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Leo Trotzki 19240526 Diskussionsbeitrag zum politischen und organisatorischen Bericht des ZK

Leo Trotzki: Diskussionsbeitrag zum politischen und organisatorischen Bericht des ZK

auf dem XIII. Parteitag der RKP

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 4. Jahrgang Nr. 65 (10. Juni 1924), S. 790-794]

Genosse Trotzki, mit stürmischem Applaus empfangen, führt aus:

Ich werde nur eine sehr beschränkte Anzahl von Fragen berühren, die in den Berichten des ZK. dargelegt oder erwähnt sind. Ich will Eure Aufmerksamkeit auf die Frage konzentrieren – oder es versuchen –, deren Beleuchtung der Parteitag von mir erwartet, wobei ich – ich glaube, dass der Parteitag die Motive, die mich hierbei leiten, begreifen wird – alles unterlassen werde, was die Fragen in irgend welchem Maße zuspitzen, persönliche Momente hinein tragen und die Liquidierung der Schwierigkeiten, die für die Partei erstanden sind und auf denen wir die Partei mit einem Nutzen für ihre weitere Arbeit herausführen wollen, erschweren könnte. Wenn ich somit eine ganze Reihe scharfer Momente, mit denen mein Name in der letzten Periode verknüpft wurde, nicht berühre, so geschieht es nicht aus dem Grunde, weil ich dem Parteitag nicht in jeder beliebigen Frage Rede und Antwort stehen möchte, sondern weil ich das prinzipielle Wesen der Frage hervorheben und es von den Momenten individueller Natur scheiden will. Hier wurde gesagt, dass es eine ganz außerordentliche Tatsache unseres Parteilebens sei, dass zwischen zwei Parteitagen eine erregte Diskussion ausbrach, die, wie erklärt wurde, entweder die Änderung der Zusammensetzung des ZK oder eine Änderung der Politik des ZK zum Zwecke hatte. Zweifellos war die zwischen den beiden Parteitagen ausgebrochene Diskussion sehr erregt. Ich glaube aber, Genossen, dass wir, wenn wir auf das Berichtsjahr einen Rückblick werfen und das hervorheben wollen, was eine außerordentlich scharf hervortretende Eigenart der innerparteilichen Diskussion bildet, sagen müssen, dass diese Eigenart darin besteht, dass das Zentralkomitee selbst in einem gewissen Momente zwischen den beiden Parteitagen eine Abänderung der innerparteilichen Politik für notwendig anerkannt und dies offen verkündet hat.

Die Gefahr der Bürokratisierung.

Erlaubt mir, Genossen, Euch an die einstimmig angenommene Resolution vom 5. Dezember zu erinnern. Sie liegt hier vor mir. In dieser Resolution werden objektive Schwierigkeiten, Widersprüche und negative Erscheinungen in der Entwicklung der Arbeiterklasse und unserer Partei aufgezählt, wobei der erste Abschnitt dieser Resolution erklärt, dass zur Zahl solcher negativen Tendenzen auch die „zutage getretene Bürokratisierung der Parteiapparate und die daraus entstehende Gefahr einer Lostrennung der Partei von den Massen" gehört. An dieser Tatsache können wir nicht achtlos vorbeigehen. Das Zentralkomitee der Partei hielt es in der Zeitspanne zwischen zwei Parteitagen für notwendig, in einer besonders angenommenen Resolution festzustellen, dass eine Bürokratisierung des Parteiapparats zu bemerken ist und dass hierdurch die Gefahr einer Lostrennung von den Massen besteht. In der gleichen Resolution wurde festgestellt, dass das Zutrauen der proletarischen Massen zur Partei gewachsen ist. Liegt hierin ein Widerspruch? Nein, einen Widerspruch gibt es hier nicht. Das Zutrauen der proletarischen Massen zur Partei häuft sich im Laufe einer langen Reihe von Jahren an. Die Masse denkt langsamer als die Partei, gerade darum ist ja die Partei der Vortrupp der Klasse. Die Masse summiert und zieht langsam für eine große Periode die Bilanz der Tätigkeit der Partei. Und wir haben in der Resolution gemeinsam festgestellt, dass die Politik der Partei in allen grundlegenden Fragen während der letzten Jahre, in denen die Massen ihre Verbindung mit den SR und dem Menschewismus liquidierten, ein Anwachsen des Zutrauens der Arbeitermassen gebracht hat. Allerdings dachte in jenem Augenblick niemand von uns, dass wir einen so schnellen Sprung im Sinne einer Erweiterung der proletarischen Kaders der Partei machen würden, das heißt, dass wir bis zum 13. Parteitage die Möglichkeit haben würden, mindestens 200.000, wahrscheinlich aber noch mehr neue Mitglieder in die Partei aufzunehmen. Aber die Tatsache selbst, dass die Arbeitermasse in der Person ihrer ehrlicheren und aktiveren Elemente der Partei nähergekommen ist, war für uns alle klar, und in der Resolution ist dies klar formuliert. Gleichzeitig wird aber in der Resolution festgestellt, dass in der Partei eine Bürokratisierung des Parteiapparats zutage tritt und dass hierin die Gefahr einer Lostrennung der Partei von den Massen besteht. Was bedeutet diese zweite Feststellung? Sie bedeutet, dass, wenn die negativen Prozesse, die das Zentralkomitee hier konstatiert und charakterisiert hat, eine weitere Entwicklung gewinnen würden, dies der Partei das Einsammeln der Ernte des Zutrauens der werktätigen Massen erschweren würde. Welche Umstände, welche Gründe bewogen das ZK, unter diesen oder jenen inneren Meinungsverschiedenheiten und Schattierungen, als Ganzes, zusammen mit der Zentralen Kontrollkommission, einen Beschluss von so außerordentlicher Wichtigkeit, solchem Gewicht zu fassen? Ich will auch hier eine Äußerung anführen, die am wenigsten in Verdacht gezogen werden könnte. Ich will ein ziemlich umfangreiches Zitat aus einer Rede des Genossen Bucharin im Anfangsstadium der Diskussion in einer Versammlung im Rayon Krasnaja Presnja anführen. Ich benütze das Stenogramm dieser Rede und nehme nur den Teil, der die Züge der Bürokratisierung charakterisiert, wie sie Genosse Bucharin in jenem Moment auffasste und auslegte. Ich könnte noch viele andere Stellen anführen, nehme aber aus Gründen, die uns allen begreiflich sind, gerade dieses. Hier die eigenen Worte des Genossen Bucharin:

