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Leo Trotzki 19270829 Die Sowjet-Union und die Vereinigten Staaten Amerikas

Leo Trotzki: Die Sowjet-Union und die Vereinigten Staaten Amerikas

[Nach Sonntagsblatt der New Yorker Volkszeitung, 18. September 1927]

[Im Nachstehenden reproduzieren wir die Unterredung des Genossen Trotzki mit der amerikanischen Delegation am 29. August 1927. Die Delegation bestand aus 36 amerikanischen Arbeitern, Lehrern, Journalisten usw., die nicht auf kommunistischem Standpunkt stehen. Die Red.]

In dem mir soeben von Ihnen überreichten Fragebogen sind, wie ich sehe, eine ganze Reihe von Punkten enthalten, die das innere Leben unserer Partei, eigentlich unsere Meinungsverschiedenheiten betreffen. Wir Bolschewiki haben die Gewohnheit. uns über diese Fragen innerhalb unserer Partei auszusprechen. Ich bitte, meinen Worten nicht zu entnehmen, dass ich bereit bin, mich mit den fremden Gästen über alle sie interessierende Fragen auszusprechen, ich würde es aber vorziehen. Nichtmitgliedern unserer Partei zunächst die Gedanken und Erwägungen auseinanderzusetzen. die sie bewegen ; könnten, in unsere Partei einzutreten, um sich dann erst über ihre inneren Meinungsverschiedenheiten zu orientieren. Ich werde übrigens in Verbindung mit der Kriegsgefahr auf diesen Punkt zurückkommen.

Ich beginne mit der siebenten Frage. Sie lautet:

Kann man sagen, dass das Land der Sowjets eine Demokratie darstellt, oder muss man sagen, dass hier Diktatur einer Klasse oder eines Teiles dieser Klasse – der Kommunistischen Partei – herrscht?'' Ob man Sowjetrussland das Land der Demokratie nennt oder nicht, hängt davon ab, welchen Inhalt man dem Begriff Demokratie gibt. Ich bin damit einverstanden, dass man vom Standpunkt der bestehenden amerikanischen Demokratie unserer Sowjetunion das Recht verweigern kann, sich Demokratie zu nennen. Ich behalte mir aber das Recht vor, von unserem Standpunkt zu verneinen, dass die Vereinigten Staaten die Demokratie verkörpern. Ich könnte parallel mit der siebenten Frage die Frage 7a stellen: „Kann man sagen, dass die Vereinigten Staaten die Demokratie verkörpern oder sind die Vereinigten Staaten ein Land, das durch die Diktatur der Großbanken, Trusts u.s.w. verwaltet wird?“ Auf diese Frage möchte ich folgende Antwort vorschlagen: In den Vereinigten Staaten herrscht unter dem Deckmantel der äußeren Formen einer politischen Demokratie die Diktatur des am stärksten konzentrierten Kapitals. Wenn eine privilegierte Minderheit die ausgebeutete Mehrheit beherrscht, ist die Minderheit daran interessiert. ihre Herrschaft mit verschiedenen Mystifikationen der Religion, der erblichen Monarchie oder der politischen Demokratie zu bemänteln. Das Sowjetsystem ist die Diktatur der Arbeiterklasse, die gar kein Interesse daran hat, die anderen über den Charakter ihrer Diktatur zu täuschen und sie daher auch nicht hinter eine Maske verbirgt.

Ein weiterer, ebenso tiefer Unterschied zwischen der Diktatur der Arbeiterklasse, die von ihrer Vorhut, d. h. von der Partei, geleitet wird, und der Diktatur der Feudalherren und Kapitalisten besteht darin, dass die Feudalherren und Kapitalisten bestrebt sind, die Diktatur zu verewigen, während die Kommunistische Partei die Diktatur des Proletariats als ein vorübergehendes, als, ein Regime der Übergangszeit betrachtet. Das Ziel der revolutionären Diktatur ist die Schaffung einer solchen Gesellschaft, die die Staatsgewalt überhaupt nicht mehr braucht, weil sie begründet sein wird auf der Solidarität der von der Ausbeutung und von klassenmäßigen Scheidewänden jeglicher Art befreiten Erzeuger.

