Leo Trotzki‎ > ‎1923‎ > ‎

Leo Trotzki 19231200 Die soziale Zusammensetzung der Partei

Leo Trotzki: Die soziale Zusammensetzung der Partei

[Die Aktion, 14. Jahrgang 1924, Heft 1/2 (Januar), Spalte 19-22, Übersetzung von Alexandra Ramm]

Die Frage wird durch die gegenseitigen Beziehungen der Generationen natürlich nicht erschöpft. Im weiteren geschichtlichen Sinne entscheidet die Frage der soziale Bestand der Partei, und vor allem das Verhältnis der Fabrikzellen, das heißt der Proletarier, zu ihrer Gesamtheit. Die erste Aufgabe der Klasse, die die Macht erobert hat, war die Schaffung des Staatsapparates, der Armee, der Organe der wirtschaftlichen Verwaltung usw. Aber die Besetzung dieser Apparate mit Arbeiterelementen bedeutet von vornherein Schwächung und Verdünnung der ausschlaggebenden Fabrikzellen und ungeheures Wachstum der Administrationselemente in der Partei, sowohl proletarischen wie auch anderen Stammes. Darin besteht der Widerspruch der Situation. Einen Ausweg gibt nur ein ernster wirtschaftlicher Erfolg, eine gesunde Pulsierung des Fabriklebens und ein steter Zustrom von neuen proletarischen Elementen zu der Partei, die in der Werkstatt bleiben. In welchem Tempo dieser Grundprozess sich vollziehen wird, durch welche Ebbe und Flut er nun durchgehen wird, ist schwer vorauszusagen. Es ist selbstverständlich, dass wir auch bei dem jetzigen Stand unsrer Wirtschaft bestrebt sein müssen, immer mehr Arbeiter an die Partei heranzuziehen. Grundlegende Änderungen in der Parteizusammensetzung, beispielsweise so, dass die Fabrikzellen in ihr zwei Drittel ausmachen, sind nur möglich auf der Basis großer wirtschaftlicher Erfolge und können nicht so bald erreicht werden. Jedenfalls müssen wir mit einer noch sehr langen Periode rechnen, in der die erfahrensten und aktivsten Elemente der Partei, auch jene proletarischer Abstammung, beschäftigt bleiben müssen in Staatsämtern, in Gewerkschaften, Kooperativen und im Parteiapparat. Diese Tatsache allein bildet schon eine Gefahr, da dies eine der Quellen des Bürokratismus ist.

Eine ganz besondere Stelle nimmt und wird einnehmen müssen in der Partei die Ausbildung der Jugend, Heranbildend eine neue Sowjetintelligenz durch die Fabrikzellen, Parteiuniversitäten und Fachschulen mit einem hohen Prozentsatz kommunistischer Elemente, ziehen wir dadurch allein junge proletarische Kräfte von der Werkstatt heraus nicht nur für die Zeit der Lehre, sondern, nach der allgemeinen Regel, für ihr Leben lang: die Arbeiterjugend, die eine höhere Schule durchgemacht hat, wird auch später in den Industrie-, Staats- oder Parteiapparat hineingezogen werden. Das ist die zweite Tatsache, die das innere Gleichgewicht der Partei zu Ungunsten der Fabrikzellen beeinflusst

