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Leo Trotzki 19240705 Zum zehnten Jahrestag des imperialistischen Krieges

Leo Trotzki: Zum zehnten Jahrestag des imperialistischen Krieges

Gegen den Krieg! Gegen die Bourgeoisie! Gegen die Sozialverräterei! Für die Weltrevolution! Für die Diktatur des Proletariats! Für den Kommunismus!

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 4. Jahrgang Nr. 89 (16. Juli 1924), S. 1117-1123]

Es sind zehn Jahre verstrichen, seitdem die Weltbourgeoisie die höllischen Mächte des Militarismus entfesselt hat. Am 1. August 1914 hub das größte Menschengemetzel der Weltgeschichte an. Die regierenden Klassen und ihre Militärstrategen glaubten, der Krieg würde in wenigen Monaten zu Ende sein. Jedoch die von ihnen hervorgerufenen Geschehnisse wuchsen ihnen bald über den Kopf. Die an Zahl unaufhörlich wachsenden Armeen gruben sich gegeneinander in die Erde ein. Die gesamte Arbeitsenergie Europas – und noch weit über Europas Grenzen hinaus – war auf den Kriegsbedarf gerichtet. Man schuf, um zu zerstören, und man zerstörte, um neue Vernichtungswerkzeuge zu schaffen. Vier Jahre, drei Monate und 26 Tage währte dieses niederträchtige und wahnwitzige Beginnen, in dem die kapitalistische Gesellschaft ihren vollendeten Ausdruck gefunden hat.

Proletarier bauten Zerstörungsmaschinen. Proletarier und Bauern wandten sie an. Proletarier und Bauern der verschiedenen Nationen rotteten sich gegenseitig aus. Rückschauend fragt sich jeder von uns: Wie war bloß dieser Wahnsinn denkbar? Aber noch wichtiger und akuter ist eine andere Frage: Droht uns nicht eine Wiederholung dieses Wahnsinns in der Zukunft?

I.

Die Kriegskatastrophe war von langer Hand vorbereitet worden. Die klassenbewussten Arbeiter sahen ihn im Voraus kommen und warnten die werktätigen Massen vor ihm. Den kommenden Krieg verhüten und den Krieg überhaupt unmöglich machen konnte nur der Revolutionskampf, nur die Erhebung der Werktätigen gegen den Imperialismus. Eine solche Erhebung würde, selbst wenn sie die grausamsten Formen angenommen hätte, nicht ein Hundertstel, nicht ein Tausendstel der Menschenopfer und Zerstörung an Gütern erfordert haben, die der Krieg hervorgerufenen hat. Doch die Erhebung erfolgte nicht. Die erdrückende Mehrzahl der sozialistischen Parteien rief die Arbeiter nicht nur nicht zum Revolutionskampf gegen den Krieg auf, sondern sie schloss sich im Gegenteil ihren Regierungen an, erklärte den Krieg ihres Staates als rechtmäßig und gerecht und forderte die werktätigen Massen zur Unterstützung des Krieges auf. Allein dank dieser Unterstützung seitens der Sozialisten erhielt die Bourgeoisie die Möglichkeit, die Massen im Zaum zu halten und den Krieg zu führen. Nur infolge des Verrates der sozialistischen Parteien konnte die Bourgeoisie den Krieg über vier Jahre lang fortsetzen. Nur dank dem Zusammenwirken der sozialpatriotischen Führer mit den Metzgerknechten des Militarismus verlor die Menschheit zehn Millionen Tote und bekam viele Millionen Krüppel. Nur dank der üblen Liebedienerei der Scheidemann und Ebert, der Renaudel und Longuet, der Henderson und Vandervelde erhielt die Bourgeoisie die Möglichkeit, Europa ungehindert zu ruinieren und zu entkräften, alles das zu zerstören, was in Jahrhunderte langer Arbeit, geschaffen worden war.

Der 1. August 1914, der erste Tag des imperialistischen Krieges, der Tag, an dem die sozialdemokratischen Führer offen vor der Bourgeoisie kapitulierten, wird für ewige Zeiten als der finsterste unheilvolle, ehrloseste Tag in der Geschichte der Menschheit bleiben.

Arbeiter und Arbeiterinnen! Bauern und Bäuerinnen! Erinnert Euch dessen, was Euch die Regierenden von den ersten Kriegstagen an sagten und versprachen! Es wurde Euch gesagt, dieser Krieg würde dem Volk eine gesicherte Existenz bringen. Es wurde Euch versprochen, dass es infolge des Krieges keine Lasten des Militarismus mehr geben würde. Es wurde Euch versichert, dieser Krieg wurde der letzte sein. So sprachen zu Euch die Könige, Präsidenten, bürgerliche Minister, Journalisten. Dasselbe wiederholten auf ihre Art die Sozialdemokraten und die patriotischen Führer der Gewerkschaften. Jetzt, am zehnten Jahrestag, könnt Ihr Werktätigen das Fazit voll ziehen. Ihr seht, wie ehrlich man Euer Vertrauen missbraucht hat. Sogar die Siegerstaaten sind unvergleichlich ärmer geworden, als sie vor dem Kriege waren. Doch wenn die Bourgeoisie Euch geprellt hat, so ist das nur in der Ordnung: die Bourgeoisie ist unser unversöhnlicher und erbarmungsloser Feind. Aber Ihr seid auch von denen geprellt worden, die Ihr als Eure Führer angesehen habt. Die Sozialdemokraten, die durch ihre Reden gegen die Bourgeoisie das Vertrauen der Arbeiter gewonnen hatten, schlugen sich am 1. August 1914 auf die Seite der Bourgeoisie und boten ihre ganze Autorität, ihr ganzes Gewicht auf, um ihr zu helfen, das Gemetzel zu Ende zu führen. Das sind die Tatsachen. So sieht die unverblümte Wahrheit aus.

Die Sozialdemokraten verhießen als Ergebnis des Krieges einen gerechten, demokratischen, ehrlichen Frieden zwischen den Völkern. Sie logen. Sie täuschten Euch bewusst und berechnend. Sie mussten ja wissen, dass der Friede von den siegreichen Imperialisten diktiert werden würde. Der ehrlose Krieg, der von der Bourgeoisie unter ehrloser Unterstützung der Sozialdemokraten geführt wurde, konnte nur mit einem ehrlosen Frieden enden. Dieser Friede wurde in Versailles unterzeichnet, wo der siegreiche Räuber dem besiegten Räuber den Fuß auf den Nacken setzte. Deutschland und seine Verbündeten wurden zertreten und zerstückelt.

Um die Versklavung des deutschen Volkes zu rechtfertigen, eine Versklavung, die nicht minder niederträchtig ist als der Krieg selbst, wiederholten die Sozialisten der Siegerländer, die Henderson, Renaudel, Vandervelde und die anderen mit ihrer Bourgeoisie: Deutschland ist dafür bestraft, dass es den Krieg gewollt und hervorgerufen hat. Welch eine Heuchelei und welch ein Stumpfsinn! Selbst wenn es richtig gewesen wäre, dass die Hohenzollern und Habsburger allein für den Krieg verantwortlich zu machen seien – darf man denn ein Volk für die Untaten der Dynastie strafen, von der es bedrückt wurde? Darf man denn das deutsche Proletariat wegen der Verbrechen seiner Bourgeoisie würgen? Die Sozialisten der Ententeländer halten es für gerecht, den deutschen Arbeitern, ihren Frauen und Kindern, Brot und Milch zu entziehen zur Strafe dafür, dass die deutsche Bourgeoisie ihre Brüder, Männer und Väter vernichtet und zu Krüppeln gemacht hat. Aber kann denn ein ehrlicher Mensch bei klaren Sinnen auch nur einen Augenblick lang annehmen, dass die Verantwortung für den Krieg ausschließlich Deutschland und Österreich-Ungarn zufällt? Kennen wir denn nicht den unersättlichen Imperialismus der englischen Bourgeoisie, der Unterdrückerin der Kolonialvölker? Kennen wir denn nicht die widerwärtige Gier der französischen Börse? Hat denn das zaristische Russland nicht im Bunde mit Frankreich und England den Raub Konstantinopels und der Meerengen angestrebt? Der imperialistische Krieg war die Folge des Zusammenpralls der entfesselten Gelüste beider Parteien. Sie alle rüsteten sich zum Krieg. Sie alle wünschten eine neue Aufteilung der Welt herbei. Sie alle strebten nach Raub. Alle gierten nach Beute. Die herrschenden Klassen beider Lager sind für den Krieg verantwortlich, für seine vierjährige Dauer, für seine Opfer und Zerstörungen, für seinen wahnwitzigen Ausgang in Versailles. Eine nicht geringere Verantwortung fällt auf die sozialdemokratischen Politiker, die patriotischen Gewerkschafter, die Spießgesellen der Bourgeoisie, die gedungenen und freiwilligen Agenten des Imperialismus, die sozialistischen Notare des Versailler Friedens und drückt ihnen das Brandmal der Ehrlosigkeit auf.

