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Leo Trotzki 19260209 Die Ermordung der Sowjetkuriere und der lettische Innenminister

Leo Trotzki: Die Ermordung der Sowjetkuriere und der lettische Innenminister

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 6. Jahrgang Nr. 26 (16. Februar 1926), S. 572]

Auf unsere diplomatischen Kuriere, zwei Soldaten der proletarischen Revolution, verübten – unter mehr als rätselhaften Umständen – Mörder im Eisenbahnzuge auf lettischem Boden einen Anschlag, mit dem klaren Ziele, sich des diplomatischen Gepäcks zu bemächtigen. Sie hatten gehofft, in den versiegelten Kollern Dokumente zu finden, die die Sowjetregierung in den Augen der kapitalistischen Welt überführen sollten, und rechneten – mit voller Begründung – fest darauf, dass, für den Fall als sie einen derartigen Fund mit der Ermordung der Sowjetkuriere erkaufen müssten, diese ihre Tat in entsprechender Weise und dazu noch mit materiellen Werten von der kapitalistischen öffentlichen Meinung und ihren Organen eingeschätzt werden würde. Ob sie darauf rechneten, außer wertvollen Dokumenten und beispielsweise einigen Portionen Explosionsstoffe auch Gold für ihre eigene Verwendung zu finden, ist bereits eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Sie mussten wissen, dass es am Golde nicht fehlen werde, wenn sie „sachliches Beweismaterial" vorzeigen würden. Die Mechanik des Verbrechens lässt keinerlei auch noch so geringe Zweifel offen.

Die Kuriere der Sowjetrepublik bewiesen, dass sie aus einer guten Schule hervorgegangen waren. Trotz der für das Verbrechen allseitig vorbereiteten Lage ließen sich die Soldaten der Revolution nicht überrumpeln. Einem in seiner Tücke ganz außerordentlichen Überfalle ausgesetzt, streckten sie beide Banditen nieder (ist es richtig, dass ihrer bloß zwei waren?). Sie bezahlten ihre Pflichterfüllung schwer. Theodor Nette ist gefallen. Johann Machmastal wurde schwer verwundet. Aber sie verteidigten das, was ihnen anvertraut war, und das Herz jedes Sowjetbürgers schlug nicht nur vor Empörung, sondern auch vor Stolz bei dem ersten Berichte über das Verbrechen: So sind sie – die Soldaten der Revolution.

Im weiteren Verlaufe der Dinge eröffnet sich der zweite Akt. Den Schauplatz betritt der lettische Innenminister. Er weiß bestimmt dass der Überfall ein gemeines Verbrechen bezweckte. Er macht davon der Presse Mitteilung. Und die lettische Presse, nach ihr aber auch die so uneigennützige und ehrliche kapitalistische Presse der ganzen Welt, wiederholt die scharfsinnigen Erläuterungen des lettischen Innenministers. Woher schöpft jedoch der Minister eine solche feste Überzeugung? Und warum beeilt er sich so sehr, sie mitzuteilen, ehe noch die Ergebnisse der Untersuchung bekannt sind? Man muss eigentlich nicht nach dem Warum, sondern nach dem Wozu der Erklärung des lettischen Innenministers fragen. Der Herr Minister will offenbar der Untersuchung eine zweckdienliche Richtung geben. Man muss die Untersuchung auf das Ziel eines gemeinen Verbrechens lenken. Wozu? Um sie vom politischen Ziele abzulenken. Der Herr Minister beeilt sich so sehr, als ob seine Aufgabe darin bestehen würde, die Spuren zu vernichten. Es sollte scheinen, dass sogar der eingefleischteste Bourgeois genug Gründe haben müsste, in diesem Verbrechen ein politisches Ziel zu vermuten oder anzunehmen. Es sollte scheinen, dass die offizielle Stellung den Herrn Minister nicht zur Unvoreingenommenheit, nein, zur Vorsicht verpflichten müsste: Vor der Vollendung der Untersuchung enthalten wir uns der Schlussfolgerung über die Aufgaben und Ziele des Überfalles. Aber nein. Der Herr Minister geduldet sich nicht. Der mit Blut bezahlte Misserfolg des von irgend jemandem ersonnenen Anschlages hat den Herrn Minister ganz aus der Fassung gebracht. Statt vorsichtig am Fernsprecher zu sitzen, still zu hören und leise zu antworten, ist der Herr Minister mit folgenden Worten auf die Gasse gesprungen: „Der Überfall hat den ausgesprochenen Charakter eines gemeinen Verbrechens. Das sage ich. der Innenminister Lettlands!"

Wir glauben dass der Herr Minister sich in diesen Sachen auskennt. Aber dem Minister selbst glauben wir nicht. Er ist zu nervös. Sein Benehmen ist nicht nur eigenartig, sondern auch ungeheuerlich. Ein solches Verhalten müsste auf sich die Aufmerksamkeit jenes Organs lenken, dem die Untersuchung des Falles obliegt! Der Herr Untersuchungsrichter müsste den Herrn Minister selbst verhören. Natürlich in der Eigenschaft eines Zeugen. Vorläufig in der Eigenschaft eines Zeugen … Oder vielleicht in der Eigenschaft eines Sachverständigen?

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