Genossen, ich glaube, dass wir ein gewissermaßen konkretes Bild dessen geben müssen, was unsere Parteimassen beunruhigt. Wir sollen hier nicht über a-priori-Voraussetzungen, Differenzierung usw. sprechen, sondern klar die Frage stellen, was unsere Parteimasse quält und woher die Unzufriedenheit der Parteimasse stammt, mit welcher Masse alle rechnen müssen, angefangen vom ZK bis zu den Parteizellenbüros. Mängel, die zum bekannten halb kritischen Zustand unserer Partei geführt haben, der sich hauptsächlich infolge der Wirtschaftskrise verschärft hat; solche Mängel.gibt es eine Unmenge, die aber alle in entsprechende Rubriken gestellt werden können.

Worum handelt es sich eigentlich? Nehmt das Leben irgendeiner Parteizelle, vor allem ihren Arbeitsapparat, denn auch die Zelle hat einen Apparat. Die Sekretäre der Zellen werden bei uns – ich urteile vor allem nach der Moskauer Organisation – durch die Rayonkomitees ernannt, wobei die Rayonkomitees nicht bestrebt sind, ihre Kandidaten im Wege der Zellen einsetzen zu lassen Sie beantragen einfach eine bestimmte Person, und die Abstimmung findet gewöhnlich nach einem festen Muster statt. Man kommt und fragt: ,Wer ist dagegen?' und da ein jeder sich mehr oder minder fürchtet, eine entgegengesetzte Meinung zu äußern, so wird die betreffende Person zum Sekretär des Zellenbüros bestimmt. Würden wir eine Umfrage veranstalten und fragen, wie viel Mal die Abstimmung mit den Fragen von seilen des Vorsitzenden: ,Wer ist dafür?' und ,Wer ist dagegen?' vor sich ging, so würden wir mühelos feststellen, dass die Wahlen zu den Parteiorganisationen bei uns in den meisten Fällen zu ,Wahlen' in Anführungszeichen werden, da die Abstimmung nicht nach einer vorherigen Erörterung, sondern nach der Formel ,Wer ist dagegen?' vor sich geht, und da es nicht richtig sei, gegen die ,Vorgesetzten' zu reden, so wird die Frage damit erledigt. So geht die Wahl des Sekretärs unserer unteren Zellen vor sich. Fassen wir unsere Parteiversammlungen ins Auge, so müssen wir uns fragen, wie es auf diesen Versammlungen zugeht. Ich selbst habe in einer ganzen Reihe von Moskauer Versammlungen gesprochen und weiß, wie gewöhnlich die sogenannte Aussprache in unseren Parteiorganisationen vor sich geht. Nehmen wir die Wahl des Präsidiums. Es tritt ein Genosse vom Rayonkomitee hervor, unterbreitet eine Liste und stellt die Frage: ,Wer ist dagegen?' Dagegen ist niemand und damit wird die Sache als erledigt betrachtet. Das Präsidium wird gewählt und der Genosse verkündet, dass das Präsidium einstimmig gewählt wurde. Hiernach fängt die Festsetzung der Tagesordnung an. Mit der Tagesordnung gibt es die gleiche Prozedur. Aus den letzten zwei bis drei Jahren kann ich mich nur vereinzelter, äußerst seltener Fälle erinnern, in denen auf den Parteiversammlungen neue Punkte auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Nachher wird die im Voraus fertiggestellte Resolution verlesen, die dann schablonenmäßig angenommen wird. Der Vorsitzende stellt die Frage: ,Wer ist dagegen?' Dagegen ist niemand, die Resolution wird einstimmig angenommen. Das ist der übliche Typus der Beziehungen in unseren Parteiorganisationen. Man muss es begreifen, dass der aktivste Teil der Mitgliedschaft ganz natürlicherweise dieser Lage gegenüber eine entschiedene Unzufriedenheit bekundet und mit einer solchen Sachlage entschieden unzufrieden ist. Eine ganze Reihe unserer unteren Organisationen klammern sich an die Formel: ,Ohne Diskussion', ,Wer ist dagegen?', und ein ganzes System solcher Methoden hebt das innerparteiliche Leben völlig auf. Es ist ohne weiteres verständlich, dass infolge dieser Lage eine Riesenwelle der Unzufriedenheit entsteht. Ich habe einige Beispiele aus dem Leben unserer untersten Zellen angeführt. Das Gleiche trifft aber in einer etwas abgeänderten Form auf die nächsten Reihen unserer Parteihierarchie zu." In dieser Weise charakterisierte ein hervorragendes Mitglied des Zentralkomitees jene Züge der innerparteilichen Organisation, die das Zentralkomitee veranlasst haben, eine Resolution zu fassen, die über eine zutage tretende Bürokratisierung des Parteiapparats und die hieraus entstehende Gefahr einer Lostrennung der Partei von den Massen sprach. Und eine größere Gefahr als diese kann es natürlich nicht geben.