Ein einziges Land hat an der Versailler Schmach weder als Sieger noch als Besiegter teilgenommen. Die werktätigen Massen des revolutionären Russland hatten, unter Führung der Kommunistischen Partei, die Bourgeoisie gestürzt, die Regierungsgewalt in ihre Hände genommen und das Land aus dem Höllenkreis des Krieges hinausgeführt. Die Regierung der Bolschewiki hatte die eisernen Schränke der zaristischen Diplomatie geöffnet und die Geheimdokumente veröffentlicht, die das verbrecherische Treiben der Ententeeregierungen ebenso wie das der Regierungen des Hohenzollern und des Habsburgers entlarvten. Es unterliegt nun keinem Zweifel mehr, dass, wenn Russland den Krieg, gemeinsam mit der Entente fortgesetzt hätte, wie es die Sozialrevolutionäre und Menschewiki wollten – das vollständig erschöpfte Land eine britisch-französische Kolonie, ein Nordindien geworden wäre. Nur durch die Oktoberrevolution hat Russland seine Rettung gefunden!

Die Werktätigen Deutschlands und Österreich-Ungarns wurden infolge des Krieges ebenfalls rebellisch. Die alten Dynastien wurden gestürzt. Doch die Sozialdemokratie hielt die Arbeitermassen in der ersten Etappe der Revolution zurück. Wenn die deutschen Junker und Kapitalisten nach dem November 1918 ihren Besitz und ihre Macht behalten haben, so verdanken sie dies ausschließlich den Scheidemann, Ebert, Kautsky und all den anderen Führern der deutschen Sozialdemokratie. Dieselben Leute, dieselben Politiker, dieselben Verräter, die vier Jahre lang der bluttriefenden Hohenzollernbande bei der Ausrottung des deutschen Volkes halfen, haben Ende 1918 die Werktätigen von der Beseitigung der Ausbeuter zurückgehalten. Wenn in dem bis in die Grundfesten erschütterten Europa die Macht des Kapitals nach dem Kriege bestehen geblieben ist, so ist dies einzig und allein das Verdienst der II. Internationale, dieses Wächters und Kettenhundes an den Pforten der Bourgeoisie.

II.

Europa hat keinen einzigen heilen Fleck. Deutschland ist wirtschaftlich für Jahrzehnte zurückgeworfen. Die Splitter des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches sind durch Stacheldrahtverhaue voneinander getrennt. Noch schlimmer verhält es sich auf dem Balkan. Frankreich bricht unter den Kriegsschulden und den Lasten des Militarismus zusammen, wie nie zuvor. Italien ist geschwächt und kommt aus Erschütterungen nicht heraus. England kann von seiner wirtschaftlichen Macht der Vorkriegszeit kaum träumen. Die chronische Arbeitslosigkeit frisst wie ein Aussatz an dem Körper Europas. Die numerische Stärke der europäischen Heere und Flotten ist nicht geringer als sie vor dem 1. August 1914 war, aber die Heeresausgaben sind entsprechend der Vervollkommnung der Technik größer geworden.

Der Krieg hat die Bauernschaft Europas, Amerikas und der ganzen Welt schwer getroffen. Die Bourgeoisie jedes Landes hatte ihrer Bauernschaft als Ergebnis des Krieges ein Aufblühen der Landwirtschaft in Aussicht gestellt. Sie versicherte den Bauern, nach diesem „letzten Kriege" würde die schwere Last des Militarismus von den Schultern der Bauernschaft genommen werden. Die Bauernschaft unterlag einem doppelten Betrug. Wenn zu Beginn des Krieges die begüterten Bauern ihre Erzeugnisse zu hohen Preisen verkauften und ihre alten Schulden mit billigem Geld bezahlen konnten, und dadurch reich geworden zu sein schienen, so zerrannen durch das weitere Sinken der Valuta die Gewinne der Bauern in nichts. Der wirtschaftliche Niedergang Europas verringerte die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten und traf nicht nur. die europäische Bauernschaft, sondern auch die amerikanischen Farmer, die zu einer Massenverarmung getrieben wurden. Zu gleicher Zeit wird der Militarismus immer anspruchsvoller und verschwenderischer. Die Last der Kriegssteuern droht den Bauern vollende das Rückgrat zu brechen.

Die im Januar vorigen Jahres erfolgte Besetzung des Ruhrgebietes durch französische Truppen bedeutete eine direkte Fortsetzung des imperialistischen Krieges: der Sieger brachte dem Besiegten den letzten Stoß bei. Die Ruhrbesetzung war ein neuer Schlag für die Wirtschaft Europas und wurde in erster Linie zur Quelle einer weiteren fürchterlichen Zerrüttung Deutschlands und Verelendung seiner Volksmassen. Aber diese selbe Besetzung stürzte auch den Franken in den Abgrund und zeigte somit, dass die Wirtschaft Frankreichs nicht stark genug ist, um die Militärdiktatur der Schwerindustrie über Europa aufrecht zu erhalten. Wie aber konnte die französische Bourgeoisie nach all den Verbrechen, mit denen sie sich am Kriege bedeckt hatte, ihre Truppen nun wieder in das Ruhrverbrechen stürzen? Wie konnte es geschehen, dass die werktätigen Massen Frankreichs und ganz Europas diesen neuen räuberischen Oberfall nicht verhinderten? Arbeiter, denkt darüber nach, und es wird Euch klar werden, dass nur die Unterstützung der Bourgeoisie durch die Sozialisten in Frankreich sowohl wie in Deutschland das militärische Vorgehen im Ruhrgebiet und folglich auch den weiteren Ruin Europas ermöglicht hat. Hier wiederholen wir nochmals: Hätten sich die Arbeitermassen Frankreichs und Deutschlands entschlossen, in einer revolutionären Erhebung die Opfer zu bringen, die allein die Ruhrbesetzung gefordert hat, so wäre die Bourgeoisie gestürzt, der Militarismus zerschmettert; und in Europa könnten Frieden und Schaffen ihren Triumph feiern. Aber gerade in solchen besonders verantwortlichen Stunden, wo es sich um Leben und Tod der Bourgeoisie und um die Geschichte der Werktätigen handelt, zerschlagen die Sozialdemokraten böswillig die Einheitsfront des Proletariats, tragen Unentschlossenheit in die Reihen der Arbeiter, rufen Mutlosigkeit hervor, isolieren die Kommunistische Partei und werden die Schrittmacher der kapitalistischen Reaktion.

