Die sozialistische Entwicklung und die Mittel des Weltmarktes

Die sozialistische Entwicklung und die Mittel des Weltmarktes

Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus, im Gegensatz zum privatwirtschaftlichen, können Papierwerte an und für sich einen Produktionsaufschwung nicht fördern, genau so wenig, wie der Schatten eines Menschen seinen Wuchs vergrößern kann. Vom weltwirtschaftlichen Standpunkt aus liegt die Frage schon anders. Die amerikanischen Banknoten können an und für sich nicht einen einzigen Traktor erzeugen; aber wenn eine gehörige Anzahl solcher Banknoten dem Sowjetstaate gehört, so kann man aus den Vereinigten Staaten Traktoren einführen.

Gegenüber der kapitalistischen Weltwirtschaft verhält sich der Sowjetstaat wie ein – gigantischer – Privateigentümer: er exportiert seine Waren, importiert fremde, nimmt Kredit in Anspruch, kauft ausländische technische Hilfsmittel; schließlich zieht er das ausländische Kapital in Form von gemischten Gesellschaften und Konzessionen heran.

Der „Wiederaufbau"-Prozess hat uns auch wieder in unsere Weltmarktrechte eingesetzt. Man darf wahrlich nicht einen Augenblick die starke gegenseitige Verstrickung vergessen, die zwischen der Wirtschaft des kapitalistischen Russlands und dem Weltkapital bestanden hat. Es genügt, daran zu erinnern, dass fast zwei Drittel unserer Fabrik- und Betriebseinrichtungen aus dem Ausland eingeführt wurden. Ein Verhältnis, das sich auch heute kaum beträchtlich verändert hat. Das bedeute, dass es für uns wirtschaftlich kaum vorteilhaft sein wird, in den nächsten Jahren im eigenen Lande mehr als etwa zwei Fünftel oder höchstens die Hälfte der Maschinerie zu produzieren. Wenn wir unsere Mittel und Kräfte auf einem Ruck auf die Produktion neuer Maschinen umstellen wollten, so würden wir entweder die notwendigen Proportionen zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen und zwischen dem Grund- und Umlaufskapital in ein und demselben Wirtschaftszweig stören oder wir würden – wenn wir diese Proportionen einhalten – das Tempo des wirtschaftlichen Wachstums stark herabdrücken. Eine Verlangsamung des Tempos aber ist für uns viel gefährlicher als die Einfuhr ausländischer Maschinen sowie überhaupt aller notwendigen ausländischen Waren.

Wir entlehnen die ausländische Technik, die ausländischen Produktionsrezepte. Immer mehr Ingenieure von uns fuhren nach Europa und Amerika, und die unter ihnen, die Blick haben, bringen von dort alles mit, was unseren wirtschaftlichen Aufschwung zu beschleunigen geeignet ist. Wir gehen immer mehr zum Erwerb, zu direktem Kauf ausländischer technischer Hilfe über, indem wir unsere Trusts mit hervorragenden ausländischen Firmen verbinden, die die Verpflichtung übernehmen, innerhalb einer gewissen Frist bei uns die Produktion bestimmter Erzeugnisse zu entfalten.

Die entscheidende Bedeutung des Außenhandels für unsere Landwirtschaft ist klar. Die Industrialisierung und folglich auch die Kollektivierung der Landwirtschaft wird parallel mit dem Wachsen unseres Exportes fortschreiten. Gegen die Produkte der Landwirtschaft erhalten wir landwirtschaftliche Maschinen oder Maschinen zur Produktion landwirtschaftlicher Maschinen.

Doch es handelt sich nicht nur um Maschinen. Jedes ausländische Produkt, das bei uns eine bestimmte Lücke im Wirtschaftssystem ausfüllen kann, sei es Rohmaterial, sei es Halbfabrikat oder Gebrauchsgegenstand, kann unter gewissen Umständen das Tempo unseres Wirtschaftsaufbaus beschleunigen und ihn damit erleichtern. Natürlich kann die Einfuhr von Luxusartikeln, von Gebrauchsgegenständen parasitärer Art unsere Entwicklung nur aufhalten. Dagegen wird eine Einfuhr der einen oder anderen Gebrauchsgegenstände zur rechten Zeit, insofern diese dazu dienen, das notwendige Gleichgewicht auf dem Markte herzustellen und die Lücken in dem Arbeiter- oder Bauernbudget auszufüllen, unsere allgemeine ökonomische Vorwärtsbewegung nur beschleunigen.

Im vom Staate geleiteten Außenhandel, der die Arbeit der staatlichen Industrie und des Innenhandels elastisch ergänzt, besitzen wir ein mächtiges Werkzeug zur Beschleunigung unseres wirtschaftlichen Aufschwungs. Die befruchtende Wirkung des Außenhandels wird selbstverständlich um so größer sein, je ausgebreitetere Kreditmöglichkeiten er sich auf dem Weltmarkte erobern wird.

Was bedeutet der ausländische Kredit für unsere wirtschaftliche Dynamik? Der Kapitalismus leistet uns Vorschüsse auf die Akkumulation, die noch nicht da ist, die wir erst noch schaffen müssen – in einem, zwei oder in fünf Jahren. Dadurch erweitert sich die Basis unseres Aufschwungs über den Rahmen unserer bis heute angesammelten materiellen Mittel hinaus. Wenn wir mit Hilfe eines europäischen technischen „Rezeptes" den Produktionsprozess beschleunigen können, so können wir dies um so mehr mit Hilfe einer europäischen oder amerikanischen Maschine, die wir auf Kredit erhalten. Die Dialektik der geschichtlichen Entwicklung führt dazu, dass der Kapitalismus für eine gewisse Zeit Gläubiger des Sozialismus wird. Nun, hat denn nicht auch der Kapitalismus sich an den Brüsten der Feudalwirtschaft groß gesaugt? Historische Schuld fordert Tilgung.