Welche praktische Schlussfolgerung zog das Zentralkomitee aus der Diagnose, die es selbst stellte? Diese praktische Schlussfolgerung lesen wir in der gleichen Resolution vom 5. Dezember: „Die Interessen der Partei erfordern, sowohl zu erfolgreichem Kampfe gegen die Nep-Einflüsse wie auch zur Hebung ihrer Kampffähigkeit auf allen Arbeitsgebieten, eine ernste Änderung des Parteikurses im Sinne einer ernsten und systematischen Verwirklichung der Prinzipien der Arbeiterdemokratie." Somit anerkannte das Zentralkomitee der Partei zwischen zwei Parteitagen die Notwendigkeit einer ernsten Änderung des Parteikurses infolge eines scharfen Hervortretens jener Mängel und negativen Seiten des innerparteilichen Lebens, die das Zentralkomitee selbst analysiert und festgestellt hatte. Ich glaube, Genossen, dass wir an dieser Tatsache keinesfalls achtlos vorbeigehen dürfen und dass gerade hierin der grundlegende kennzeichnende Zug der Berichtsperiode liegt, mit der sich der gegenwärtige Parteitag befasst Das Zentralkomitee hat somit erstens die Notwendigkeit einer ernsten Änderung des Parteikurses und zweitens die Notwendigkeit einer Verstärkung des proletarischen Kerne der Partei festgestellt. Beides einstimmig. „Die auf Verstärkung des proletarischen Kerne der Partei abzielende Arbeit" – lesen wir in der Resolution – „muss in den nächsten Monaten eine der wichtigsten Aufgaben aller Parteiorganisationen sein." Als das Zentralkomitee in der Zeitspanne zwischen zwei Parteitagen die Notwendigkeit einer ernsten Änderung des Parteikurses feststellte, bedeutete dies etwa eine prinzipielle Zerstörung der organisatorischen oder sonstigen Prinzipien des Bolschewismus? Ich glaube, nein. Es bedeutete nur, dass das Zentralkomitee feststellte, dass es in der Anwendung dieser Prinzipien unter den gegebenen Bedingungen offenbar Unrichtigkeiten und falsche Tendenzen gab, die sich in einer Bürokratisierung des Parteiapparats und der daraus folgenden Gefahr einer Lostrennung der Partei von den Massen offenbarte. Gerade um die Durchführung der organisatorischen und aller sonstigen Prinzipien des Bolschewismus unter den Bedingungen der gegenwärtigen Periode zu sichern, hat das Zentralkomitee in der Zeitspanne zwischen zwei Parteitagen eine ernste Änderung des Parteikurses für notwendig erkannt.

Die Frage über die Generationen.

Warum wurde aber diese Frage durch die Frage über die Generationen innerhalb der Partei, innerhalb der Arbeiterklasse, kompliziert? Ich will, um meine Ausführungen nicht zu komplizieren, nicht die Äußerungen einer Reihe von Genossen anführen, die von allem Anfang an – meines Erachtens ganz richtig -- die Frage über das innerparteiliche Regime vom Gesichtspunkte der gegenseitigen Beziehungen der Generationen in unserer Partei und in der Arbeiterklasse aufstellten. Ich will es noch schärfer formulieren. Das ganze Wesen der Frage über das innerparteiliche Regime liegt unter den gegebenen konkreten Verhältnissen für uns vor allem in der Frage der gegenseitigen Beziehungen der Generationen in der Partei und in der Arbeiterklasse. Es handelt sich natürlich um die junge Generation der Arbeiterklasse als Ganzes. Es handelt sich darum, dieser jungen Generation der Arbeiterklasse – ob sie nun in den Fabriken unseres sozialistischen Landes arbeitet oder auf Beschluss der Partei und der Gewerkschaften in den Lehranstalten unseres sozialistischen Landes studiert – die Möglichkeit zu geben oder, richtiger gesprochen, zu sichern, unter den neuen Bedingungen auf den Weg des Bolschewismus gelangen zu können. Die junge Generation kann und muss glücklicherweise die Geschichte der älteren Generation nicht wiederholen. Die alte Generation gelangte zu ihrem gegenwärtigen Weg auf ganz anderen Bahnen, unter anderen Verhältnissen, unter den Verhältnissen eines bürgerlich-kapitalistischen Landes, auf dem der eiserne Druck des Zarismus lastete. Die ältere Generation sicherte der jüngeren Generation die Möglichkeit, unter neuen, qualitativ ganz anderen Bedingungen vorwärtszugehen. Die Aufgabe besteht nun darin, der jungen Generation die Möglichkeit zu geben oder, besser gesprochen, ihr eine solche zu sichern, auf neuen Bahnen, neuen Wegen,, die der Natur des Arbeiterstaates und der neuen Lage entsprechen, auf die breite Bahn des Bolschewismus, Kommunismus, Leninismus zu gelangen.

Wenn wir uns fragen, von welchem innerparteilichen Regime wir hier sprechen und was wir unter dem Regime einer innerparteilichen Demokratie verstehen, so werde ich, von allem Anfang erklären – wiewohl dies auf dem Parteitag unserer Partei fast überflüssig sein dürfte –, dass es in unserer Partei kaum zehn Leute gibt, die etwas vom Kommunismus, Marxismus, Bolschewismus verstehen, die die Frage der innerparteilichen Demokratie vom rein formalen Standpunkte, von dem Standpunkte, wie oft Neuwahlen stattfinden, wie groß der Prozentsatz der Abstimmungen, der Diskussionen usw. ist, vom Gesichtspunkte einer Statistik der Demokratie, vom Gesichtspunkte der formellen Prinzipien des Parlamentarismus in ihrer Anwendung auf das Parteileben betrachten würden. Wir haben hinter uns eine viel zu große Geschichte und namentlich einen viel zu großen Kampf gegen politische Fälschungen, gegen die Margarinedemokratie, die einerseits eine Ideologie des Menschewismus und andererseits die letzte Deckung des Imperialismus ist, als dass wir an diese Fragen der Demokratie vom formellen Gesichtspunkte herantreten könnten.

