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Leo Trotzki u a 19261005 An alle Mitglieder des Politbüros des ZK der WKP (B)!

Leo Trotzki u a: An alle Mitglieder des Politbüros des ZK der WKP (B)!

[Nach Mitteilungsblatt (Linke Opposition der KPD) Nr. 7 (15. März 1927), S. 12, dort unter dem Titel „Ein unbekanntes Dokument“]

Äußerst dringend!

Gestern zitierte in der Sitzung des Politbüros der Genosse Sinowjew aus der Parteizeitung von Kingisepp (früher Jamburg) „Pflug und Hammer" (Plug i molot) die folgende Darstellung der Ansichten der Opposition über die Bauernschaft:

„ … Wei geschrien! Rettet Euch! Der Bauer quetscht uns aus – schmeißt ihn mit einem Tritt aus den Sowjets, setzt dorthin Arbeiter, sonst wird die Revolution zugrunde gehen!"

In einer anderen Nummer derselben Zeitung, welche sich eine „Bauern“-Zeitung nennt, heißt es:

„ … Natürlich, wenn die Macht sich in den Händen der Arbeiter befindet, so ist es für die Partei und die Sowjetregierung sehr leicht, während eines Jahres die Bauern bis aufs Hemd auszuziehen."

Es schien, dass auf alle Anwesenden In der gestrigen Sitzung diese abscheulichen Zitate den gleich niederdrückenden Eindruck gemacht haben. Man hörte Stimmen darüber, dass man den Fall einer solchen Literatur der Kontrollkommission übergeben müsse. Heute, am 5. Oktober, erhielten wir aus Iwanowo-Wosnessensk die Zeitung „Rabotschl Kraj" (Arbeiterland), Organ des Gouvernementskomitees von Iwanowo-Wosnessensk vom 25. September. In dieser Nummer wird das Referat des Genossen Jaroslawski auf der 22. Gouvernements-Konferenz abgedruckt. In seinem Referat teilte Gen. Jaroslawski mit:

„ … und nun beschreibt dieser Genosse (Skolsniew). dass als der Genosse sein Referat machte (das ist der Gen. W. M. Smirnow) und als an ihn die Frage gerichtet wurde, ob die Sache nicht bis zum Zusammenstoß mit der Sowjetmacht führen könne, dass er zugab, dass das stattfinden könne und Ratschläge gab, wie man in solchen Fällen handeln müsse. Dahin führt, Genossen, diese illegale Arbeit."

Auf diese Weise hat der Gen. Jaroslawski in einer Parteikonferenz die Sache so dargestellt, als ob W. M. Smirnow, der auf dem Boden der Ansichten der Opposition steht, Mitglieder der Partei darüber belehrt habe, wie man den Bürgerkrieg gegen die Sowjetregierung organisieren solle. Eine ehrlosere und niederträchtigere Verleumdung kann man sich nicht ausdenken. Im Vergleich hiermit Ist das Geschmiere der Zeitung von Kingisepp und anderer Zeitungen beinahe ein unschuldiges Lallen. Der verleumderische Charakter der zitierten Worte wird, versteht sich, verstärkt durch die Tatsache, dass sie ausgesprochen werden vom Vorsitzenden der ZKK, d.h. gerade de Person, welche die Fälle entscheidet, die nicht selten das politische Leben und den Tod von Parteimitgliedern bestimmen. Aus Anlass der Zitate aus der Kingisepper Zeitung oder aus Anlass eines Hinweises des Genossen Trotzki auf die Rede eines ukrainischen Matrosen haben die Mitglieder des Politbüros und des Präsidiums der ZKK empfohlen, sich an die ZKK zu wenden, deren Vorsitzender der Gen. Jaroslawski ist. In jenem Augenblick hatten wir nicht den Bericht des „Rabotschi Kraj“ und wussten nicht, dass der Gen. Jaroslawski, was niederträchtige Verleumdung und Vergiftung der öffentlichen Meinung der Partei betrifft, die zufälligen Schreiberseelen der Provinzpresse weit hinter sich gelassen hat.

In der gestrigen Sitzung des Politbüros haben wir gesagt, dass der Plan der Gruppe, zu welcher Gen. Jaroslawski gehört, in folgendem besteht: unter irgendwelchen Vorwänden soviel wie möglich standhafte Genossen auszuschalten, welche mit dem Parteiregime, wie es vom Gen. Jaroslawski eingepflanzt wird, sich nicht aussöhnen wollen und können, die gewöhnlichen Parteimitglieder durch Ausschlüsse und die ungezügelte Hetze einzuschüchtern; dann 2-3 „Diskussionen“ auf der Konferenz zuzulassen; auf der Konferenz eine organisatorische Zerschlagung zu Ende zu bringen und auf die Art den 15. Parteitag vor vollendete Tatsachen zu stellen, d.h. mit anderen Worten, in den grundlegenden Streitfragen Beschlüsse zu fassen ohne Partei und hinter ihrem Rücken.

