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Leo Trotzki, Grigori Sinowjew, Lew Kamenew 19261214 Eine Erklärung

Leo Trotzki, Grigori Sinowjew, Lew Kamenew: Eine Erklärung

[Nach Die Aktion, 16. Jahrgang, Heft 11/12 (Ende Dezember 1926), Spalte 305-308]

Indem wir gegen die Resolution zu dem Bericht des Genossen Stalin stimmen, erachten wir es zum Zwecke der Motivierung unserer Abstimmung für notwendig, folgendes zu erklären:

1. Wir weisen neuerdings und kategorisch die Beschuldigung des fraktionellen Charakters unserer Auftreten zurück. Wir wiederholen noch einmal: Jedermann, der, indem er sich direkt oder indirekt mit uns zu solidarisieren versucht, gleichzeitig den proletarischen Charakter unserer Partei und unseres Staates und den sozialistischen Charakter des Aufbaus in der UdSSR verneinen wird, wird auch weiterhin unsererseits rücksichtslosem Widerstand begegnen.

2. Unsere ganze Kritik ist gegen Fehler und Abweichungen von der proletarischen Linie gerichtet und von dem Bestreben diktiert, die revolutionär-proletarische Politik unserer Partei und die Herrschaft und das weitere Wachstum der sozialistischen Elemente in unserer Wirtschaft und die unzertrennbare Verbindung mit der internationalen Revolution zu bewahren, zu sichern und zu befestigen — wie Lenin gelehrt hat.

3. Wir weisen entschieden und kategorisch als vollkommen der Wirklichkeit widersprechend die Beschuldigung zurück, als ob wir nicht an den sozialistischen Aufbau in der UdSSR, glauben. In Wirklichkeit glauben wir nach wie vor unerschütterlich daran, dass das Proletariat der UdSSR, unter Führung der KPdSU, die Elemente des Kapitalismus in der Wirtschaft der UdSSR, überwinden kann und überwindet, alle Schwierigkeiten besiegen und mit Hilfe des internationalen Proletariats den Sozialismus in der UdSSR, aufbauen wird. Indem wir gegen die Theorie von Sozialismus in einem Lande auftreten, fahren wir nur fort, das zu vertreten, was Lenin stets vertreten hat, das, was allen bisherigen programmatischen Beschlüssen der Komintern zugrunde lag. Die offensichtliche Kompromiss-Formulierung des Resolutions-Entwurfs des 7. Plenums zu der Frage vom „Sozialismus in einem Lande", die die grob unrichtigen Formulierungen des Genossen Stalin zu verbessern versucht, macht einen Schritt zurück von den Formulierungen Marx' und Lenins, die bisher in der KPdSU, mit der Komintern, allgemein anerkannt waren.

4. Wir weisen entschieden und kategorisch die durch nichts begründeten Beschuldigungen von Pessimismus und Unglauben bei uns zurück.

a) Wenn wir uns bemühen, die Aufmerksamkeit unserer Partei auf die wachsende Kulakengefahr zu konzentrieren, so nicht einmal, um vor dieser Gefahr zu kapitulieren, sondern dazu, um die Partei aufzurufen, sich um so entschiedener auf den Dorfarmen und Landarbeiter zu stützen und ihnen mit der festem Hand des proletarischen Staates zu erleichtern, den Mittelbauern hinter sich her gegen den Kulaken zu führen. Es ist nicht richtig, dass wir einen „Druck auf die Bauernschaft" zugunsten der Industrialisierung vorschlagen. Wir stehen dafür, dass das Bündnis des Proletariats und der Bauernschaft um jeden Preis behütet werden muss. Ohne dem ist die proletarische Diktatur in der UdSSR zum Untergang verurteilt. Aber wir sagen: unsere Stütze im Dorf ist der Dorfarme, der Landarbeiter; unser Verbündeter im Dorf ist der Mittelbauer; unser Klassenfeind im Dorf ist der Kulak

b) Wenn wir unterstreichen und die Aufmerksamkeit unserer Partei auf die Tatsache des Wachstums des Privatkapitals lenken, so um es in streng untergeordneter Stellung zu erhalten.

c) Wenn wir über die unvermeidliche Abhängigkeit unserer im Aufbau befindlichen sozialistischen Wirtschaft von der kapitalistischen Weltwirtschaft sprechen, so natürlich nicht deshalb, um vor der letzteren zu kapitulieren, sondern dazu, um zu drängen auf eine richtigere Verteilung des Nationaleinkommens im Interesse der Staatsindustrie, auf möglichste Beschleunigung ihres Tempos, auf Erhöhung der materiellen Lebenshaltung der Arbeiterklasse und auf ihre Erziehung im Geiste tiefen Verständnisses der Untrennbarkeit des Geschickes unseres sozialistischen Aufbaus von der internationalen proletarischen Revolution.

