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Leo Trotzki 19220521 Die Rote Armee

Leo Trotzki: Die Rote Armee

[Nach dem Sammelbuch Die Rote Armee, Verlag Carl Hoym Nachf. Hamburg 1923, S. 22-35]

Die Fragen, die mit der Bildung der bewaffneten Macht der Revolution verbunden sind, haben für die kommunistischen Parteien aller Länder die größte Bedeutung. Die Vernachlässigung dieser Fragen, ja, nur eine von humanitär-pazifistischer Phraseologie verhüllte, negative Stellungnahme diesen Fragen gegenüber ist geradezu ein Verbrechen. Alle Betrachtungen etwa, dass jede Gewalt ein Übel sei, darunter auch die revolutionäre Gewalt, dass die Kommunisten deshalb keine „Verherrlichung" des bewaffneten Kampfes und der revolutionären Armee treiben sollten, stellen eine Philosophie dar, die der Quäker, der Sekte der Duchoborzen, oder der alten Jungfern aus der Heilsarmee würdig ist. Wollte man eine derartige Propaganda in der kommunistischen Partei zulassen, so würde das dasselbe bedeuten, als wollte man die Propaganda des Tolstojanertums in der Garnison einer bewaffneten Festung zulassen. Wer das Ziel will, muss auch die Mittel wollen. Das Mittel zur Befreiung der Werktätigen ist die revolutionäre Gewalt. Vom Moment der Machteroberung an nimmt die revolutionäre Gewalt die Form der organisierten Armee an. Der Heroismus des jungen Proletariers, der auf der ersten Barrikade der beginnenden Revolution stirbt, unterscheidet sich durch nichts vom Heldentum des Roten Soldaten, der an einer der Fronten der Revolution, die bereits den Staat erobert hat, stirbt. Nur sentimentale Narren können glauben, dass dem Proletariat der kapitalistischen Staaten die Gefahr drohe, die Rolle der revolutionären Gewalt zu übertreiben und die Methoden des revolutionären Terrors zu überschätzen. Im Gegenteil, dem Proletariat geht gerade das Verständnis für die Wichtigkeit der befreienden Rolle der revolutionären Gewalt ab. Gerade deshalb bleibt das Proletariat, wie es jetzt ist, versklavt. Die pazifistische Propaganda in der Arbeiterklasse führt zur Schwächung des Willens des Proletariats und stützt die konterrevolutionäre Gewalt, die bis an die Zähne bewaffnet ist.

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Vor der Revolution hatte unsere Partei eine militärische Organisation. Ihr Ziel war ein zweifaches: einerseits die revolutionäre Propaganda in der Armee zu führen, und andererseits in der Armee selbst Stützpunkte für den Staatsumsturz vorzubereiten. Da die revolutionäre Erregung die Armee als Ganzes erfasst hatte, so machte sich die organisatorische Rolle der bolschewistischen Zellen in den Regimentern nicht besonders bemerkbar; doch diese waren bedeutend, denn sie gaben die Möglichkeit, die entschlossenen, wenn auch nicht zahlreichen Elemente herauszusuchen, deren Bedeutung in den kritischen Augenblicken der Revolution so groß ist. Im Moment des Oktoberumsturzes erfüllten sie ihre Aufgabe als Kommandanten, Kommissare der Truppenteile usw. Später treffen wir viele von ihnen als Organisatoren der Roten Armee und der Roten Garde.

Die Revolution ist unmittelbar aus dem Kriege erwachsen. Eine ihrer wichtigsten Parolen war die Kriegsbeendigung, und eine Begleiterscheinung – Kriegsmüdigkeit und Abscheu vor dem Kriege. Indes hatte die Revolution selbst neue Kriegsgefahren erzeugt, die immer wuchsen. Daraus ergab sich die außerordentliche Schwäche der Revolution in ihrer ersten Periode. Die fast vollkommene Wehrlosigkeit der Revolution offenbarte sich zur Zeit der Brest-Litowsker Friedensverhandlungen. Keiner wollte Krieg; man meinte, der Krieg gehöre der Vergangenheit an – die Bauern nahmen sich das Land, die Arbeiter bauten ihre Organisationen aus und eigneten sich die Industrie an.

