Vor dem Oktober

Vor dem Oktober.

Dass Lenin in Petrograd eingetroffen war und in Arbeiterversammlungen gegen den Krieg und die provisorische Regierung auftrat, erfuhr ich aus den amerikanischen Zeitungen in Amhurst, im kanadischen Konzentrationslager. Die internierten deutschen Matrosen hatten sofort Interesse für Lenin gewonnen, dessen Name ihnen zum ersten Male in den Zeitungstelegrammen begegnete. Es waren alles Leute, die sehnlichst das Ende des Krieges erwarteten, das ihnen die Tore des Konzentrationsgefängnisses öffnen sollte. Sie schenkten jedem Wort, das gegen den Krieg gerichtet war, die größte Aufmerksamkeit. Bis dahin kannten sie Liebknecht. Man hatte ihnen aber häufig gesagt, Liebknecht sei gekauft. Jetzt lernten sie Lenin kennen. Ich erzählte ihnen von Zimmerwald und Kienthal. Lenins Reden führten viele von ihnen zu Liebknecht.

Auf der Durchfahrt durch Finnland bekam ich zum ersten Male neue russische Zeitungen mit Telegrammen über den Eintritt von Zeretelli, Skobelew und anderen „Sozialisten" in die provisorische Regierung. Die Lage war damit völlig eindeutig. Von den April-Thesen Lenins erfuhr ich am zweiten oder dritten Tag nach meiner Ankunft in Petrograd. Das war das, was die Revolution brauchte. Erst später las ich in der „Prawda" den noch aus der Schweiz eingesandten Artikel Lenins: „Die erste Etappe der ersten Revolution."

Noch heute kann und sollte man mit größtem Interesse und politischem Nutzen die ersten, recht verschwommenen Nummern der nachrevolutionären „Prawda" lesen, auf deren Hintergrund der Leninsche „Brief aus der Ferne" in seiner ganzen konzentrierten Kraft hervortritt. Dieser, dem Ton nach sehr ruhige, theoretisch aufklärende Artikel ist wie eine zu einem straffen Ring zusammengezogene Stahlspirale, die sich später auswinden und ausbreiten sollte, bis sie den ganzen Ideengehalt der Revolution umkreist haben würde.

Mit dem Genossen Kamenew hatte ich für einen der ersten Tage nach meiner Ankunft einen Besuch in der Redaktion der „Prawda" vereinbart. Die erste Begegnung fand wahrscheinlich am 5. oder 6. Mai statt. Ich sagte Lenin, dass mich nichts trenne von seinen April-Thesen und von dem gesamten Kurs, den die Partei nach seinem Eintreffen eingeschlagen hatte und dass ich vor der Wahl stünde, ob ich sofort „individuell" der Parteiorganisation beitreten oder den Versuch machen sollte, den besseren Teil der „Verbändler" mitzunehmen. Zu ihnen gehörten etwa 3000 Arbeiter in Petrograd und eine ganze Reihe wertvoller revolutionärer Kräfte: Uritzki, Lunatscharski, Joffe, Wladimirow, Manuilski, Karachan, Jurenew, Posern, Litkens und andere. Antonow-Owsejenko war damals schon in die Partei eingetreten; wie ich glaube, auch Sokolnikow

Lenin sprach sich weder für das eine noch für das andere kategorisch aus. Vor allen Dingen kam es darauf an, sich über die Lage und die Menschen näher zu orientieren. Lenin hielt ein Zusammenarbeiten mit Martow und überhaupt mit einem Teil der Menschewiken-Internationalisten, die soeben erst aus dem Auslande gekommen waren, auf die eine oder andere Art nicht für ausgeschlossen. Man musste eben sehen, wie sich die gegenseitigen Beziehungen innerhalb der „Internationalisten" bei der praktischen Arbeit gestalten würden.

Auf Grund einer stillschweigenden Vereinbarung habe ich meinerseits nicht versucht, die natürliche Entwicklung der Ereignisse zu beschleunigen. Unsere Politik war die gleiche. In den Arbeiter- und Soldatenversammlungen pflegte ich vom ersten Tage meiner Ankunft an zu sagen: „Wir Bolschewiken und Internationalisten", und da das Bindewort „und" bei dem häufigen Wiederholen dieser Worte das Reden nur erschwerte, so beschränkte ich mich bald auf die Bezeichnung: „Wir Bolschewiken-Internationalisten." Auf diese Weise ging die politische Verschmelzung der organisatorischen voraus.*

Der verkannte Lenin.

Die Redaktion der „Prawda" habe ich vor den Julitagen zwei bis drei Mal in den kritischsten Augenblicken besucht. Bei diesen ersten Zusammenkünften – und noch mehr nach den Julitagen – machte Lenin den Eindruck der höchsten Konzentriertheit, einer ungeheuren innerlichen Sammlung unter dem Mantel der Ruhe und der „prosaischen" Einfachheit. Die Kerenski-Herrschaft schien in jenen Tagen allmächtig. Der Bolschewismus erschien als ein „unbedeutendes Häuflein". Die Partei selber war sich ihrer morgigen Kraft noch nicht bewusst. Und dennoch führte Lenin sie sicher ihren größten Aufgaben entgegen… .

