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Leo Trotzki 19240607 Die Amsterdamer Internationale und der Krieg

Leo Trotzki: Die Amsterdamer Internationale und der Krieg

[Nach Sonntagsblatt der New Yorker Volkszeitung, 6. Juli 1924, Section II, S. 1 f.]

In unseren Telegrammen sehen wir Mitteilungen über die Debatten und Beschlüsse des Wiener Kongresses der Amsterdamer (reformistischen, nicht revolutionären) Gewerkschafts-Verbände in der Frage des Krieges und des Kampfes gegen ihn. Warum ist diese Frage überhaupt entstanden? Offensichtlich darum, weil die Gefahr eines neuen Krieges immer fühlbarer wird. Vor allem muss man diesen Schluss ziehen. Wenn immer die Amsterdamer Gewerkschaften genötigt sind, neuerdings zu den Fragen des Krieges zurückzukehren, so bedeutet dies, dass die Gefahr eines neuen blutigen Zusammenstoßes selbst von den rückständigsten werktätigen Massen immer klarer verstanden und empfunden wird.

Die Resolution über die Kriegsgefahr und über die Maßnahmen des Kampfes gegen sie ist von Jouhaux eingebracht worden, dem Generalsekretär des Generalrates der (reformistischen) Gewerkschafts-Verbände Frankreichs. Damit erkennt Herr Jouhaux die Gefahr eines neuen Krieges an. Aber wir erinnern uns alle sehr gut daran, dass während des imperialistischen Krieges Herr Jouhaux tagtäglich wiederholte, dass dies der letzte Krieg sei, dass es seine Aufgabe sei, den Militarismus zu vernichten, und dass als sein Ergebnis der Triumph des internationalen demokratischen Rechtes herbeigeführt werden wurde. Eben deshalb verlange Jouhaux von den französischen Arbeitern die aktive Unterstützung der französischen Bourgeoisie in dem „letzten" Kriege, der den Krieg vernichten sollte. Und jetzt. Jahre nach dem Anfange und fast sechs Jahre nach dem Ende des „letzten" Krieges bringt Herr Jouhaux eine Resolution über den Kampf gegen die Gefahren neuer Kriege ein. Es hat sich also jemand geirrt, es wurde also jemand betrogen. Wer? Durch wen? Wurde Herr Jouhaux von der französischen Bourgeoisie betrogen? Oder hat Jouhaux die französischen Arbeiter im Interesse der französischen Bourgeoisie betrogen? Die Frage ist nicht nebensächlich. Bevor man mit Jouhaux über die Methoden des Kampfes gegen die Kriegsgefahr spricht, muss man diese Vorfrage lösen. Eines von beiden: Entweder hat Jouhaux im Verlaufe des imperialistischen Gemetzels die Arbeiter über den Sinn und die Folgen des Krieges bewusst betrogen – dann muss man ihn aus der Arbeiterbewegung hinauswerfen, oder aber, er wurde selbst betrogen, das heißt mit anderen Worten, er ist das Opfer seiner falschen reformistischen Politik gewesen dann muss er allen hörbar eine Erklärung über die Unrichtigkeit seiner reformistischen Politik während des imperialistischen Krieges abgeben, bevor er das Recht hat, über die Politik der Arbeiterklasse angesichts einer neuen Gefahr zu sprechen. Dieser Alternative kann niemand entschlüpfen.

Soviel wir wissen, haben weder Herr Jouhaux noch andere Partner von ihm erklärt, noch erklären sie, dass ihre Politik bei dem größten Ereignisse der Weltgeschichte, im Weltkriege, durch und durch falsch und verderblich war. Wenn dem aber so ist, so gibt uns dies schon von vornherein das Recht, ihre jetzige Politik, darunter auch die Resolutionen des Wiener Kongresses, als eine Forderung ihrer alten Politik anzusehen. Wir wissen, dass die Gewerkschaftsverbände und die sozialdemokratischen Parteien auch vor dem imperialistischen Kriege mit der gleichen Einmütigkeit wie der letzte Wiener Kongress Resolutionen gegen den Krieg angenommen haben. Als jedoch der Krieg herankam, hat keine einzige der europäischen sozialdemokratischen Parteien, keine einzige der Gewerkschaftsorganisationen es vermocht, noch auch selbst sich bemüht, ihn zu verhindern, im Gegenteil, fast alle haben sie sich darangemacht, der blutigen Arbeit ihrer eigenen Bourgeoisie beizustehen. Wo denn haben wir irgend eine Garantie, auch bloß den Schatten einer Hoffnung darauf, dass mit dem Eintreten eines neuen Krieges das Verhalten von Jouhaux und aller anderen Amsterdamer sich von ihrem Verhalten in den Jahren 1914 bis 1918 unterscheiden wird?