Daraus erwuchs das gewaltige pazifistische Experiment aus der Zeit von Brest-Litowsk. Die Sowjetrepublik erklärte, sie könne nicht einen Gewaltfrieden unterzeichnen, sie würde aber auch nicht Krieg führen, und ordnete die Demobilisierung der Armee an. Das war ein sehr gewagter Schritt, aber er ergab sich aus der ganzen Situation. Die Deutschen nahmen den Vormarsch auf, der auch zum Ausgangspunkt eines tiefen Umschwungs im Bewusstsein der Massen werden sollte; man begann einzusehen, dass es galt, sich mit bewaffneter Faust zu wehren. Unsere pazifistische Deklaration hatte ein Ferment der Zersetzung in die Hohenzollernarmee hineingetragen. Der Angriff des Generals Hoffmann verhalf uns dazu, die erste Vorbereitung für die Rote Armee in Angriff zu nehmen.

In der ersten Zeit wagten wir jedoch nicht, zur Zwangsmobilisierung zu schreiten; es fehlten die politischen und die organisatorischen Möglichkeiten, die soeben nach Hause geschickten Bauern einzuberufen. Die Armee wurde auf dem Freiwilligenprinzip aufgebaut, Es ist nur natürlich, dass sie neben der selbstlosen Arbeiterjugend gefüllt wurde mit den in jener Zeit zahlreichen Vagabunden, mit nicht sehr guten Elementen. Unsere neuen Regimenter, die in der Periode des elementar vor sich gehenden Zerfalls der alten Regimenter entstanden, waren instabil und wenig zuverlässig. Dies wurde für Freunde sowohl wie für Feinde vollkommen klar bei dem Aufstand der Tschechoslowaken, den die Sozialrevolutionäre und andere „Weiße" an der Wolga anzettelten*: Die Verteidigungskraft unserer Regimenter war verschwindend. Eine Stadt nach der andern ging im Laufe des Sommers 1918 in die Hände der Tschechoslowaken und der mit ihnen verbündeten russischen Konterrevolutionäre über. Ihr Zentrum war Samara. Sie eroberten Simbirsk und Kasan. Nishni war bedroht. Nach der Wolga kam die Vorbereitung des Vormarsches auf Moskau. In diesem Moment (August 1918) machte die Sowjetrepublik außerordentliche Anstrengungen zur Bildung und Festigung der Armee. Zum ersten Mal kam die Methode der Massenmobilisierung der Kommunisten in Anwendung! Es wurde ein zentralisierter Apparat der politischen Leitung und Erziehung bei den Regimentern der Wolgafront geschaffen. Daneben wurde in Moskau und im Wolgagebiet der Versuch unternommen, einige Jahresklassen der Arbeiter und Bauern zu mobilisieren. Kleinere kommunistische Trupps sicherten die Durchführung der Mobilisation. In den Gouvernements des Wolgagebiets wurde ein hartes Regime eingeführt, das den Dimensionen und der Schärfe der Gefahr entsprach. Gleichzeitig wurde eine intensive mündliche und schriftliche Agitation betrieben. Die kommunistischen Truppen zogen von Dorf zu Dorf. Nach den ersten Schwankungen nahm die Mobilisation eine große Ausdehnung an. Dazu kam der harte Kampf gegen die Fahnenflucht und gegen jene sozialen Gruppen, die die Fahnenflucht nährten und förderten: die reichen Bauern, teilweise die Geistlichkeit und die Überreste der alten Bürokratie. Die neugeschaffenen Truppenteile nahmen die kommunistischen Arbeiter von Petrograd, Moskau, Iwanowo-Wosnessensk usw. in sich auf. Die Kommissare erlangten nun in den Truppenteilen die Bedeutung der revolutionären Führer und der direkten Vertreter der Sowjetregierung. Die Revolutionstribunale statuierten ein Exempel durch ihre Urteile und zeigten allen, dass das sozialistische Vaterland, das sich in Lebensgefahr befindet, von allen und jedem unbedingten Gehorsam erfordert. Durch die vereinigte Wirkung der Agitation, der Organisation und der Repressalien wurde im Verlauf von wenigen Wochen der notwendige Umschwung erreicht, Aus der schwankenden, instabilen, zerfließenden Masse entstand eine wirkliche Armee. Am 10. September 1918 nahmen wir Kasan ein. Am Tage darauf eroberten wir Simbirsk wieder. Dieser