Seine Reden auf dem ersten Kongress der Sowjets riefen bei der sozialrevolutionär-menschewistischen Mehrheit Misstrauen und Befremden hervor. Unklar empfanden sie, dass dieser Mann auf einen sehr weiten Punkt zielte. Aber den Punkt selber konnten sie nicht sehen. Und die revolutionären Philister fragten sich: Wer ist das? Was ist das? Einfach ein Besessener? Oder ein historisches Geschoss von unerhörter Explosivkraft?

Lenins Auftreten auf dem Kongress der Sowjets, als er von der Notwendigkeit sprach, 50 Kapitalisten zu verhaften, war rednerisch wohl kein „Erfolg". Und doch war es außerordentlich bedeutsam. Kurzer Beifall der verhältnismäßig wenig zahlreichen Bolschewiken begleitete den Redner, der die Tribüne verließ mit der Miene eines Menschen, der nicht alles gesagt hatte und vielleicht auch nicht so, wie er es hatte sagen wollen… . Und dennoch zog zu gleicher Zeit ein Hauch des Ungewöhnlichen durch den Saal. Das war ein Hauch der Zukunft, den alle für einen Augenblick verspürten, als sie mit fragenden Blicken diesen so gewöhnlichen und doch so rätselhaften Menschen verfolgten.

Wer war er? Was war er? Hatte nicht Plechanow in seiner Zeitung Lenins erste Rede auf dem revolutionären Boden Petersburgs als Fieberwahn bezeichnet? Waren nicht die von den Massen erwählten Delegierten durchweg Anhänger der Sozialrevolutionäre und Menschewiken? Hatte nicht Lenins Haltung unter den Bolschewiken selber in der ersten Zeit eine scharfe Unzufriedenheit hervorgerufen?

Einerseits forderte Lenin, dass entschieden gebrochen werde nicht nur mit dem bürgerlichen Liberalismus, sondern auch mit allen Abarten der Verteidigungsbejaher. Innerhalb der eigenen Partei organisierte er den Kampf gegen jene „alten Bolschewiken", die – so schrieb Lenin – „mehr als einmal eine traurige Rolle in der Geschichte unserer Partei gespielt haben, indem sie eine einstudierte Formel sinnlos wiederholten, statt die Eigenart der neuen lebendigen Wirklichkeit zu studieren". (Gesammelte Werke, Band XIV, 1. Teil, Seite 28.) Oberflächlich betrachtet, schien es, als hätte er auf diese Weise seine eigene Partei geschwächt. Zu gleicher Zeit aber erklärte er auf dem Sowjetkongress: „Es ist nicht wahr, dass keine Partei bereit ist, die Macht zu übernehmen. Eine solche Partei ist da: das ist unsere Partei." Klaffte nicht ein ungeheurer Widerspruch zwischen der Stellung eines sich von allen anderen abgrenzenden „Propagandistenkreises" und dem offen ausgesprochenen Anspruch auf die Machtübernahme in dem riesigen, bis zum innersten Grunde erschütterten Lande?

Dem Kongress der Sowjets blieb es vollkommen unverständlich: was wollte und erhoffte dieser sonderbare Mensch eigentlich, dieser kühle Phantast, der in einem kleinen Blatt kleine Artikel schrieb? Und als Lenin mit großartiger Einfachheit – die den tatsächlich Einfältigen als Einfalt erschien – auf dem Sowjetkongress erklärte: „Unsere Partei ist bereit, die Macht ganz zu übernehmen", da wurde diese Erklärung mit schallendem Gelächter aufgenommen. „Ihr könnt lachen, soviel ihr wollt", sagte Lenin. Er wusste: „Wer zulegt lacht, lacht am besten."

Lenin liebte dieses Sprichwort, weil er fest entschlossen war, als Letzter zu lachen. Und er fuhr ruhig fort zu beweisen, dass man zuerst 50 oder 100 der größten Millionäre verhaften und dem Volk erklären müsse, dass wir alle Kapitalisten als Räuber betrachten und dass Tereschtschenko keineswegs besser sei als Miljukow, nur dümmer. Schrecklich, erstaunlich einfältige, tödliche Gedanken! Und dieser Vertreter eines kleinen Teils des Kongresses, von dem er von Zeit zu Zeit zurückhaltenden Beifall erntete, sagte zum Kongress: „Ihr habt Angst, die Macht zu ergreifen? Wir aber sind zur Machtübernahme bereit." Als Antwort erhielt er natürlich ein Lachen, das in jenem Augenblick beinahe herablassend und nur ein klein wenig verängstigt klang.

Lenins Taktik.