Gleichsam in Anerkennung der großen Verdienste, die die Sozialdemokratie dem Kapitalismus im verflossenen Jahrzehnt geleistet hat, stellt die europäische Bourgeoisie zum herannahenden blutigen Jubiläum ihre verdienten, vertrauten, erprobten Menschewiki ans Ruder, bald vollständig, bald teilweise. In England steht gegenwärtig die Regierung der sogenannten Labour Party (Arbeiterpartei) am Steuer, in Frankreich das Kabinett des Linken Blocks, das sich nur mit Unterstützung der Sozialdemokratie halten kann. In Deutschland bildet die Sozialdemokratie eine Stütze der bürgerlichen Regierung. In Dänemark ist das sozialdemokratische Kabinett Stauning an der Macht. In Belgien ist es nicht ausgeschlossen, dass die Partei Vanderveldes, der sich eifrig den Weg bahnt, zur Macht gelangt. Selbst in Italien beginnt die Bourgeoisie das Mussolini-Regiment lästig zu empfinden und bereitet eine reformistische Ablösung vor. Der Faschismus tritt zeitweilig vom Schauplatz ab; er hat gewissermaßen seine Schuldigkeit getan. In den schwersten Zeiten, als das Proletariat an den Grundfesten der kapitalistischen Ordnung rüttelte, als der Machtapparat den Händen der kopflosen Bourgeoisie entfiel, retteten die faschistischen Banden die Situation, indem sie die bankrotte Staatsgewalt ersetzten, alle Konventionen des Parlamentarismus und der Legalität zum Teufel jagten und im Dienste der Bourgeoisie zu Metzeleien, Schießereien, Brandschadzungen griffen. Der Faschismus ist das Hauptwerkzeug des Kapitals in den Stunden der höchsten Zuspitzung des Bürgerkrieges. Sein zweites Werkzeug ist die Sozialdemokratie. Im entscheidenden Augenblick mobilisiert sie alle ihre Kräfte, um den Vorstoß des Proletariats gegen den bürgerlichen Staat zu verhindern. In langen und fruchtlosen Reden verdammt sie den Faschismus, wirft der Bourgeoisie Grausamkeit vor, gleichzeitig aber beschwört sie die Arbeiter, sich der „Greuel des Bürgerkrieges" zu enthalten; sie narrt, umschmeichelt, schläfert ein vergiftet das Bewusstsein, lähmt den Willen, entwaffnet das Proletariat in geistiger Hinsicht und liefert es schließlich den Faschisten aus. So war es in Ungarn. So war es in Italien So war es in Deutschland.

Sobald die Bourgeoisie sich davon überzeugt, dass der revolutionäre Ansturm durch die vereinten Bemühungen des Faschismus und der Sozialdemokratie wieder einmal abgeschlagen ist, halt sie es für zeitgemäß, ein weniger blutiges, ein weniger herausforderndes, normaleres, das heißt in die Lumpen der Legalität gehülltes Regime wiederherzustellen. Wir sind Zeugen eines weitgehenden Dekorationswechsels. Gestern noch standen die Faschisten im Vordergrunde – mit Revolver, Dolch und brennender Zündschnur –, während die Sozialdemokraten ihre Helfersarbeit hinter den Kulissen verrichteten; heute, wo die unmittelbare Gefahr vorüber zu sein scheint, beeilt sich die Bourgeoisie, die Faschisten von der Bühne abzuführen, holt aus den Kulissen die Radikalen, die Reformisten, die Menschewiki die Apostel der Legalität, der Demokratie und des Friedens hervor und stellt sie in den Vordergrund. Der Bourgeois sagt zu dem Menschewik: Deine faschistischen Vettern haben nicht das gebührende Maß eingehalten; es gilt, die Folgen ihrer Arbeit zu glätten und zu mildern; es gilt, die allzu auffallenden Blutspuren abzuwischen; es gilt, Balsam des Trostes in die klaffenden Wunden zu träufeln; es gilt, in den bekümmerten Herzen neue Hoffnungen oder alte Illusionen zu wecken, sonst geht die Hoffnungslosigkeit in Verzweiflung und die Verzweiflung in revolutionäre Empörung über. Deshalb und dazu gelangen sie ans Ruder oder nähern sich der Macht – all die MacDonald, die Blum, die Stauning, die Vandervelde, die Scheidemann und Wels.

Inzwischen setzt der Militarismus automatisch sein Werk fort. Unter der Regierung MacDonald werden neue Schlachtkreuzer erbaut, wird der Bau von Tanks erweitert, wächst die Kriegsluftflotte, mehren sich die chemischen Kriegsmittel. Wozu das alles? Etwa zum Kampfe des englischen Proletariats gegen das Kapital? O nein! Zur Aufrechterhaltung der Macht dies englischen Kapitals über Indien, über Ägypten, über Irland und über das englische Proletariat. Ohne auf etwas zugunsten der Werktätigen zu verzichten, festigt die Bourgeoisie ihre Luftkriegsmaschine mit den Händen der Menschewiki; das französische Ministerium Herriot, das sich auf die Sozialisten stützt, setzt die Kriegs- und Außenpolitik der Millerand und Poincaré fort. Als wir Kommunisten behaupteten, die Verantwortung für die Ruhrbesetzung treffe nicht nur die Bourgeoisie, sondern auch die Sozialdemokraten, haben die Menschewiki aufbegehrt. Jetzt aber sieht die ganze Welt ein, dass die Ruhrbesetzung nur infolge einer Abmachung zwischen Herriot, MacDonald, Blum Vandervelde, Ebert und Wels aufrecht erhalten wird. Die II Internationale ist vor unseren Augen zur Internationale der Ruhrbesetzung geworden.

Die Konservativen, die Faschisten, die Radikalen, und die Menschewiki kommen und gehen, der Militarismus aber bleibt.

Er füllt seine Vorräte auf und mehrt sie noch, er vervollkommnet seine Waffen, er entwirft neue Pläne, er wartet ab, bis sich im Gedächtnis der Völker die brennendsten Erinnerungen an den letzten Krieg verwischen, bis es der Sozialdemokratie gelingt, die Arbeitermassen von Neuem mit dem Gedanken der Unerschütterlichkeit des bürgerlichen Staates zu versöhnen. Dann wird er abermals offen den Weg neuer Welträubereien betreten können. Dann wird die Stunde des neuen imperialistischen Krieges schlagen.

III.

Die Ursachen und Anlässe eines neuen Krieges ergeben sich mit eherner Notwendigkeit aus dem letzten Kriege und dem Versailler Friedensvertrag. Die regierenden Klassen Frankreichs fühlen immer starker, dass das von ihnen in Europa geschaffene Regiment des Terrors nicht lange anhalten kann. Der französische Bourgeois, der reaktionäre wie auch der radikale, fürchtet in gleichem Maße die deutsche Revanche, aber gleichzeitig fordert er sie heraus und bereitet sie vor. Die deutsche Bourgeoisie, die zur Verständigung auf Kosten des Volkes bereit ist, wartet ihrerseits ungeduldig darauf, dass diese Stunde der Revanche schlage. Der Antagonismus zwischen England und Frankreich in Europa und den Kolonien spitzt sich beständig zu. Die diplomatischen Techtelmechtel und Pakte verdecken zwar diesen Prozess, schwächen ihn aber nicht ab. Das Militärprogramm der beiden Verbündeten, insbesondere das Programm der Luftflotte und der chemischen Kampfmittel wird im Hinblick auf den kommenden englisch-französischen Krieg aufgebaut. Während Herriot pazifistisch mit MacDonald girrt, arbeitet der Generalstab in Paris den Plan für die künftigen Flugangriffe auf London aus, und der britische Staat befasst sich mit dem Plan der Gegenvisite.

Die kleineren Staaten Europas stehen hinter den Großmächten an Kraft zurück, nicht aber an Habgier und Bösartigkeit.