Augenblick bildet ein denkwürdiges Datum in der Geschichte der Roten Armee. Sofort fühlte man festen Boden unter den Füßen. Es waren nicht mehr die ersten hilflosen Versuche, denn von nun ab konnten und vermochten wir zu kämpfen und zu siegen. Der militärische Verwaltungsapparat wurde indessen im ganzen Lande in engstem Kontakt mit den lokalen Sowjets der Gouvernements, der Bezirke und der Gemeinden ausgebaut. Das von den Feinden beschnittene, aber immer noch gewaltige Territorium der Republik wurde in Distrikte geteilt, die mehrere Gouvernements umfassen. Dadurch wurde die notwendige Zentralisation im Verwaltungswesen erreicht Die politischen und organisatorischen Schwierigkeiten waren unsagbar. Der Gesinnungsumschwung – von der Zerstörung der alten Armee bis zur Schaffung einer neuen – wurde um den Preis beständiger innerer Reibungen und Konflikte erreicht Die alte Armee hatte es zu wählbaren Soldatenkomitees und einem gewählten Kommandopersonal gebracht, das faktisch den Komitees unterstand. Diese Maßnahme hatte natürlich nicht einen militärischen, sondern einen revolutionären, politischen Charakter. Vom Standpunkt der Heeresverwaltung im Kampfe und in der Ausbildung der Truppen zum Kampfe war sie unzulässig, ungeheuerlich mörderisch. Es war unmöglich, es gab keine Möglichkeit die Truppen mit Hilfe gewählter Komitees und durch Kommandierende, die den Komitees unterstanden und in jedem Moment abgesetzt werden konnten, zu leiten. Aber die Armee wollte auch nicht kämpfen. Sie machte innerlich die soziale Revolution durch, indem sie das Kommandopersonal aus dem Adel und dem Bürgertum absetzte und Organe der revolutionären Selbstverwaltung in Gestalt der Soldatendeputiertenräte schuf. Diese organisatorisch-politische Maßnahme war vom Standpunkt der Zersetzung der alten Armee richtig und notwendig, aber aus ihr ergab sich keineswegs eine neue schlagfähige Armee. Die zaristischen Regimenter fielen, nachdem sie die Kerenski-Periode durchgemacht hatten, nach dem Oktober auseinander und verschwanden ganz. Die Versuche, unsere alten organisatorischen Methoden auf die entstehende Rote Armee zu übertragen, drohten sie von Anfang an zu untergraben. Die Wählbarkeit des Kommandopersonals in den zaristischen Regimentern bedeutete so viel wie die Säuberung der Armee von evtl. Agenten der Restauration. Doch konnte das System der Wählbarkeit keinesfalls die revolutionäre Armee mit kompetentem tauglichem und maßgebendem Kommandopersonal versehen. Die Rote Armee wurde von oben herab auf dem Prinzip der Diktatur der Arbeiterklasse aufgebaut. Das Kommandopersonal wurde von den Organen der Sowjetregierung und der Kommunistischen Partei gewählt und kontrolliert. Die Wahl der Kommandierenden durch die Truppenteile selbst, deren politische Bildung mangelhaft war und die sich soeben aus jungen Bauern rekrutiert hatten, wäre unvermeidlich in ein Zufallsspiel ausgeartet und hätte mitunter tatsächlich günstige Bedingungen für die Machenschaften einzelner Intriganten und Abenteurer geschaffen. Ebenso war die revolutionäre Armee als Armee der Aktion und nicht als Armee der Propaganda unvereinbar mit dem System der Wahlkomitees, das faktisch nicht umhin konnte, die zentralisierte Verwaltung zunichte zu machen, indem es jedem Truppenteil die Entscheidung überließ, ob er mit der Defensive oder Offensive einverstanden sein wollte. Die linken Sozialrevolutionäre führten dieses chaotische, pseudodemokratische Prinzip ad absurdum, als sie an die einzelnen Regimenter den Appell richteten, sie möchten entscheiden, ob wir die Bedingungen des Waffenstillstandes mit den Deutschen innehalten oder aber zur Offensive übergehen sollten. Dadurch suchten die linken Sozialrevolutionäre nur die Armee gegen die Sowjetregierung, von der sie geschaffen war, aufzubringen.