Die Frage, ob ein Kommunist aus dem Proletariat, aus der Intelligenz oder aus einem andren Milieu entstammt, hat natürlich ihre Bedeutung. In der ersten nachrevolutionären Periode schien die Frage nach dem Beruf eines Mitgliedes vor der Revolution von entscheidender Bedeutung, denn man konnte annehmen, dass er als Arbeiter nur vorübergehend den einen oder anderen Verwaltungsposten einnehmen und dass er früher oder später zu seinem Schraubstock zurückkehren würde. Heute sehen wir in dieser Hinsicht völlig anders. Es ist ganz sicher, dass die Vorsitzenden der Gouvernementsvollzugkomitees oder die Divisionskommissare einen ganz bestimmten sozialen Sowjettypus darstellen. In diesen sechs Jahren haben sich ziemlich feststehende Gruppierungen der sowjetistischen Öffentlichkeit herausgebildet. Folglich haben wir – und zwar für längere Zeit – eine solche Situation, dass ein bedeutender, und der am besten vorbereitete Teil der Partei gänzlich in Anspruch genommen wird von der Leitung verschiedener Apparate und Verwaltungen, ein andrer bedeutender Teil befindet sich in Ausbildung, der dritte Teil ist auf dem Lande zerstreut, beackernd den Boden; und nur der vierte Teil (zurzeit weniger als ein Sechstel) besteht aus Proletariern, die in der Fabrik arbeiten. Es ist klar, dass das Anwachsen des Parteiapparates und seine Begleiterscheinung, die Bürokratisierung, nicht aus der Fabrikzelle stammt, sondern aus allen übrigen Stellen der Partei, welche sie ausübt durch den Staatsapparat, die Wirtschaft, das Kommando, die Ausbildung. Mit andren Worten, die Quelle des Bürokratismus in der Partei ist die immer mehr zunehmende Verschiebung der Aufmerksamkeit und der Kräfte der Partei auf das Gebiet des Regierungsapparates und der Regierungsinstitutionen bei nicht genügender Entwicklung der Wirtschaft. Angesichts dieser grundlegenden Tatsachen und Tendenzen müssen wir uns über die Gefahren der apparatistischen Umwandlung der alten Kader der Partei besonders klar werden. Es wäre ein grober Fetischismus, zu wähnen, weil die alten Kader der Partei aus der besten Revolutionsschule der Welt hervorgegangen sind, böten sie allein schon eine Garantie gegen geistige Verflachung und opportunistische Anwandlungen. Nein! Die Geschichte wird durch Menschen gemacht, aber Menschen machen nicht immer bewusst Geschichte, um so weniger ihre eigene. Letzten Endes wird die Frage gelöst werden von Tatsachen großer internationaler Bedeutung, durch den Gang der revolutionären Entwicklung in Europa und durch das Tempo unsrer wirtschaftlichen Entwicklung. Aber die ganze Verantwortung fatalistisch diesen Tatsachen zuzuschreiben ist ebenso falsch, wie die Garantien in seinem eignen Idealismus, den man von der Vergangenheit geerbt hat, zu suchen. Bei der gleichen revolutionären Spannung und den gleichen internationalen Bedingungen kann die Partei in verschiedenem Grade der Gefahr der Zersetzung Tendenzen widerstehen, je nach der Klarheit, mit der sie die Situation sieht, und je nach der Aktivität, mit der sie die Gefahr bekämpft. Es ist offensichtlich, dass die Mannigfaltigkeit der sozialen Zusammensetzung der Partei, die die Verhältnisse verschuldet haben, alle negativen Seiten des apparatistischen Kurses nicht mildern, sondern verschärfen. Es gibt kein und kann kein anderes Mittel geben zur Bekämpfung des Kooperations- und Amtsgeistes der verschiedenen Bestandteile der Partei als ihre aktive Annäherung an das Regime der Partei, als ihre aktive Annäherung an das Regime der Parteidemokratie. Unterstützend die „Windruhe", alle und alles entzweiend, ist der Parteibürokratismus gleich unerträglich, wenn auch auf verschiedene Weise, sowohl für die Fabrikzellen wie für die Wirtschaftler, die Militärs und den sich bildenden Nachwuchs.

Wie wir gesehen haben, reagiert die studierende Jugend besonders scharf auf den Bürokratismus Nicht umsonst schlug Genosse Lenin vor, zum Kampfe gegen den Bürokratismus die Studierenden heranzuziehen. In ihrer Zusammensetzung und durch ihre Verbindungen ist die studierende Jugend der Ausdruck aller sozialen Schichten, die unsere Partei bilden, und ihrer Stimmungen. In ihrer Jugendlichkeit und in ihrer Empfänglichkeit ist sie stets bereit, diesen Stimmungen revolutionäre Formen zu geben. Als Lernende ist sie stets bestrebt, alles zu verstehen und zu verallgemeinern. Damit ist keineswegs gesagt, dass die Jugend in allen ihren Äußerungen und Stimmungen stets gesunde Tendenzen zeigt. Wäre dem so, so gäbe es nur eins von beiden: entweder wäre in der Partei alles in bester Ordnung, oder aber die Jugend habe aufgehört, der Ausdruck ihrer Partei zu sein. Die Erwägung, dass unsere Basis nicht die Zellen der Schulen sind, sondern die Fabrikzellen, ist an sich richtig. Wenn wir aber sagen, dass die Jugend ein Barometer sei, so wollen wir eben ihren Stimmungen keine grundlegende, sondern eine nur symptomatische Bedeutung beilegen. Das Barometer macht nicht das Wetter, es registriert es nur. Das politische Wetter wird in der Tiefe der Klassen geschaffen, in jenen Gebieten, wo sich die Klassen treffen. Die Fabrikzellen stehen mit der Klasse, der sie entstammen, dem Fabrikproletariat, dem wichtigsten Teil der Partei, in direkter und unmittelbarer Verbindung. Die Dorfzellen schaffen die Verbindung mit dem Bauerntum in viel schwächerer Weise. Mit ihm verbinden uns hauptsächlich die Armeezellen, die sich jedoch in ganz besonderer Lage befinden. Schließlich wird die Jugend aus allen Schichten der Sowjetöffentlichkeit zusammengesetzt und ist in ihrer Buntheit der Ausdruck all unsres Plus und Minus, und wir wären Tölpel, wenn wir nicht in aufmerksamster Weise ihre Stimmungen verfolgen würden. Man muss noch hinzufügen, dass ein großer Teil unsrer Studierenden eine beachtenswerte revolutionäre Probe bestanden hat. Ganz unnütz also werfen uns unsre rasendsten Apparatisten die Jugend vor. Sie ist unsere Kontrolle und unser Ersatz, und ihr gehört der morgige Tag.