Von welchem Gesichtspunkte betrachten wir aber die Demokratie in ihrer Anwendung auf das innerparteiliche Regime? Vom Gesichtspunkte einer Sicherung der Partei vor solchen Erscheinungen, wie es die Möglichkeit einer Bürokratisierung des Parteiapparats und die daraus folgende Gefahr einer Lostrennung der Partei von den Massen ist. Das ist das richtige Kriterium! Und wenn ich eine Definition der innerparteilichen Demokratie in ihrer Anwendung auf die gegenwärtige Lage unserer Partei, auf die gegenwärtige Epoche, auf den gegenwärtigen Zeitabschnitt geben wollte, so würde ich sagen: die innerparteiliche Demokratie ist ein Regime, das einerseits die geistige politische und organisatorische Führung der alten, unterirdischen, an Erfahrung reichen Generation der Bolschewiki sichert, denn ohne eine Sicherung dieser Führung – nur politische Kinder können das nicht begreifen – kann die Partei unter den gegenwärtigen Umständen das Staatsschiff und das Schiff der internationalen Arbeiterbewegung durch die Schwierigkeiten, Klippen und Riffe nicht hindurchführen. Gleichzeitig aber ist die innerparteiliche Demokratie ein Regime, das unter Sicherung der führenden Stellung der älteren Generation andererseits der jungen Generation die Möglichkeit sichert, auf den breiten Weg des Leninismus zu gelangen, nicht im Wege der Schule – im Wege der Schule ist dies nicht zu machen –, sondern durch eine aktive, selbständige und tätige Anteilnahme am politischen Leben der Partei und des Landes. Die Zusammenfassung dieser beiden Aufgaben soll durch das Regime der innerparteilichen Demokratie gesichert werden. Die Störung dieser notwendigen Vereinigung und dieses Gleichgewichtes droht mit einer Bürokratisierung des Parteiapparats und einer Lostrennung der Partei von den Massen. Das ist meines Erachtens das Wesen der Frage. Und wenn wir uns fragen, ob wir dieses notwendige Gleichgewicht hatten, so halte ich mich wieder für berechtigt, auf die Tatsache hinzuweisen, dass das Zentralkomitee selbst in der Zeitspanne zwischen zwei Parteitagen die Störung dieses Gleichgewichtes festgestellt hat. Ich erinnere wieder an das umfangreiche Zitat, das ich aus der Rede des Genossen Bucharin anführte, die nicht im Zentralkomitee, sondern in einer offenen Rayonversammlung gehalten wurde, wo er in sehr konkreten und verständlichen Strichen die Störung des Gleichgewichtes im innerparteilichen Kurs – eine für die wenige reifen, weniger geschulten Elemente unserer Partei, das heißt für die breiten Kreise ihrer jungen Mitglieder sehr nachteilige und gleichzeitig für ihre alten Kaders gefährliche Störung – kennzeichnete,

Fraktionen und Gruppierungen.

Mit dieser Frage war in der Parteidiskussion die Frage über innerparteiliche Fraktionen und Gruppierungen verknüpft. Hier halte ich es für notwendig, an die Einstellung zu dieser Frage zu erinnern, wie sie in der Resolution vom 5. Dezember gegeben ist. Dort wird erklärt, dass die innerparteiliche Demokratie keinesfalls eine Freiheit fraktioneller Gruppierungen voraussetzt, die für eine herrschende Partei außerordentlich gefährlich sind, da sie stets mit einer Entzweiung oder Zersplitterung der Regierung und des gesamten Staatsapparates drohen. Ich glaube, dass diese Feststellung unbestritten und unbestreitbar ist, und wir wiesen einmütig auf die Resolution des X. Parteitages hin, in der die Definition sowohl von Fraktionen wie von Gruppierungen – wie auch die daraus folgende Gefahr für den Staat – durch Wladimir Iljitsch persönlich gegeben wurde. Die Nachricht, dass ich für eine Zustimmung zur Bildung von Gruppierungen gewesen sei, ist falsch. Ich beging allerdings den großen Fehler, dass ich im kritischen Moment der Parteidiskussion erkrankte und nicht die Möglichkeit hatte., rechtzeitig hervorzutreten und diese Behauptung, wie auch viele andere, zu widerlegen. Nirgends und niemals war ich der Ansicht, nirgends erklärte ich, dass ich neben der Notwendigkeit eines Verbotes von Fraktionen die Zulassung von Gruppierungen für möglich halte. Im Gegenteil, in allen Fällen, wo ich hierüber zu sprechen Gelegenheit hatte, stellte ich fest, dass zwischen Fraktionen und Gruppierungen kein Unterschied gemacht werden kann. Wären hierzu formelle dokumentarische Aufschlüsse nötig, so könnte ich sie geben. Gegenwärtig will ich den Parteitag damit nicht aufhalten. Ich bin der Ansicht, dass es, insofern es sich um eine Erklärung handelt, politisch genügt, wenn ich feststelle, dass ich die Freiheit von Parteigruppierungen nie anerkannte und nicht anerkenne, denn Gruppierungen sind unter den gegebenen historischen Bedingungen nur eine andere Benennung für Fraktionen. Gleichzeitig muss ich Euch aber an einen anderen Teil der Resolution des ZK zu derselben Frage über Fraktionen erinnern.

Dort wird gesagt: „Nur ein ständiges, tätiges, geistiges Leben kann die Partei aufrechterhalten, wie sie sich während der Revolution gestaltet hat, mit einer ständigen kritischen Beurteilung ihrer Vergangenheit, einer Wiedergutmachung ihrer Fehler und einer kollektiven Beratung über die wichtigsten Fragen. Nur diese Arbeitsmethoden können eine wirkliche Sicherung dagegen bilden, dass episodische – das heißt vorübergehende, zufällige – Meinungsverschiedenheiten sich in fraktionelle Gruppierungen mit allen im obigen geschilderten Folgen umwandeln." Und weiter: „Um dem vorzubeugen, ist es erforderlich, dass die führenden Parteiorgane auf die Stimme der breiten Parteimassen horchen, nicht jede Kritik für die Offenbarung eines Fraktionsgeistes halten und diese gewissenhaften Parteimitglieder nicht auf den Weg der Abgeschlossenheit und des Fraktionswesens drängen." Das ist ein Bestandteil der gleichen Resolution des Zentralkomitees, und ich glaube, dass wir weder das Recht noch einen Grund haben, diesen Teil aus unserem Gedächtnis und aus der Geschichte unserer Partei zu streichen. Und wenn wir uns fragen, warum das Zentralkomitee es für notwendig hielt, zu erklären, dass ein – natürlich für alle, ohne Ausnahme bindendes – Verbot von Fraktionen und Gruppierungen allein die Frage nicht löst, dass es einen Parteikurs voraussetzt, bei dem wir vor einer Bürokratisierung des Parteiapparates und einer hieraus folgenden Gefahr der Lostrennung der Partei von den Massen bewahrt sein müssen, wenn wir uns fragen, warum das Zentralkomitee es für notwendig hielt, eine solche Erklärung von größter Wichtigkeit und Gewicht einzuschlagen, so finden wir die Antwort in all dem, was ich früher gesagt habe. Mit anderen Worten, gerade die Bürokratisierung des Parteiapparates, insofern eine solche zutage tritt, bildet einen der Gründe, die, wie es in der Resolution heißt, zur Umwandlung episodischer provisorischer Meinungsverschiedenheiten in Gruppierungen Anlass geben und diese Gruppierungen auf den Fraktionsweg drängen.