Nun zur achten Frage: „Warum gibt es in der Sowjetunion keine Presse- und Redefreiheit für alle, darunter auch für die Gegner des Sowjetregimes?"

Um auf diese Frage zu antworten, muss man sich ebenfalls zunächst darüber verständigen, was man unter der Rede- und Versammlungsfreiheit zu verstehen hat. Jeder Mensch besitzt die Freiheit zu fliegen, aber ohne Flugzeug wird ihm wohl kaum gelingen, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen.

In einem beliebigen demokratischen Lande haben die Arbeiter das Recht auf eine eigene Presse, sie haben das Versammlungsrecht usw. Doch die Presse braucht Druckereien und Papier, für Versammlungen braucht man Räume und freie Zeit. Die Druckereien und Gebäude gehören jedoch nicht den Arbeitern, sondern der Bourgeoisie. Die Journalisten entstammen entweder der bürgerlichen Klasse oder lernen, wenn sie aus der Arbeiterklasse hervorgehen, im Sinne der bürgerlichen Interessen um. In Amerika bedeutet die Pressefreiheit der Arbeiter tatsächlich, dass sie die Freiheit besitzen, für 2 oder 3 Cent eine der Zeitungen zu kaufen, die im Interesse der Kapitalisten von den bürgerlichen Journalisten hergestellt werden. Im Amerika der Gegenwart gibt es keine andere Pressefreiheit. Bei uns existiert diese Freiheit nicht. Wir haben der Bourgeoisie die Druckereien, Papiervorräte und Papierfabriken genommen. Wir haben diese materiellen Instrumente der „Freiheit des Wortes" in den Dienst der Arbeiter- und Volkserziehung gestellt. Wir haben damit von dem Regime der bürgerlichen Demokratie, das den Werktätigen wohl das Recht gibt zu fliegen, ihnen aber das Flugzeug nimmt, einen ungeheuren Schritt vorwärts getan.

Sie fragen: Kann nicht unter dem Sowjetregime der Fall eintreten, dass das Volk unzufrieden sein und keine Wege haben wird, seine Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen? Man kann natürlich die Möglichkeit der Unzufriedenheit oder das ; Vorhandensein der Unzufriedenheit nicht abstreiten. Solange es Elend und Not gibt, solange die Klassenunterschiede bestehen – bei uns ist das alles vorhanden – ist eine Unzufriedenheit unvermeidlich. Diese Unzufriedenheit ist eine Kraft, die vorwärts treibt. Kann sie sich bei uns Ausdruck verschaffen? Wir behaupten, dass trotz aller Mängel des Sowjetsystems dieses System, so wie es ist, den werktätigen Massen durch die Vermittlung unserer Partei unvergleichlich vollständigere und unmittelbarere Möglichkeiten der Gefühls- und Interessenäußerung eröffnet, als das durch und durch künstliche und betrügerische System der bürgerlichen Demokratie. Dafür ein ganz neues Beispiel, über das alle Demokraten, nicht die berufsmäßigen, sondern die Demokraten aus Überzeugung, nachdenken müssten.

Österreich verkörpert bekanntlich die Demokratie und dabei eine Demokratie, die erst vor ganz kurzer Zeit nach den besten internationalen Überlieferungen mit unmittelbarer Beteiligung amerikanischer Beobachter und Erzieher fabriziert worden ist. Und was ist dabei herausgekommen? Vor kurzem erst konnten die österreichischen Arbeiter trotz der „Freiheit" der Presse, der Versammlungen usw. ihrer Unzufriedenheit durch kein anderes Mittel als durch einen Aufstand in Wien Ausdruck verschaffen. Sie müssen andererseits bestätigen, dass unsere Arbeiter nicht zu solchen Methoden greifen, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen. Das kommt daher, dass das Staatssystem der Sowjets im Gegensatz zur bürgerlichen Demokratie den Arbeitern unvergleichlich mehr Möglichkeiten des direkten Einflusses auf das staatliche und öffentliche Leben gibt.