Auch für seine zweite Rede wählte Lenin schrecklich einfache Worte aus dem Brief irgendeines Bauern, der davon schrieb, dass man stärker auf die Bourgeoisie drücken müsse, sodass sie in allen Fugen krache; wenn man der Bourgeoisie nicht so stark zusetze, dann werde es schlecht gehen. Und dieses einfache naive Zitat, das war das ganze Programm? Wie sollte man da nicht verwundert sein? Man lachte wieder, herablassend und ein wenig nervös. Die Worte: „der Bourgeoisie zusetzen" hatten in der Tat, als abstrakt genommenes Programm einer Propagandistengruppe betrachtet, kein besonderes Gewicht. Die Verständnislosen begriffen indessen nicht, dass Lenin den sich steigernden Druck der Geschichte auf die Bourgeoisie richtig erlauscht hatte und dass die Bourgeoisie als Folge dieses Druckes „in allen Fugen krachen" würde. Nicht umsonst hatte Lenin im Mai dem Bürger Maklakow auseinandergesetzt, dass „das Land der Arbeiter und der ärmsten Bauern tausendmal linker als die Tschernows und Zeretellis" sei und „hundertmal linker als wir".

Hier lag die Hauptquelle der Leninschen Taktik. Durch die frische, aber bereits ausreichend getrübte Hülle der Demokratie hatte er das Land der Arbeiter und ärmsten Bauern erfühlt. Dieses Land steht bereit, die größte Revolution zu machen, aber es versteht noch nicht, diese Bereitschaft politisch zum Ausdruck zu bringen. Die Parteien, die im Namen der Arbeiter und Bauern sprechen, betrügen sie. Die Millionen der Arbeiter und Bauern haben unsere Partei noch nicht kennen gelernt, sie haben sie noch nicht als Sprachrohr ihrer Bestrebungen entdeckt. Zu gleicher Zeit aber hat unsere Partei selber noch nicht ihre ganze potenzierte Kraft begriffen, und deshalb ist sie „hundertmal" rechter als die Arbeiter und Bauern. Das eine muss an das andere herangebracht werden. Die Millionen müssen erst für die Partei, und die Partei für die Millionen entdeckt werden. Es gilt, nicht allzu sehr vorauszueilen, aber auch nicht zurückzubleiben. Es gilt, geduldig und beharrlich über ganz einfache Dinge aufzuklären. „Nieder mit den zehn Minister-Kapitalisten!" Die Menschewiken sind nicht einverstanden? Nieder mit den Menschewiken! Sie lachen? Sie werden nicht allzu lange lachen. … Wer zulegt lacht, lacht am besten.

Ich entsinne mich, dass ich in Vorschlag gebracht hatte, auf dem Sowjetkongress an erster Stelle die Erörterung der Fragen über die sich vorbereitende Offensive an der Front zu fordern. Lenin hieß den Gedanken gut, wollte ihn aber anscheinend noch mit anderen Mitgliedern des ZK beraten. Zur ersten Sitzung des Kongresses brachte Genosse Kamenew einen von Lenin in aller Eile verfassten Entwurf einer Deklaration der Bolschewiken bezüglich der Offensive mit.

Ich weiß nicht, ob dieses Dokument noch vorhanden ist. Sein Text erschien, ich weiß nicht mehr aus welchen Gründen, sowohl den anwesenden Bolschewiken als auch den Internationalisten für den Kongress ungeeignet. Gegen den Text nahm auch Posern Stellung, den wir mit der Vorlesung beauftragen wollten. Ich entwarf einen anderen Text, der zur Vorlesung gelangte. Die Leitung dieser Aktion lag, wenn ich mich nicht irre, in Händen von Swerdlow, den ich erst während des ersten Sowjetkongresses als Vorsitzenden der bolschewistischen Fraktion kennen lernte.

Ungeachtet seiner Schmächtigkeit und der kleinen Statur, die auf Kränklichkeit schließen ließen, machte die Persönlichkeit Swerdlows den Eindruck von Bedeutung und ruhiger Kraft. Er präsidierte gleichmäßig ohne Lärm und Unterbrechungen, arbeitend wie ein guter Motor. Das Geheimnis lag hier natürlich nicht in der Kunst des Präsidierens an und für sich, als vielmehr darin, dass er die Zusammensetzung der Versammlung stets ausgezeichnet einschätzte und genau wusste, was er erreichen wollte.

Er pflegte vor jeder Sitzung mit den einzelnen Delegierten zusammenzukommen, sie auszufragen, bisweilen auch auf sie einzureden. Auf diese Weise konnte er sich bereits vor Eröffnung der Sitzung vorstellen, welchen Verlauf die Sitzung etwa nehmen würde. Aber auch ohne vorhergehende Verhandlungen wusste er besser als sonst jemand, wie der eine oder der andere Genosse sich zu der zur Debatte stehenden Frage stellen würde. Die Zahl der Genossen, deren politische Physiognomie er sich deutlich vorstellte, war sehr groß, gemessen an den Maßstäben unserer damaligen Partei. Er war ein geborener Organisator und ein Meister der Kombination. Jede politische Frage betrachtete er vor allen Dingen von einem konkreten organisatorischen Gesichtswinkel aus, als Frage der Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Personen und Gruppierungen innerhalb der Parteiorganisation und zwischen der Partei als Ganzem und den Massen. Die algebraischen Formeln übersetzte er sofort und fast automatisch in ihre zahlenmäßigen Bedeutungen. Dadurch lieferte er eine sehr wichtige Handhabe zur Nachprüfung der politischen Formeln, insoweit sie sich auf revolutionäre Handlungen bezogen.

