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Leo Trotzki 19251102 Zum Gedenken an M. W. Frunse

Leo Trotzki: Zum Gedenken an M. W. Frunse

(Rede auf der dem Gedenken Michail Wassiljewitsch Frunses gewidmeten Trauersitzung

in der Stadt Kislowodsk am 2. November 1925)

[„Iswestija“ Nr. 259, 13. November 1925, eigene Übersetzung nach dem russischen Text in Werke, Band 8, Politische Silhouetten, Moskau-Leningrad 1926 {Сочинения. Том 8. Политические силуэты. Москва-Ленинград, 1926 г.}, S. 281-285]

In den letzten Jahren folgt Schlag auf Schlag, der in den Reihen der fortgeschrittenen Kämpfer des Sowjetlandes eine Bresche nach der anderen reißt. Der letzte Schlag ist einer der schwersten und suchte uns am 31. Oktober heim. Etwa drei Uhr nachmittags erhielt ich aus Moskau vom Genossen Stalin ein Telegramm, welches mit dem kurzen, aber furchtbaren Text schloss: „Frunse verstarb heute an Lähmung des Herzens“. Ich wusste, wie auch Sie alle oder zumindest viele von Ihnen, dass Genosse Frunse krank war – aber wer aus der älteren Generation der Revolutionäre ist gesund? – und jede von uns glaubte, dass seine Krankheit vergänglich sei, dass er zu seiner verantwortlichen Arbeit zurückkehren werde. Und jetzt – das fürchterliche Telegramm, welche einige Stunden später in weitschweifigerer Gestalt das ganze Land, die ganze Sowjetunion erhielt. und wie so viele von Ihnen hielt ich in den Händen ein Stück Papier mit der traurigen Nachricht und bemühte mich, nicht das, was dort niederschreiben war, herauszuziehen, sondern etwas anderes, weniger fürchterliches, weniger hoffnungsloses. Aber der Text ließ keine Auslegung zu, wie auch jenes furchtbare Faktum, welches in ihm mitgeteilt wird, – leider! – nicht abgestritten, nicht aufgehoben werden kann. Michail Wassiljewitsch Frunse ist nicht mehr, einer der Mutigsten, der Besten, der Würdigsten ging für immer weg, und morgen wird das revolutionäre proletarische Moskau den verstorbenen Kämpfer auf dem Roten Platz begraben. Das erste Gefühl war – dorthin, nach Moskau, wo die Arbeit Michail Wasiljewitschs in der letzten Periode verlief, um ihm die letzte Ehre zu geben, in den Reihen seiner nächsten Mitkämpfer und Freunde. Aber am Samstag und am Sonntag gab es keine Züge nach Moskau, aber der, der heute abging, wird zu spät in Moskau ankommen. Aber ganz gleich, Genossen, nicht nur Moskau, sondern die ganze Sowjetunion ist heute in Trauer, senkt Köpfe und Banner, verehrt dem Gedenken des ruhmreichen Kämpfers Hochachtung und Trauer. Und hier, in Kislowodsk, sind wir vereinigt in einem bitteren Gefühl, einem traurigen Gedanke, welcher sich vereinigt mit den Gedanke und Gefühlen der ganzen Arbeiterklasse und ihrer Leiterin, der kommunistischen Partei, die einen ihrer besten Söhne eingebüßt hat.

Als junger Student schloss sich Michail Wassiljewitsch der Sache der Arbeiterklasse an. In Iwanowo-Wosnesensk verlief seine Arbeit in den Tage der ersten Revolution (im Jahre 1905) und in den ihr folgenden späteren schweren und düsteren Jahren der Reaktion. Persönliche Kühnheit zeichnete schon damals diesen aus der Reihe herausragenden jungen Revolutionär aus. Er feuerte auf den örtlichen Polizeichef, welche sich an Gewalt gegen die Iwanowо-Wosnesensker Arbeiter beteiligte, und dieser Akt brachte zusammen mit seiner ganzen übrigen Arbeit Michail Wasiljewitsch im Jahre 1907 ins Zwangsarbeitslager, wo er eine lange Reihe Jahre unter schwersten Bedingungen verbrachte, die seine Gesundheit untergruben. Erst im Jahre 1915 kam er an einen Verbannungsort.

Die Bedingungen des Zwangsarbeitslagers untergruben seine Gesundheit, aber brachen nicht seinen Geist: er verließ die Tore des Zwangsarbeits-Gefängnisses so, wie er sie betrat, als fester, ungebeugter bolschewistischer Revolutionär.