Die zehnte Frage:

Kann man sagen dass die Außenpolitik der Sowjetunion auf den Osten und nicht auf den Westen orientiert ist:''

Ich glaube nicht, das man die allgemeine Richtung unserer Außenpolitik so formulieren kann. Es gibt Perioden, in denen unsere Aufmerksamkeit und unsere Anstrengungen mehr vom Osten als vom Westen in Anspruch genommen werden, aber auch umgekehrt. Wir mussten unsere westlichen und östlichen und gleichzeitig auch unsere nördlichen und südlichen Grenzen verteidigen. Während der Ruhrbesetzung und während des Generalstreiks in England blickten wir mehr nach dem Westen. Die Ereignisse der chinesischen Revolution zogen unsere Blick in erster Linie nach dem Osten. Im allgemeinen verknüpfen wir das Schicksal unseres Landes mit der Bewegung der Arbeiterklasse in der ganzen Welt und mit der Bewegung der unterdrückten Völker in den Kolonien und Halbkolonien, d. h mit der Revolution sowohl im Werten als auch im Osten.

Die elfte Frage:

Welche Ursachen verhindern de Anerkennung der Sowjetunion durch die Regierung der Vereinigten Staaten und was muss man unternehmen, um diese Hindernisse zu beseitigen?"'

Ich würde es vorziehen, die Antwort auf diese Frage von den verehrten Gästen zu hören (Heiterkeit). Meines Erachtens besteht das Haupthindernis in dem Gegensatz unserer Gesellschaftssysteme. Die Vereinigten Staaten sind der vollendetste und stärkste Ausdruck des kapitalistischen Systems, während wir der erste Versuch, vorläufig sozusagen ein „Konzept“ des sozialistischen Systems sind. Diejenigen, die die Geschicke der Ver. Staaten lenken, sehen ungern die kommenden Nachfolger des kapitalistischen Regimes. Es wird schwerfallen, das Haupthindernis zu beseitigen, weil kein Land sich mit der Absicht trägt, sein Regime freiwillig zu ändern. Aber trotzdem kann man für die Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen viel tun. Man muss zunächst in Amerika berichten, dass wir immerhin nicht gar so schlimm sind, wie man dort über uns denkt – das wird schon ein kleiner Fortschritt sein. Man muss im Besonderen berichten, dass wir wohl prinzipielle Gegner des Privateigentums sind, den Tatsachen immerhin Rechnung tragen und bei Abschluss von Verträgen mit den Kapitalisten unsere Verpflichtungen gewissenhaft erfüllen.

Warum beschuldigt man uns einer unzulässigen Propaganda. Weil die kapitalistischen Regierungen sich nicht mit der Existenz einer solchen Regierung abfinden wollen, die eine nichtkapitalistische Gedankenrichtung zum Ausdruck bringt. Als Beispiel möge unsere gegenwärtige Unterredung dienen. Wir befinden uns in einer Regierungsstelle. Hier ist ein Bogen mit etwa 20 Fragen überreicht worden, von denen bei sem Willen fast jede als ein Versuch dargestellt werden kann, das Sowjetsystem zu stürzen. Trotzdem wird keine unserer Zeitungen den verehrten Gästen vorwerfen, dass sie eine unzulässige Propaganda treiben.

Vergegenwärtigen Sie sich aber, dass in einem staatlichen Gebäude Washingtons eine Delegation aus der Sowjetunion die gleichen 20 Fragen an einen Staatsbeamten der Vereinigten Staaten stellt, und damit Zweifel an den Stützen der amerikanischen öffentlichen und staatlichen Ordnung äußert. Sie werden selbst einsehen, dass so etwas unmöglich ist.

Ich bitte, meine Worte nicht so zu deuten, als ob in ihnen ein Vorwurf wegen der mir gestellten Fragen enthalten wäre. Das liegt mir absolut fern. Im Gegenteil, ich bin dankbar, dass die Fragen offen und direkt gestellt worden sind. Dadurch ist es möglich, ebenso offen zu antworten. Ich wollte damit nur sagen, dass derartige Fragen von unserer Seite von einem kapitalistischen Staat unvermeidlich als Versuch der unzulässigen „Propaganda" dargestellt werden würden.

Die zwölfte, dreizehnte und vierzehnte Frage betreffen die Investierung ausländischer Kapitalien bei uns. Eine ausführliche Information haben Sie schon in schriftlicher Form erhalten. Wir werden mich daher hier nur auf die grundsätzlichen Erwägungen beschränken.

