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Leo Trotzki 19220523 Der französische Kommunismus und die Stellungnahme des Genossen Rappoport

Leo Trotzki: Der französische Kommunismus und die Stellungnahme des Genossen Rappoport

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 2. Jahrgang Nr. 92 (13. Juni 1922), S. 683 f.]

Der innere Zustand unserer französischen Partei stellt augenblicklich unzweifelhaft die wichtigste Frage für die gesamte Kommunistische Internationale dar. In ihr geht eine Entwicklung vor sich, die die größte Aufmerksamkeit auf sich lenken muss.* Der künftige Historiker wird erzählen, mit welchen Schwierigkeiten die proletarische Partei des alten „republikanischen Kulturlandes" sich, beschwert durch die Tradition der parlamentarischen und opportunistischen Vergangenheit, an die neue historische Umgebung anpasste. Jene, die glauben oder behaupten, dass in Frankreich, als in einem Siegerstaate die Situation nicht revolutionär sei und dass eben dadurch die Krisenerscheinungen im französischen Kommunismus erklärt werden könnten, irren gründlich. In Wirklichkeit hat die Situation, wenn man sie tiefer erfasst, einen durchaus revolutionären Charakter.

Die internationale Lage Frankreichs ist äußerst unsicher und voll von Widersprüchen, Sie stellt eine Quelle unausbleiblicher und immer schärferer Krisen dar. Die Finanzlage des Landes Ist katastrophal. Dieser Finanzkatastrophe kann nicht anders begegnet werden, als durch sozial tiefgreifende Konfiskationsmaßnahmen denen die besitzende Klasse natürlich nicht gewachsen ist. Das ganze staatliche Regime Frankreichs nach dem Kriege und vor allem sein Militarismus und seine kolonialen Ansprüche entsprechen seiner ökonomischen Basis nicht; man kann sagen, dass die Großmachtstellung Frankreichs das Land unter ihrer Schwere zu erdrücken droht. Die werktätigen Massen sind in ihren nationalen Illusionen enttäuscht, sind entmutigt, unzufrieden, empört. Der nationale Block, der die politischen Früchte des Sieges geerntet hatte, nimmt augenfällig an Kräften ab. Der Radikalismus, sowie der Sozialpatriotismus haben ihre Hauptkräfte schon während des Krieges verausgabt. Wenn auch ein radikal-reformistisches Regime (Caillaux, A. Thomas-Blum) das Regime des nationalen Blocks ablösen sollte, so wird es kaum länger währen, als die Kommunistische Partei Zeit braucht, um sich endgültig zur Erfüllung ihrer Hauptaufgabe vorzubereiten. So sind die objektiven Voraussetzungen für die Revolution und die subjektiven für eine revolutionäre Politik vorhanden. Und wenn etwas nachhinkt, so ist es die innere Entwicklung der Partei selbst.

Der Fall Fabre** hat in diesem Sinne einen tief symptomatischen Charakter. Die Kommunistische Partei, die im Prinzip mit der nationalen und reformistischen Ideologie gebrochen hat, gewährt in ihren Reihen einem der vulgären Landsknechte der Journalistik das Gastrecht; er gründet auf eigene Rechnung und Gefahr ein prinzipienloses Zeitungsunternehmen, befestigt über der Tür die kommunistische Kokarde und gewährt seinerseits die breiteste Gastfreundlichkeit Reformisten, Nationalisten, Pazifisten, Anarchisten unter einer Bedingung: dass sie den Kampf gegen die Kommunistische Internationale führen. Dieser ganz unwahrscheinliche Skandal währt seit dem Tage der Entstehung der Kommunistischen Partei und nimmt immer offenere und demoralisierendere Formen an. Noch mehr: In der Zeitung Fabres arbeiten die einflussreichsten Mitglieder des Zentralkomitees der Partei mit, und als die Internationale sie aufforderte, die Mitarbeit einzustellen, taten sie dies in den Tönen der zartesten Elegien. Es finden sich natürlich weise Leute, die uns erzählen, dass wir die Bedeutung dieser Tatsache „übertreiben". Wir aber halten diese weisen Leute für Simpel und Tölpel, wenn nicht für etwas Schlimmeres, d. h. für Leute, die die Clique Fabres bewusst als „nützliches" Gegengewicht gegen den linken Flügel unterstützen. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale hat in dieser Frage, wie in allen anderen inneren Fragen des französischen Kommunismus, die größte Vorsicht an den Tag gelegt, hat Ratschläge erteilt, hat geduldig auf Antworten und Taten gewartet, hat gemeinsam mit französischen Genossen Vorschläge formuliert, hat auf die Durchführung dieser Vorschläge gewartet, wieder gemahnt, wieder gewartet – bis es sich endlich genötigt sah, zum Punkt 9 des Statuts zu greifen und Fabre aus der Internationale auszuschließen. Man muss hoffen, dass der augenblicklich in Moskau anwesende Genosse Rappoport das Recht und die Pflicht der Internationale, darüber zu beschließen, wer zu ihr gehören oder nicht gehören kamt, nicht anzweifelt. Fabre ist nicht unser Mann, Fabre hat mit uns nichts gemeinsam, er ist unser direkter Gegner. Und aus diesem einfachen Grunde, den jeder französische Proletarier ausgezeichnet begreifen wird, ist Fahre aus der Internationale ausgeschlossen worden. Und jeder, der Fabre unterstützt oder sich mit ihm solidarisieren wird, stellt sich dadurch automatisch außerhalb unserer Reihen. Oder zweifelt der Genosse Rappoport vielleicht daran, dass dieser Beschluss zweckmäßig oder nicht zur rechten Zeit gefasst worden ist?