Das sich selbst überlassene Bauerntum ist außerstande, eine zentralisierte Armee zu schaffen. Es kommt nicht über lokale Freischärlertrupps hinaus, deren primitive „Demokratie" gewöhnlich zum Deckmantel der persönlichen Diktatur der Atamane dient. Diese Tendenzen des Freischärlertums, in dem sich das Bauernelement in der Revolution widerspiegelt, fanden ihren besonders vollendeten Ausdruck bei den linken Sozialrevolutionären und Anarchisten, fassten aber auch bei den Kommunisten Fuß, besonders unter denen aus dem Bauerntum, den früheren Soldaten und Unteroffizieren.

Das Freischärlertum war in der ersten Zeit eine notwendige und ausreichende Waffe. Der Kampf gegen die Gegenrevolution, – die noch nicht zur Besinnung gekommen war, noch nicht zusammengeschlossen und bewaffnet dastand, wurde mit Hilfe kleiner selbständiger Trupps geführt. Dieser Kampf erforderte Selbstlosigkeit, Initiative, Selbständigkeit. Immer mehr forderte jedoch der Krieg, der seine Basis erweiterte, eine richtige Organisation und Diszipliniertheit. Das Freischärlertum begann der Revolution seinen negativen Pol zuzuwenden. Die Trupps und Regimenter umbilden, die Regimenter zu Divisionen zusammenschließen, die Divisionskommandeure den Armee- und Frontbefehlshabern unterordnen – das war eine Aufgabe, die große Schwierigkeiten bot und nicht immer ohne Opfer abging.

Die Empörung gegen den bürokratischen Zentralismus des zaristischen Russlands hatte einen sehr wichtigen Bestandteil der Revolution gebildet. Die Distrikte, Gouvernements, Bezirke und Städte strebten danach, ihre Selbständigkeit zu zeigen. Der Gedanke der „lokalen Macht" nahm in der ersten Periode einen äußerst chaotischen Charakter an. Er paarte sich auf dem Flügel der linken Sozialrevolutionäre und Anarchisten mit einem reaktionären und doktrinären Föderalismus; bei den breiten Massen bildete er jedoch eine unvermeidliche und ihrer Quelle nach gesunde Reaktion gegen das jede Initiative erstickende alte Regime, Jedoch von einem gewissen Moment an – dem des engeren Zusammenschlusses der Konterrevolutionäre und des Anwachsens der Gefahren für uns – wurden die autonomistischen Tendenzen immer gefährlicher, sowohl in politischer als auch besonders in militärischer Hinsicht. Diese Frage wird zweifellos in Westeuropa einmal eine große Rolle spielen, besonders in Frankreich, wo die Vorurteile des Autonomismus und Föderalismus stärker sind als sonstwo. Die möglichst schnelle Überwindung dieser Tendenzen unter dem Banner des revolutionären, proletarischen Zentralismus ist eine Voraussetzung für den Sieg über die Bourgeoisie.

Das Jahr 1918 und ein bedeutender Teil von 1919 verliefen in ununterbrochenem und beharrlichem Kampf um die Bildung einer zentralisierten, disziplinierten Armee, die von einem Zentrum aus versorgt und geleitet wird. In militärischer Hinsicht spiegelt dieser Kampf – nur in krasseren Formen – den Prozess wider, der sich auf allen Gebieten des Aufbaus der Sowjetrepublik vollzieht.

