Die Methode der Zahlengewinnung

Die Methode der Zahlengewinnung

Die Kommission wandte drei Hauptmethoden an: 1. die Methode der dynamischen Koeffizienten, die durch Analyse der tatsächlichen Entwicklung unserer Volkswirtschaft in den letzten Jahren ermittelt wurden; 2. die Methode der Sachverständigengutachten über die ökonomisch und technisch erreichbaren Resultate der volkswirtschaftlichen Einzelgebiete im kommenden Jahr; 3. die Methode der Kontrollvergleichungen, d. h. die Vergleichung der gewonnenen Resultate untereinander sowie mit den entsprechenden Vorkriegsziffern."

[I.] Die Methode der dynamischen Koeffizienten.

Bei der Gewinnung der dynamischen Koeffizienten handelte es sich darum, aus dem verfügbaren Tatsachen- und Zahlenmaterial Schlussfolgerungen über Art und Tempo der Entwicklung zu ziehen und auf diese Weise die Zahlen für das kommende Jahr zu ermitteln. Hierbei stützte sich die Kommission auf eine Reihe interessanter Gesetzmäßigkeiten.

So zeigte sich, dass in der Periode der Wirtschaftszerrüttung die Wirtschaftszweige komplizierterer Organisation und höherer Technik am stärksten gelitten hatten (z. B. Metallbearbeitung), während die organisatorisch und technisch einfacheren Produktionszweige (Landwirtschaft, Handwerk) sich besser zu behaupten vermochten. Ebenso zeigte die Erzeugung der Produktionsmittel eine fast völlige Lähmung, während die dem notwendigen Bedarf dienenden Industriezweige (Ernährung, Heizung, Kleidung) die geringste Desorganisation aufwiesen. Dementsprechend erfasst der Wiederaufbauprozess einen Industriezweig um so früher, je lebenswichtiger seine Produktion ist, und unter sonst gleichen Bedingungen ist das Tempo des Wiederaufbaus um so schneller, je stärker die vorhergehende Desorganisation war.

So gelangt z. B. die am wenigsten gestörte Landwirtschaft als erste auf den Weg der Gesundung und Kräftigung, wobei jedoch das Tempo ihres Wachstums langsamer verläuft, als im Falle der Industrie. Weiter war in der Periode des Kriegskommunismus eine besonders tiefgreifende Zerrüttung des Geldwesens zu konstatieren. Der Kredit war absolut gestört. Es ist nun klar, dass unter der neuen ökonomischen Politik die Geldmasse bedeutend rascher wächst, und wachsen muss, als die Warenmasse und der Kredit wiederum schneller als die Geldmasse. Die Kommission betont jedoch, dass die mit dem verschiedenen Entwicklungstempo auftretenden Disproportionalitäten keinesfalls Störung der Volkswirtschaft sind, sondern immanentes Gesetz des Wiederaufbaus.

Von ganz besonderem Interesse ist die Feststellung, dass, so groß auch die Schwankungen im Einzelnen sein mögen, auf verschiedenen Gebieten durch alle Veränderungen hindurch bestimmte gleichmäßige Zahlenverhältnisse bestehen bleiben. An erster Stelle steht hier die Tatsache, dass das Wertverhältnis der landwirtschaftlichen und industriellen Warenmasse ganz eng um die Proportion 37:63 herum pendelt. Es liegt auf der Hand, dass derartige Feststellungen für die Beurteilung und Richtungsgebung künftiger volkswirtschaftlicher Entwicklung von größter Bedeutung sind.

[II.] Methode der „Sachverständigengutachten".

Bei Einholung der Sachverständigengutachten zeigte sich, dass sie meist mit den Vorausberechnungen der Kommission übereinstimmten, besonders darin, dass im kommenden Jahre eine 100-prozentige Ausnutzung der vorrevolutionären Wirtschaftsbasis (konst. Kapital) erreicht werden wird. In einer Reihe von Industriezweigen glaubten die Sachverständigen, diesen allgemeinen Schluss durch gewisse Schranken, „Limitierungen", begrenzen zu müssen. Darunter:

1. die Aufnahmefähigkeit des Marktes. Diese Schranke gelte namentlich für die Salz- und Metallindustrie;

2. Verfügbarkeit von einheimischen Rohstoffen (Schranke für die Tabak- und Wollindustrie; Arbeitsvieh in der Landwirtschaft usw.);

3. Einfuhrmöglichkeiten (Gummi- und Lederindustrie; Einfuhr von Pferden und Traktoren);

4. Finanzielle Möglichkeiten (Auslandsvalutabeschaffung usw.)

Weiter wurde auf etwaigen Mangel an qualifizierten Arbeitern, technischen Einrichtungen usw. hingewiesen.