Die Julitage.

Nachdem die Demonstration vom 10. Juni abgesagt worden war, in jenen Tagen, als die Atmosphäre des ersten Sowjetkongresses bis zum Äußersten erhitzt war und Zeretelli die Petersburger Arbeiter zu entwaffnen drohte, begab ich mich mit dem Genossen Kamenew zur Redaktion und entwarf dort, nach einem kurzen Meinungsaustausch, auf Lenins Vorschlag hin einen Appell des ZK an das Exekutivkomitee

Bei dieser Zusammenkunft sagte Lenin einige Worte über Zeretelli, und zwar im Zusammenhang mit dessen neuester Rede (vom 11. Juni): „Er war doch ein Revolutionär; wie viele Jahre hat er im Zuchthaus gesessen, und jetzt diese völlige Absage an die Vergangenheit!"

In diesen Worten war nichts Politisches, sie waren auch nicht politisch gemeint, sie waren vielmehr das Ergebnis flüchtigen Nachdenkens über das klägliche Schicksal des früheren großen Revolutionärs. In Lenins Ton lag etwas wie Bedauern und Verdruss, aber er hielt sich nicht länger dabei auf, weil Lenin nichts so zuwider war wie die geringste Andeutung von Sentimentalität und psychischer Empfindsamkeit.

Am 4. oder 5. Juli traf ich mich mit Lenin (und auch mit Sinowjew?), ich glaube, im Taurischen Palais. Die Offensive war zurückgeschlagen. Die Erbostheit gegen die Bolschewiken hatte bei der Regierung die äußerste Grenze erreicht. „Jetzt werden sie uns einen nach dem andern erschießen," sagte Lenin, „das ist für sie der geeignetste Augenblick." Sein Grundgedanke war: zum Rückzug blasen und sich zurückziehen, falls nötig, in die Illegalität. Das war eine der scharfen Wendungen der Leninschen Strategie, die, wie immer, in der raschen Einschätzung der Lage begründet war.

Später, in der Zeit der dritten Tagung der Komintern, meinte Wladimir Iljitsch einmal: „Im Juli haben wir nicht wenig Dummheiten gemacht." Er hatte dabei die verfrühte militärische Aktion im Sinne, die zu aggressiven Formen der Demonstration, die unseren Kräften im Lande nicht entsprachen. Um so bedeutsamer war die nüchterne Entschlossenheit, mit der er am 4. und 5. Juli die Lage nicht nur vom Gesichtspunkt der Revolution, sondern auch von dem der Gegenseite her durchdacht hatte und zur Schlussfolgerung gelangt war, dass es für „sie" gerade der rechte Augenblick sei, uns über den Haufen zu schießen. Zum Glück besaßen unsere Feinde damals weder die Konsequenz noch die Entschlusskraft zu solchem Vorgehen. Sie beschränkten sich auf die Perewersewsche chemische Vorbereitung.1 Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass sie oder vielmehr ihre Offiziere, wenn es ihnen gelungen wäre, in den ersten Tagen nach der Juli-Aktion Lenin zu ergreifen, mit ihm ebenso verfahren wären, wie anderthalb Jahre später die deutschen Offiziere mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Der Beschluss, zu flüchten oder sich in die Illegalität zurückzuziehen, wurde bei der soeben erwähnten Zusammenkunft unmittelbar noch nicht gefasst. Die Kornilow-Bewegung kam erst allmählich in Schwung. Ich selber blieb noch zwei bis drei Tage sichtbar. Ich trat auf einigen Partei- und Organisationskonferenzen auf mit dem Thema: „Was soll nun geschehen?" Der wütende Ansturm auf die Bolschewiken schien unüberwindbar. Die Menschewiken versuchten, die ohne ihr Zutun geschaffene Lage mit allen Mitteln auszunutzen Wie ich mich entsinnen kann, hatte ich Gelegenheit, in irgend einer Versammlung in der Bibliothek des Taurischen Palais' vor Vertretern der Gewerkschaften zu sprechen. Es waren im ganzen einige zehn Mann anwesend, das heißt, nur die Spitzenfunktionäre. Die Menschewiken waren tonangebend. Ich begründete die Notwendigkeit einer Protestaktion der Gewerkschaften gegen die Anschuldigung, dass die Bolschewiken in Verbindung mit dem deutschen Militarismus stünden. Ich kann mich auf den Verlauf dieser Versammlung nur noch ganz dunkel besinnen; dagegen erinnere ich mich noch sehr deutlich an zwei oder drei schadenfrohe Fragen, die direkt zum Ohrfeigen herausforderten… .