Die Auswahl, und die Bildung des Kommandopersonals boten die größten Schwierigkeiten. Wir hatten zu unserer Verfügung die Reste des alten Offiziersstabes, die breite Schicht der Offiziere der alten Zeit und schließlich die Chefs, die von der Revolution selbst, ihrer ersten Freischärlerperiode, emporgetragen worden waren.

Von den alten Offizieren blieben bei uns entweder die Leute, die den Sinn der neuen Epoche erfasst oder wenigstens entfernt gespürt hatten (solche gab es natürlich nur wenige), oder verknöcherte Beamte, starre Menschen ohne Initiative, denen die Energie fehlte, sich den „Weißen" anzuschließen. Schließlich waren auch nicht wenige aktive Konterrevolutionäre übriggeblieben, die in flagranti erwischt wurden.

Gleich bei den ersten Schritten wurde die Frage aktuell, was mit diesen früheren Offizieren der Zarenarmee werden sollte. Wir brauchten sie notwendig als Vertreter ihrer Zunft, als Träger der militärischen Routine, ohne die wir wieder von vorn hätten beginnen müssen. Unsere Feinde hätten uns wohl kaum in diesem Fall die Möglichkeit gegeben, unsere Ausbildung auf ein höheres Niveau zu bringen. Wir waren außerstande, ohne Heranziehung vieler Vertreter des alten Offiziersstabes einen zentralisierten militärischen Apparat und eine ebensolche Armee aufzubauen. Jetzt gehörten sie der Armee nicht als Vertreter der alten regierenden Klassen an, sondern als Beauftragte der neuen revolutionären Klasse. Freilich, viele von ihnen übten an uns Verrat, gingen zum Feinde über, beteiligten sich an Aufständen, aber im Grunde genommen war der Geist ihres Klassenwiderstandes gebrochen. Trotz alledem war der Hass der Soldatenmassen ihnen gegenüber noch stark genug und bildete eine Quelle der Freischärlerstimmungen: im Rahmen der kleinen lokalen Trupps hatte man kein Bedürfnis nach qualifizierten Militärs, Es galt, den Widerstand der konterrevolutionären Elemente der alten Offiziere zu brechen und zu gleicher Zeit schrittweise den aufrichtigen Elementen unter ihnen die Möglichkeit zu sichern, in den Reihen der Roten Armee zu wirken.

Die oppositionellen „linken" (in Wirklichkeit intellektuell-bäuerlichen) Tendenzen im Aufbau der Roten Armee suchten nach einer verallgemeinernden theoretischen Formel für sich. Die zentralisierte Armee wurde als Armee des imperialistischen Staates erklärt. Die Revolution müsse ihrem ganzen Charakter entsprechend nicht nur mit dem Positionskrieg, sondern auch mit der. zentralisierten Armee ein für allemal Schluss machen. Die Revolution sei vollkommen auf der Beweglichkeit, dem kühnen Angriff und dem Manövriervermögen aufgebaut. Ihre Kampfkraft bilde der nicht zahlreiche selbständige Trupp, der sich aus allen möglichen Waffengattungen zusammensetzt, ohne mit der Basis verbunden zu sein, auf die Sympathie der Bevölkerung gestützt, dem Feind in den Rücken fallend usw. Kurz und gut, die Taktik des Kleinkrieges wurde als Taktik der Revolution proklamiert. Die ernsten Erfahrungen des Bürgerkrieges haben sehr bald diese irrigen Ansichten widerlegt. Die Vorzüge der zentralisierten Organisation und Strategie gegenüber den lokalen Improvisationen, dem militärischen Separatismus und Föderalismus haben sich so rasch und so klar gezeigt, dass heutzutage die Grundprinzipien des Aufbaues der Roten Armee außer Diskussion stehen.