In unserem Wirtschaftsleben spielen bisher die ausländischen Konzessionen, darunter auch die amerikanischen, eine unbedeutende Rolle. Dafür sind verschiedene Gründe maßgebend. Der erste Grund ist der, dass unser ganzes Gesellschaftssystem erst zehn Jahre existiert, wobei die ersten Jahre seines Bestehens Jahre des Bürgerkrieges waren. Der zweite Grund ist das schon erwähnte, sich aus dem Gegensatz des sozialen Systems ergebende gegenseitige Misstrauen. Der dritte Grund ist die extreme Desorganisation des Weltmarktes und die extreme Instabilität der internationalen und nationalen Wirtschaftskonjunktur. Wenn in Deutschland Riesenfirmen wie die Stinnes-Gesellschaft zusammenbrechen, so findet man das ganz in der Ordnung. Wenn in Japan in den letzten Monaten hunderte Großfirmen zusammenbrechen, so betrachtet man das als eine normale Erscheinung. Wenn aber bei uns der eine oder der andere ausländische Konzessionär nicht sofort einen dreifachen Gewinn erzielt, so muss das Beweis der Lebensunfähigkeit des Wirtschaftssystems der Sowjetunion dienen.

Die fünfzehnte Frage: „Welches sind die Aufgaben der Sowjetregierung auf dem Gebiete der Außenpolitik?“

Unsere erste Aufgabe ist die Erhaltung und Verlängerung des Friedens. Wir glauben, dass wir diese Aufgaben mit den werktätigen Massen der ganzen Welt gemeinsam haben. Wenn in der bürgerlichen Presse von irgendeiner Seite gesagt werden sollte, dass ein Teil unserer Partei den Frieden, der andere den Krieg haben will, so raten wir, eine solche Albernheit nicht zu glauben. Das Streben nach Erhaltung des Friedens stützt sich auf die Grundlagen unseres Systems als Staat der Arbeiter und Bauern und ist uns ein Gesetz der sozialen und kulturellen Selbsterhaltung.

Die sechzehnte Frage lautet: Kann die Sowjetunion die fortschrittlichen kapitalistischen Länder einholen und in welchem Zeitraum?"

Dass wir fortschreiten, ist durch Tatsachen bewiesen. Wer zweifelt nicht daran, dass wir auch weiterhin werden fortschreiten können. Jener Teil des nationalen Einkommens, der früher für die Monarchie, den Adel, die Bourgeoisie verwandt wurde, kann jetzt überwiegend für die Entwicklung der Produktionskräfte und für die Steigerung des materiellen und kulturellen Niveaus der Arbeitermassen verausgabt werden. Die zentralisierte Wirtschaftsleitung verschafft gigantische Vorteile. Können wir die kapitalistischen Länder technisch und kulturell überholen und in welchem Zeitraum? Darauf lässt sich nicht so einfach antworten, besonders was die Frist betrifft. Die Distanz zwischen uns und den an der Spitze marschierenden kapitalistischen Staaten ist noch sehr bedeutend. Unsere Aufgabe besteht darin, durch richtige Ausnutzung in erster Linie der eigenen Mittel im Innern und dann auch durch die äußeren Hilfsquellen, die uns – freilich nicht umsonst – der internationale Kapital- und Warenmarkt erschließen kann, diese Distanz mit jedem Jahr zu verringern. Will man jedoch auf die Frage antworten, wann wir die kapitalistischen Länder eingeholt haben werden, so muss man wissen, was inzwischen mit diesen geschehen wird.