Dies ist unsere Vorfrage. Dieselben Leute, die bis zum Weltkriege auf den Kongressen Beschwörungen vorbrachten und sich nachher während der Kriegszeit als die ärgsten Chauvinisten erwiesen, begingen jetzt in der Zwischenzeit zwischen zwei Kriegen, die Beschwörungen gegen den Militarismus von neuem zu wiederholen, um im Falle eines Kriegen sich neuerdings als die getreuesten und zuverlässigsten Helfer und Diener des Militarismus zu erweisen. Ist dies etwa nicht offensichtlich, ist dies etwa nicht unbestreitbar?

Es wäre möglich gewesen, sich im Wesentlichen darauf zu beschränken, wenn nicht die Menschen so leicht ihre eigene Erfahrung vergessen würden, wenn es nicht neue Generationen gäbe, die diese Erfahrungen noch nicht mitgemacht haben. Auf die Vergesslichkeit der einen und die Unerfahrenheit der anderen rechnend, ist denn auch die ganze Politik der Amsterdamer Führer aufgebaut.

Besehen wir darum näher ihr Kampfprogramm. Dieses Programm hat einen zwiespältigen Charakter: auf der einen Seite empfiehlt es eine Propaganda, die auf die Vernichtung der Feindseligkeit zwischen den Völkern und auf die Schaffung eines obligatorischen Schiedsgerichtes gerichtet ist. und dergleichen, das heißt es hat pazifistischen Charakter, und auf der anderen Seite hat es das Äußere eines Kampfprogrammes. das im Falle von Kriegsgefahr die Einstellung der Arbeiten auf allen Munitionsfabriken, bei den Transporten, den wirtschaftlichen Boykott, und schließlich die Erklärung des internationalen Generalstreiks empfiehlt. Über den pazifischen Teil des Programmes braucht nicht viel gesagt werden. Natürlich wäre es eine großartige Sache, wenn es möglich wäre, ein „gerechtes" und für alle verbindliches internationales Tribunal zu schaffen. Aber jetzt hätten offensichtlich die bürgerlichen Regierungen ein solches Tribunal schaffen müssen, denn in ihren Händen befindet sich die Macht, gerade von diesen bürgerlichen Regierungen geht aber die Kriegsgefahr aus. Dies bedeutet, dass die Frage ohnehin vom pazifistischen Programme auf das Kampfprogramm verschoben wird, und dass dadurch entschieden wird, in welchem Ausmaße und mit welchen Mitteln die Arbeiter die Bourgeoisie hindern können, ein neues internationales Ringen hervorzurufen.

Welcher Art diese Mittel sind, haben wir in Umrissen erfahren: Teilstreik (in den Munitionsfabriken. Boykott. Generalstreik). Sagen wir es sofort: diese Patentmittel von Jouhaux & Co. stellen ein Schlafpulver dar und nicht mehr.

Die Munitionsfabriken arbeiten in allen Ländern ununterbrochen. Warum soll man sie nicht sofort zum Streik aufrufen? Wenn die Amsterdamer sich ernsthaft entschlossen haben, sich einem neuen Kriege zu widersetzen, so ist, sollte man meinen, nicht einzusehen, wozu Kriegsmaterialvorräte fabriziert werden sollen. Als ein kleiner Anlauf zu den kommenden großen Heldentaten im Kampfe gegen den Krieg hätte man irgendwie mit der Aufforderung an die Arbeiter beginnen können, von der Arbeit in den Munitionsfabriken schon jetzt sofort abzulassen. Utopie, werden die Herren Amsterdamer antworten. Die Arbeiter werden eine solche Aufforderung nicht befolgen, die Regierung wird immer die notwendige Anzahl Streikbrecher finden usw. usw. Diese Einwände sind, es muss zugegeben werden, nicht ganz unbegründet. Ist es aber etwa leichter, einen Streik in den Munitionsfabriken in der Periode des eintretenden Krieges zu veranstalten als in Friedenszeiten? Man muss ein Schwätzer oder Schwindler sein, um dies zu behaupten. Den Streik in den Munitionsfabriken und anderen Kriegsunternehmungen für den Augenblick der unmittelbaren Kriegsdrohung zu predigen, bedeutet taktisch, ihn auf eine solche Stunde zu verschieben, in der er am allerwenigsten möglich sein wird. Wir erinnern uns an den Juli des Jahres 1914. Der Staat ist zu Beginn eines Krieges am mächtigsten. Er monopolisiert endgültig in seinen Händen alle Organe, Mittel und Werkzeuge für die Mobilisierung der öffentlichen Meinung, er vereinigt damit die Mittel des Terrors. Hatten wir doch im Juli 1914 den Aufruf des Herrn Jouhaux zum Streik in den Munitionsfabriken Frankreichs gehört! Aber nein, wir erinnern uns an ein ganz anderes Programm, das Jouhaux im Gefolge von Thomas entwickelte: des canons: des munitions (Kanonen: Munition). Welcher Grund liegt vor, anzunehmen, dass zu Beginn eines neuen Krieges die Sache anders stehen wird? Es ist unstatthaft, die Hauptschwere des Kampfes gegen den Krieg auf die Gruppe der Arbeiter der militärischen Werke zu verlegen. Und ernsthaft tut dies auch keiner von den Amsterdamern. Sie glauben selbst nicht daran: soviel gesunden Sinn haben sie doch noch.