Eine äußerst wichtige Rolle in der Schaffung des Kommandoapparates der Armee spielte die Institution der Kommissare. Diese wurden aus revolutionären Arbeitern, aus Kommunisten, teilweise auch – in der ersten Periode – aus linken Sozialrevolutionären (bis zum Juli 1918) gewählt. Die Rolle des Kommandierenden wurde dadurch gewissermaßen geteilt. In den Händen des Kommandeurs blieb die rein militärische Leitung. Die politische Erziehungsarbeit konzentrierte sich in den Händen der Kommissare. Der Kommissar war aber hauptsächlich der direkte Vertreter der Sowjetregierung in der Armee, Die Aufgabe des Kommissars bestand darin, ohne die rein militärische Arbeit des Chefs zu beeinträchtigen und irgendwie seine Autorität zu schmälern, solche Bedingungen zu schaffen, bei denen diese Autorität sich nicht gegen die Interessen der Revolution richten kann. Die Arbeiterklasse hat für diese Sache ihre besten Söhne geopfert. Hunderte und Tausende von Arbeitern haben auf Kommissarposten ihr Leben gelassen. Aus den Reihen der Kommissare sind dann später viele revolutionäre Kommandeure hervorgegangen.

Von Anfang an haben wir die Schaffung eines Netzes von militärischen Lehranstalten in Angriff, genommen. In der ersten Zeit trugen sie die Kennzeichen der allgemeinen Schwäche der militärischen Organisation. Der kurzfristige Kursus gab in einigen Monaten eigentlich nur mittelmäßige Rotarmisten, aber keine Kommandeure. Da aber in jener Periode eine Masse ins Feld zog, die im Eisenbahnwaggon zum ersten mal ein Gewehr in die Hand bekam, so mussten die Rotarmisten, die einen Viermonatskursus mitgemacht hatten, mitunter nicht nur die Posten von Schwarmführern, sondern die von Zug- und sogar Kompanieführern bekleiden. Wir gaben uns viel Mühe, die früheren Unteroffiziere der Zarenarmee für uns zu gewinnen, jedoch musste man berücksichtigen, dass sie sich seinerzeit hauptsächlich aus den begüterten Schichten in Stadt und Land rekrutierten. Sie waren hauptsächlich die lesekundigen Söhne aus den reicheren Bauernfamilien Andererseits war ihnen die Animosität gegen die „Epaulettenträger", d. h. die Offiziere aus dem Adel oder der Intelligenz, stets eigen. Daher die Spaltung in dieser Gruppe! Sie hat uns viel hervorragende Kommandeure und Heerführer geschenkt, deren leuchtendster Vertreter Budjonny ist; dieselbe Gruppe hat aber auch der Konterrevolution und der Weißen Armee viele Kommandeure geliefert.

Die Bildung des revolutionären Kommandopersonals gehörte zu den schwierigsten Aufgaben, und wenn das höhere Kommandopersonal bereits in den ersten drei bis vier Jahren der Existenz der Roten Armee ausgebildet wurde, so lässt sich das von dem niederen Kommandopersonal auch bis auf den heutigen Tag nicht sagen. Unsere Hauptbemühungen sind darauf gerichtet, der Armee Abteilungsführer zu sichern, die ihren verantwortlichen Aufgaben durchaus gewachsen sind. Die militärische Bildung hat die größten Erfolge zu verzeichnen. Das Bildungs- und Erziehungsniveau des Roten Kommandopersonals steigt immer mehr.

Allgemein bekannt ist die Rolle der Propaganda in der Roten Armee. Die politische Arbeit, die bei uns jedem Schritt auf dem Wege des Aufbaus, darunter auch dem des militärischen Aufbaus, voranging, führte zur Notwendigkeit, einen weitverzweigten politischen Apparat der Armee zu schaffen. Die wichtigsten Organe dieser Arbeit bilden die uns bereits bekannten Kommissare. Jedoch wird die Sache von der bürgerlichen Presse Westeuropas offenbar entstellt, wenn die Propaganda gewissermaßen als teuflische Erfindung der Bolschewiki dargestellt wird. Die Propaganda spielt in allen Armeen der Welt eine gewaltige Rolle. Der politische Apparat der bürgerlichen Armee ist viel mächtiger und reicher als der der unsrigen. Der Vorzug unserer Propaganda ist ihr Inhalt. Unsere Propaganda schließt die Rote Armee zusammen und zersetzt die Armee des Gegners nicht infolge irgendwelcher besonderen technischen Methoden und Vorrichtungen, sondern durch die kommunistische Idee, die ihren Inhalt ausmacht. Dieses militärische Geheimnis verkünden wir offen und überall, ohne irgendein Plagiat seitens unserer Feinde zu befürchten.