Inzwischen verstärkte sich der Terror zusehends. Verhaftungen waren an der Tagesordnung. Einige Tage hielt ich mich in der Wohnung des Genossen Larin verborgen, dann begann ich auszugehen, erschien im Taurischen Palais und wurde bald darauf verhaftet. Befreit wurde ich erst in den Tagen der Kornilow-Offensive und der beginnenden bolschewistischen Flut. Während dieser Zeit wurde der Übertritt der „Verbändler" zur bolschewistischen Partei vollzogen. Swerdlow regte an, dass ich mit Lenin zusammenkommen sollte, der sich damals noch versteckt hielt. Ich kann mich nicht entsinnen, wer mich zu der konspirativen Arbeiterwohnung brachte, wo ich Wladimir Iljitsch traf, vielleicht war es Rachia. Dort traf ich auch Kalinin. Wladimir Iljitsch fuhr in meiner Gegenwart fort, ihn über die Stimmung der Arbeiterschaft beharrlich auszufragen, ob sie kämpfen würden, ob sie bereit seien, bis zum Ende zu gehen, ob man die Macht ergreifen könne usw.

Wie war Lenins Stimmung zu jener Zeit? Wenn man seine Stimmung in wenigen Worten ausdrücken will, so müsste man sagen, dass es eine Stimmung der im Zaum gehaltenen Ungeduld und der tiefen Besorgnis war. Er sah klar, dass der Augenblick herannahte, wo es zum Biegen oder Brechen kommen musste. Aber gleichzeitig schien es ihm, und zwar mit Grund, dass die Spitzen der Partei nicht alle notwendigen Konsequenzen aus dieser Tatsache zogen.

Die Haltung des Zentralkomitees schien ihm zu passiv und abwartend. Lenin hielt es nicht für möglich, offen zur Arbeit zurückzukehren, da er mit Recht befürchtete, dass seine Verhaftung die abwartende Stimmung der Parteispitzen befestigen und sogar verstärken würde, was wiederum unweigerlich zum Verpassen der außerordentlich revolutionären Situation geführt hätte. Daher die gespannte Wachsamkeit Lenins. Seine Unduldsamkeit gegenüber jedem Zögern, ja jeder Andeutung einer abwartenden und unentschlossenen Haltung steigerte sich in jenen Tagen und Wochen bis zum höchsten Grade. Er forderte die sofortige Inangriffnahme einer regelrechten Verschwörung: man sollte den Gegner überrumpeln und ihm die Macht entreißen; das Weitere würde sich schon zeigen. Darüber muss man etwas eingehender berichten.

Lenins Fingerspitzengefühl.

Der Biograph wird der bloßen Tatsache der Rückkehr Lenins nach Russland, die zu seiner Fühlungnahme mit den Volksmassen führte, die stärkste Beachtung schenken müssen. Mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1905 verbrachte Lenin mehr als anderthalb Jahrzehnte in der Emigration. Sein Gefühl für die Wirklichkeit, sein Erfassen des lebendigen, werktätigen Menschen hatten in der Zwischenzeit nicht nur keine Einbuße erlitten, sondern waren vielmehr durch theoretische Arbeit und die Betätigung der schöpferischen Phantasie verstärkt worden. Aus einzelnen zufälligen Begegnungen und Beobachtungen vermochte er das Bild des Ganzen zu erfassen und zu rekonstruieren. Immerhin hat er jene Periode seines Lebens, während der er für seine zukünftige geschichtliche Rolle endgültig reif wurde, als Emigrant verlebt.

Nach Petersburg kam er mit fertigen revolutionären Ansichten, die das Ergebnis seiner ganzen gesellschaftlich-theoretischen und praktischen Lebenserfahrung darstellten. Die Losung der sozialistischen Revolution proklamierte er, kaum dass er russischen Boden betreten hatte. Hier aber begann erst, auf Grund der lebendigen Erfahrung der erwachten Volksmassen Russlands, die Nachprüfung des Angesammelten, des Durchdachten, des bisher Gewonnenen. Die Formeln haben die Prüfung bestanden. Mehr noch: Erst hier in Russland, in Petersburg, erhielten sie einen alltäglichen, unwiderlegbar konkreten Inhalt und damit eine unbezwingbare Kraft. Jetzt war es nicht mehr notwendig, aus einzelnen, mehr oder weniger zufälligen Probestücken ein Perspektivbild des Ganzen zusammenzustellen. Das Ganze kündete von sich selber mit allen Stimmen der Revolution. Und hier zeigte Lenin – und vielleicht hatte er es hier auch selber zum ersten Mal ganz gefühlt –, in welchem Grade er die noch chaotische Stimme der erwachenden Masse zu erlauschen verstand.

Mit welch tiefer organischer Verachtung beobachtete er das geschäftige Getue der maßgebenden Parteien der Februarrevolution, jene Woge der „machtvollen" öffentlichen Meinung, die von einer Zeitung zur anderen brandete, jene Kurzsichtigkeit, eitle Selbstbespiegelung, Schwasshaftigkeit, – kurz: das Gesicht des offiziellen Februar-Russland. Hinter dieser mit demokratischen Kulissen ausgestatteten Bühne hörte er den dumpfen Widerhall nahender Ereignisse von ganz anderem Ausmaße.