Es ist wahr, die Resolution spricht auch von Generalstreik, wodurch sie die Verpflichtung aktiven Auftretens gegen den Krieg der ganzen Arbeiterklasse auferlegt. Es ist jedoch nicht schwer, zu zeigen, dass auch die Reden über den Generalstreik sich kaum von den Reden über den Streik in den Kriegsmaterialwerken unterscheiden. Unter Generalstreik muss man offensichtlich ein derart machtvolles Auftreten des Proletariats verstehen, das die Bourgeoisie zu hindern haben wird, ihren Willen in der wichtigsten Frage zu verwirklichen, in der Frage über Krieg und Frieden. Es wird so dargestellt, als ob das von den Amsterdamern organisierte Proletariat jeden beliebigen Augenblick imstande wäre, den Willen der Bourgeoisie zu paralysieren. Warum aber tut es dieses nicht bei Fragen geringerer Bedeutung: Verlängerung des Arbeitstages, Ansteigen der militärischen Ausgaben usw. Woher haben die Herren Amsterdamer ihre großartige Zuversicht genommen, dass 24 Stunden, ehe sich die Bourgeoisie entschließt, die Völker von neuem in den Krieg zu schleudern, das Proletariat sich als genügend mächtig erweisen wird, um diesen Plan mit Hilfe des Generalstreiks zu paralysieren? In der Periode vor dem Kriege konzentriert die Bourgeoisie, wie schon erwähnt, ihre ganze Macht in ihren Händen. Generalstreik in einer solchen Lage bedeutet Revolution. Auf diese Weise verpflichten sich die tapferen Amsterdamer, in einem gewissen Augenblick – der nicht von ihnen, sondern von der Bourgeoisie gewählt wird –- die proletarische Revolution durchzuführen. Aber dafür, sollte man meinen, ist es notwendig, die notwendigen Kräfte zu haben. Und wenn sie vorhanden sind, warum soll man die Revolution solange verschieben, bis der Krieg unmittelbar herannaht? Ist es nicht einfacher, sie rechtzeitig zu vollenden und damit die Möglichkeit eines Krieges selbst zu beseitigen?

Die Frage wird von einer anderen Seite noch schärfer beleuchtet Die französische Allgemeine Arbeits-Föderation, die von Jouhaux geleitet wird, ist eng verbunden mit der französischen Sozialistischen Partei wie die englischen Trade Unions mit der Partei MacDonalds verbunden sind, wie die deutschen Gewerkschaften in engster Verbindung mit der Sozialdemokratie stehen usw. Das Militärbudget, dasselbe, das unter anderem die Arbeit der Munitionsfabriken sichert, bildet den Hauptbestandteil des Budgets des Herrn Snowden. des „Arbeiter“-Ministers. der die Aufgaben des großbritannischen Imperialismus erfüllt. Auf diese Weise zwingt der englische Amsterdamer Snowden die englischen Arbeiter, Steuern für die Bedürfnisse der englischen Geschoss- und anderer Fabriken zw zahlen. Und sobald die beiße Zeit heran eilt, sobald diese Geschosse zur Verwendung gebracht werden sollen, sollen also dieselben englischen Arbeiter einen Streik in den Geschossfabriken oder in der ganzen Industrie überhaupt veranstalten. Und so steht die Sache nicht nur In England allein. Die französische Sozialistische Partei hat beschlossen, für das Budget der Radikalen zu stimmen. Das Budget der Radikalen schließt recht radikale Ausgaben für den Militarismus in sich ein. Und Herr Jouhaux. der eine gemeinsame Politik mit den französischen Sozialisten betreibt, will zugleich die französischen Arbeiter verpflichten, einen Streik in jenem Augenblicke zu veranstalten, in dem es klar wird, dass« die „radikale" Armee nicht bloß zum Zeitvertreib aufgebaut wird, sondern für eine ernste Sache, das heißt für den Krieg. Kann man sich ein niedrigeres Scharlatantum vorstellen? In Friedenszeiten werden wir für die Bourgeoisie ihr Budget eintreiben und werden als sozialistische Minister die werktätigen Massen zur Zahlung der Steuern für den Militarismus antreiben, die Kriegsmaterial-Werke unterstützen, entwickeln und festigen, auf die strengste Disziplin in der bürgerlichen Armee achten und den Arbeitern den Gedanken beibringen, dass die Unterstützung des imperialistischen Staates ihre Pflicht ist … Aber in dem Augenblicke, in dem die Bourgeoisie, die die Sache ernst nimmt, beschließt, dass die mit Hilfe sozialistischer Minister und reformistischer Gewerkschaftler geschaffene Armee zum Werke verwendet werden soll – o, in diesem Augenblicke werden wir die Arbeiter zum Generalstreik und zu allen übrigen Mitteln des Kampfes aufrufen. Diese Politik ist auf Hammel berechnet, die man zur Schlachtbank führt.