Die Kleinstaaten, die schon vor dem Kriege bestanden, büßten den letzten Rest ihrer Selbständigkeit ein, während die neuem Staaten, die aus dem Kriege hervorgingen, mit dem Bleigewicht der Abhängigkeit an den Füßen zur Welt kommen. Die mittleren und Kleinstaaten schließen sich auf Geheiß der Großmächte zu verschiedenen Gruppierungen zusammen. Die in Mitteleuropa gelegenen Staaten fühlen sich zu Frankreich hingezogen, wie der Zuchthäusler sich zum Gefängniswärter hingezogen fühlt. Die kleinen europäischen Küstenstaaten beugen ihren Rücken vor England. So wird sogar die Wahl zwischen den beiden Peitschen nicht vom freien Willen, sondern von der allgemeinen Lage der Kleinstaaten bestimmt. Der letzte Krieg hat die Gebrechlichkeit der Neutralität zur Genüge offenbart. Zweifellos würde ein neuer Krieg schon von den ersten Tagen an die Mehrzahl der kleinen Staaten in den blutigen Wirbel hineinziehen. Der Militarismus der Länder der Kleinen Entente, der Balkanstaaten oder der baltischen Staaten ist eine Hilfsquelle für die Großmächte und gleichzeitig die Quelle einer eigenen Gefahr in den Beziehungen der kleinen Staaten zu einander.

Der mächtigste Weltantagonismus tastet langsam, aber hartnäckig nach der Linie, wo die Interessen des großbritannischen Imperiums mit den Interessen der Vereinigten Staaten Amerikas zusammenstoßen. Es hatte in den letzten zwei Jahren den Anschein, als ob zwischen diesen beiden Giganten eine dauernde Verständigung erzielt worden sei. Aber der Anschein der Dauerhaftigkeit wird nur so lange bestehen bleiben, wie der wirtschaftliche Aufschwung der nordamerikanischen Republik sich hauptsächlich auf der Grundlage des inneren Marktes vollzieht. Diese Entwicklung geht gegenwärtig unverkennbar dem Ende zu. Die Agrarkrise, die dem Ruin Europas erwachsen ist, war der Vorbote der bereits nahenden Handels- und Industriekrise. Die Produktionskräfte Amerikas müssen sich einen immer breiteren Ausweg zum Weltmarkt suchen. Der Außenhandel der Vereinigten Staaten kann sich vor allem auf Kosten des großbritannischen Handels, und die amerikanische Handels- und Kriegsflotte auf Kosten der britischen Flotte entwickeln. Die Periode der englisch-amerikanischen Verständigungen wird einem immer wachsenden Kampfe Platz machen müssen, der seinerseits eine Kriegsgefahr in einem noch nie dagewesenen Ausmaße bedeutet.

Der Antagonismus zwischen Japan und den Vereinigten Staaten behält seine ganze Intensität. Das Erdbeben in Japan hat das Kräfteverhältnis verändert, aber die Feindschaft nicht gemildert. Das Verbot der gelben Einwanderung in die Vereinigten Staaten verleiht dem Kampf der Imperialisten am Stillen Ozean die Tendenz eines Rassenkampfes. Im Falle eines Treffens, zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien wird die Rolle des japanischen Militarismus unvergleichlich aktiver sein als sie im letzten imperialistischen Kriege war.

Die ungezählten Reichtümer der Bourgeoisie der Vereinigten Staaten stellen gegenwärtig überhaupt eine ungeheure Explosionsgefahr dar. Die zeitweise Isolierung der Vereinigten Staaten, die die geraubten Reichtümer zu verdauen suchten, sieht ihrem Ende entgegen. Das nordamerikanische Kapital bedarf der Expansion nach allen Richtungen. Einer seiner Wege führt nach dem Süden. Der Drang nach Mexiko muss sich verstärken, gleichzeitig auch das weitere Eindringen in Südamerika, die Verdrängung des europäischen Kapitals von dort und die volle Unterwerfung Südamerikas. Der Militarismus in den Vereinigten Staaten wird nicht nur zur See, sondern auch auf dem amerikanischen Festlande einen aktiveren und aggressiveren Charakter annehmen.

Das Anwachsen der revolutionären Bewegung im Orient im Laufe des ganzen verflossenen Jahrzehnts verleiht der Kolonialherrschaft der imperialistischen Mächte immer mehr den Charakter einer offenen militärischen Vergewaltigung.

Die konstitutionellen Illusionen, die Versöhnungshoffnungen der geknechteten Massen Indiens verfliegen. Die Parteien des nationalen Liberalismus und der kleinbürgerlichen Utopisterei sinken ins Nichts. Die revolutionäre Bewegung dringt immer mehr in die Tiefe und ergreift immer breitere Massen. Es ist eine feste, zentralisierte, revolutionäre Partei notwendig, die sich dieser Bewegung bemächtigen und dem britischen Imperialismus den Todesstoß versetzen könnte!

Im zerstückelten China haben die imperialistischen Mächte aber durch besoldete einheimische Truppen ein Regime der maskierten militärischen Okkupation eingeführt. Das Streben des chinesischen Volkes nach Einheit und Unabhängigkeit stößt auf Schritt und Tritt auf den Widerstand des japanischen, des amerikanischen und der europäischen Räuber. Der Gesandte MacDonalds in Peking besteht auf der exemplarischen Bestrafung des chinesischen Soldaten, der einen Spaziergang machte in dem Stadtteil, wo nur die weißen Ausbeuter das Recht haben, Luft zu schöpfen. In gerechtem Hass, in kaum verhaltener Erbitterung beben die Herzen der vielen Millionen Chinas. Hier wie in Indien wird unter schweren Prüfungen und wiederholten Versuchen, Widerstand zu leisten, eine revolutionäre Organisation geschaffen, die berufen ist, China von den fremdländischen und von den eigenen Gewalthabern zu befreien.

Frankreich, das die Grenzen seiner Kolonien erweitert hat, macht beharrliche Versuche, die Quellen seines Militarismus zu vermehren, indem es nicht nur die Araber, sondern auch die Neger in das Heer des Kapitals einstellt. Die militärisch ausgebildete Masse der Farbigen soll nicht nur ein Reservoir für künftige Kriege bilden, sondern die schwarzen und gelben Regimenter sollen in den Händen der Bourgeoisie auch zum verlässlichen Werkzeug für die Niederwerfung der proletarischen Revolution in Europa werden.

Die Basis des Militarismus erweitert sich ebenso wie die Basis der Revolution.

IV.

Der Krieg beherrscht auch heute die Menschheit in verhüllter Form. Was ist die neue Lösung der Reparationsfrage, das „Sachverständigengutachten" anderes als die Anwendung der Kriegsmethoden auf die Lösung der grundlegenden wirtschaftlichen Fragen? Amerika, dessen Taschen mit europäischem Geld vollgestopft sind, stützt sich auf die militärische Kraft Frankreichs und schreibt Deutschland ein bestimmtes Wirtschaftsregime vor zur Strafe dafür, dass es sich hat besiegen lassen. Nur ausgemachte Gaukler können behaupten, dass das Sachverständigengutachten eine friedliche, demokratische, pazifistische Lösung der Frage sei. In Wirklichkeit diktiert die Entente ihre Entscheidung mit dem Browning an der Schläfe Deutschlands. Man redet uns vor, dass die Wiederherstellung der europäischen Wirtschaft nur durch das freie Spiel der kapitalistischen Kräfte möglich sei und will dadurch die Idee der sozialistischen Wirtschaftsorganisation verdammen. In Wirklichkeit aber wird die grundlegende Frage der europäischen Wirtschaft gelöst mit Hilfe einer ununterbrochenen militärischen Vergewaltigung Deutschlands, das noch vor kurzem das führende kapitalistische Land Europas war.