Als die Skeptiker ihn auf die großen Schwierigkeiten hinwiesen, auf die Mobilisierung der bürgerlichen öffentlichen Meinung, auf das kleinbürgerliche Element, presste er die Zähne zusammen, und seine Backenknochen traten noch eckiger hervor. Das bedeutete, dass er sich zurückhielt, um den Skeptikern nicht klar und deutlich seine Meinung über sie zu sagen. Er sah und begriff die Hindernisse nicht weniger als die anderen, aber er spürte klar, handgreiflich, physisch jene historisch angesammelten gigantischen Kräfte, die jetzt zum Durchbrach drängten, um alle Hindernisse fortzuschwemmen.

Er sah, hörte und fühlte vor allen Dingen den russischen Arbeiter, der zahlenmäßig stärker geworden war, der die Erfahrung von 1905 noch nicht vergessen hatte, der durch die Schule des Krieges, durch ihre Illusionen, durch die Falschheit und die Lüge der Verteidigungsparolen gegangen und der jetzt zu den allergrößten Opfern und unerhörtesten Anstrengungen bereit war. Er fühlte den Soldaten, der, von drei Jahre langem sinn- und ziellosen mörderischen Schlachten betäubt, durch das Tosen der Revolution geweckt worden war und der nun im Begriff stand, alle sinnlosen Opfer, Erniedrigungen und Maulschellen durch einen Ausbruch wütenden, nichts schonenden Hasses zu vergelten. Er hörte den Bauern, der immer noch die Fesseln der jahrhundertelangen Leibeigenschaft mitschleppte und der jetzt, durch den Krieg aufgerüttelt, zum ersten Male die Möglichkeit ahnte, mit den Unterdrückern, den Sklavenhaltern, den Herren und Junkern auf eine schreckliche, erbarmungslose Art abzurechnen.

Der Bauer schwankte noch hilflos zwischen dem Tschernowschen Geschwätz und seinem eigenen „Mittel", der großen Agrar-Revolte. Der Soldat wechselte noch von einem Fuß zum anderen hinüber, auf der Suche nach einem Weg, schwankend zwischen Patriotismus und hemmungsloser Fahnenflucht. Die Arbeiter hörten noch die letzten Wortergüsse Zeretellis an, doch waren sie bereits misstrauisch und halb feindselig dabei. Ungeduldig zischte schon der Dampf in den Kesseln der Kronstädter Kriegsschiffe. Der Matrose, bei dem sich der stählern geschliffene Hass des Arbeiters mit dem dumpfen, bärenhaften Zorn des Bauern verband, der Matrose, der vom Feuer des grässlichen Gemetzels angesengt worden war, warf bereits alle die über Bord, die für ihn nur Abarten der ständischen, bürokratischen und militärischen Unterdrückung verkörperten.

Im Palais der Ballerina.

Die Februarrevolution näherte sich dem Abgrund. Die zerlumpten Fetzen der zaristischen Legalität wurden von den Rettern der Koalition aufgelesen, geglättet, zusammengenäht und umgemodelt zum dünnen Schleier der demokratischen Legalität. Darunter aber brodelte und kochte alles; alle Unbill der Vergangenheit suchte ein Ventil; der Hass gegen den Dorfpolizisten, den Wachtmeister, den Polizeikommissar, den Parasiten, gegen die manikürte Hand und die schimpfende und ohrfeigende Obrigkeit. Dieser Hass bereitete die größte revolutionäre Explosion in der Weltgeschichte vor.

Das war es, was Lenin sah und hörte, was er mit unwiderstehlicher Klarheit, mit absoluter Überzeugung physisch empfand, als er nach langer Abwesenheit in Berührung trat mit dem von revolutionären Zuckungen erschütterten Lande.

Ihr Trottel, Prahlhänse und Idioten glaubt, dass die Geschichte in den Salons gemacht wird, wo die demokratischen Parvenüs mit den adligen Liberalen liebäugeln, wo die gestrigen unansehnlichen Leutchen aus der Provinz-Advokatur es rasch lernen, die Hände der hochgeborenen Exzellenzen zu küssen. Trottel, Prahler, Idioten! Die Geschichte wird im Schützengraben gemacht, wo der vom Alpdruck des Kriegsrausches besessene Soldat dem Offizier sein Bajonett in den Leib stößt und dann auf den Puffern des Eisenbahnwagens in das heimatliche Dorf zurückkehrt, um den roten Hahn auf das Dach des Herrenhauses zu segen. Diese Barbarei ist euch zuwider? ,Nichts für ungut!' antwortet die Geschichte, ,ich liefere, was ich kann.' Das sind nur die Konsequenzen aus dem Vorangegangenen. Ihr glaubt im Ernst, dass die Geschichte in euren Kontaktkommissionen gemacht wird?2 Unsinn, sinnloses Gestammel, Phantasterei, Kretinismus! Die Geschichte – dessen sollt ihr gewahr sein – hat diesmal das Palais der Kschsesinskaja, der Ballerina, der ehemaligen Kurtisane des ehemaligen Zaren, zu ihrem vorbereitenden Laboratorium auserwählt. Und von hier aus, von diesem für das alte Russland symbolischen Gebäude aus, bereitet sie die Liquidierung unseres ganzen Petrograder zaristischen, bürokratisch-adligen, junkerlich-bourgeoisen, zotenhaften Sumpfes vor. Hierher, zum Palais der ehemaligen kaiserlichen Ballerina, strömen die verrußten Delegierten von den Fabriken, die grauen, ungeschlachten und verlausten Sendlinge aus den Schützengräben. Und von hier aus verbreiten sie über das ganze Land neue, zukunftskündende Worte."