So lege ich die grundlegenden innerparteilichen Fragen aus, wie sie durch die Entwicklung der Partei im Laufe des letzten Jahres gegeben und in der Resolution des Zentralkomitees vom 5. Dezember zum Ausdruck gebracht – sind. Und wenn ich mich jetzt nachträglich frage: In einem bestimmten Zeitpunkt, am 5. Dezember, hielt es das Zentralkomitee für unumgänglich, der Partei zu erklären: Gebt acht! Es machen sich Erscheinungen einer Bürokratisierung bemerkbar, diese Erscheinungen bergen die Gefahr einer Lostrennung der Partei von den Massen; wir werden daher zwar keine Fraktionen zulassen, aber daran denken, dass eine volle und wirkliche Garantie vor Fraktionen und Gruppierungen gerade in der Beseitigung dieser negativen Erscheinungen gegeben ist – ich sage, wenn man sich diesen Moment, wenn man sich jenes Bild aus dem Leben der Parteiorganisation, das uns Genosse Bucharin gab, vorstellt, ist es dann nicht klar, dass gerade in dieser Richtung sich in der Partei, wie es übrigens auch in der Rede Bucharins selbst heißt, unvermeidlich eine Welle der Unzufriedenheit, eine Welle der Kritik erheben musste? Und wenn ich mich jetzt frage, ob man diese Kritik, diese Unzufriedenheit mit einem so allgemeinen Ausdruck wie „kleinbürgerliche Tendenz" durch die Bank charakterisieren und brandmarken darf, so entstehen bei mir große Zweifel und die stärksten Befürchtungen.

Die Frage über den Plan.

Einerseits handelte es sich um das innerparteiliche Gebiet und andererseits um die planmäßige Führung der Wirtschaft. In welcher Weise das Zentralkomitee in seiner Resolution vom 5. Dezember auf die Fragen der ersten Gruppe reagierte, habe ich angeführt. Ich bitte nun, mir zu erlauben, in den wichtigsten Zügen auch die Schlussfolgerungen anzuführen, die das Zentralkomitee in seiner Resolution vom 5. Dezember in Bezug auf die Wirtschaftsfrage zog. Nach Kennzeichnung der wirtschaftlichen Lage erklärt die Resolution vom 5. Dezember:

Aus all dem muss die Gesamtpartei, von oben bis unten, für sich die Schlussfolgerung ziehen, dass eine weitere wirtschaftliche Belebung nur insofern der Sache des sozialistischen Aufbaues dienen wird, inwiefern wir es tatsächlich verstehen werden, die Elemente der Staatswirtschaft in ihrem Aufeinanderwirken miteinander und mit dem Markt in Einklang zu bringen."

Und weiter:

Hieraus folgt die außerordentliche Bedeutung der Staatsplankommission, des wirtschaftlichen Stabes des Sozialistischen Staates und aller einzelnen Wirtschaftsplanorganisationen. Diesen muss in Wirklichkeit die ihnen in der Resolution des 12. Parteitages zugeteilte Stellung gesichert werden." Somit hielt das ZK am 5. Dezember nicht einen Kampf gegen phantastische, utopische und sonstige übertriebene Vorstellungen über die Möglichkeit einer Planwirtschaft für notwendig. Manche betrachten mich als einen von jenen, die diese Möglichkeiten übertreiben. Ich glaube, dass diese Beschuldigung unbegründet ist, will Euch aber damit nicht aufhalten. Wichtig und von Bedeutung ist nicht, dass irgend jemand in dieser Frage eine Übertreibung zuließ, sondern wichtig ist, dass am 5. Dezember das Zentralkomitee der Partei erklärte, man dürfe die Bedeutung der Planwirtschaft nicht unterschätzen, denn sonst werde die Entwicklung nicht den Weg des sozialistischen Aufbaues gehen. Das war es, was das Zentralkomitee am 5. Dezember erklärt hat. Somit lag die Gefahr, wie sie vom Zentralkomitee aufgefasst wurde, nicht darin, dass irgend jemand die Möglichkeiten einer Planwirtschaft übertreibe, sondern darin, dass die Partei die Bedeutung einer Planwirtschaft unterschätzt, und dass die Staatsplankommission nicht jene Stellung im Gesamtsystem unserer Wirtschaft erhielt, die sie auf Grund des 12. Parteitages erhalten sollte.

Während meiner Abwesenheit aus Moskau, als ich mich in Suchum befand, las ich in unseren Zeitungen die folgenden Worte des Genossen Kamenew in der ersten Sitzung des neuen Rates für Arbeitswesen und Landesverteidigung; das war am 8. Februar: „Wir können eine Menge Fehler begehen, wenn wir uns nicht ein planmäßiges Ineinanderfügen unserer Volkswirtschaft zum Ziel setzen. Das sollte die Aufgabe des Rates für Arbeitswesen und Landesverteidigung sein. In Wirklichkeit bestand aber diese Aufgabe in einer Schlichtung der bis zum Rat für Arbeitswesen und Landesverteidigung hinauf gelangenden Differenzen der einzelnen Verwaltungszweige. Mich dünkt, dass dies abgeändert werden muss, und dass das weitere Ineinanderfügen der verschiedenen Wirtschaftszweige nicht das Ergebnis der Konflikte einzelner Amtsstellen sein, sondern aus einem von vornherein durchdachten, wenn auch nur in großen Zügen ausgearbeiteten Wirtschaftsplan folgen soll."

