalt eine richtige Taktik und Strategie zur Voraussetzung hat. Diese Elemente werden in den Kampf treten, aber sie wollen eine feste Führung und eine ernsthafte Vorbereitung. Viele rückständige Kategorien unter den Arbeitern, darunter auch die Arbeiterinnen, deren Zahl im Kriege außerordentlich gewachsen ist, sind jetzt infolge eines schroffen Umschwunges in ihrem Bewusstsein zu dem kampftüchtigsten, wenn auch nicht immer erfahrensten Teil der Arbeiterklasse geworden. Auf dem extrem linken Flügel sehen wir endlich die Arbeiterjugend, die im Kriege groß geworden ist, beim Donner der Kämpfe und der revolutionären Erschütterungen, und der im kommenden Treffen ein bedeutender Platz bevorsteht.

Diese ganze außerordentlich angewachsene proletarische Masse alter Arbeiter und Arbeiterrekruten, Arbeiter aus dem Hinterlande und Arbeiter aus der Feuerlinie, – diese ganze millionenköpfige Masse geht durch die revolutionäre Schule nicht im gleichen Maße und nicht zu gleicher Zeit.

Das sahen wir wieder einmal am Beispiel der Märzereignisse in Deutschland, wo die Arbeiter Mitteldeutschlands, die vor dem Kriege das rückständigste Element bildeten, im März in den Kampf stürmten, ohne sich zu fragen, ob er Sieg verheiße, – während die Berliner oder die sächsischen Arbeiter im Lauf der revolutionären Kämpfe mehr Erfahrungen gesammelt hatten und vorsichtiger geworden waren.

Der allgemeine Verlauf des letzten Kampfes und insbesondere die jetzige Offensive des Kapitals sind entschieden dazu angetan, alle Schichten der Arbeiterklasse zusammenzuschließen mit Ausnahme der privilegierten Oberschicht. Die Kommunistische Partei bekommt immer mehr und mehr die Möglichkeit, die wahre Einheitsfront der Arbeiterklasse herzustellen.

Die nächsten Perspektiven und Aufgaben.

Die Revolution hat drei Quellen, die mit einander verbunden sind.

Die erste Quelle der Revolution ist der Niedergang Europas. Das Klassengleichgewicht in Europa beruhte auf der dominierenden Stellung vor allem Englands auf dem Weltmarkte. Jetzt ist diese dominierende Stellung endgültig und unwiderruflich verloren. Daraus ergeben sich mächtige revolutionäre Erschütterungen, die entweder mit dem Sieg des Proletariats oder mit dem völligen Untergang Europas enden können.

Die zweite Quelle des revolutionären Kampfes bilden die schroffen Erschütterungen des ganzen Wirtschaftsorganismus der Vereinigten Staaten: der durch den europäischen Krieg hervorgerufene, nie dagewesene Aufschwung und die grausame Krise, die durch die langwierigen Folgen dieses Krieges erzeugt wurden. Die revolutionäre Entwicklung des amerikanischen Proletariats kann unter diesen Umständen ein ebenso in der Geschichte nie dagewesenes Tempo annehmen, wie es die wirtschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten in den letzten Jahren angenommen hat.

Die dritte Quelle des revolutionären Kampfes ist die Industrialisierung der Kolonien und vor allem Indiens. Die Grundlage des Befreiungskampfes der Kolonien bildet die Bauernmasse. Aber der Kampf dieser letzteren bedarf der Leitung. Eine solche Leitung gab die eingeborene Bourgeoisie. Der Kampf dieser letzteren gegen die fremde, imperialistische Herrschaft kann jedoch weder konsequent noch energisch sein, da die eingeborene Bourgeoisie selbst, mit dem fremden Kapital eng liiert, in gewissem Grade seine. Agentur bildet. Erst die Entstehung eines ziemlich zahlreichen eingeborenen, kampffähigen Proletariats schafft den wirklichen Kern für die Revolution. Die Befreiungsbewegung in den Kolonien ist natürlich, verglichen mit der Gesamtbevölkerung des indischen Proletariats, numerisch schwach, wer aber den Sinn und die Entwicklung der Revolution in Russland erfasst hat, der gibt sich darüber Rechenschaft, dass die revolutionäre Rolle des Proletariats in den Ländern des Orients viel größer sein wird als seine numerische Stärke. Das trifft nicht allein für die reinen Kolonialländer wie Indien und die Halbkolonien wie China, sondern auch für Japan zu, wo die kapitalistische Unterjochung sich mit einem feudalen bürokratischen Kastenabsolutismus paart.

Die Weltsituation und die weiteren Perspektiven tragen also einen tiefen revolutionären Charakter.

Als die Bourgeoisie nach dem Kriege zu Almosen für die Arbeiterklasse Zuflucht nahm, verwandelten die Opportunisten dienstbeflissen diese Almosen in Reformen (Achtstundentag, Arbeitslosenversicherung usw.) und eröffneten,auf Trümmern die Ära des Reformismus. Jetzt ist die Bourgeoisie zur Konteroffensive auf der ganzen Linie übergegangen, und sogar die „Times", ein erzkapitalistisches Organ, spricht angsterfüllt von den Rechtsbolschewisten des Kapitalismus. Die jetzige Epoche ist eine Epoche des Konterreformismus. Der englische Pazifist Norman Angell nennt den Krieg eine falsche Berechnung. Die Erfahrung des letzten Krieges hat wirklich gezeigt, dass die Rechnung vom Standpunkt der Buchführung falsch war. Nach dem Krieg hatte es den Anschein, dass ein Triumph des Pazifismus anbreche und der Völkerbund seinen Ausdruck bilde. Jetzt sehen wir, dass die Rechnung des Pazifismus falsch war. Noch niemals bereitete sich die kapitalistische Menschheit mit soviel Wut zu neuen Kriegen vor wie jetzt. Die Illusionen der Demokratie werden zerstreut sogar bei den konservativsten Schichten der Arbeiterklasse. Vor kurzem noch stellte man der Demokratie nur die Diktatur des Proletariats mit ihrem Terror, den „Außerordentlichen Kommissionen" usw. usw. entgegen. Jetzt werden der Demokratie alle möglichen Formen des Klassenkampfes entgegengehalten. Lloyd George schlug den Bergarbeitern vor, sich an das Parlament zu wenden, und erklärte ihren Streik als Vergewaltigung des Volkswillens.