Die Revolution des Jahres 1917 traf ihn im selben Iwanowо-Wosnesensk. Er ist erneut in der Umgebung der Textilarbeiter. Er ist Agitator, er ist Organisator, er ist Kampfleiter. Ringsum ihn sammeln sich die Reihen in den ruhmreichen Tagen des Oktober im Jahre 1917. Ganze sieben Tage fehlten Michail Wasiljewitsch bis zum achten Jahrestag des Oktobersieges!

Nach dem Oktober gibt Frunse seine außerordentliche Kraft hauptsächlich den Organisationen der Verteidigung des Sowjetstaats. Er arbeitet als leitender Kriegskommissar im Jaroslawler Militärbezirk, aus den jungen Textilarbeitern schafft er erste feste, gesammelte reguläre Abteilungen.

Der Bürgerkrieg umfasst mit einem Ring das Land, und Michail Wasiljewitsch ist in Moskau, klopft an die Tür des Zentralkomitees und verlangt seine Versendung an eine Kampffront des Bürgerkriegs. Und hier im Osten, in den Kämpfen gegen Koltschak. kommandiert er eine Armee, er – der ehemalige revolutionäre Student, Zwangsarbeits-Sträfling, welcher keine militärische Ausbildung durchlief, – gerät an die Spitze einer der revolutionären Armee, bei Zweifeln der einen, bei Misstrauen der anderer, bei der natürlichen Frage bei allen: wird er damit fertig? Aber er wird damit fertig, sowohl mit Ehre als auch mit Ruhm. Bald kommt er an die Spitze einer Gruppe aus vier Armeen. Ich erinnere mich, mit welcher Liebe und Stolz er, wohl in Samara, ein Regiment von Iwanowо-Wosnesensker Textilarbeiter abmarschieren ließ. „Diese werden nicht nachgeben!“ Und sie gaben tatsächlich nicht nach…

Im Bezirk des Uralheeres, später in Turkestan, später in Buchara führt der Weg vorbei, auf welchem M. W. Frunse seine revolutionären Regimenter führte. Und in der Armee, und in der Partei, und im Zentralkomitee bildete sich schon damals die feste Meinung: wo es schwer ist, wo die Front nicht standhaft ist, wo man außerordentlichen Mut, festen Willen, schnelles Augenmaß braucht – dorthin sendet man Frunse. Und hier in der Ukraine leitet er die Kampfhandlungen gegen den letzten großen bewaffneten Feind, gegen Wrangel. Es reicht aus, eine geografische Bezeichnung zu nennen, damit der von Ruhm erleuchtete Name M. W. Frunse hell lodert: das Wort Perekop! Auf den Seiten des heroischen Kampfes der Roten Armee brennt es mit nicht verlöschendem Blitz des Heroismus und gleichzeitig der richtigen, methodisch durchgeführten Vorbereitung.

Denn zwei Linien charakterisierten diesen Feldherrn gleich. Zuallererst – persönliche Tapferkeit, welche für jeden Soldaten erforderlich ist, ganz gleich, ob er einfacher Soldat ist oder einer, der im Kampf Regimenter, Abteilungen und Armeen führt. Persönliche Tapferkeit zeichnete Michail Wasiljewitsch als Revolutionär und als Soldaten vom Kopf bis zu den Füßen aus. Er kannte folglich nicht die Bestürzung der Seele im Angesicht des Feindes und der Gefahr. Er stand nicht nur einmal im Feuer – und in heißem Feuer – und feindliche Geschosse, welche manches Mal Pferde unter ihm nicht schonten, schonten ihn selbst. Aber für den Feldherrn ist persönliche Tapferkeit wenig. Er braucht den Mut der Entscheidung. Im Angesicht des Feindes, wenn von den Entscheidungen so vieles abhängt, gibt es natürlich Zweifel: Was für ein Weg nehmen? Welche Verfahren wählen? Wie die Kräfte gruppieren? Heute angreifen oder abwarten? Allgemein angreifen oder zurückweichen? Es gibt doch Dutzende mögliche Entscheidungen, und zwischen diesen Entscheidungen zögert der von der Verantwortung beschwerte Gedanke. Frunse konnte gelassen und nüchtern durchdenken, anhören und abwiegen. Abwiegen und fest wählen. Aber wählen und zum Ende bringen. Er hatte den Mut der Entschlussfreudigkeit, ohne welchen es keinen Feldherrn, keinen Heerführer gibt. Und er sicherte unserem Land unmittelbar den glänzenden Sieg über Wrangel. Der Name Frunse wird neben dem anderen Namen – Perekop – für immer im Gedenken der Menschen als wunderbare revolutionäre Legende bleiben, deren Basis auf lebendigen historischen Fakten ruht.