Auch hier finden wir Hinweise auf die Notwendigkeit einer Abänderung der Politik in einer der wesentlichsten Fragen, in der Frage des planmäßigen Ineinanderfügens unserer gesamten Arbeit. Und das war nicht vor der Diskussion, sondern nach ihr. Es handelt sich somit nicht um einen abstrakten, universalen Plan und nicht um einen besonderen, wenn auch in weiterer Perspektive gigantischen Elektrifizierungsplan, sondern es handelt sich um einen, wie es in der Resolution des 12. Parteitages heißt, alltäglichen Manövrierungsplan zur „Zusammenpaarung" aller Elemente unserer Wirtschaft in ihrer gegenseitigen Anpassung, damit sie sich um so richtiger, um so sicherer, um so schmerzloser einzeln und zusammen unserem Markte, das heißt hauptsächlich dem Bauernmarkte anpassen.

Am 8. Februar, nach der Diskussion, wurde nun die Notwendigkeit einer Änderung der Politik in der grundlegenden wirtschaftlichen Institution festgestellt. Und ich frage mich von Neuem, ob man denn behaupten kann, dass die Stimmen, die eine solche Abänderung schon vor dem 8. Februar verlangten, eine kleinbürgerliche Tendenz offenbarten. Ich glaube das nicht, Genossen. Worauf kann, sowohl in dieser Beziehung wie auch in innerparteilicher Beziehung eine solche Beschuldigung oder Charakteristik gegründet werden? Man könnte vielleicht sagen: Während der Diskussion gab es viele Stimmen, die die Bedeutung der innerparteilichen Demokratie ungeheuerlich übertrieben und ihr eine absolute Bedeutung beimaßen. Geben wir daher zu, dass es sich um Übertreibungen auf dem Gebiet der innerparteilichen Demokratie handelt. In Bezug auf die Planwirtschaft kann eventuell gesagt werden, dass es Übertreibungen in der Einschätzung der Rolle der Planwirtschaft gegeben hat. Zugegeben, wiewohl Übertreibungen auf dem Gebiete der Planwirtschaft keinesfalls als „kleinbürgerliche Tendenzen" bezeichnet werden können, da die Kleinbourgeoisie, in ihrer Zersplitterung, mit ihrer anarchischen Denkart, gar keine Neigung zu einer planmäßigen Erfassung der Wirtschaft bekundet. Ich will mich aber bei diesen Widersprüchen der Charakteristik nicht aufhalten. Nehmen wir an, dass es sich bei den Beschuldigungen um Übertreibungen auf dem Gebiete innerparteilicher Demokratie und um Übertreibungen auf dem Gebiete planmäßiger Führung der Wirtschaft handelt. Wenn wir von Übertreibungen auf dem Gebiete innerparteilicher Demokratie sprechen, so ist zu erwägen, ob dies nicht eine Reaktion auf die Übertreibungen der innerparteilichen Bürokratie ist, welche Übertreibungen doch die Resolution des ZK in der kategorischsten Weise feststellt und aus ihnen eine Gefahr der Lostrennung der Partei von den Massen folgert. Übertreibungen auf dem Gebiete innerparteilicher Demokratie können in einer konkreten historischen Lage natürlich zu einem Leitungsrohr für das Eindringen eines kleinbürgerlichen Einflusses werden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass jede Übertreibung, jeder Fehler auf beliebigem Gebiete, zu einem Leitungsrohr für den Einfluss anderer Klassen werden kann, denn wir leben als Partei, nicht in einem luftleeren Raum, sondern unter dem Drucke anderer, sowohl innerer wie internationaler Kräfte. Es ist, ich wiederhole es, für uns eine Binsenwahrheit, dass jede Übertreibung, potentiell, in der Perspektive ein Leitungsrohr für fremde Klasseneinflüsse darstellt. Ich frage aber andererseits, ob denn die Bürokratisierung des Parteiapparates, die das ZK selbst feststellt, eine technische und nicht eine soziale Erscheinung ist. Ich behaupte, dass die Bürokratisierung des Apparates aus tiefliegenden sozialen Gründen erfolgt, dass die Hauptquelle der Bürokratisierung im Staatsapparat gegeben ist, in dem sowohl die Reibungen wie die Unkultiviertheit der breiten Massen der Werktätigen und sogar der Arbeiterklasse selbst sich paaren. Und da unsere Partei den Staat leitet, so ist für sie der Staatsapparat die nächste unmittelbare Quelle bürokratischer Einflüsse. Ist dies aber so, so ist die Bürokratisierung nicht eine Frage der Kanzleitechnik, sondern eine soziale Frage, genau so wie auch die Übertreibungen auf dem Gebiete formaler Demokratie. Es sind dies Erscheinungen der gleichen Art. Und wenn wir sagen, dass ein übertriebenes Fordern, eine übertriebene Einschätzung und eine formale Auffassung in der Frage über Demokratie eine mögliche Quelle kleinbürgerlichen Einflusses bilden, wenn wir die Frage so stellen – theoretisch, vom Gesichtspunkte der Perspektive, ist dies richtig, so wird es genau so richtig sein, wenn wir erklären werden, dass die Tendenzen zur Bürokratisierung des Parteiapparates kein geringeres Leitungsrohr für kleinbürgerliche Einflüsse und dabei eine größere und unmittelbare Gefahr bilden. Gerade auf diese grundlegende und unmittelbare Gefahr hat die Partei sehr energisch reagiert und diese Reaktion darf noch keinesfalls als kleinbürgerliche Tendenz betrachtet werden.