Unter den Hohenzollern kannten die deutschen Arbeiter eine bestimmte Beharrlichkeit, bestimmte Grenzen. Die Arbeiter wussten im Allgemeinen, was man darf und was man nicht tun darf. In der Ebert-Republik läuft der streikende Arbeiter stets Gefahr, auf der Straße oder im Polizeigewahrsam ohne Federlesens niedergemacht zu werden. Die Ebert-Demokratie bietet den deutschen Arbeitern ebenso viel, wie der hohe Lohn in entwerteten Papieren.

Die Aufgabe der kommunistischen Partei besteht darin, die geschaffene Situation im ganzen zu erfassen und in den Kampf der Arbeiterklasse aktiv einzugreifen, um auf Grund dieses Kampfes die Majorität der Arbeiterklasse zu erobern. Wenn die Situation in diesem oder jenem Lande außerordentlich zugespitzt wird, müssen wir die Fragen kategorisch aufstellen und uns in der Form schlagen, in der uns die Ereignisse getroffen haben. Wenn aber die Entwicklung der Ereignisse planmäßiger vor sich gehen soll, müssen wir alle Möglichkeiten ausnützen, um bis zu den entscheidenden Ereignissen die Majorität der Arbeiterschaft für uns zu gewinnen.

Momentan müssen die Kommunisten in der Wirtschaftsdefensive auf dem Boden der Krise sich aufs aktivste an allen Gewerkschaften, allen Streiks und allen Aktionen beteiligen, müssen in ihrer Arbeit den inneren Zusammenhang untereinander bewahren und immer als der entschlossene und disziplinierte Flügel der Arbeiterklasse auftreten. Je nach dem Gang der Krise und der politischen Situation kann sich unsere Wirtschaftsdefensive erweitern, immer neue Schichten der Arbeiterklasse, der Bevölkerung und der Arbeitslosenarmee erfassen, sich in einem gewissen Stadium in einen revolutionären Offensivkampf verwandeln und mit dem Sieg enden. Unsere Bemühungen müssen dahin gerichtet sein.

Wenn aber die Krise von einer Verbesserung der Wirtschaftskonjunktur abgelöst werden sollte? Würde dies bedeuten, dass der revolutionäre Kampf für unbestimmte Dauer eingestellt wird?

Aus meinen ganzen Ausführungen geht hervor, dass der neue Aufschwung, der weder anhaltend noch tief sein kann, keineswegs eine Aufhebung der revolutionären Entwicklung sein wird. Der Industrieaufschwung 1848-51 hat die Revolution nur deshalb getroffen, weil die Revolution des Jahres 1848 lediglich den Rahmen der kapitalistischen Entwicklung erweitert hat. Was die Ereignisse der Jahre 1914-21 betrifft, so haben sie den Rahmen des Weltmarktes nicht erweitert, sondern außerordentlich eingeengt und daher wird die Kurve der kapitalistischen Entwicklung im Großen und Ganzen in der nächsten Periode abwärts streben. Unter diesen Umständen kann der vorübergehende Aufschwung nur das Klassenbewusstsein der Arbeiter stärken, ihre Reihen in den Betrieben und auch in dem Kampfe zusammenschließen und nicht nur der wirtschaftlichen Konteroffensive, sondern auch dem revolutionären Kampf um die Macht einen Anstoß geben.

Die Situation wird für uns immer günstiger, aber auch außerordentlich kompliziert. Wir werden den Sieg nicht automatisch erlangen. Der Boden wankt unter dem Feinde, doch der Feind ist stark, er sieht scharf unsere schwachen Stellen, laviert, manövriert, lässt sich stets von kalter Berechnung leiten. Aus der Erfahrung unserer Kämpfe in diesen drei Jahren, besonders aus der Erfahrung unserer Fehlgriffe und Misserfolge, müssen wir – die ganze Kommunistische Internationale – viel lernen. Der Bürgerkrieg erfordert ein politisches, taktisches und strategisches Manövrieren, erfordert die Berücksichtigung jeder betreffenden Situation, der starken und der schwachen Seiten des Feindes, die Paarung von Enthusiasmus und kalter Berechnung erfordert, nicht allein die Fähigkeit, anzugreifen, sondern auch die Bereitschaft, vorübergehend den Rückzug anzutreten, um Kräfte zu sparen, um zum umso sicheren Schlage auszuholen.

Wie gesagt, die Weltsituation und die weiteren Perspektiven sind außerordentlich revolutionär. Das schafft die nötigen Voraussetzungen unseres Sieges, aber eine absolute Gewähr kann uns nur unsere geschickte Taktik, unsere feste Organisation leisten. Die Kommunistische Internationale auf eine höhere Stufe heben, sie taktisch stärker machen – das ist die Grundaufgabe des dritten Kongresses der Kommunistischen Internationale!

* Vergl. das Schema des Produktions- und Preisniveaus [hier nicht wiedergegeben].

** Vergl. das Schema der Industriezyklen [hier nicht wiedergegeben].

*** Siehe Diagramm [hier nicht wiedergegeben].

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