Die deutsche Bourgeoisie lässt sich auf diesen Handel ein, weil sie mit Hilfe des ausländischen Kapitals und nötigenfalls mit Hilfe ausländischer Streitkräfte mit dem deutschen Proletariat .fertig zu werden hofft. Sie spannt die Arbeiterschaft immer mehr ins Joch, indem sie ihr die letzten Errungenschaften der Revolution entreißt, die Arbeitszeit verlängert, die Arbeitsintensität erhöht und auf diese Weise den deutschen Arbeiter zwingen will, unter den Verhältnissen der neuen Technik und Produktionskonzentration nochmals alle Lasten, Entbehrungen und Leiden der Epoche der ursprünglichen Akkumulation durchzumachen. Die Entkräftung und Erniedrigung des deutschen Proletariats soll der europäischen Bourgeoisie dazu dienen, die Arbeiterklasse der übrigen Länder in Angst vor der deutschen Konkurrenz zu halten. Endlich schickt sich das amerikanische Kapital mit Hilfe seiner Sachverständigen an, Europa zu „kontrollieren", das heißt in Wirklichkeit, es zu regieren, genau so wie einzelne amerikanische Magnaten Dutzende von Trusts und Eisenbahnen kontrollieren. Zugleich rechnet das amerikanische Kapital darauf, mit Hilfe der europäischen Profite die Spitzen der amerikanischen Arbeiterklasse, ihre Aristokratie, aufzufüttern, die geführt wird von dem größten aller gelben Verräter, Gompers, und Millionen von Proletariern schonungslos zu unterdrücken, unter der Drohung einer neuen Einwanderungswelle aus dem zugrunde gerichteten Europa.

Dieser ungeheuerliche Plan der Versklavung der europäischen werktätigen Massen durch das angelsächsische Kapital mit Hilfe des französischen Materialismus ist von den Parteien der II. Internationale akzeptiert und gebilligt worden. Die Sozialisten der Entente erhalten auf diese Weise einen heuchlerisch-pazifistische Deckmantel für die Raubpolitik ihrer Bourgeoisie, mit der sie in Reih und Glied marschieren. Die deutsche Sozialdemokratie rechnet darauf, dass die Wiederherstellung eines festen kapitalistischen Regimes ihr den Sieg über die kommunistische Gefahr bringen würde. Gleichzeitig erhält sie die Möglichkeit, den Massen gegenüber ihre Arbeitsgemeinschaft mit der deutschen Bourgeoisie aus der Notwendigkeit einer gemeinsamen Abwehr des äußeren Druckes zu erklären. Unter dem Geschrei und Gejammer über kommunistische Verschwörungen und eine „internationale Tscheka" entfaltet sich vor unseren Augen, eine gewaltige Verschwörung des Kapitals gegen die Werktätigen Europas und der ganzen Welt. Organisator der Verschwörung ist das Finanzkapital mit seinem Generalstab in New York und seiner Filiale in London. Die wichtigste vollziehende Arbeit ist den Marschällen der französischen Börse auferlegt. Als Ausleger, als Verteidiger, als Winkeladvokaten der Verschwörung treten die Sozialdemokraten und die Amsterdamer Gewerkschaften auf. Den Sachverständigen des Kapitals kommen die Sachverständigen des Verrats zu Hilfe.

V.

Wir wollen nochmals fragen: was hindert denn bis auf den heutigen Tag die Arbeiter und Bauern, sich einmütig gegen den Militarismus zu erheben, der sie zugrunde richtet? Die internationale Sozialdemokratie, die Menschewiki, die II. Internationale, die Bürokratie der Amsterdamer Gewerkschaften. Das ist die Hauptlehre des imperialistischen Krieges. Das ist die grundlegende Schlussfolgerung aus dem verflossenen Jahrzehnt.

Das verkünden wir Arbeiter, die wir in der Kommunistischen Internationale organisiert sind, offen vor aller Welt. Wir wollen, dass die Werktätigen aller Länder uns hören. Wir wollen, dass unsere Stimme ans Ohr jedes Arbeiters, jeder Arbeiterin in Stadt und Land dringt. Wir wollen die revolutionäre Unruhe in den Herzen der Unterdrückten wecken: seht, die Bourgeoisie bereitet einen neuen Krieg vor und die Sozialdemokratie verrottet Euer Denken, um Euch um so leichter zu verraten und zu verkaufen.

Arbeiter und Arbeiterinnen! Höret hin, sehet zu, denket nach! Vor einigem Wochen haben die Führer der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale in Wien miteinander und mit den Führern der II. Internationale über die Frage der Kriegsgefahr verhandelt. Die Organisation, an deren Spitze die Williams, Jouhaux, Graßmann, MacDonald, Ebert, Noske, Vandervelde stehen, sah sich genötigt, sich mit der Kriegsfrage zu befassen, weil die Kriegsgefahr wieder in der Luft liegt. Und da hören wir nun, wie diese Herren in hochtrabenden Worten versprechen, mit allen Mitteln, bis zum Generalstreik, gegen den Krieg zu kämpfen. Werdet Ihr denn Glauben schenken dieser schmählichen Komödie, in der dieselben Akteure vor Euch zum zweiten Mal dieselbe verräterische Rolle spielen sollen? Auf dem internationalen Kongress in Basel 1912 haben sie ja noch viel feierlicher hoch und heilig geschworen, zur Verhütung des Krieges vor keinem Mittel zurückschrecken … um bald darauf die eifrigsten und zuverlässigsten Handlanger ihrer kriegführenden Bourgeoisie zu werden. Nach dem Kriege dienten sie dem Kapital als Minister oder als treu ergebene Abgeordnete und patriotische Gewerkschaftsführer. Sie hielten und halten die Arbeiter sogar von wirtschaftlichen Streiks zurück! Sie stimmen für das Militärbudget. Und jetzt versprechen sie, gegen den Krieg zu kämpfen! Wie soll man glauben, dass MacDonald, der im Auftrag seiner Bourgeoisie Schlachtkreuzer, Tanks und Flugzeuge mit dem Geld der Arbeitermassen baut, die Arbeiter zum Streik aufrufen wird in der Stunde, wo die Bourgeoisie beschließt, die von MacDonald erbauten Flugzeuge, Tanks und Schlachtkreuzer in Bewegung zu setzen? Wie soll man glauben, dass jener Vandervelde, der seinem König half, Krieg zu führen und seine Unterschrift unter den Versailler Vertrag gesetzt hat, die belgischen Arbeiter zur Erhebung auffordern wird in der Stunde, wo die belgische Bourgeoisie es für nötig findet, sich zur Wahrung der Versailler Eroberungen in den Krieg einzumischen? Wie soll man glauben und trauen, dass Blum und Jouhaux, die Führer des patriotischen Sozialismus und Syndikalismus Frankreichs, die heute die Ruhrbesetzung gutheißen, morgen die Arbeiter zum Generalstreik aufrufen werden, wenn die französische Bourgeoisie zur Festigung der Okkupation zur Waffengewalt greift? Der Mörder hat noch nicht Zeit gehabt, sein Opfer zu verlassen, von seinem Messer trieft noch das Blut, und schon verspricht er feierlich, als furchtbarer Rächer des verübten Mordes aufzutreten! Wo ist der Blinde, wo ist der Wahnwitzige, der es Tim glauben will?

Ihr Werktätigen und Unterdrückten schauet hin, höret zu, denket nach! Die Sozialdemokratie plant zum zehnten Jahrestag des Krieges eine Maskerade des Kampfes für den Frieden, eine Protestkomödie gegen die Kriegsgefahr. Sie wollen Eure Aufmerksamkeit ablenken, Eure Wachsamkeit einschläfern, um Euch desto sicherer an Händen und Füßen zu binden und dem Militarismus auszuliefern. Glaubt ihnen nicht, überführt sie. Richtet an sie in jeder Versammlung die Frage: wenn sie gegen den Krieg kämpfen wollen, warum stimmen sie für das Militärbudget, warum stimmen sie für die bürgerliche Regierung, warum unterstützen sie den kapitalistischen Staat?