Genossen, das gleiche trifft in noch höherem Grade auf die Planfrage zu. Ob der eine oder andere von uns einer Überschätzung des Planprinzips schuldig ist, darüber können wir ruhig in Büchern streiten, und wahrscheinlich werden wir noch viele Bücher einer Analyse unserer wirtschaftlichen Entwicklung, Bücher, in ruhigem Forschertone geschrieben, widmen müssen. Dass aber das ZK in der Zeitspanne zwischen dem 12. und 13. Parteitag die Frage aufgerollt hat. dass die Partei in Gestalt ihres führenden Apparates nicht mit der nötigen Energie an die Aufgaben der planmäßigen Wirtschaftsführung herantritt, halte ich für unbedingt festgestellt, Ich möchte in diesem Augenblick solche Einzelfrageei, wie die Frage über die aktive Handelsbilanz oder über die Warenintervention, die ebenfalls als „kleinbürgerliche Tendenz" eingeschätzt wurden, beiseite lassen. Genossen, warten wir mit diesen Fragen noch ein wenig ab. Wir werden über sie vielleicht bei Erörterung der Fragen des Handels sprechen, dort werden sie mehr am Platze sein. Sofern es hier Meinungsverschiedenheiten geben wird und gibt, sind sie von praktischem, empirischem Charakter. Gegenwärtig liegt schon das Ergebnis einer ernsten Prüfung vor. Niemand hat natürlich gesagt, dass wir keine aktive Bilanz brauchen, solche Stimmen habe ich überhaupt nicht gehört, sondern dass die aktive Bilanz in Anbetracht unserer Notlage ein erzwungener Luxus sei, der auf das notwendigste Minimum beschränkt werden müsse. Wir haben aber festgestellt, dass wir erzwungenen Luxus nicht auf dieses Minimum beschränken, dass wir übermäßig viel ausländische Währung anhäuften, und wir haben angefangen, diesen Fehler gutzumachen. Das erstens.

Zweitens haben wir uns in Bezug auf die Warenintervention überzeugt, dass, sofern unsere Aufgabe in einer Regelung der Preise im Lande durch Manövrierung mit Warenmassen besteht, wir uns nicht selbst blockieren können, sondern gezwungen sind, ausländische Waren zu verwenden, in welchem Falle wir natürlich diese Aufgabe streng mit den Interessen der betreffenden Industriezweige in Einklang bringen müssen. Wir werden hierüber noch bei der Aussprache über die Wirtschaftsfrage sprechen, jedenfalls sehe ich hier aber keinerlei Grundlage zu einer Beschuldigung in Bezug auf „kleinbürgerliche Tendenz".

Über die Irrtümer.

Genossen, hier wurde an alle, die sich geirrt haben, die Aufforderung gerichtet, zu erklären, dass sie sich irrten. Nichts ist einfacher, moralisch und politisch leichter, als vor der eigenen Partei zu erklären, dass man sich in dieser oder jener Beziehung geirrt habe. Ich glaube aber, Genossen, dass es auch Pflicht und Schuldigkeit ist, daran zu erinnern – da darüber nichts gesagt wurde – dass in einem bestimmten Moment das Zentralkomitee als Ganzes vor der ganzen Partei auf gewisse Fehler hingewiesen hat, die erst gutgemacht werden sollen. Die Resolution vom 5. Dezember, die die Notwendigkeit eines Kampfes gegen die bürokratische Tendenz erklärte, war an und für sich eine Erklärung über die Fehler des innerparteilichen Kurses. Denn, Genossen, wenn wir nicht der Ansicht sind, dass solche Fehler vorhanden waren, so wäre es auch nicht notwendig, eine Sache, die richtig ist, zu ändern. Geändert wird das, was unrichtig, was verfehlt ist.

Wir haben jetzt den XIII. Parteitag in einer neuen Lage. Und diese neue Lage ist durch das Leninsche Aufgebot geschaffen, das die soziale Zusammensetzung der Partei selbst in einer proletarischen Richtung ändert. Wird dadurch die Frage über innerparteiliche Demokratie geändert oder beseitigt? Nein, sie wird nicht geändert, nein, sie wird nicht beseitigt. Es ist zweifellos, dass das Leninsche Aufgebot, wie hier richtig gesagt wurde, unsere Partei dem Typus einer gewählten Partei näher gebracht hat. Darüber sprach ich in Tiflis, darüber sprach ich in Baku und in einigen Versammlungen in Moskau. Betrachten wir die Frage vom Gesichtspunkte einer staatlichen Demokratie – und die staatliche Demokratie entscheidet doch in den parlamentarischen Ländern vor allem die Frage, welche Partei das Land verwalten soll. Wenn wir die Frage von diesem Gesichtspunkte betrachten und das, was bei uns geschehen ist, die Tatsache des Leninschen Aufgebots, mit den Wahlen vergleichen, die in den letzten Monaten in einer Reihe parlamentarischer Länder stattgefunden haben, so werden wir mit vollem Rechte sagen können, und ich persönlich habe das schon dutzende Male erklärt, dass die Methode der Demokratie, die bei uns ihren Ausdruck fand, indem die Arbeiterklasse an einer bestimmten Etappe ihres Weges, nachdem sie auf irgendeine sehr schwerfällige Massenart die Ergebnisse der Arbeit unserer Partei während einer langen Reihe von Jahren festgestellt hat, 200.000 bis 300.000 Arbeiter auf ihren Schultern emporhob und sie der Partei übergab – so müssen und können wir mit vollem Rechte sagen, dass diese Methode der Demokratie unvergleichlich höher steht als jene Demokratie, bei der die Bevölkerung des Landes einmal in vier oder fünf Jahren unter der Diktatur der bürgerlichen Presse, unter der Diktatur der bürgerlichen Klasse, formell verpflichtet ist. ihre Wahlzettel in die Urne zu legen. Das ist offensichtlich, das ist unbestreitbar. Dieser Vorzug – der Vorzug der proletarischen Diktatur und des Sowjetsystems – setzt aber die Frage über den innerparteilichen Kurs, über seine Vorteile und Mängel, nicht von der Tagesordnung ab. Wollen wir die Lage realistisch einschätzen, so müssen wir sagen, dass das kolossale Anwachsen der Partei, dieser mächtige Sprung vorwärts, das Produkt der Arbeit einer Reihe von Jahren, einer langen Reihe von Jahren ist. Gleichzeitig hat das ZK unter der richtigen Feststellung, dass das Zutrauen der proletarischen Massen zur Partei gewachsen ist, sich und die Gesamtpartei vor solchen Prozessen im Parteiapparat gewarnt, die diesem Wachstum des Einflusses der Partei unter den Massen Abbruch tun können und in der Perspektive sogar mit einer Lostrennung der Partei vor, den Massen drohen. Das ist der Grund, warum die Tatsache des Leninschen Aufgebots die Frage über den innerparteilichen Kurs nicht beseitigen kann. Ich glaube, dass sie im Gegenteil diese Frage für uns um so wichtiger und dringender macht, weil wir wieder der Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen der alten, theoretisch geschulten und gestählten Generation der Partei und der jetzt hinzukommenden zahlreichen Jungmannschaft gegenüberstehen. Und wir müssen jetzt mit besonderer Kraft und mit Nachdruck erklären, dass, wenn die Prozesse, auf die die Resolution vom 5. Dezember hinweist, eine weitere Entwicklung erhalten würden, dies beide grundlegende Gruppen der Partei, dass heißt sowohl die führende Generation wie die Jungmannschaft mit Gefahr bedrohen würde. Nur in einer solchen Perspektive haben die Warnungen des ZK vom 5. Dezember einen Sinn.

