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Leo Trotzki 19240223 Sechs Jahre Rote Armee

Leo Trotzki: Sechs Jahre Rote Armee

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 4. Jahrgang Nr. 30 (4. März 1924), S. 339 f.]

Die sechs Jahre des Bestehens der Roten Armee teilen sich in zwei fast gleich lange Perioden. Die ersten drei Jahre waren Jahre des chaotischen Wachsens der Armee, wo zur Lösung jeder neuen Aufgabe neue Regimenter und Divisionen aus Nichts geschaffen wurden. Das waren drei Jahre fortwährender Kämpfe. Die Kette der kleinen Kriege ging in einen großen Bürgerkrieg über, und in diesem Kriege hat die Revolution ihre Existenz gesichert. Die Armee wurde durch den fortschrittlichen Arbeiter aufgebaut, der den Bauern mobilisiert und aufgeklärt hatte. So entstand die Infanterie, so wurde die Artillerie geschaffen. Am schwersten war es, die Kavallerie der Revolution zu organisieren, weil die Heimat der alten Kavallerie die von reichen Bauern und Kosaken bewohnten Steppen waren. Die Schaffung der Kavallerie war die größte Errungenschaft der ersten Periode.

Der Krieg gegen Polen zog die Bilanz der ersten drei Jahre, enthüllte sowohl die starken wie auch die schwachen Seiten der damaligen Roten Armee: revolutionäre Kühnheit, beispiellose Begeisterung, größte Leidensfähigkeit, aber zugleich ungenügende Vorbereitung, organisatorische Schwäche, ungenügende Widerstandskraft. Die Armee rückte unaufhaltsam vor, aber wenn es zum Rückzug kam, gab es auch kein Halten. Die ersten drei Jahre hinterließen uns die Erbschaft einer materiellen Zersetzung und Erschöpfung, eine große Kriegserfahrung und viele Tausende neuer Kommandeure und Militärkommissare, die während des Bürgerkrieges gleichsam aus dem Erdboden gewachsen waren und im die Armee Mut, Initiative und moralisch-politische Autorität mit sich brachten. Der Ausgang des polnischen Krieges traf die Armee und besonders ihren jungen Kommando- und Kommissarsbestand ins Herz. Dieser Schmerz ging bald über in ein Streben nach Wissen.

Die zweite dreijährige Periode begann mit dem Abbau und der Reorganisierung der Armee. Die Aufgabe war, die Armee den materiellen Mitteln des Landes, zugleich aber auch den internationalen Verhältnissen anzupassen. Aber die internationalen Verhältnisse haben sich geändert, und die materiellen Mittel ließen sich sehr schwer errechnen. Das war der Grund des häufigen Abbaus und Umbaues, und jede einzelne dieser Umorganisierungen bildet ein großes schwieriges Kapitel des inneren Lebens der Armee. Nebst einer konsequenten Umorganisierung wurde die Armee um vier Fünftel verringert. Zur gleichen Zeit haben die Militärschulen die junge Generation erzogen und ausgebildet, die Militärakademien erleichterten es den verdienstvollen Kommandeuren des Bürgerkrieges, die angehäufte Erfahrung durchzudenken und systematisch zusammenzufassen. In ihrem Bestande, in ihrer Organisation, in ihren Aufgaben und Schwierigkeiten, in ihrem Geiste war die Rote Armee wie auch ihre jüngere Schwester, die Rote Flotte, stets das Spiegelbild der Revolution, ihrer inneren Kräfte und ihrer Handlungsweise. Die Armee war und bleibt der bewaffnete Bund der Arbeiter und Bauern, unter der Führung erprobter kommunistischer Kämpfer.

Die erste dreijährige Periode war die Periode des sogenannten Kriegskommunismus. Wir haben die Existenz der Republik verteidigen, alle materiellen Mittel von Stadt und Land in Anspruch nehmen, alle alten Vorräte des Landes aufbrauchen und die werktätigen Massen schweren Entbehrungen aussetzen müssen. Die zweite dreijährige Periode fällt mit der Neuen Wirtschaftspolitik zusammen. Die materiellen Mittel des Landes werden allmählich wiederhergestellt. Stadt und Land leben wirtschaftlich wieder auf. Aber zugleich erscheint in der Stadt der Bourgeois und auf dem Lande der Kulak (der reiche Bauer). Heute muss die Armee mehr denn je der bewaffnete Bund der Arbeiter und Bauern bleiben, in dem weder der Bourgeois noch der Kulak etwas zu suchen haben. Der Arbeiter- und Bauernstaat duldet sie auf dem wirtschaftspolitischen Gebiet, gibt ihnen aber keine politischen Rechte und noch weniger Waffen in die Hand. Das ist das wichtigste politische Gebot, das wir in die dritte Periode mitnehmen.