Die Kommission machte sich die Auffassungen der Sachverständigen in dieser Hinsicht keineswegs ganz zu eigen; sie ist der Meinung, dass die fraglichen Urteile die Möglichkeiten der einzelnen Wirtschaftszweige zu isoliert auffassten und nicht genügend die Kräfte und Mittel berücksichtigten, die aus dem Gesamtniveau der Volkswirtschaft resultieren. Die Kommission sagt:

„… sie konnte den einzelnen einschränkenden Faktoren der Spezialisten keine selbständige Bedeutung zuerkennen. So ist die Aufnahmefähigkeit des Marktes für diese oder jene Produkte keine gegebene, sozusagen durch die Natur fixierte Größe, sondern meist eine Funktion der Preispolitik, deren Möglichkeiten wiederum in letzter Instanz durch den allgemeinen Stand der Produktivkräfte des Landes bestimmt werden. Dasselbe trifft entsprechend für Export und Import zu. Der Zustand der technischen Einrichtungen ist nur insoweit eine Schranke, als die finanziellen Hilfsquellen, d. h. der Grad der nationalen Akkumulation, eine Erneuerung in breitem Maßstabe ausschließen."

Auch der Mangel an qualifizierten Arbeitern könne dort unschwer überwunden werden, wo es sich um wenig zahlreiche Kategorien von Spezialisten handelt, die vom Ausland gewonnen werden können.

Mit einem Worte: die Bedeutung der einzelnen Faktoren kann nicht durch isolierte Analyse, sondern nur im Gesamtzusammenhang der volkswirtschaftlichen Entwicklung eingeschätzt werden. In diesem Sinne ist als Universalgrenze der Umfang der nationalen Akkumulation in ihrer materiellen Form anzusehen, d. h. die Gesamtheit aller neu produzierten Güter, die, nach Deckung der Erfordernisse der einfachen Reproduktion, zurückbleiben und so die materielle Basis der erweiterten Reproduktion und Rekonstruktion darstellen."

Die heute greifbaren Zahlen für eine solche Feststellung der Akkumulation seien natürlich noch knapp. Soweit die Kommission sich hier auf konkretes Material stützen konnte, kam sie zu dem Resultat: im kommenden Jahre sei noch der größere Teil der verfügbaren Mittel für den Wiederaufbau der Wirtschaft erforderlich und nur der kleinere Teil könne für Neuanlagen verwendet werden. Ferner:

Als eine Schranke von selbständiger Bedeutung ist das Niveau der Weltmarktpreise anzuerkennen."

Der autarke Charakter der vergangenen Wirtschaftsjahre schaltete den Einfluss der Weltmarktpreise aus.

Jetzt, wo sich Import und Export so intensiv entwickeln, dass die Vorausbilanz des kommenden Jahres hier mit zwei Milliarden Rubeln rechnet, ist der Weltmarkt für uns nicht mehr gleichgültig, und unsere innere Preispolitik wird ernstlich mit dem Preisniveau des Weltmarkts zu rechnen haben."

Diese Erwägung veranlasste die Kommission, in ihre Orientierungsziffern eine ziemlich erhebliche Senkung des allgemeinen Warenpreisindex einzusetzen."

III. Methode der vergleichenden Kontrolle mittels der Vorkriegsziffern.

Jene – durch Untersuchung der dynamischen Entwicklungsreihen und Sachverständigengutachten gewonnenen – Zahlenperspektiven wurden mit den Vorkriegsziffern als letzter Kontrollinstanz verglichen. Trotz ihrer Bedeutung wurden die Vorkriegsziffern nicht mechanisch und ungeprüft benutzt, sie wurden angesichts des ganzen Umschwungs, der neuen Aufgaben und Ziele nur als bedingter Maßstab betrachtet. Dies gilt besonders für solche Gebiete, wo schon eine tiefer greifende Umgestaltung zu verzeichnen ist, wie z. B. für die Waren- und Geldzirkulation, die unter dem Zarismus anderer Art war. Ebenso liegt es mit den Arbeitslöhnen und zwar namentlich derjenigen Schichten, die innerhalb der alten staatlichen Struktur einer besonderer Verknechtung und Ausbeutung ausgesetzt waren und deren Verhältnis innerhalb der übrigen Arbeitergruppen jetzt eine Besserung erfahren hat.

Der Wert der Vorkriegsziffern zeigte sich namentlich auf den Gebieten, wo die ersten beiden Methoden nur unvollkommene Resultate zu liefern vermochten.

Die mechanische Übertragung der Koeffizienten der „berechneten" Wirtschaftszweige auf die übrigen hätte zu Unrichtigkeiten nicht nur für diese unberechneten, ihrer Bedeutung nach an zweiter Stelle stehenden Zweige geführt, sondern auch für die gesamte Industrie. Ohne den Vergleich mit den Vorkriegsziffern hätten derartige Unrichtigkeiten leicht der Aufmerksamkeit der Kommission entgehen können."

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