Genossen! Niemand von uns will und kann seiner Partei gegenüber recht behalten. Letzten Endes ist immer die Partei im Recht, weil die Partei das einzige historische Instrument ist, das dem Proletariat zur Lösung seiner grundlegenden Aufgaben gegeben ist. Ich habe schon gesagt, dass nichts leichter ist, als vor der Partei zu erklären: diese ganze Kritik, alle Erklärungen, Warnungen und Proteste seien ein einziger Irrtum gewesen. Ich aber, Genossen, kann dies nicht sagen, weil ich dies nicht denke. Ich weiß, dass man gegen die Partei nicht recht behalten kann. Im Recht kann man nur zusammen mit der Partei und in Wege der Partei sein, denn andere Wege zur Verwirklichung der richtigen Auffassung hat die Geschichte nicht geschaffen. Bei den Engländern gibt es ein historisches Sprichwort: „Ob recht oder unrecht, aber es ist mein Land."

Mit einem größerem historischen Recht können wir sagen: Ganz gleich, ob sie in einzelnen konkreten Teilfragen, in bestimmten Momenten, im Unrecht ist, aber es ist meine Partei. Und wenn ich, nach Meinung mancher Genossen, hier vergeblich an dieses oder jenes erinnert habe, wenn ich hier, nach Meinung mancher Genossen, unbegründet diese oder jene Gefahr schilderte, so bin ich meinerseits der Auffassung, dass ich nur meine Pflicht als Parteimitglied erfülle, das seine Partei davor warnt, was es als Gefahr betrachtet.

Würde auf dem XII. Parteitag jemand diese Tribüne betreten und eine Resolution unterbreitet haben, in der es geheißen hätte, dass eine ernste Änderung des innerparteilichen Kurses notwendig sei, da der Partei sonst eine Lostrennung von den Massen drohe, so kann ich fast mit Bestimmtheit erklären, dass er keine Stimmen für sich gefunden und die Unterstützung des XII. Parteitages für diese .Resolution nicht gewonnen hätte. In der Zeitspanne zwischen dem 12. und 13. Parteitag musste das ZK eine solche Resolution mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Abänderung des Parteikurses einstimmig annehmen.

Unserer harren noch die größten Schwierigkeiten, und ich glaube, dass wir bei der Überwindung dieser Schwierigkeiten alle als gute, fest zusammengeschweißte bolschewistische Soldaten zusammengehen werden. Es ist lächerlich, vielleicht fast nicht am Platze, hier irgendwelche persönliche Erklärungen zu machen, aber ich hoffe, dass, wenn es so kommen würde, auch ich nicht der letzte Soldat auf der letzten bolschewistischen Barrikade wäre! Ich glaube aber fest, dass die Geschichte uns einer solchen Prüfung nicht unterziehen wird, und dass wir, siegreich die Barrikaden unserer Feinde überwindend, kämpfen werden. Jedenfalls wird es noch Schwierigkeiten, große Schwierigkeiten geben. Und ich fasse gegenwärtig meine Pflicht als ein Parteimitglied auf, das weiß, dass die Partei letzten Endes immer im Recht ist, dass aber die Meinung der Partei unter Berücksichtigung auch jener Stimmen ausgearbeitet wird, die in einem bestimmten Moment von der herrschenden Stimmung der führenden Kreise der Partei abweichen. Und ich erkläre, dass die Resolution vom 5. Dezember gegenwärtig, da wir 200.000 oder noch mehr Mitglieder in die Partei aufnehmen, von ihrer Bedeutung nichts verliert. Im Gegenteil; sie wird vielmehr von größter Bedeutung und wenn wir sie in unserer Beachtung durch diese übertriebene Attacke gegen „kleinbürgerliche Tendenzen" in den Hintergrund drängen würden, so würden wir einen Fehler begehen, der neue Schwierigkeiten und neue Komplikationen in der Partei mit sich bringen würde. Wir alle aber haben ein Interesse daran, diese Schwierigkeiten und Komplikationen auf ein Mindestmaß herabzusetzen. Und wenn es diese oder jene Irrtümer gegeben hat – ich persönlich, wie auch jeder andere, bin bereit, mir über diese Irrtümer Rechenschaft zu geben –, so hat niemand das Recht, diese Irrtümer als unmittelbar oder mittelbar auf Untergrabung der Einheit, Geschlossenheit und Disziplin unserer Partei abgezielt zu betrachten. (Beifall.) Nicht nur das einzelne Parteimitglied, sondern auch die Partei selbst kann einzelne Fehler begehen. Solcherart sind zum Beispiel einzelne Beschlüsse der Konferenz, die ich in bestimmten Teilen für unrichtig und ungerecht halte. Es kann aber bei der Partei keine Beschlüsse geben, und wären sie auch unrichtig und ungerecht, die unsere grenzenlose Hingebung gegenüber der Partei, unsere Bereitschaft, sich unter allen Umständen restlos der Disziplin der Partei zu fügen, auch nur um ein Jota erschüttern können. Und wenn die Partei einen Beschluss fasst, den der eine oder andere von uns für einen ungerechten Beschluss hält, so sagt er: Ob gerecht oder ungerecht, aber es ist meine Partei, und ich trage die Folgen ihres Beschlusses bis zu Ende. (Beifall.)

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