Die internationalen Verhältnisse, in denen wir dem sechsten Jahrestage der Roten Armee begegnen, haben sich zu unsern Gunsten geändert. Ein bürgerlicher Staat nach dem anderen erkennt uns de jure an oder bereitet sich vor, uns anzuerkennen, das heißt anzuerkennen, dass unsere Existenz auf gesetzlicher Grundlage beruht. Die Rote Armee nimmt das zur Kenntnis: Unter der Führung der Kommunistischen Partei hat die Rote Armee schon längst gelernt, dass die Revolution die gesetzmäßigste Grundlage eines Arbeiterstaates bildet. Aber schon die Tatsache allein, dass die bürgerlichen Regierungen – und dazu auch nur ein Teil – mehr als sechs Jahre brauchten, um unsere Existenz „anzuerkennen", ist der beste Beweis für jene Feindseligkeit, die uns, den ersten und bisher einzigen Bauernstaat der Welt, umgibt. Die Rote Armee und die Rote Flotte treten daher in die dritte dreijährige Periode mit der tiefen Überzeugung ein, dass das sozialistische Vaterland ihrer wie bisher zum Schutze seiner Unabhängigkeit und Entwicklung bedarf.

Der Kampf um die Hebung des allgemeinen und des speziell militärischen Bildungsniveaus der Armee und Flotte ist die Hauptaufgabe der dritten dreijährigen Periode, an deren Schwelle wir nun stehen. Diese allgemeine Aufgabe zerfällt in eine Reihe von Teilaufgaben, angefangen von den primitivsten Forderungen der Reinlichkeit, der Abgewöhnung des groben Tones und des Fluchens bis zur Erziehung im Geiste der internationalen Solidarität.

Wenn die schwerste Aufgabe der ersten dreijährigen Periode die Schaffung einer revolutionären Kavallerie gewesen ist, so stehen jetzt im Mittelpunkt der militärischen Aufbauarbeit die Fragen der Aviation und der Chemie. Die zweite Periode hat diese Fragen in den Vordergrund gestellt, die dritte Periode muss ihre Lösung bringen. Die Schaffung der Kavallerie forderte von uns, dass der Arbeiter die Fabrik verließ und zu Pferde stieg. Die Schaffung der Luftflotte und die Vervollkommnung der Kriegschemie erfordert, dass der Arbeiter am Schraubstock bleibt und die Entwicklung der militärischen und sonstigen Industrie vorwärts treibe. Davon hängt jetzt das Schicksal aller Waffengattungen, aller Zweige des Landes-, See- und Luftkriegswesens ab. Die Waffen der Verteidigung werden durch die Industrie vervollkommnet.

Auch jetzt wie in der ganzen bisherigen Periode werden die Interessen und Bedürfnisse der Roten Armee stets mit den Nöten und Aufgaben des Sowjetlandes in Einklang gebracht. Das Land hat sich während der letzten Jahre endgültig zu einer Union nationaler Republiken ausgestaltet. Die Rote Arme besteht aus den Werkstätten verschiedener Nationalitäten und ist berufen, die Grenzen zu schützen, innerhalb deren die Nachbarvölker zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ohne Feindseligkeit und ohne einander irgendetwas nachzutragen, zusammenleben und sich in einen unerschütterlichen Bund der Nationalitäten zusammengeschlossen haben. Schon in den ersten Monaten der Sowjetmacht hat der Lehrer und der geistige Schöpfer der Revolution und ihres Kindes, der Roten Armee, den Fall als Beispiel erwähnt, dass ein finnischer Greis erzählte, seit der Revolution fürchte er sich nicht vor den bewaffneten Leuten. Dieses Beispiel bleibt auch in der Zukunft das Gebot Iljitschs für die Armee und Flotte: die werktätigen, unterdrückten und versklavten Völker, welcher Nationalität sie auch sein mögen, im Westen oder im Osten, werden unter keinen Umständen die Rote Armee zu fürchten haben. Ihr Waffen richten sich nur gegen die Ausbeuter und Unterdrücker!

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