Frunse leitet später die Organisation der militärische Kräfte in der Ukraine, welche er von Banditentum säubert, indem er das politische Durchdringen mit dem militärischen Schlag verbindet. Später verlegt die Partei Michail Wasiljewitsch nach Moskau, wo sie ihn an die Spitze der Roten Armee und Roten Flotte stellt. Und alle von uns hatten das Recht zu erwarten, dass hier seine außerordentliche Kraft und Begabung sich in vollem Umfang entwickeln würde. Aber das verhieß das grausame Schicksal nicht. Wer die Tests der Zwangsarbeitslager durchlief, wer heil das Feuer des Bürgerkriegs durchlief, wer sein Leben auf dem Schlachtfeld nicht nur einmal, nicht zweimal, wenn dies die Revolution forderte, entschieden in die Schanze warf, – der fiel unter dem Schlag der Verkrampfung des unbedeutenden Muskels, welche sich menschliches Herz nennt. Dieser Muskel ist der Motor unseres Organismus. Und der, der selbst kräftiger Motor der Revolution und Armee war, fiel überraschend niedergestreckt, als sein innerer Motor, das Herz, sich als für immer gelähmt erwies.

Und morgen, Genossen, wird das Rote Moskau M. W. Frunse begraben. Und wir, die hier Zusammengekommenen, wie auch viele Tausende, Hunderttausende und Millionen in unserer ganzen Union, – vereinigen uns mit Moskau im gemeinsamen bitteren Gefühl unwiederbringlichen Verlusts. Es ist schwierig in diesen Stunden Worte des Trosts zu suchen, und es kann keinen persönlichen Trost geben, weil eine heroische menschliche Persönlichkeit verschwand, für immer von uns ging, welche nicht zurückgeben werden wird, Genossen, welche nicht zurückgeben werden wird … Aber wir trauern und weinen nicht nur um einen ruhmreichen Mitkämpfer. Als Revolutionäre denken wir nicht nur an den heutigen, sondern auch an den morgigen Tag. Und wenn es keinen persönlichen Trost über den Verlust einer heroischen menschlichen Persönlichkeit gibt, dann gibt es allgemeinen, kollektiven Trost, politischen Trost in dem tiefen Bewusstsein dessen, dass die Sache, welcher seit jungen Jahren und bis zu den letzten Schlägen seines kranken Herzens M. W. Frunse Tag für Tag diente, dass diese Sache triumphiert, und dass jene Trauerbanner, welche sich morgen über dem Grab des Verschiedenen senken, nicht aus den festen Händen der siegreichen Arbeiterklasse fallen werden. Es gibt Trost darin, dass die Rote Armee, in deren Reihen, aber später auch an deren Spitze der Verstorbene arbeitete, kämpfte und der Sache des Proletariats diente, – dass diese Armee wächst, sich zusammenschließt und nach wie vor – und besser als bisher – bereit ist, mögliche Schläge der Feinde zurückzuschlagen. Ja, es gibt Trost darin, dass die Sache, welcher Michail Wasiljewitsch Frunse diente und von welcher ihn der grausam Vergewaltiger – der Tod – losriss, dass diese Sache unsterblich ist. Sie wird von Völkern zu Völkern, sie wird von Jahrhunderten zu Jahrhunderten gehen, und überall, wo unsere entfernten Nachkommen sich an den heroischen Kampf des Proletariats erinnern werden, werden sie jenen mit Dankbarkeit, mit Hochachtung, mit Liebe nennen, den morgen das versammelte Moskau auf dem letzten Weg geleiten wird. Senken wir aber unsere Banner und unsere von Kummer erschwerten Herzen im Gedenken an den Kämpfer und wir werden sagen: lebe wohl, heroischer Soldat der Oktoberrevolution, lebe wohl, ruhmreicher Feldherr der Roten Armee, lebe wohl, Michail Wasiljewitsch, unvergesslicher Kämpfer, furchtloser Revolutionär – lebe wohl für immer!

Aber wir, die Verbliebenen, werden auch dieses Mal das machen, was Revolutionäre in Stunden schwersten Verlusts machen müssen: die Reihen enger schließen, um schneller die Bresche auszufüllen. Ein Mensch von großen Ausmaßen ging von uns – wir werden zwei, drei, fünf hinstellen, aber die Bresche ausfüllen. Denn der Kampf kennt keinen Halt. Denn die Partei, die einen ihrer tapfersten ihrer Bannerträger einbüßte, wird die Arbeiterklasse vorwärts führen, zu neuen Kämpfen, zu neuen Opfern, und sie wird zu den Völker der ganzen Welt das Banner tragen, unter welchem der heroische Soldat der Revolution Michail Wasiljewitsch Frunse ruhmreich lebte und ruhmreich kämpfte.

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