Die Unglücks-Minister debattierten und überlegten, wie man das Palais seiner gesetzlichen Eigentümerin zurückerstatten könnte. Die bürgerliche, sozialrevolutionäre, menschewistische Presse zeigte hohnlachend ihre faulen Zähne, als Lenin vom Balkon der Kschesinskaja herunter die Losung der sozialistischen Umwälzung in die Massen schleuderte. Aber diese verspäteten Krämpfe vermochten weder Lenins Hass gegen das alte Russland zu vertiefen noch konnten sie seinen Willen zu dessen Vernichtung steigern. Das eine wie das andere war bereits bis zum Höchstmaß entwickelt. Lenin war auf dem Balkon der Kschesinskaja derselbe Lenin wie etwa zwei Monate später in seinem Versteck in einem Heuschober, und wenige Wochen danach als Vorsitzender des Rats der Volkskommissare.

Die internen Differenzen.

Lenin sah gleichzeitig, dass in der Partei selber sich ein konservativer Widerstand – anfangs nicht so sehr politischer als psychologischer Art – gegen den zu unternehmenden Sprung regte. Lenin folgte mit Besorgnis der wachsenden Differenz zwischen der Stimmung der Parteispitzen und der Millionen der Arbeitermasse. Er gab sich nicht einen Augenblick damit zufrieden, dass das Zentralkomitee die These des bewaffneten Aufstandes annahm. Mit allen Kräften und Mitteln, die ihm zu Gebote standen, war er bestrebt, die Partei unter den Druck der Arbeitermassen zu setzen, und das Zentralkomitee der Partei unter den Druck der Parteimitgliedschaft. Er ließ die alten Genossen zu sich in sein Versteck kommen, zog Auskünfte ein, prüfte, veranstaltete Kreuzverhöre, lancierte seine Parolen auf Umwegen – abweichende Ansichten durchkreuzend – in die Partei, nach unten, in die Tiefe, um die Spitzen vor die Notwendigkeit zu setzen, zu handeln und bis ans Ende zu gehen.

Um sich eine richtige Vorstellung von Lenins Haltung in jener Periode zu machen, muss man eines feststellen: Er hatte den unerschütterlichen Glauben, dass die Massen willens und fähig waren, die Revolution zu machen. Ihm fehlte aber die gleiche Überzeugung in Bezug auf den Stab seiner eigenen Partei. Zu gleicher Zeit aber sah er äußerst klar, dass man keine Zeit verlieren durfte. Eine revolutionäre Situation kann man nicht willkürlich so lange konservieren, bis die Partei reif sein wird, sie auszunutzen.

Das haben wir vor kurzem an dem Beispiel Deutschlands beobachten können. Es ist nicht lange her, dass man noch die Meinung hören konnte: wenn wir nicht im Oktober die Macht ergriffen hätten, hätten wir es zwei bis drei Monate später getan. Das ist ein grober Irrtum! Wenn wir nicht im Oktober die Macht ergriffen hätten, dann hätten wir sie überhaupt nicht bekommen. Unsere Kraft vor dem Oktober lag in dem ununterbrochenen Zustrom der Massen, die glaubten, diese Partei würde das tun, was die anderen Parteien nicht zu tun vermochten. Hätten sie in jener Zeit ein Zögern, ein Abwarten unsererseits, ein Missverhältnis zwischen Wort und Tat gesehen, dann hätten sie uns innerhalb von zwei, drei Monaten ebenso den Rücken gekehrt, wie früher den Sozialrevolutionären und Menschewiken. Die Bourgeoisie hätte eine Atempause erhalten. Sie hätte sie für den Friedensschluss ausgenutzt Das Kräfteverhältnis hätte sich radikal verschieben können, und der proletarische Umsturz wäre in unbestimmte Ferne gerückt. Das ist es, was Lenin sah, spürte und begriff. Daher seine Unruhe, seine Besorgnis, sein Misstrauen, sein ungestümes Drängen, das sich für die Revolution als rettend erwies.

Jene Differenzen innerhalb der Partei, die in den Oktobertagen stürmisch zum Ausbruch kamen, traten bereits in manchen früheren Etappen der Revolution hervor. Das erste, grundsätzliche, aber vorläufig noch ruhig-theoretische Vorgefecht ereignete sich gleich nach der Ankunft Lenins in Verbindung mit seinen Thesen.