Die Technik der Roten Armee spiegelte und spiegelt die allgemeine Wirtschaftslage des Landes wider. In der ersten Periode der Revolution verfügte sie über das Materialerbe des imperialistischen Krieges. Dieses war im gewissen Sinne kolossal, aber auch äußerst chaotisch. Von dem einen gab es zu viel, von dem andern allzu wenig, und dazu wussten wir nicht, was wir hatten. Die Hauptverwaltungsämter verheimlichten das wenige, das sie selbst wussten Die „lokale Macht" legte ihre Hand auf das, was sich auf ihrem Territorium befand. Die revolutionären Freischärlerführer versorgten sich mit allem, was ihnen zwischen die Finger kam. Stationsvorsteher verschoben ganze Waggons mit Munition, und ganze Züge kamen nicht dorthin, wohin sie bestimmt waren. Die erste Periode war also eine Zeit der entsetzlichen Vergeudung der Vorräte des imperialistischen Krieges. Einzelne Bataillone und Regimenter schleppten Panzerteile und Flugapparate mit sich, während sie für die Gewehre keine Bajonette hatten oder mitunter auch keine Patronen. Die Kriegsindustrie stand bereits Ende 1917 still. Erst 1919, als die alten Vorräte zur Neige gingen, begann die Arbeit zur Wiederherstellung der Kriegsindustrie. 1920 arbeitete bereits die ganze Industrie für Kriegszwecke. Wir hatten gar keine Vorräte. Jedes Gewehr, jede Patrone, jedes Paar Stiefel ging unmittelbar von der Maschine, von der Drehbank nach der Front. Es gab Momente, und sie hielten wochenlang an, wo mit jeder Patrone gerechnet wurde, und das verspätete Eintreffen eines Extrazuges mit Munition den Rückzug von ganzen Divisionen an der Front um mehrere Dutzende Werst zur Folge hatte.

Trotzdem die Weiterentwicklung des Bürgerkrieges zu einem Niedergang der Wirtschaft führte, wurde die Versorgung der Armee – einerseits dank der angespannten Arbeit der Industrie, andererseits und hauptsächlich infolge der besseren Organisation der Kriegswirtschaft selbst – immer besser.

Eine besondere Stellung in der Entwicklung der Roten Armee nimmt die Schaffung der Reiterei ein. Ohne sich hier in Betrachtungen über die Rolle der Reiterei im allgemeinen einzulassen, kann man konstatieren, dass in der Vergangenheit die rückständigen Länder die beste Reiterei hatten: Russland, Polen, Ungarn und noch früher Schweden. Die Kavallerie erfordert Steppen, große, freie Flächen. Sie entsteht natürlicherweise im Kubangebiet und am Don, und nicht bei Petersburg oder Moskau. Im Bürgerkrieg der Vereinigten Staaten waren die Vorzüge der Reiterei ganz und gar auf selten der südlichen Farmer. Erst in der zweiten Hälfte des Krieges benutzten auch die Nordstaaten diese Waffengattung. Dasselbe wiederholte sich auch bei uns,. Die Konterrevolution bildete sich in den rückständigeren Randgebieten und suchte von dort aus gegen das Moskauer Zentrum vorzudringen. Die wichtigste Waffengattung eines Denikin und Wrangels waren das Kosakentum und die Reiterei überhaupt. Ihre kühnen Vorstöße und Ritte bereiteten uns in der ersten Zeit mitunter die größten Schwierigkeiten; jedoch dieser Vorzug, der der Konterrevolution zugute kam, der Vorzug der Rückständigkeit, wurde auch der Revolution zugänglich, als sie die Bedeutung der Reiterei im Manövrieren des Bürgerkrieges erfasst und sich zur Aufgabe gestellt hatte, eine Reiterei um jeden Preis zu schaffen. So wurde es 1919 zur Losung der Roten Armee: „Proletarier, aufs Pferd!" Schon einige Monate nachher kam unsere Reiterei der des Feindes gleich und nahm dann endgültig die Initiative in ihre Hände.