Der Genosse Rappoport fordert in der „Iswestija" eine „.vorsichtige Stellungnahme" zur französischen Arbeiterbewegung, Was bedeutet das? Jeder Eingeweihte wird in diesen Worten eine Anspielung sehen. Leider nur eine Anspielung. Wir hätten eine offene Kritik und klare Hinweise darauf, was der Genosse Rappoport will und was er nicht will, gewünscht Wahrlich, jetzt ist nicht die Zeit zu Anspielungen und Winkelzügen, besonders, wenn man in Betracht zieht, dass Genosse Rappoport Mitglied des Zentralkomitees der französischen Kommunistischen Partei ist. Einige Zeilen früher erzählt Rappoport, dass es falsch wäre, allzu „pessimistische Schlüsse" über die französische Arbeiterbewegung zu ziehen; „die revolutionären Massen Frankreichs – sagt er – sind gesund." Wiederum eine Anspielung: Wer zieht pessimistische Schlüsse und wer zweifelt an der Gesundheit der französischen revolutionären Massen? Und wer geht ohne die genügende Vorsicht an die französische Arbeiterbewegung heran? … Man muss der französischen Bewegung das „Recht auf eine gewisse Selbständigkeit" zuerkennen – sagt Rappoport. Wieder ist nicht alles gesagt. Nur der französischen Bewegung? Bezieht sich das nicht auf alle nationalen Sektionen der Internationale? Beschrankt denn die Internationale unrechtmäßig – wann und wie? - die Selbständigkeit der französischen Arbeiterbewegung? Wozu die Anspielung? Warum die halben Worte? Wäre es nicht besser, klar und fest zu sagen, worin gerade die Internationale eine ungenügend vorsichtige Stellungnahme zur Arbeiterbewegung Frankreichs an den Tag gelegt hat und wo sie die notwendige Selbständigkeit des französischen Kommunismus verletzt hat? Man kann sich nur aussprechen, wenn alle Streitfragen aufrichtig und klar gestellt werden.

