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Leo Trotzki 19211000 „Wir werden Euch dann werfen!"

Leo Trotzki: „Wir werden Euch dann werfen!"

[Nach Russische Korrespondenz, II. Jahrgang, Heft 10/11, November 1921, S. 921 f.]

Zur Zeit des Feldzuges des Generals Judenitsch auf Petrograd im Herbst 1919 musste die englische Regierung zur Deckung ihrer Interventionspolitik die sogenannte Nordwestliche Regierung haben. Das geschah auf folgende Weise: Der englische General befahl die in Betracht kommenden „Politiker" – Kusmin-Karawajew, Kartaschew und Suworow – zu sich und hielt ihnen um 6 Uhr 20 Minuten abends, in einer angeblich russischen Sprache, stehend eine Rede, in der er die Forderung aufstellte, dass die Herren Politiker bis sieben Uhr abends, also genau innerhalb 40 Minuten, nach der Liste des Generals eine Nordwestliche Regierung bildeten. Für den Fall, dass die „Politiker" bockbeinig werden sollten, schloss der General seine Rede mit der folgenden kurzen Drohung: „Andernfalls werden wir euch dann werfen!" Das bedeutete, dass England aufhören würde, die Politiker zu unterstützen und die weißgardistischen Banden zu bewaffnen und zu verpflegen. „Wir werden euch dann werfen" bedeutete so viel als „wir werden euch dann hinauswerfen".

In seinem Bericht über diese hoch patriotische Episode seiner Wirksamkeit erklärte das obengenannte Triumvirat: „Von einer Weigerung, den Forderungen des englischen Generals nachzukommen, konnte selbstverständlich nicht die Rede sein". Noch ehe die Uhr sieben schlug, war der Entschluss gefasst. Die großen Staatsmänner, die erstklassigen Patrioten, die patentierten Retter Russlands küssten der Reihe nach in einwandfrei patriotischer Weise den Stiefel des englischen Generals, der, ohne sich niederzusetzen, eine ganze russische Regierung zustande gebracht hatte.

Von einer Weigerung konnte selbstverständlich keine Rede sein." Wie wäre es auch möglich? Die Grundlage der kampffreudigen Stimmung und Wirksamkeit der russischen Monarchisten, Liberalen und „Sozialisten" ist ja doch das britische oder das französische Butterbrot. Wenn diese Grundlage genommen wird, was bleibt dann übrig, außer Gier und ohnmächtiger Wut?

Die oben beschriebene Szene wird in überzeugender Weise durch einen Brief eines anderen englischen Generals, des Chefs der verbündeten militärischen Missionen in Finnland, ergänzt. In diesem Briefe unterhält sich der englische Offizier mit dem russischen General Judenitsch in einer Weise, wie man in der guten alten Zeit mit einem Offiziersburschen sich zu unterhalten pflegte. „Unser Versprechen ihnen zu helfen,“ – schreibt der englische General – „hat die Leute offenbar schlappschwänzig gemacht." „Diese schwarze Undankbarkeit wird den Verbündeten bald zu viel werden. …" „Viele russische Befehlshaber sind dermaßen blöde oder vergesslich …" Und am Schluss des Briefes wieder eine Drohung: falls diese „blöden" Russen sich den Befehlen des überklugen britischen Offiziers nicht unterwerfen werden, so wird man die Unterstützung sofort zurückziehen. Mit anderen Worten – „Wir werden euch dann werfen".

Die Nordwestliche Regierung war natürlich keine Ausnahme. Die Regierung Koltschaks im Osten, die Regierung Tschaikowskys im Norden, die Regierung Denikins im Süden, die Regierung Petljuras in der Ukraine, sie alle sind das Produkt irgendeines ausländischen Generals, eines Obersten oder gar einer noch untergeordneteren Größe. Wenn unsere Presse davon spricht, dass die russischen Weißgardisten aller Schattierungen Agenten des ausländischen Imperialismus sind, seine unmittelbaren Diener, so wird es im Allgemeinen in der Weise verstanden, dass die Monarchisten, die Liberalen, die Sozialrevolutionäre und die Menschewisten dem ausländischen Kapital den Weg ebnen. In Wirklichkeit spielen diese Helfershelfer eine viel unmittelbarere, konkretere Rolle, deren grober Realismus an Speichelleckerei grenzt.