5. Von Grund auf unrichtig dargestellt sind unsere Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Wirtschaftsfrage. Eine ökonomische Diskussion gab es auf dem 7. Erweiterten Plenum des EKKI nicht. Unsere Ansichten in diesen Fragen, die die Lebensinteressen der Massen umfassen, hat das Plenum nicht gehört. Der Resolutionsentwurf wurde ohne unsere Teilnahme zusammengestellt, das heißt ohne die Möglichkeit für uns, wenigstens die am meisten unrichtigen Behaupten zu widerlegen. Indessen würde sich, wenn diese Fragen einer einigermaßen ernsthaften Behandlung unterworfen werden würden, mit voller Klarheit und Unwiderlegbarkeit herausstellen nicht nur, dass die Opposition in keinem einzigen ihrer Auftreten Erhöhung der Preise gefordert und vorgeschlagen hat, sondern dass sie die Hauptfehler unserer Wirtschaftspolitik gerade darin sieht, dass diese Politik nicht mit der notwendigen Energie zur Verringerung des Hungers nach Industrieprodukten führt, womit unvermeidlich hohe Detailpreise verbunden sind. Das Wachstum der Selbstkosten, das Wachstum der En-gros- und Detail-Preise, das in der letzten Zeit neuerdings vor sich geht und sich schwer am Budget des Arbeiters und Bauern auswirkt, bestätigt völlig die Warnungen, die wir rechtzeitig gemacht haben.

6. Wir weisen jegliche Behauptung zurück, als ob wir an dem proletarischen Charakter unseres Staates und dem sozialistischen Charakter unseres Aufbaues zweifeln. Die Gesinnungsgenossen der Opposition haben bisher Hand in Hand mit den anderen Genossen unter Führung des Zentral-Komitees auf allen Gebieten des sozialistischen Aufbaues gearbeitet: an der Entwicklung der Staatsindustrie, an der Schaffung einer festen Valuta, an der Befestigung der Planelemente unserer Wirtschaft, an der Sicherung des Übergewichts ihrer sozialistischen Tendenzen. Wir könnten Dutzende Namen hervorragender Arbeiter — Angehöriger der Opposition — nennen, die diese Arbeit nicht ohne Erfolg geleistet haben. Das Gleiche wird auch weiterhin sein, sofern uns das Zentral-Komitee diese oder jene Arbeit auftragen wird.

7. Es ist unrichtig, dass wir jetzt gegen die Einheitsfrontpolitik sind. Wir sind für sie, aber wir sind gegen ein Übereinkommen mit Thomas, Pugh, Purcell in dem Moment, wie sie niederträchtig die englischen Bergarbeiter verkaufen.

8. Es ist unrichtig, dass wir gegen die Arbeit in den reformistischen Gewerkschaften sind. Nein, wir sind dafür, dass die Kommunisten sogar in den reaktionärsten Gewerkschaften arbeiten — wie Lenin gelehrt hat. Überall, wo Arbeiter organisiert sind, müssen auch wir Kommunisten sein.

9. Es ist unrichtig, dass wir den Ansichten der Ultralinken wohlwollend gegenüberstehen. Wir kämpfen und werden gegen jeden ultralinken Fehler kämpfen. Aber wir fordern, dass sich die Sektionen der Komintern sogar einem sich irrenden „linken" revolutionären Arbeiter gegenüber so verhalten, wie Lenin gelehrt hat. Und wir fordern, dass die Komintern die rechten Führer, Diplomaten, Parlamentarier, die rechte Sachen und Sächelchen mit wohlmeinenden Phrasen zu verdecken suchen, enthüllt und sie so schlägt, wie Lenin es getan hat. Wir erachten für unbedingt unrichtig und tief gefährlich die immer mehr in Anwendung gebrachte Ausschluss-Praxis gegenüber solchen linken Elementen der Komintern (in der deutschen, italienischen und anderen Parteien), die, wenn sie auch große Fehler machen, sich keinesfalls auf die andere Seite der Barrikade stellen oder beabsichtigen, es zu tun.

10. Wir erachten, dass der Hauptfeind der Arbeiterbewegung die sozialdemokratischen Führer sind. Es ist unrichtig, als ob die Sozialdemokratie ihre Haltung zu uns, den Oppositionellen, geändert hätte. Nein, sie fährt fort, uns zu hassen, wie auch früher (und noch mehr) und hetzt gegen uns so, wie wütende Kleinbürger gegen unversöhnliche proletarische Revolutionäre nur zu hetzen vermögen. Die bürgerliche und sozialdemokratische Presse versucht, indem sie sich mit unversöhnlicher Feindschaft zu der von uns vertretenen Politik verhält, manchmal unsere Kritik auszunutzen. So war es auch bisher stets.