Kehren wir jedoch zurück zur Frage nach der Überwindung der mannigfachen Teile und Gruppen der Partei, welche durch ihre verschiedenen sowjetistischen Funktionen getrennt werden. Wir haben es bereits gesagt und wiederholen es, dass der Bürokratismus der Partei keineswegs ein Erbe der vergangenen Periode, sondern umgekehrt, dass diese Erscheinung ihrem Wesen nach eine aus den neuen Aufgaben, neuen Funktionen, neuen Schwierigkeiten und neuen Irrtümern der Partei resultierende Sache ist.

Seine Diktatur verwirklicht das Proletariat durch den Sowjetstaat. Die kommunistische Partei ist die führende Partei des Proletariats, folglich auch seines Staates; und die Frage besteht eben darin, wie diese Führung zu verwirklichen ist, ohne dass wir uns mit dem bürokratischen Apparat zu eng verknüpfen und der Gefahr bürokratischer Anwandlungen unterliegen. Die Kommunisten sind innerhalb der Partei und des Staatsapparates in verschiedenen Gruppen zusammengeschlossen: im Staatsapparat stehen sie in hierarchischer Abhängigkeit voneinander und in komplizierten persönlichen Beziehungen zu den Parteilosen; innerhalb der Partei sind sie alle gleichberechtigt, insofern es sich um die Bestimmung der Grundaufgaben und Methoden der Parteiarbeit handelt; Kommunisten arbeiten am Schraubstock, bilden die Fabrikkomitees, leiten Betriebe, Betriebtruste, Syndikate usw. Wenn es sich um die Leitung der Wirtschaft seitens der Partei handelt, beachtet sie, muss sie beachten, die Erfahrung, die Beobachtung, die Meinung aller ihrer Mitglieder, die auf verschiedenen Stufen der administrativ-wirtschaftlichen Leiter verstreut sind. Darin besteht der grundlegende, unvergleichliche Vorteil unsrer Partei, dass sie jeden Moment in der Lage ist, die Industrie mit den Augen des Kommunisten-Drehers am Schraubstock, des Kommunisten-Gewerkschaftlers, des Kommunisten-Fabrikdirektors, des roten Händlers zu betrachten, die sich ergänzenden Erfahrungen aller dieser Arbeiter zusammenzufassen und die Linien ihrer Leitung der Wirtschaft im allgemeinen, oder des gegebenen Zweiges und Teiles zu bestimmen.

Es ist klar, dass eine solche Parteileitung nur durchführbar ist auf der Basis einer lebendigen, aktiven Parteidemokratie. Und umgekehrt, je mehr Übergewicht die apparatistischen Methoden gewinnen, um so mehr wird die Leitung seitens der Partei ersetzt durch Administratoren und Vollzugsorgane (Komitees, Büros. Sekretäre usw.)

Wir haben gesehen, wie sich bei einer Verschärfung eines solchen Kurses alle Geschäfte in den Händen einer kleinen Gruppe, manchmal eines Sekretärs, konzentrieren, der beordert, entsetzt, Direktiven erteilt, zur Verantwortung zieht usw. Bei einer solchen Umwandlung der Partei tritt der grundlegende und unschätzbare Vorzug der Partei, ihre vielseitige Kollektiverfahrung, zurück. Die Führung bekommt einen rein organisatorischen Charakter, der oft einfach in Kommandieren und Herumzerren ausartet. Der Parteiapparat geht immer mehr und mehr auf in den Aufgaben und Detailfragen des Sowjetapparats, seinen Alltagssorgen, er unterliegt seinem Einfluss, kurz, er sieht den Wald vor Bäumen nicht. Wenn die Parteiorganisation, als ein Kollektiv, an Erfahrungen stets reicher ist als irgend ein Organ des Staatsapparates, so kann man von einzelnen Angestellten des Parteiapparates dasselbe keinesfalls behaupten. Es wäre doch wahrhaftig naiv, anzunehmen, dass irgend ein Sekretär infolge seines Amtes in sich die gesamte Summe von Kenntnissen und Erfahrungen verkörpert, die zur Leitung der Partei notwendig sind. In Wirklichkeit schafft er sich einen Hilfsapparat mit bürokratischen Unterabteilungen, Informationsstellen, papierenen Auskünften, die ihn mit dem Sowjetapparat verbinden und ihn von der lebendigen Partei trennen. Und das geschieht nach dem bekannten deutschen Ausspruch: „Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben." Die ganze Verzwicktheit der bürokratischen Alltäglichkeit des Sowjetstaates dringt in den Parteiapparat und schafft dort den Bürokratismus. Die Partei als solche empfindet ihre Führung nicht, denn sie übt sie nicht aus. Daher die Unzufriedenheit und die Verstimmung auch in den Fällen, wo die Führung wesentlich richtig ist. Aber sie kann sich nicht auf einer richtigen Linie halten, denn sie verbraucht sich für Details und kommt nicht dazu, einen planmäßigen, systematischen Kollektivcharakter anzunehmen. Auf diese Weise hindert der Bürokratismus nicht nur die Herausbildung des Gefühls einer inneren. Zusammengehörigkeit in der Partei, sondern er schwächt auch eine richtige Beeinflussung des Staatsapparates. Das verstehen durchweg gerade diejenigen nicht, die am lautesten von der führenden Rolle der Partei im Sowjetstaat schreien.

Kommentare