Wenn aber der Generalstreik zur Verhinderung des Krieges nach Eurer Ansicht unmöglich ist – hören wir den Überschlauen einwenden – was verbleibt dann noch? Dann ist die Arbeiterklasse gegen den Miliarismus unbewaffnet!

Darauf antworteten wir: die Arbeiterklasse ist nicht gegen den Militarismus unbewaffnet, aber Ihr Amsterdamer tut alles dazu, um sie zu entwaffnen. Lasst uns beim Kleinen anfangen! Statt zum Streik in den Munitionsfabriken und noch mehr zum Generalstreik aufzurufen, beschließt, der Bourgeoisie die Budgetmittel zu verweigern, mit deren Hilfe sie ihre Munitionswerke erhält! Es hat keinen Sinn, von der vollen Unabhängigkeit der Gewerkschaftsverbände und der sozialistischen Parteien zu schwätzen, denn die Gemeinsamkeit ihrer Politik ist klar und unbestreitbar: Wenn die parlamentarischen Parteien sich weigern würden, sich einem solchen Beschlusse unterzuordnen, dann mussten die Gewerkschaften dazu aufrufen, jede Partei zu boykottieren, die direkt oder indirekt das Militärbudget im bürgerlichen Staate unterstützt. Dies würde aber wohl doch bedeuten, mit den Reformisten zu brechen, mit den Kompromisslern. also mit sich selbst? Ja. eine unlösbare Aufgabe! Man kann nicht tagtäglich den bürgerlichen Staat unterstützen, im Namen des Proletariats ein Budget gutheißen, ihm gestatten, Kräfte zu sammeln, die durch den letzten Krieg erzeugte Muskulatur spazieren zu fuhren und in der gleichen Zeit hinzufügen: Sobald du, Staat, aber versuchen wirst, diese Muskulatur in Tätigkeit zu setzen, dann werden wir uns gleich auf die Hinterbeine stellen. Die spitzbübische Dummheit dieser Stellungnahme ist wahrhaft ungeheuerlich!

Entscheidet aber die Abstimmung gegen das Budget an sich die Frage? Wenn die Bourgeoisie die Herrschaft des Parlaments bewahrt, so sichert sie sich doch stets ihre Mehrheit. Das bedeutet, dass sie ihr Militärbudget auch in jenen Falle haben wird, wenn die Vertreter der Arbeiter dagegen stimmen werden. Die Kriegsgefahr wird auf diese Weise noch nicht aus der Welt geschafft werden. Dies ist ganz unstrittig. Mit parlamentarischer Opposition gegen den Militarismus allein kann man die Kriegsgefahr nicht beseitigen. Es ist aber völlig klar, dass jene Arbeiterorganisationen, denen selbst für eine parlamentarische Opposition der Kampfgeist mangelt, schon ganz und gar nichts wert sind. Die Stimmenabgabe gegen das Militärbudget (und gegen jedes kapitalistische Budget überhaupt) hat einen Sinn insofern, als die Gewerkschaften und Parteien die Arbeiter zum unversöhnlichen Kampfe gegen die Herrschaft des Bürgertums nicht nur im Falle der Kriegsgefahr vereinigen. sondern auch in Friedenszeiten, das heißt in der Zeit der systematischen Vorbereitung der Kriegsgefahr. Natürlich wird die Bourgeoisie immer noch ihr Budget und ihren Militarismus haben. Aber die Gewerkschafter werden sagen: Nur verfluchte Feinde der Arbeiterklasse können für dieses Budget stimmen; in diesem Budget ist nicht nur die heutige Sklaverei verwurzelt, sondern auch der morgige Krieg: und wer von den sogenannten „Arbeiter"-Vertretern für dieses Budget stimmt, der ist ein Verräter, den man auch nicht auf Kanonenschussweite an die Arbeiterorganisationen heranlassen darf.