Die Erfahrung der zehn Jahre darf nicht ungenützt bleiben. Wir haben in dieser Zeit in allen Weltteilen die Pazifisten beobachtet, die sozialistischen und die bürgerlichen: sie sind einander würdig. Haben wir denn nicht die Pazifisten Amerikas gesehen, die in den ersten Kriegsjahren fromme Tränen über die blutigen Sünder Europas vergossen, daran aber mit allen Kräften Wilson halfen, Europa endgültig niederzuwerfen, um dem kapitalistischen Amerika die Möglichkeit zu.sichern, sich auf Kosten Europas zu stärken und zu mästen? Haben wir denn nicht die französischen Pazifisten, Radikalen und Sozialisten an der Arbeit gesehen, die in den Freimaurerlogen die Brüderlichkeit allen Menschen predigten, nach dem 1. August. 1914 aber zu Predigern der Zerschmetterung und der Aufteilung Deutschlands wurden? Haben wir uns nicht satt gesehen an den deutschen Sozialpazifisten, wie Kautsky, Hilferding und ihresgleichen, die im Frieden tränenden Auges auf den Krieg warten und während des Krieges voller Hoffnung auf den Frieden warten? Diese kläglichen Feiglinge haben sich sogar an Wilson geklammert, wie sie sich heute an die honigtriefende Form der imperialistischen Noten MacDonalds klammern, der sich auf dem Rücken Deutschlands im Pazifismus übt. Zusammen mit dem französischen bürgerlichen Pazifisten Herriot stellt MacDonald die Kontrolle der Entente über die Entwaffnung Deutschlands wieder her und fährt gleichzeitig fort, die Rüstungen Großbritanniens zu verstärken. Während des Friedens sind die Pazifisten für den Frieden: Im Kriege schließen sie sich ohne Vorbehalt ihren Regierungen an. Im internationalen Maßstab rutschen sie auf dem Bauch vor den Starken und helfen ihnen, die Schwachen zu zerdrücken. Die sozialistischen Pazifisten sind durch dieses Jahrzehnt der Kriege und revolutionären Erschütterungen restlos korrumpiert worden. Von ihrer früheren Naivität ist keine Spur mehr vorhanden. Heute sind sie gerissene Geschäftsleute, die mit dem herrschenden Finanz- und Militärklüngel jedes Landes unzertrennbar verbunden sind und die pazifistische Phrase bewusst zur Täuschung der Einfaltspinsel benutzen.

Das Hauptfeld der Tätigkeit der Pazifisten ist heute der Kampf gegen die Revolution und speziell gegen die Rote Armee. Die Pazifisten sind gegen die revolutionäre Gewaltanwendung, gegen den Aufstand, gegen den Bürgerkrieg. Aber die Bourgeoisie ist bewaffnet, der Arbeiter dagegen waffenlos. Dadurch, dass die Pazifisten gegen die Bewaffnung der Arbeiter ankämpfen, unterstützen sie den kapitalistischen Militarismus und bahnen so den Weg für die künftigen Kriege. Um so widerlicher sind ihre Berufungen auf Humanität und Kultur. Wenn man die Pazifisten überführt, dass sie den Militarismus ihrer Bourgeoisie unterstützen, antworten sie stets mit dem Hinweis auf die Rote Armee. Sie wollen damit sagen, dass das Bestehen der Roten Armee, die von den Werktätigen Russlands zum Schutz gegen den Imperialismus geschaffen worden ist, die Bewaffnung der kapitalistischen Staaten zur Ausraubung der Welt und zur Unterdrückung der Revolution rechtfertige. Als die bewaffneten Haufen Frankreichs, Englands, der Vereinigten Staaten und anderer Länder Odessa, Murmansk, Archangelsk, Wladiwostok besetzten, da schwiegen die Pazifisten. Aber sie empörten sich über die Gewalt, die die Revolution gegen die Unterdrücker anwenden musste Die Pazifisten berufen sich jetzt darauf, dass die militärischen Interventionen aufgehört haben und dass ein bürgerlicher Staat nach dem anderen sich genötigt sieht, die Sowjetrepublik anzuerkennen. Es wäre jedoch die größte Dummheit, zu glauben, dass für den Staat der Arbeiter und Bauern keine Kriegsgefahr mehr besteht. Das Wachstum der Kommunistischen Parteien festigt die internationale Lage der Sowjetunion, beunruhigt und erbittert aber andererseits die Imperialisten. In einem bestimmten Augenblick, wo die Revolutionsgefahr sich wieder unmittelbarer geltend macht, kann sie die Imperialisten auf den Weg einer grandiosen militärischen Intervention drängen. Wir haben kürzlich gesehen, wie die deutschen Behörden, erbittert über die kommunistische Gefahr, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetrepublik aufs Spiel gesetzt haben. Das ist ein Omen für die ganze weitere Entwicklung. Zwischen der kapitalistischen Welt und der Republik der Sowjets sind Übereinkünfte möglich, aber keine Aussöhnung. Wie die Regierungen MacDonalds und Herriots in einem bestimmten Augenblick ihren Platz wieder der offeneren und entschlosseneren Reaktion werden räumen müssen, so können und werden auch die Verträge der kapitalistischen Länder mit der Sowjetunion in einem bestimmten Augenblick von neuen Interessen durchkreuzt werden müssen. Das ist der Grund, warum die Rote Armee und die Rote Flotte notwendig sind. Sie beschirmen das größte Aufmarschgebiet der Weltrevolution. Wenn die Sowjetrepublik fiele, würde die Weltbourgeoisie auf Jahrzehnte hinaus gewonnenes Spiel haben. Die Offensive des Kapitals gegen das Proletariat würde keine Grenzen mehr kennen. Aber das wird nicht geschehen, denn die Arbeiter und Bauern der Sowjetunion sind bewaffnet. Die Rote Armee ist der Schild der Unterdrückten und das Schwert der Aufständischen!

VI.

Während die Produktionskräfte Europas in ihrer Entwicklung scharf gehemmt sind, setzt die Kriegstechnik ihre Arbeit unermüdlich fort. Es werden unerhört weittragende Geschütze gebaut. Maschinengewehre und Automaten erhöhen die Feuerstärke der Infanterie um ein Vielfaches. Die Giftgase verdrängen das Dynamit. Die Luftflotte im Bunde mit der Chemie erweitert den zerstörenden Wirkungskreis des Krieges ungeheuerlich. Der Unterschied zwischen dem Heer und der friedlichen Bevölkerung verwischt sich. Küstenbefestigungen und insulare Lage bieten keinen Schutz mehr. Gewaltige Menschenanhäufungen, wie Paris öder London, sind für den Angriff von oben offen. Die Schrecknisse des letzten Krieges erscheinen vor den Blitzen des herannahenden Gewitters als mattes Wetterleuchten. Die ganze technische Macht der kapitalistischen Gesellschaft und ihre ganze soziale Barbarei, die Unentrinnbarkeit ihrer Widersprüche, die Erbitterung ihrer herrschenden Klassen gegeneinander und aller zusammen gegen das Proletariat nehmen die Form einer unermesslichen Menge von giftigen und explosiven Stoffen an, die auf das Haupt der unseligen Menschheit niederzusausen drohen. Ein neuer Krieg würde vor allem den Massenruin der Bauern und Farmer bedeuten, die Entvölkerung und Verödung der Dörfer, die Verwandlung der Äcker, die Generationen lang von Bauernhänden kultiviert wurden, in Ödland und Friedhöfe. Für Europa als Ganzes würde er den Untergang der Kultur, das Scheitern aller Befreiungshoffnungen bedeuten, derentwillen bereits einige Geschlechter des Proletariats kämpften.

Alles, was heute in der menschlichen Gesellschaft geschieht – in der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft, der Kunst – tritt vor der riesenhaften Aufgabe zurück: den neuen Krieg um jeden Preis zu verhüten und dadurch die Menschheit vor Entartung und Untergang zu retten.