Der zweite Zusammenstoß fand aus Anlass der bewaffneten Demonstration vom 20. April statt.

Der dritte wegen des Versuches einer bewaffneten Demonstration am 10. Juni: die „Gemäßigten" sagten, dass Lenin sie in eine bewaffnete Demonstration mit der daraus sich ergebenden Perspektive des Aufstandes hinein manövrieren wollte.

Der nächste, bereits schärfere Konflikt brach im Zusammenhang mit den Julitagen aus. Die Meinungsverschiedenheiten gelangten in die Presse.

Eine weitere Etappe in der Entwicklung des internen Kampfes stellte die Frage des „Vorparlaments" dar.3 Dieses Mal traten in der Parteifraktion zwei Gruppierungen offen gegen einander auf. Wurde über jene Sitzung ein Protokoll geführt? Ist es aufbewahrt worden? – Ich weiß davon nichts. Die Debatte war indessen von hervorragendem Interesse. Zwei Tendenzen: die eine für die Machtergreifung, die andere für die Rolle der Opposition in der Konstituierenden Versammlung, kamen damals mit ausreichender Schärfe zum Ausdruck.

Die Anhänger einer Boykottierung des Vorparlamentes blieben in der Minderheit, deren Zahl indessen nicht weit hinter der der Mehrheit zurückblieb. Auf die Debatte in der Fraktion und den angenommenen Beschluss reagierte Lenin aus seinem Versteck mit einem Schreiben an das Zentralkomitee Diesen Brief, in dem sich Lenin in mehr als energischen Ausdrücken mit denen solidarisierte, die für die Boykottierung der „Bulyginschen Duma"4 der Kerenski-Zeretelli eintraten, kann ich im zweiten Teil von Band XIV der „Gesammelten Werke" nicht finden. Ist dieses außerordentlich wertvolle Dokument erhalten geblieben? Den Gipfel erreichten die Differenzen unmittelbar vor der Oktoberetappe, als es darum ging, endgültig Kurs auf den bewaffneten Aufstand zu nehmen und den Termin des Aufstandes festzusetzen. Und schließlich wurden schon nach dem 25. Oktober die Differenzen außerordentlich verschärft durch die Frage einer Koalition mit anderen sozialistischen Parteien.

Es wäre höchst interessant, Lenins Rolle am Vorabend des 20. April, des 10. Juni und der Julitage in allen Einzelheiten zu rekonstruieren. „Wir haben im Juli ziemliche Dummheiten gemacht", sagte Lenin später, sowohl in privaten Unterhaltungen als auch – wie ich mich erinnere – in einer Beratung mit der deutschen Delegation anlässlich der Märzereignisse von 1921 in Deutschland. Worin bestanden jene „Dummheiten"? In der energischen oder zu energischen Durchführung, in dem aktiven, vielleicht zu aktiven Vorfühlen? Ohne solche Erkundungen von Zeit zu Zeit zu unternehmen, kann man hinter der Masse zurückbleiben. Es ist aber andererseits bekannt, dass zu aktive „Erkundungen" bisweilen, ob man will oder nicht, in eine Entscheidungsschlacht übergehen. Das wäre beinahe im Juli passiert. Man hatte indessen noch rechtzeitig abgeblasen. Und dem Feind fehlte in jenen Tagen noch der Mut, die Sache bis zum Ende zu führen. Es war auch kein Zufall, dass ihm der Mut dazu fehlte: die Kerenskiade war eine Halbheit ihrem Wesen nach, und diese feige Kerenskiade lähmte die Kornilow-Bewegung umso mehr, je mehr sie diese Bewegung fürchtete.

* N. N. Suchanow hat in seiner „Geschichte der Revolution" eine besondere Linie von mir, zum Unterschied von Lenins Linie zu konstruieren versucht. Suchanow ist aber als „Konstruktivist" bekannt. Anmerkung des Verfassers.

1 Perewersew war Justizminister der provisorischen Regierung. Er hat nach den Julitagen der Öffentlichkeit bekannt gegeben, die Regierung verfüge über Material, durch das Lenin und seine Genossen als Agenten des deutschen Generalstabes entlarvt würden. Diese Aktion war e», die Trotzki als „chemische Vorbereitung" bezeichnet.

2 Zur Schlichtung der Streitigkeiten zwischen dem Petersburger Sowjet und der Provisorischen Regierung wurde eine sogenannte Kontaktkommission eingesetzt

3 Durch die Kornilow-Bewegung und die anschlie0enden hitzigen Erörterungen in der Öffentlichkeit und in den Sowjets sah die provisorische Regierung sich veranlasst, sich eine Art parlamentarischer Basis zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde ein „Vorparlament" aus Vertretern der inzwischen gewählten Selbstverwaltungen, der Sowjets und anderen öffentlichen Körperschaften zur Beratung der aktuellen Fragen einberufen.

4 Nicht verwirklichtes reaktionäres Projekt eines beratenden Parlamentes aus dem Jahre 1905.

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