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Leo Trotzki 19221012 Ein Stück Sowjetdemokratie

Leo Trotzki: Ein Stück Sowjetdemokratie

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 2. Jahrgang Nr. 201 (17. Oktober 1922), S. 1356]

Es gibt auf der Welt eine 2. Kompanie des 153. russischen roten Schützenregimentes. Und es gibt in Moskau eine Erste Mustertypographie. Diese Typographie ist der Chef der 2 Kompanie. Auf der Versammlung vom 29. September hörte die Typographie den Bericht über die Lage der 2. Kompanie des 153. Regimentes an und beschloss: „Am nächsten Sonnabend werden wir drei Überstunden arbeiten, deren Bruttoertrag zur Unterstützung der Genossen Rotarmisten unserer Kompanie zu verwenden ist."

Der Delegierte der Mustertypographie im Moskauer Sowjet zahlte eine gewisse Summe zugunsten des „Überstundenfonds". Der Betriebsrat der Mustertypographie sprach seinem Delegierten in einem besonderen Briefe seine Anerkennung für die „Solidarität" aus.

All dies kann man in der dritten Nummer der von derselben Typographie herausgegebenen Wandzeitung „Das Leben des Buchdruckers" lesen. In dieser acht breite Spalten starken Zeitung wird die Bedeutung der roten Chef-Institution erklärt gegen die Gleichmütigkeit gekämpft die sich „in der ungenügenden Kritik der Tätigkeit des Betriebsrates" zeigte; es sind da Artikel über die Genossenschaft, über die Arbeit des Klubs der jugendlichen Arbeiter, ein Aufruf der Revisionskommission, ein belletristisches Feuilleton über die Geschenke der Arbeiter an die Rote Armee und endlich zwei Spalten, die dem Kampfe gegen die grüne Schlange (Bleivergiftung, eine Buchdruckerkrankheit) gewidmet sind.

Kann denn ein besseres Beispiel für den „Sowjetmilitarismus“ und der „Entartung" der Sowjetmacht gefunden werden? Eine Typographie verfolgt die Lage ihrer Kompanie und beschließt zugunsten dieser Kompanie drei Überstunden zu leisten. Dieselbe Typographie gibt aus diesem Anlass eine große Wandzeitung heraus, auf deren Spalten das Leben der Typographie, ihre Beziehungen zu „ihrer" Kompanie und zu „ihrem“ Delegierten treu geschildert werden. Das ist also der „massenfremde, sogar massenfeindliche rote Militarismus". (Lest die Zeitungen der Menschewiki und der SR!) Und solche Beziehungen wie zwischen der 2. Kompanie des 153. Regiments und der Mustertypographie bestehen jetzt zwischen allen Truppenteilen der Roten Armee und den verschiedensten Lokal- und Zentralorganisationen der Arbeiter und Bauern. Die rote Chef-Institution ist zu einer echten Volkserscheinung geworden und beweist den tief demokratischen Charakter des Sowjetlebens.

Natürlich bleibt den verknöcherten Verleumdern Sowjetrusslands nichts anderes übrig, als zu sagen, dass auch die Chef-Institution das Resultat der Gewalt ist: die Arbeiter der Mustertypographie tragen für ihre Kompanie nur deshalb Sorge, weil sie dazu gezwungen sind. In den Augen der „gebildeten" menschewistischen und sozialrevolutionären Kleinbürger ist die Arbeiterklasse nichts anderes als eine Sklavenherde, die von einem „Häuflein“ Bolschewiki getrieben wird. Dieser Herde wurde befohlen, die Oktoberrevolution zu machen, und sie hat sie gemacht. Dann trieb sie die Konstituante auseinander – auf Befehl. Dann vernichtete sie alle ihre Feinde – aus Furcht vor der Tscheka. Aus Furcht wählt sie Kommunisten in die Sowjets. Als das ganze revolutionäre Moskau auf die Straßen zog, um eine strenge Strafe für die gegenrevolutionären SR zu fordern, geschah dies auch nur auf Befehl der Tscheka. Die Arbeiter der einzelnen Betriebe verkehren freundschaftlich mit den Militärtruppen? Diese Freundschaft ist auch aufgezwungen. Während der Manöver erweisen die Bauern den Rotarmisten die größte Dienstwilligkeit und Gutherzigkeit? Gezwungen! Befohlen! Eingeschüchtert! Die hochmütige Kleinbürgerbagage beweist durch eine solche Philosophie nur ihre tiefe, eingefleischte Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse, dieser dunklen Herde, die man nach Willkür hin und her schieben kann.

Viele falsche Dokumente, Nachrichten und Gerüchte schwirren über Sowjetrussland umher. Aber die Wandzeitung der ersten Mustertypographie kann nicht gefälscht werden. Sie ist ein echtes Dokument. Sie ist die Widerspiegelung des wirklichen Lebens. Sie ist ein teures Stück Sowjetdemokratie. Wenn ihr den ganzen demokratischen Parlamentarismus mit allen, was mit ihm zusammen hängt, in eine Waagschale werft, und in die andere diese eine Wandzeitung, – die Wandzeitung wird die Waage der Geschichte stark herunterdrücken. Und eben weil sie schwerer ist, müssen wir siegen!

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