Es ist aber schlimm, dass der Genosse Rappoport die Frage allzu sehr verbreitet und die ganz bestimmte Verantwortung bestimmter Parteiinstitutionen, bestimmter Zeitungen, Personen, Redakteure. Führer, auf die ganze Partei und endlich auf die Arbeiterbewegung im Ganzen überträgt. Unzweifelhaft wurzelt die Partei in der Bewegung, und das Zentralkomitee in der Partei. Aber das befreit das Zentralkomitee und seine einzelnen Mitglieder keineswegs von der Verantwortlichkeit für ihre eigene Politik. Gerade das Zentralkomitee der Partei hat bis in die letzte Zeit hinein eine ganz unverständliche Duldsamkeit zu dem feindlichen Organ, das sich im Körper der Partei eingenistet hatte, an den Tag gelegt. Die Verantwortung dafür liegt auf demselben Kern des Zentralkomitees, zu dem der Genosse Rappoport gehört. Wir glauben – und wir wollen das offen sagen – dass gerade Rappoport und seine Gesinnungsgenossen eine nicht genügend „vorsichtige" Stellungnahme zum französischen Kommunismus und zur gesamten Arbeiterbewegung an den Tag legen, wenn sie es unverantwortlichen Gruppen erlauben, der Kommunistischen Partei den Opportunismus künstlich einzuimpfen und ihre Annäherung und Verschmelzung mit den opportunistischen Dissidenten durch die Isolierung des linken Flügels vorzubereiten. Die revolutionären Massen Frankreichs sind gesund. Aber das heißt ganz und gar nicht dass die Fehler des Zentralkomitees, dem der Genosse Rappoport angehört keinen Einfluss auf ihre Gesundheit haben. Man muss wieder nur gerade heraus sagen: Rappoport und seine Gesinnungsgenossen bleiben vor dem Unternehmen Fabres nicht deshalb unschlüssig stehen, weil sie ihn für allzu bedeutungslos halten, sondern umgekehrt, weil sie befürchten, durch den Ausschluss Fabres die unvermeidliche „Krise" in den Spitzen der Partei hervorzurufen. Aber dadurch zeigen sie eine äußerst pessimistische Ansicht über die Partei, da sie glauben, die Quelle und die Bedingung ihrer Erfolge sei Aufrechterhaltung des Status quo in den Spitzen, und nicht Befreiung der Massen von den Cliquen, die der Masse unnötig sind, die sie stören.

Dass die französische Kommunistische Partei Selbständigkeit braucht – in dieser Hinsicht bedarf die Internationale wahrlich keiner Ermahnung. Aber diese Selbständigkeit ist für Aktionen notwendig. Während dessen aber halten der Genosse Rappoport und seine Gesinnungsgenossen in den Spitzen der Partei eine solche Kräftegruppierung aufrecht, die die Möglichkeit von Aktionen ausschließt. Sagen wir deutlicher: die Linie der Politik, die zwischen Rappoport und Verfeuil durchgeht, ist nicht die Linie der Kommunistischen Aktion. Darin liegt der Kern der Sache. Daher – die Schwäche und die Symptome einer schweren Krise.

Der Schlag der Kommunistischen Internationale gegen die Clique Fabres bedeutet, dass das Zentralkomitee seine Orientierung nicht in der Anpassung an den rechten Flügel, sondern in der gemeinsamen Arbeit mit dem linken Flügel suchen muss. Die Kräftediagonale in der Parteipolitik darf nicht rechts vom Genossen Rappoport, sondern links – und dabei mit der Genehmigung unseres Gastes – sehr, sehr links von ihm verlaufen. Je schneller und entschiedener die notwendige Kursänderung in den Spitzen erreicht werden wird, desto leichter wird die Krise überwunden werden, desto weniger werden die Massen für die Gesundung und Befestigung der Partei bezahlen müssen. In diese Richtung lenkt das Exekutivkomitee jetzt alle seine Bemühungen. Die Vertreter aller kommunistischen Parteien verfolgen mit angestrengter Aufmerksamkeit und mit dem Bewusstsein der Verantwortlichkeit für jeden ihren Schritt das, was in der französischen Partei geschieht. Und wir zweifeln keine Minute daran, dass es der Internationale gelingen wird, die Linie der Politik der Spitzen der Partei nach links zu verschieben, in voller Übereinstimmung mit den Bedürfnissen, Gedanken und Gefühlen ihrer Massen. Mehr noch. Wir zweifeln nicht daran, dass die Mehrzahl der führenden Genossen jener Gruppe, der der Genosse Rappoport selbst angehört, die jüngsten Schritte der Internationale, die die französische Arbeiterbewegung vor unvergleichlich schwereren und krankhafteren Krisen bewahren sollen, unterstützen wird. Die revolutionären französischen Arbeitermassen sind gesund. Die Partei wird ihre Linie voll und ganz nach ihnen richten.

* Siehe z B. den Brief des Genossen Lecache in der gestrigen Nummer der „Iswestija"

** Fabre, Kaufmann und Verleger, Eigentümer und Redakteur der Zeitung „Journal du Peuple" und Mitglied der Kommunistischen Partei.

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