Sie verharren doch auch nicht auf einem Fleck und warten, bis wir herankommen. Augenblicklich haben in Europa die kapitalistischen Länder ungefähr das Wirtschaftsniveau der Vorkriegszeit erreicht. Gleichzeitig ist in verschärfter Form der Kampf um die Absatzmärkte und Rohstoffquellen wieder aufgebrochen, d. h. derselbe Kampf, der vor 13 Jahren zum imperialistischen Krieg führte. In den kapitalistischen Staaten wird die weitere Steigerung der Produktionskräfte automatisch einen neuen Krieg nach sich ziehen, und der neue Krieg wird in erster Linie in Europa die Revolution nach sich ziehen – die Vereinigten Staaten haben da noch einen Aufschub. – Im Allgemeinen wird die kommende Epoche eine Epoche gewaltiger wirtschaftlicher und sozialer Erschütterungen sein. Es ist schwer vorauszusehen, auf welchem technischen und kulturellen Niveau sich die kapitalistischen Länder halten werden. Eins kann man aber sagen: die siegreiche Revolution, sagen wir in Deutschland oder in England und noch mehr in ganz Europa, wird in Verbindung mit unserem Sowjetsystem und unseren Naturschätzen sowohl bei uns als auch in Deutschland und England und in ganz Europa die Entwicklung der Produktionskräfte auf neuer sozialistischer Grundlage außerordentlich beschleunigen. Eine solche Entwicklung der Ereignisse wurde selbstverständlich die Revolution auch in den Vereinigten Staaten beschleunigen, den ihnen von der Geschichte gewährten Aufschub verkürzen.

Dieses Resultat kann jedoch umso sicherer und vollständiger erreicht werden, je erfolgreicher wir in der Bahn des sozialistischen Aufbaus fortschreiten, ohne passiv die proletarische Revolution in Europa und umso mehr ohne die Hände in den Schoß gefaltet unsere Anerkennung durch das kapitalistische Amerika abzuwarten. Dieser Aufgabe – dem Vormarsch auf dem Wege des sozialistischen Aufbaues mit eigenen Mitteln – sind eben unsere größten Anstrengungen gewidmet.

Unter Punkt 17 fragen Sie: Kann man sagen, dass die lebendige Kirche mit der Regierung Hand in Hand arbeitet?

Ich bezweifle es sehr, dass man das sagen kann. Die Sowjetregierung bedarf nicht der Unterstützung der Kirche, im Gegenteil, sie ist bestrebt, die Werktätigen vom Einfluss jeder Religion zu befreien. Was die sogenannte „lebendige Kirche" betrifft, so nimmt mir die Art meiner Beschäftigung und meiner geistigen Interessen die Möglichkeit sie zu beobachten. Die achtzehnte Frage: „Was ist für uns auf dem Gebiete der Wirtschaft die wichtigste Aufgabe?“

Die Amerikanisierung der Technik durch Versteifung des Fundaments des Sozialismus und Steigerung des Wohlstandes der Massen. Wir würden aber nichts gegen die Sowjetisierung der Technik in Amerika einwenden. Würde man die amerikanische Technik mit dem Gesellschaftssystem der Sowjets verknüpfen, so würde sich ein kolossales Wachstum der Kulturmacht der gesamten Menschheit ergeben.

Die neunzehnte Frage:

"Welches ist in der Sowjetunion seit 1921 die wichtigste Errungenschaft des Kommunismus:?'

In der Zeit nach 1921 haben wir unsere Industrie wieder aufgerichtet und im Gesamtumfang der Produktion etwa das Vorkriegsniveau erreicht. In der Geschichte der Menschheit hat der Sozialismus dadurch zum ersten Mal seine Fähigkeit nachgewiesen, die Produktivkräfte eines Landes zu steigern. Mit dieser Frage beschäftigt sich mein auch in Amerika erschienenes Buch: „Zum Sozialismus oder zum Kommunismus?"1