Hierher gehören auch die Konzessionen. Die Konzession umfasst: Verpflegung der ausländischen Maschinerie und der Produktionsmethoden zu uns und Bevorschussung unserer Wirtschaft aus der Akkumulation des Weltkapitals. In einigen Industriezweigen können und müssen die Konzessionen eine größere Bedeutung erlangen. Überflüssig zu sagen, dass bei der Konzessionspolitik dieselben Schranken bei uns bestehen bleiben, wie für das Privatkapital überhaupt: der Staat behält die „Kontrollhebel" in seiner Gewalt und wacht scharfen Auges darüber, dass das entscheidende Übergewicht der Staatsindustrie über die „konzessionierte" erhalten bleibt. Aber innerhalb dieses Rahmens bleiben der Konzessionspolitik noch weite Grenzen offen.

Hierher gehören endlich auch, als „Krönung" des ganzen Systems, etwa mögliche Staatsanleihen. Eine solche Anleihe ist die reinste Form eines Vorschusses auf unsere künftige sozialistische Akkumulation. Das als Anleihe gegebene Gold sichert, als ,Ware aller Waren', die Möglichkeit, im Auslande Fertigerzeugnisse, Rohstoffe, Maschinen, Patente zu kaufen und aus Europa und Amerika die besten Konstrukteure und Techniker heranzuziehen.

Aus allem bisher Gesagten ergibt sich für uns die Notwendigkeit, uns noch mehr als bisher in allen weltwirtschaftlichen Fragen richtig, d. h. systematisch und wissenschaftlich, zu orientieren. Was für Maschinen einführen, für welche Betriebe, wann, was für andere Waren und in welcher Reihenfolge, in welchem Verhältnis den Devisenfonds unter die verschiedenen Industriezweige verteilen, was für Spezialisten anfordern, für welche Wirtschaftszweige Konzessionskapital heranziehen, in welchem Maße, auf welche Fristen? – es ist klar, dass diese Fragen nicht von einem Tag auf den anderen, aufs Geratewohl, aus wirtschaftlichen Einzelanlässen zu lösen sind. Die Köpfe unserer Wirtschaftler sind zur Zeit beharrlich und durchaus nicht erfolglos damit beschäftigt, methodische Wege zur Lösung dieser und vieler anderer Fragen zu finden, die davon nicht zu trennen sind, so vor allem im Export. Es handelt sich um die Aufrechterhaltung der (dynamischen) Proportionalität zwischen den Haupt-Industriezweigen und der gesamten Wirtschaft dadurch, dass dieser Proportionalität solche Elemente der Weltwirtschaft rechtzeitig eingefügt werden, die die Dynamik des Prozesses als Ganzen beschleunigen helfen.

Bei der Lösung der daraus entspringenden einzelnen praktischen Fragen, sowie bei der Ausarbeitung der perspektivischen Pläne – des einjährigen, des fünfjährigen und der noch langfristigeren – wird das Arbeiten mit Vergleichskoeffizienten ein unschätzbares und unersetzliches Hilfsmittel bilden. In wichtigen Industriezweigen, in denen uns der vergleichende Koeffizient besonders ungünstige Daten liefert, wird auf diese Weise die Notwendigkeit festgestellt, sich an das Ausland zu wenden: sei es nun wegen Fertigprodukten, sei es wegen Patenten und Rezepten, sei es wegen neuer Maschinerie, wegen Spezialisten oder Konzessionen. Die äußere Handels-, sowie Konzessionspolitik kann nur dann wirklich anregend und planmäßig wirken, wenn sie sich auf ein breit ausgearbeitetes System der Vergleichskoeffizienten der Industrie stützt.

Dieselben Methoden werden weiterhin zur Grundlage bei der Entscheidung über die Erneuerung des Grundkapitals und die Erweiterung der Produktion werden. In welchen Industriezweigen soll die Maschinerie in erster Reihe erneuert werden? Was für neue Betriebe sollen errichtet werden? Es bedarf keiner Erklärung, dass der Bedarf und die Bedarfsanmeldungen bei weitem alle Möglichkeiten übersteigen. Welchen Weg also einschlagen zur Entscheidung dieser Fragen?

Vor allen Dingen muss man natürlich sich über den Teil der Akkumulation Klarheit verschaffen, der auf die Erneuerung der Maschinerie in den bestehenden Betrieben und auf die Schaffung neuer Betriebe verwendet werden kann. Den dringendsten und schärfsten Bedarf werden wir aus unserer eigenen Akkumulation decken. Wenn sich der Weg zu anderen Quellen als verschlossen herausstellen sollte, so wird eben die innere Akkumulation den Umfang der Erweiterung der Produktion bestimmen.

Parallel damit ist es unbedingt nötig, die Reihenfolge der Anmeldungen unter dem Gesichtswinkel der Bedürfnisse des wirtschaftlichen Prozesses als Ganzen festzusetzen. Die Vergleichskoeffizienten werden hier direkt auf diejenigen Wirtschaftsgebiete hinweisen, die in erster Reihe Kapitaleinlagen erfordern.

So stellt sich in seinen gröbsten Urnrissen – bei absichtlicher Fortlassung einer ganzen Reihe komplizierender Momente – der Übergang zur planmäßigen Lösung der Fragen dar, die mit der Erneuerung und Erweiterung des Grundkapitals der Industrie verbunden sind.

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