Das zu vollbringen, vermögen nur die Werktätigen unter Führung des revolutionären Proletariats. Keine Repressalien, keine Kräfte des Militarismus werden etwas ausrichten, wenn das Proletariat sich in geschlossener Front gegen den Krieg erhebt. Die Mordmaschinen sind tote Gegenstände, wenn nicht der Mensch sie in Bewegung setzt. Dieser Mensch ist in seiner überwiegenden Mehrheit Arbeiter oder Bauer. Ihr seid es, Werktätige! Von Euch hängt das Schicksal des Krieges und folglich auch Euer eigenes Geschick ab.

Der Kampf gegen den Militarismus kann nicht auf die Stunde des Kriegsausbruches verschoben werden, denn dann wird es zu spät sein. Der Kampf gegen den Krieg muss jetzt, sofort, tagaus, tagein geführt werden. Die erste Bedingung dieses Kampfes ist, dem kapitalistischen Staat das Budget, das Vertrauen, die Unterstützung zu verweigern. Der Sozialist, der in eine bürgerliche Regierung eintritt, der Abgeordnete, der der Bourgeoisie hilft, Steuern einzutreiben oder die Arbeiter und Bauern in den Militärdienst zu stellen, ist ein Verräter und Treubrüchiger. Für ihn kann es in den Reihen der Arbeiterklasse keinen Platz geben. Man soll sie aus den Gewerkschaften jagen, diese Führer, die direkt oder indirekt den Militarismus fördern, ihn rechtfertigen, sich mit ihm solidarisieren. Man soll die proletarischen Organisationen von den politischen Streikbrechern säubern. Es gilt, alle werktätigen Männer und Frauen daran zu erinnern, wie der letzte Krieg vorbereitet wurde und wie die Sozialdemokraten den Generalen des Imperialismus halfen, vier Jahre lang die Arbeiter und Bauern zu vertilgen. Es gilt, sich unermüdlich an die Jugend in Stadt und Land zu wenden! Die unmenschlichen Leiden der Väter und älteren Brüder im imperialistischen Kriege müssen sich in den glühenden Hass der Arbeiter- und Bauernjugend gegen die Kriegsschuldigen verwandeln. Die Jugend soll in die kapitalistischen Armeen eintreten mit der inneren Bereitschaft, die Waffe nicht gegen die proletarischen Brüder zu richten, sondern gegen den Klassenfeind – die Bourgeoisie. Man muss unermüdlich die künstliche Scheidewand zerstören, die zwischen der Armee und der Arbeiterklasse aufgerichtet wird. Die Verbindung mit der Kaserne muss aufrecht erhalten werden. Die Worte der Wahrheit mögen ans Ohr eines jeden Soldaten dringen. Man muss die bewussten Soldaten zu kleinen Gruppen zusammenschließen. An den Eisenbahnen muss man revolutionäre Organisationen aus den besten und mannhaftesten proletarischen Kämpfern bilden. Man muss den Kriegsindustriewerken besondere Aufmerksamkeit zuwenden. In allen diesen Betrieben müssen feste Kampfzellen bestehen, die imstande wären, im entscheidenden Augenblick die gesamte Arbeitermasse mit sich zu reißen. Die Bourgeoisie hat weder vor den pazifistischen Predigten, noch vor den sozialdemokratischen Drohungen mit dem Generalstreik Angst. Dafür aber zittert die Bourgeoisie vor Hass und Furcht bei jeder Nachricht über eine kleine illegale Zelle an den Eisenbahnen, in den Betrieben der Kriegsindustrie und insbesondere im Heer und in der Flotte. Die Bourgeoisie weiß, dass nicht nur die Arbeiter und Bauern allein, sondern auch die Soldaten den Krieg nicht wollen und dass nur ihre Getrenntheit voneinander und ihr Mangel an Selbstvertrauen sie nötigt, gehorsam zur Schlachtbank zu gehen. Die Bourgeoisie weiß, dass ein kleiner, aber fester Kern in jedem Regiment im entscheidenden Augenblick eine entscheidende Rolle spielen kann. Daher verfolgt jede kapitalistische Regierung, welches demokratische Aushängeschild sie auch haben mag, schonungslos die wahrhaft revolutionäre Arbeit, und daher ist es Pflicht und Schuldigkeit eines jeden Revolutionärs, seine Bemühungen auf diesem Wege zu verdoppeln und zu verzehnfachen. Nur jene Partei kämpft wirklich gegen den Krieg, die tagaus, tagein den unversöhnlichen Kampf gegen die Bourgeoisie führt; jene Partei, die die Werktätigen in diesem Kampfe zusammenschließt: die den Staat des Kapitals hassen lehrt; die die Massen in diesem Hass stählt; die die notwendigen Kräfte und Mittel für den Kampf vorbereitet; die für die Revolution Stützpunkte in der Kaserne schafft. Diese leitende Kraft ist die Kommunistische Partei jedes Landes. Die Kampfgesamtheit dieser Parteien ist die Kommunistische Internationale. Wir Delegierten dieser Internationale, die wir uns zum fünften Male zu unserem Weltkongress in Moskau versammelt haben, das durch den Kampf der Arbeiter und Bauern befreit worden ist, wenden uns an Euch, Werktätige der ganzen Welt, mit diesen Worten der Erinnerung, der Warnung und des Aufrufes!

Siegen kann man nur, wenn man den Sieg will und an den Sieg glaubt. Siegen kann man nur, wenn man sich um eine Partei schart, die zum Siege führen will und kann.

Werktätige! Möge die Frage des Krieges zum Prüfstein werden, an dem Ihr die Treue der Parteien und Führer erprobt. Wahrlich, die Werktätigen sind genug irregeführt worden durch Worte, Phrasen, Versprechungen, durch die hochtrabenden Lügen der Demagogie. Fordert Taten, prüfet an Tatsachen! Nieder mit den Quacksalbern des Pazifismus, die im Frieden einen Wortkrieg gegen den Krieg führen und sich bei der ersten Geschützsalve in chauvinistische Aasgeier verwandeln. Nieder mit jenen Sozialisten, die in Zeitungen und Versammlungen das Joch der Bourgeoisie geißeln, aber in allen für die Bourgeoisie schweren Tagen ihre beste Stütze bilden. Nieder mit den gelben Amsterdamer Gewerkschaften, die ihre Direktiven von den bürgerlichen Ministern und den Magnaten des Kapitals erhalten. Nieder mit den Verrätern, die für das bürgerliche Budget stimmen, die die kapitalistischen Armeen aufbauen helfen, die den bürgerlichen Staat schützen, die Kolonialsklaverei unterstützen und dadurch neue Kriege vorbereiten. Nieder mit den menschewistischen Führern der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen! Jagt sie davon, entlarvt sie, boykottiert sie, vertreibt sie aus den Reihen der Arbeiterklasse! Seht genau hin, vergleicht, traut nicht den Worten, prüfet an Hand der Taten – und Ihr werdet Euch davon überzeugen, dass es nur eine Partei gibt, die bereit ist, Euch in den Kampf zu führen, und imstande ist, Euch den Sieg zu sichern: das ist die Kommunistische Partei. Blickt auf Russland: in diesem rückständigen Lande, das sich über unabsehbare Flächen erstreckt, hat die vom Genie Lenins geschaffene revolutionäre Partei es nicht allein verstanden, ihre Bourgeoisie niederzuwerfen, sondern auch die Macht der Werktätigen gegen zahllose Feinde zu behaupten. Unter den allergrößten Schwierigkeiten, die durch die Rückständigkeit des Landes, das niedrige Kulturniveau und die riesigen Ausmaße der Zerstörungen in den zwei aufeinander gefolgten Kriegen erzeugt wurden, fügen die Arbeiter und Bauern Stein auf Stein, zum Gebäude der sozialistischen Gesellschaft.

Ihr, Proletarier Europas und Amerikas, könntet auf diesem Wege unvergleichlich Größeres vollbringen als das Proletariat Russlands, denn Ihr seid zahlreicher und Eure Länder sind reicher. Um eine unüberwindliche Macht zu werden, müsst Ihr nur Eure Kraft einsehen und sie anzuwenden verstehen. Das lehrt Euch die internationale Kommunistische Partei. Folget ihr nach!