Die Schaffung einer politischen Stimmung dieser Art in den arbeitenden Massen ist die Schaffung der ersten elementarsten Voraussetzung für den Kampf gegen die Kriegsgefahr.

Bei dieser Voraussetzung jedoch kann es natürlich nicht sein Bewenden haben. Es ist nötig, eine Kampforganisation der Arbeiterklasse aufzubauen. Damit ein Streik in den Munitionsfabriken möglich wird, muss zuerst die Masse in diesen Fabriken zumindest in ihrer Mehrheit von Hass gegen die bürgerliche Herrschaft erfüllt sein, und zweitens muss in dieser Masse ein kräftiger geschlossener Kern sein, der fähig ist, im gegebenen Augenblicke die Masse mit sich zu reißen. Natürlich kann man sich auch unter dieser Bedingung in keiner Weise verpflichten, dass wir einen Streik gerade am Vorabende des Krieges werden durchführen können. In diesem Augenblicke ist ein Streik (das heißt die Revolution) am wenigsten wahrscheinlich. In Wirklichkeit wird entweder die Revolution mit dem Generalstreik als einem ihrer Momente aus dem Gange des Klassenkampfes erwachsen und damit den Krieg unmöglich machen, oder aber der neue Krieg wird eine Verschärfung des Klassenkampfes hervorrufen und zum Generalstreik und zur Revolution führen. Ein ernster Revolutionär kann in dieser Frage keinerlei formelle Verpflichtungen auf sich nehmen. Anders der politische Scharlatan: Er jongliert mit dem Generalstreik, dem Aufstand, dem allgemeinen Boykott, dem Krieg, wie ein Clown mit Blechtellern.

Geradezu, als wollte er bis zum Ende seine reformistische Nacktheit entblößen, beschloss der Kongress der Amsterdamer, zum 21, September einen „Tag des Protestes gegen den Krieg" zu bestimmen. Wehe dem Militarismus! Aber erlaubt! – wird sich der Leser erinnern – die Arbeiterklasse hat doch schon einen Tag des Protestes gegen den Militarismus: es ist dies der 1. Mai. Aber das ist eben das Übel, dass der 1. Mai nur einmal in soundsoviel Jahren auf einen Sonntag fällt. Um am 1. Mai gegen den Krieg zu „protestieren", muss man streiken, also in einen Konflikt mit der Bourgeoisie eintreten. Und das Kapital behindern, den Arbeiter einen Tag im Jahre auszubeuten, ist wahrhaft viel schwerer, als Generalstreiks, allgemeine Boykotts und andere Wunder für den Kriegsfall zu versprechen. Darum haben die Amsterdamer ihren Protest auf den dritten Sonntag des September verschoben. Da wird der erschreckliche Protest solche Formen annehmen, dass ihn niemand auch nur bemerkt. Sonntag ist immer Sonntag. Der endgültige Verzicht auf den Feiertag am 1. Mai ist das einzige neue Wort der Amsterdamer im Kampfe gegen die Kriegsgefahr.

Allgemeine Schlussfolgerungen aus den antimilitaristischen Beschlüssen des Kongresses der Amsterdamer Internationale: Man muss es den Arbeitermassen hartnäckiger, eindringlicher, systematischer als je klarmachen, dass die Amsterdamer sie verräterisch betrügen in der grundlegendsten, heikelsten Frage der Entwicklung der modernen Gesellschaft: in der Frage des Krieges. Die Rezepte der Amsterdamer stellen ein politisches Schlafmittel im Dienste des kapitalistischen Militarismus dar. Die Hauptgefahr des Krieges ist eben gerade in der Stellung der Amsterdamer verwurzelt. Diese Stellung zu zertrümmern, das heißt ihnen das Vertrauen der Massen zu entziehen, bedeutet, die Bourgeoisie zu entwaffnen und das Proletariat zu bewaffnen. Das ist die Arbeit, die erfüllt werden muss!

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