Die Geschlossenheit der Armee und ihre Sicherheit wuchsen beständig. In der ersten Periode wollten nicht nur die Bauern, sondern auch die Arbeiter nicht in die Armee eintreten. Nur eine ganz dünne Schicht selbstloser Proletarier nahm bewusst die Schaffung der bewaffneten Macht der Sowjetrepublik in Angriff, und dieser Schicht allein ist die Arbeit in der allerschwierigsten Periode zu verdanken. Die Stimmung des Bauerntums war immerfort schwankend. Ganze Bauernregimenter, die freilich in den meisten Fällen politisch und technisch ganz unvorbereitet waren, ergaben sich in der ersten Zeit kampflos, und wenn die Weißen sie unter ihr Banner einstellten, gingen sie wieder auf unsere Seite über. Manchmal suchten die Bauernmassen eine gewisse Selbständigkeit an den Tag zu legen und verkrochen sich vor den Weißen und Roten in die Wälder, wo sie ihre „grünen" Trupps schufen. Aber ihre Zersplitterung und politische Hilflosigkeit verdammte sie von vornherein zur Niederlage. Auf diese Weise zeigte sich an den Fronten des Bürgerkrieges das Wechselverhältnis der grundlegenden Klassenkräfte der Revolution: die Bauernmasse, welche die feudal-bürgerlich-intellektuelle Konterrevolution der Arbeiterklasse streitig macht, schwankt bald nach der einen, bald nach der andern Seite, unterstützt aber letzten Endes die Arbeiterklasse. In den rückständigen Gouvernements, wie in Kursk und Woronesch, wo es Tausende und Abertausende von Fahnenflüchtigen gab, erzeugte das Auftauchen der roten Truppen an der Grenze des Gouvernements einen entschiedenen Umschwung in der Gesinnung und trieb die Deserteure von gestern massenweise in die Rote Armee. Der Bauer unterstützte den Arbeiter gegen den Gutsbesitzer und Kapitalisten. In dieser sozialen Tatsache wurzelt auch die letzte Ursache unserer Siege,

Die Rote Armee wurde im Feuer aufgebaut, folglich nicht nach einem vorgezeichneten Plane und mitunter infolge ziemlich ungeordneter Improvisationen. Ihr Apparat war eigentlich kompliziert und in vielen Fällen schwerfällig. Wir benutzten jede Atempause, um unsere militärische Organisation zu vereinfachen, zusammenzupressen, zu verfeinern. In dieser Hinsicht haben wir in den letzten zwei Jahren entschieden Fortschritte zu verzeichnen. In der Periode unseres Kampfes gegen Wrangel und Polen zählte die Rote Arme über fünf Millionen. Der Abbau wurde vollzogen und vollzieht sich langsamer, als man es wünschen möchte, denn er geht parallel mit der Verbesserung der Qualität, Der Abbau der Etappe vollzog sich rascher als der der Front. Die Armee wird jedoch nicht schwächer, sondern im Gegenteil stärker. Ihre Entfaltungsmöglichkeit im Kriegsfalle nimmt immer mehr zu, ihre Treue für die Sache der sozialen Revolution ist erwiesen.

* Das tschechoslowakische Korps wurde im zaristischen Russland aus gefangenen Tschechen formiert. Nach der Oktoberrevolution strebte das Korps nach Hause. Dazu wurde der große sibirische Weg über Wladiwostok gewählt.

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