Und Ihr, ruinierte und unterdrückte Bauern, schließt Euch unserem großen Bunde an! Die im vorigen Jahr gegründete Bauerninternationale widmet alle ihre Kräfte voll dem Kampf gegen den Militarismus und die Gefahr eines neuen Krieges.

Bauern Europas! Farmer Amerikas! Ackerbauern der ganzen Welt! Es handelt sich um das Schicksal Eurer Wirtschaft, um die Köpfe Eurer Söhne! Erhebt Euch, vereinigt Euch, schließt Euch der revolutionären Arbeiterklasse an! Einen anderen Weg, eine andere Rettung gibt es für Euch nicht!

Die Frauen – die Schwestern, die Ehefrauen und die Mütter – sie tragen an der ungeheuren Last des Militarismus und des Krieges weniger bemerkbar als die Männer, aber nicht weniger schwer. Der vierjährige Krieg, der die Arbeiterfamilie zerstört und die Bauernwirtschaft untergraben hat, hat die schaffende Frau zu einem Lasttier des Kapitalismus gemacht. In den Herzen der Mütter, Frauen und Schwestern hat das Gemetzel fürchterliche Narben hinterlassen. Nach all dem, was die werktätige Frau in diesen Jahren erlitten hat, muss sie in den ersten Reihen des Kampfes gegen den Krieg und das Kapital stehen.

Arbeiterinnen! Bäuerinnen! Euer Platz ist an unserer Seite! Wir warten auf Euch und wir rufen Euch!

Die revolutionäre Aufklärung der Kolonialvölker wird für das Proletariat zur Lebensfrage. Wenn die Bourgeoisie bestrebt ist, durch die Unterdrückung der Kolonien die Unterdrückung des Proletariats aufrecht zu erhalten und zu verewigen, so müssen wir unsererseits den Aufstand der Kolonien zu Hilfe rufen für den Aufstand des Proletariats.

Die nationalen und Rassenvorurteile sind ein Produkt der Sklaverei und nähren das Sklaventum. Die offene oder versteckte chauvinistische Gesinnung ist die beste Stütze des Militarismus und ein sicheres Mittel zur Vorbereitung künftiger Kriege. Es gilt, den nationalen Vorurteilen und dem Rassenhochmut den schonungslosesten Kampf anzusagen. Nicht nur die direkte Feindseligkeit, die geringschätzige Behandlung, das ironische Verhalten, sondern auch der gönnerhaft herablassende Ton der Weißen gegenüber den Gelben oder Schwarzen muss von der öffentlichen Meinung der Werktätigen scharf abgelehnt werden als widerliche Verletzung der Solidarität, als böswilliges Streikbrechertum. Der Kampf der Klassen darf nicht durch Chauvinismus vergällt und entstellt werden. Man muss den Werktätigen der Kolonien lehren, im weißen Arbeiter seinen Bruder zu sehen. Dazu aber muss der weiße Proletarier lernen, sich gegenüber der farbigen Bevölkerung der Kolonien brüderlich zu verhalten.

Proletarier Europas! Mehr Aufmerksamkeit für die Kolonialfrage, mehr Kräfte für die revolutionäre Arbeit in den Kolonien! Von dort aus, wo die Bourgeoisie ihre zuverlässige Stütze finden möchte, muss ihr einer der empfindlichsten Schläge beigebracht werden.

Werktätige der Kolonien! Sklaven des Imperialismus! Unsere Brüder! Erwachet zum Kampfe und zur Unabhängigkeit! Die Kommunistische Internationale ist mit Euch!

Unsere nächste, unsere erste, dringendste Aufgabe im Kampf gegen den Krieg ist gegenwärtig der Kampf gegen die Verschwörung der kapitalistischen Gewalttäter, die den harmlosen Namen „Sachverständigengutachten" trägt. Hier wie überall muss sich der erste Schlag gegen die Sozialdemokratie richten. Sie schreckt die Arbeiter mit der furchtbaren Macht Amerikas. Sie fordert von ihnen Unterwerfung und Gefügigkeit. Sie prophezeit Europa, und vor allen Dingen Deutschland, den Untergang, wenn es sich der Unterordnung unter das amerikanische Kapital entzieht. Wir Kommunisten aber sagen den Werktätigen Europas: Eure Rettung liegt im unversöhnlichen Krieg gegen das Sachverständigengutachten, gegen seine Vollbringer und Verteidiger. Es gilt, die Sozialdemokratie aus dem Weg zu räumen, es gilt, die Bourgeoisie zu stürzen, es gilt, die Macht zu ergreifen und sie auf das sozialistische Geleise zu lenken. Wenn Sowjetrussland sich durch eine Reihe von Jahren hindurch siegreich gegen das kapitalistische Europa und Amerika zusammengenommen behaupten konnte, so wird der Sieg des europäischen Proletariats um so sicherer sein, wenn es nach Eroberung der Macht die Staaten Europas zu einer Sowjetföderation, zu den Vereinigten Arbeiter- und Bauernstaaten Europas zusammenschließen wird. Dadurch wird nicht nur die europäische Kultur vor Niedergang und Stagnation gerettet, nicht nur die Freiheit und Selbständigkeit der Kolonial- und Halbkolonialländer gesichert sein, sondern es wird auch dem Weltabsolutismus des amerikanischen Kapitals der Todesstoß versetzt werden. Die revolutionäre Bewegung in Amerika wird einen ungeheuren Aufschwung erleben. Die europäische Sozialistische Föderation wird auf diese Weise zum Eckstein der Sozialistischen Weltrepublik werden. Erst von diesem Zeitpunkt an wird die Menschheit die Möglichkeit erhalten, menschlich zu denken und zu handeln; die Weltwirtschaft wird auf den Grundlagen der Solidarität und der Vernunft organisiert sein, der Weltverkehr wird zum .brüderlichen Austausch materieller und geistiger Güter zwischen den einzelnen Erdteilen und Völkern werden. Die Kriege werden der Vergangenheit angehören, denn es wird für sie keine Ursachen mehr geben. Die Armeen werden mit den Kriegen zusammen verschwinden. Alle Anstrengungen der Menschen werden auf das Reichwerden unseres Planeten, auf die Verbesserung und! Verschönerung des menschlichen Lehens gerichtet sein.

Das ist die Aufgabe der Kommunistischen Internationale – eine grandiose, aber erfüllbare Aufgabe. Der Weg zu ihrer Verwirklichung ist von Marx und Lenin gewiesen worden. Es ist der Weg des harten Kampfes in jedem Lande gegen die Bourgeoisie dieses Landes, es ist der Weg der Verknüpfung des Kampfes des Proletariats der verschiedenen Länder zur Ergreifung der Macht und zur Aufrichtung der Diktatur des Proletariats. Wer da sagt, dass es andere Wege gebe, der belügt Euch. Die Kommunistische Internationale dient der Sache des Proletariats dadurch, dass sie ihm die Wahrheit sagt. Möge diese Wahrheit überall ertönen als Sturmglocke des Revolutionskampfes!

Gegen den Krieg, gegen die Bourgeoisie, gegen die Sozialverräter – für die Weltrevolution, für die Diktatur des Proletariats, für den Kommunismus!

Das Präsidium des V. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale:

Sinowjew, Vorsitzender.

Clara Zetkin.

Stalin, Bucharin, Trotzki (Russland);

Thälmann, Gebhardt (Deutschland!);

Treint, Sellier (Frankreich);

Bordiga (Italien);

Smeral, Muna (Tschechoslowakei);

Steward (England);

Kolarow (Balkan);

Krajewski (Polen);

Wynkoop (Holland);

Katayama (Japan);

Roy (Indien);

Dunne (Amerika).

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