Im Zusammenhang mit der Frage der Kriegsgefahr kehre ich zurück zur Frage der Meinungsverschiedenheiten in unserer Partei. Die Tatsache dieser Meinungsverschiedenheiten interessiert natürlich die öffentliche Meinung der verschiedenen Klassen in verschiedenen Ländern verschieden. Die Presse macht daraus eine Sensation. Die amerikanische Presse nimmt auf diesem Gebiet eine der ersten Stellen ein, wenn nicht die erste Stelle. Sie wissen das besser als ich. Wir können Ihnen nur raten, dass Sie die Meldungen Ihrer Presse nicht für bare Münze nehmen. Zunächst möchten wir Sie bitten, sich bei uns darüber klar zu werden, dass es sich um Meinungsverschiedenheiten innerhalb derselben Partei handelt, die durch die Vorgeschichte des illegalen Kampfes, durch die Kämpfe der Oktoberrevolution. durch den Bürgerkrieg, durch den sozialistischen Aufbau, durch de innere eiserne Disziplin zusammengeschweißt ist. Aus den Meinungsverschiedenheiten können nicht so leicht solche Ereignisse entstehen, auf die unsere Feinde hoffen oder hoffen möchten. Das Trennende ist unvergleichlich geringer als das. was uns verbindet. Einige der uns am feindlichsten gesinnten, der verlogensten oder der am meisten irregeführten ausländischen Zeitungen haben sogar versucht, in der einen oder anderen Weise die Perspektive des Krieges mit dem Kampf innerhalb unserer Partei zu verbinden. Solche Überlegungen oder Hoffnungen sind grundsätzlich falsch, sind eine Mischung von Betrug und Dummheit. Unsere Partei, ich sagte es schon, hat das einmütige Bestreben, den Frieden zu erhalten. Sollten wir jedoch überfallen werden mit dem Ziel, uns an der Fortsetzung des sozialistischen Aufbaues und unserer kulturellen Entwicklung zu hindern, so wird unsere Partei mit derselben einmütigen Begeisterung wie 1917 auf den Barrikaden oder während des Bürgerkrieges in den folgenden Jahren für die Errungenschaften der Oktoberrevolution kämpfen. Wir sind auch jetzt noch dieselben Revolutionäre, die wir waren, als wir die Fahne des Aufstandes gegen den Absolutismus, gegen die Bourgeoisie, gegen den Krieg erhoben. Und wenn unsere Feinde glauben, dass wir seit jener Zeit schwerfällig geworden sind, uns auf die Bärenhaut gestreckt haben, so steht ihnen eine schwere Enttäuschung bevor. Eine ergänzende Frage: „Ganz unabhängig von irgendwelchen Fragen der innerparteilichen Politik sind wir so sehr an der Herstellung besserer Beziehungen zu Russland interessiert, dass wir wissen möchten, ob nicht der Tag herannaht, an dem Sowjetrussland im öffentlichen Leben nicht nur den Arbeitern, sondern auch denen, die mit der Politik der Regierung nicht einverstanden sind, immerhin die Meinungsfreiheit geben wird?"

Wir würden noch heute eine solche Verpflichtung unterzeichnen, wenn die hier Anwesenden eine parallele Verpflichtung unterzeichnen, eben des Sinnes, dass unsere Feinde in der ganzen Welt, die über ungeheure materielle Mittel verfügen, sich nicht in unser inneres Leben einmischen werden, um den ausbeutenden Klassen zu helfen, das Sowjetsystem zu stürzen und das Land auf die Bahn des Kapitalismus zurückzuführen.