11. Es ist unrichtig, dass wir die Tatsache der teilweisen Stabilisierung des Kapitalismus „verneinen". Wir anerkennen sie. Wir haben darüber in einer Reihe von Dokumenten gesprochen, die dem englischen Streik gewidmet sind. Wir verneinen nur, dass dies eine Stabilisierung auf „Jahrzehnte" ist, indem wir dies zu glauben den Herren Otto Bauer u. Co. überlassen. Wir fahren fort, auf dem Standpunkt Lenins zu stehen, der unsere Epoche als die Epoche der Weltrevolution eingeschätzt hat.

12. Aus alledem ist ersichtlich, dass wir keinerlei „sozialdemokratischer Abweichung" schuldig sind. Wir sind tief überzeugt, dass die Zukunft zeigen wird, dass diese Beschuldigung keine Kritik aushält.

13. Es ist unrichtig, dass wir den „Trotzkismus" verteidigen. Trotzki selbst hat vor dem Angesicht der ganzen Komintern erklärt, dass in allen einigermaßen prinzipiellen Fragen, in denen er mit Lenin stritt, Lenin im Recht war — insbesondere in der Frage der permanenten Revolution und der Bauernschaft. Wir verteidigen den Leninismus. Wir kämpfen vor allem gegen die Revision der Leninschen Lehre über die internationale Revolution.

14. Es ist unrichtig, dass wir die Mehrheit unserer Partei einer „rechten Abweichung" beschuldigen. Wir glauben bloß, dass es in der KPdSU rechte Strömungen und Gruppen gibt, die jetzt einen verhältnismäßig großen Einfluss haben, die jedoch die Partei überwinden wird.

15. Wir werden bis zu Ende die in der Erklärung vom 16. X. 26 auf uns genommenen Verpflichtungen erfüllen. Aber unsere prinzipiellen Ansichten zu verteidigen, haben wir das volle Recht. Wir haben dies in dem Dokumente vom 16. X. 26 selbst erklärt und niemand hat uns dieses Recht strittig gemacht. Im Laufe der ganzen sieben Jahre der Existenz der Komintern wurden alle Meinungsverschiedenheiten, die in einer beliebigen Partei (einschließlich auch der KPdSU) existierten, stets auf die Tribüne der Komintern gebracht, und jede Minderheit bekam dabei das Recht, ihre prinzipiellen Ansichten zu verteidigen. Wenn die offene Darlegung der eigenen Ansichten vor dem führenden Organ der Kommunistischen Weltpartei Fraktionsmacherei ist, welche anderen Wege für die Vertretung der eigenen im Rahmen der allgemeinen Beschlüsse der Komintern existieren denn dann? Wir werden die Einheit der KP der Sowjet-Union und der Komintern verteidigen. Wir werden gegen Fraktionsbildung kämpfen.

16. Die ständigen Versuche der Feinde, beliebige Meinungsverschiedenheiten in der Partei auszunutzen, sind keine Ursache für Einstellung der Selbstkritik. Wenn Konferenzen und Kongresse auf vorher versicherter Einstimmigkeit gegründet sein sollten, wäre keine Veranlassung, sie einzuberufen. Das Regime der Komintern muss in voller Übereinstimmung mit unserem Programm und unseren Statuten die wirkliche Möglichkeit solcher Selbstkritik sichern, die nicht in Fraktionsarbeit übergeht und nicht die Einheit der Aktion verletzt.

17. Wir erachten, dass die Ihnen vorgelegte Resolution nicht nur die von uns verteidigten Ansichten, die unserer unerschütterlichen Überzeugung nach sich in voller Übereinstimmung mit allen Traditionen des Marxismus und Leninismus befinden, unrichtig und tendenziös charakterisiert, sondern auch das Regime in der Komintern zu verschlimmern vermag, indem sie die ohnedies ungenügenden Rahmen der innerparteilichen Kritik einengt. Wir zweifeln jedoch nicht daran, dass die Komintern auch im Falle der Annahme dieses fehlerhaften Beschlusses, so, wie sie war, die einzige Organisation bleibt, die fähig ist, die Fehler einzelner ihrer Teile und ihrer selbst, gestützt auf die Erfahrung des revolutionären Kampfes des Weltproletariats, zu korrigieren.

18. Diese tiefe und unerschütterliche Überzeugtheit veranlasst uns, uns voll und ganz der Entscheidung unterzuordnen, die Sie fällen werden und dazu alle Genossen aufzufordern, die sich als unsere Gesinnungsgenossen betrachten.

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