Das meiste leistet sich hinsichtlich der patriotischen Arbeit zum ewigen Ruhme Russlands die Organisation Sawinkows, zu deren Aufgabe es gehört, die Spionageaufträge der II. Abteilung des polnischen Generalstabs entgegenzunehmen und durchzuführen. Darauf gründet sich die Existenz dieser Organisation.

Die unwürdige national-politische Rolle und das zynische Lakaientum der russischen bürgerlich-agrarischen und kleinbürgerlichen Parteien begann übrigens noch vor Oktober 1917. Die Provisorische Regierung in allen ihren Zusammensetzungen bildete sich stets nach der Weisung der englischen, amerikanischen und französischen Botschafter. Damals schon gaben die Vertreter des ausländischen Imperialismus klar und deutlich zu verstehen, wen sie brauchen konnten und wer für ihre Zwecke untauglich war, damals schon deuteten sie darauf hin, dass sie widrigenfalls „werfen werden". Der Unterschied ist lediglich der, dass zu jener Zeit nicht die Generale die Sprecher waren, sondern die Diplomaten, und dass diese letzteren den russischen Demokraten bei Entgegennahme ihrer Weisungen gestatteten, Platz zu nehmen.

Augenblicklich blickt diese verdorbene, käufliche und politisch erniedrigte Clique sehnsüchtig nach Osten. Es scheint ihr immer noch, als wenn von dort ein neuer Hoffnungsstrahl aufsteigt. Es sind doch schon mehrere Monate vergangen, seit die französischen und englischen Generale aufgehört haben, unsere Unglückspolitiker im Auslande anzuschnauzen; auch dazu sind sie nicht mehr gut genug. Die Emigration gewahrt mit Entsetzen, dass man sie zu vergessen beginnt. Und plötzlich diese hoffnungsfreudige Nachricht von der Wolga: Dürre, Missernte, Millionen hungernder, verzweifelter Menschen! Welch harter Schlag muss es für die Arbeiter und Bauern sein, folglich auch für deren Regierung! Ist es nicht sonnenklar, dass einer der Herren Generale wieder die Miljukows, Tschernows, Sawinkows, Zeretellis zu sich befehlen und ihnen sagen wird: „Punkt sieben muss nach dieser Liste eine neue russische Regierung gebildet sein. Marsch, kehrt!"

Wie viel Hungernde und Sterbende gibt es an der Wolga? Jedes neue Tausend Hungernder, jedes neue Hundert Kranker und Sterbender lassen die hoffenden Herzen der Emigranten höher schlagen. Und umgekehrt, jede unserer Anstrengungen, jeder neue Erfolg unserer Selbsthilfe, jeder neue Sack Korn, der im Wolgagebiet eintrifft, jeder Zug des Wolgagebietes, der in unseren Städten und Dörfern Obdach und Nahrung gefunden hat, ist ein Schlag für die Hoffnungen der Emigranten, die den alten Gedanken an Intervention und Restauration, d. h. an die militärische Einmischung und an die Wiederherstellung einer bürgerlich-agrarischen Monarchie nicht aufgeben können.

Indem wir den Notleidenden helfen, helfen wir uns allen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und militärisch.

Wir werden euch sicher nicht im Stich lassen!", – sagen die Arbeiter, Bauern und Rotarmisten des gesamten Landes den hungernden Brüdern und Schwestern des Wolgagebietes. Unermüdliche Anstrengung im Kampf gegen den Hunger vorausgesetzt, werden wir mit der Volksnot an der Wolga fertig werden und damit auch den Emigranten den letzten Schlag versetzen. Denn die geschäftigen Bourgeois Europas und Amerikas werden durch diese schwere Prüfung Russlands sich davon überzeugen, dass es in diesem Lande keine andere Regierung geben kann, außer der Regierung des fortschrittlichen kommunistischen Vortrupps von Arbeitern und Bauern, die sich auf Millionen von Werktätigen stützen. Und dann wird die Drohung des englischen Generals – „Wir werden euch dann werfen", – sich voll bewahrheiten, und die russisch-bürgerlich-agrarische Emigration wird ihre Hoffnungen früher begraben müssen, als das Weltproletariat die Rechnung mit seiner Bourgeoisie erledigt hat.

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