Als in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die amerikanischen Radikalen für die Beseitigung der Sklaverei gegen die Sklavenhalter in den südlichen Staaten kämpften, gab es nicht nur im Süden, sondern auch in den Nordstaaten nur sehr wenige sogenannte demokratische „Freiheiten." Ich habe in alten amerikanischen Büchern gelesen, dass in den Nordstaaten Anhänger der Sklaverei, die in öffentlichen Stellen, sei es auch nur in der Kneipe, die Freiheit des Wortes und die Meinungsfreiheit für sich beanspruchen, häufig an ihrem Körper zahlreiche blaue Flecke mit nach Hause nahmen, und ich muss sagen, dass ihre Klagen über die Verletzung der Redefreiheit bei mir auch heute noch sehr wenig Teilnahme wecken. Was die südlichen „Demokraten" betrifft, so haben sie nicht selten die Gegner der Sklaverei geteert und gefedert. Die Beseitigung der Sklaverei der Neger, d. h, Ihr Ersatz durch die „Lohnsklaverei", wurde nicht durch den „freien" Meinungsaustausch, sondern durch den Bürgerkrieg erreicht. Wir kämpfen jetzt für dir Beseitigung der Lohnsklaverei, für die Vernichtung des Kapitalismus. Diese Frage ist viel grandioser und schwieriger als die Beseitigung der Sklaverei von etlichen Millionen Negern. Die ganze Menschheit scheidet sich in zwei Hauptlager: Hier das revolutionäre Proletariat und da die imperialistische Bourgeoisie. Was sich in der Mitte befindet, schließt sich in den kritischen Momenten entweder dem einen oder dem anderen Lager an. Der Kampf lässt auch nicht einen Tag nach. Es handelt sich nicht um die abstrakte Freiheit – abstrakter Meinungen – es handelt sich darum, ob dieses Land sozialistisch oder kapitalistisch sein soll. Und ich muss Ihnen mit aller Offenheit sagen, wer uns versucht, auf den Weg des Kapitalismus zu bringen, dem sind wir geneigt. mit echt proletarischen blauen Flecken seine Bemühungen zu vergüten. Sagt man in Amerika, dass wir die Freiheit verletzen, so antworten wir, dass wir darin den tatsächlichen Vätern der amerikanischen Freiheit ähneln. Die Geschichte hat keine anderen Wege erfunden, um die Menschheit vorwärts zu bringen. Die von Klassengegensätzen zerfleischte menschliche Gesellschaft ist kein Diskussionsklub. Im Kampf benutzen die Klassen alle Mittel der Überzeugung und der Gewalt. Wir sind die Pioniere einer neuen Gesellschaft. Unsere Feinde sind unvergleichlich zahlreicher, reicher, besser gerüstet als wir. Sie lauem uns auf jedem Schritt auf. Sie haben schlaue Winkelzuge erdacht, um die Massen zu betrügen und nennen diese Winkelzüge Regeln der Demokratie. Handelt es sich um grundsätzliche Fragen. um den Schutz des Eigentums, so achten sie selbst diese Regel nie. In der Zirkusarena kann man nach den fairsten Vorschriften des französischen Ringkampfes ringen. Wenn aber dem Leben des Menschen Gefahr droht, oder wenn der Mensch sein Wichtigstes und Teuerstes verteidigt, so gebraucht er die Knie, die Fäuste, die Absätze und Zähne, er beachtet keine Regeln des französischen oder des japanischen Ringkampfes (des Jiu-Jitsu) – und er hat das Recht. Unsere Feinde benötigen für die Ziele ihres Kampfes gegen uns die sogenannte „demokratische Freiheit." Wir werden sie ihnen nicht geben. Wir werden nach wie vor mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln der Überzeugung und des Zwanges die Diktatur des Proletariats als den einzigen Weg zur neuen, tatsächlich freien Gesellschaft verteidigen.

Sollten aber die hier anwesenden oder abwesenden Freunde versprechen, dass sie die Herrschaft der Banken, Trusts, Heere, Dreadnoughts. der Flugzeuge – auf dem Lande, dem Wasser und in der Luft – beseitigen werden, so versprechen wir, an demselben Tage allen Parteien und Richtungen die vollständige und unbeschränkte Freiheit zu geben.

Und nun noch eine Frage, die in der ursprünglichen Aufstellung nicht vorgesehen war und die – wie auch die kritischen Zurufe des Vorsitzenden der Delegation – die kommunistischen Parteien in England und Amerika betrifft Man hat hier gesagt, dass in Amerika gegenüber dem Kommunismus „an sich" keine Feindschaft besteht, aber eine Feindschaft den Kommunisten gegenüber, weil sie angeblich im Gegensatz zu den Kommunisten der Sowjetunion nicht schöpferische, sondern zerstörende Arbeit leisten. Ich glaube nicht, dass wir uns in dieser Frage verständigen können. Uns, die russischen Kommunisten, hat man, bevor wir die Macht eroberten, ebenfalls destruktiver Tendenzen beschuldigt und beschuldigt uns auch heute noch. Die Klagen über die schlechten Methoden der britischen und amerikanischen Kommunisten nehme ich nach den Vorschriften der Gastfreundschaft gefälligst zur Kenntnis, muss aber bemerken, dass ich als Kommunist mich als Mitglied der Internationalen Kommunistischen Partei betrachte und dass in diesem Sinne alle Vorwürfe an die amerikanischen oder englischen Kommunisten jeden Kommunisten, also auch mich, treffen. Wenn bei uns, bei den russischen, englischen oder amerikanischen Kommunisten „schlechte“ Sitten und Gebräuche herrschen, die einige reizen, nun – wir wären bereit, uns im Laufe der Zeit zu bessern, jedenfalls werden wir uns nicht später bessern als unsere Klassenfeinde.

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Damit möchte ich die Antworten auf die gestellten Fragen erschöpft haben. Wenn die Antworten nicht befriedigen, so ist das teils darauf zurückzuführen, dass die Fragen sehr schwierig waren.

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