Wir haben gesagt, dass dieser Weg ein Weg des Verderbens ist. Wir schlugen in genauer schriftlicher Formulierung vor, trotz des Vorhandenseins tiefer Differenzen von beiden Seiten ein Maximum an Loyalität zu zeigen. In dem Sinne, dass man die Hetze, die Lüge, die Verleumdung, die gegenseitige Erbitterung beseitigen soll und normale Beziehungen des Parteilebens garantieren soll und einen Parteitag einberufen soll. Wir unsererseits haben unsere Bereitschaft ausgesprochen, mit allen Kräften jeden Beschluss des ZK zu unterstützen, der auf dieses genannte Ziel gerichtet wäre.

Anstatt sofort unsern Vorschlag zu besprechen, der durch die Lebensinteressen der Partei hervorgerufen ist, beschloss die Mehrheit des Politbüros, den Fall des Auftretens von Sinowjew, Trotzki und anderen Mitgliedern des ZK der ZKK zur Untersuchung zu überweisen, d.h. dem Parteikollegium. dessen Vorsitzender der Gen. Jaroslawski ist. Und heute erfahren wir. wie gesagt, dass der Gen. Jaroslawski, dessen Referat zur Kenntnisnahme sowohl von Parteimitgliedern wie von Parteilosen abgedruckt ist, der Opposition die Absicht zuschreibt, die Sache „bis zum Zusammenstoß mit der Sowjetregierung" zu bringen, wobei die Opposition nach den Worten des Gen. Jaroslawski „Ratschläge, wie man in solchen Fällen handeln soll", gibt. Auf diese Art hat der von uns dargestellte Plan des Kampfes gegen die Opposition einen neuen, noch bösartigeren, noch ungeheuerlicheren Ausdruck erhalten. Man beschuldigt die Opposition nicht mehr und nicht weniger als der Vorbereitung des Bürgerkrieges. Als Ankläger tritt vor der Partei der Vorsitzende der ZKK, Gen. Jaroslawski, auf. Er tritt auch als Richter der Vertreter der Opposition nach ihrem Auftreten in Parteiversammlungen auf. Mit anderen Worten: der Gen. Jaroslawski sagt den Mitgliedern des ZK: ich werde das Parteibewusstsein vergiften, ich werde vor den Arbeitern von Iwanowo-Wosnessensk die Verleumdung verbreiten, als ob Ihr den Bürgerkrieg vorbereitet – und Euch befehle ich im Namen der Parteidisziplin, zu schweigen und nicht den Arbeitern von Iwanowo-Wosnessensk auseinanderzusetzen, dass meine Worte eine schamlose Verleumdung sind! Hier verwandelt sich der Begriff der Disziplin in eine Verhöhnung der Partei. Es hat keinen Zweck, zu sagen, dass gegen eine solche Verhöhnung wir mit allen Parteimitteln kämpfen werden. Jaroslawski wird uns nicht den Mund verschließen gegen die Verleumdungen von Jaroslawski.

Aber nicht nur die oben zitterte Nummer des „Rabotschi Kraj“, sondern auch die heutige Nummer der „Prawda" zeugt davon, dass trotz des gestern von uns eingebrachten genauen schriftlichen Vorschlages über Maßnahmen zur Gesundung der Parteiverhältnisse und zur Beseitigung der herannahenden Gefahr, die Hetze gegen die Opposition immer schärfere Formen annimmt. Wenn man die Schraube allzu sehr anzieht, so bricht man nicht selten das Gewinde. Diese Gefahr bedroht uns jetzt vollständig. Man kann zeitweilige Erfolge durch Methoden der Hetze und einer ungeheuerlichen Unterdrückung haben, diese Erfolge können für die Partei verderblich werden. Da wir es für unser unbestreitbares Recht und für unsere Pflicht halten, die Partei vor den Gefahren zu warnen, welche über sie hereinbrechen können da wir es für unser Recht und für unsere Pflicht halten, jeder Zelle, federn Parteigenossen den verleumderischen Charakter der Agitation des Jaroslawski zu erläutern, so machen wir den wiederholten Versuch, uns an das Politbüro zu wenden mit dem Vorschlag:

Sofort, d.h. heute, am 5. Oktober abends, und unseretwegen auch nachts, eine Sondersitzung einzuberufen zur Besprechung der praktischen Maßnahmen, welche zum Ziel haben, die Partei vor Erschütterungen und die Revolution vor Gefahren zu bewahren.

5. Oktober 1926

gez.: G. Sinowjew, L. Kamenew, G. Pjatakow, L. Trotzki, G. Sokolnikow

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