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Leo Trotzki 19270526 Erklärung der Fünfhundert

Leo Trotzki: Erklärung der Fünfhundert

[Nach dem Sammelband „Der Kampf um die Kommunistische Internationale. Dokumente der russischen Opposition, nicht veröffentlicht vom Stalinschen ZK, veröffentlicht vom Verlag der ,Fahne des Kommunismus'“, Berlin 1927, S. 149-164. Die Erklärung wird oft auch als "Erklärung der Dreiungachtzig" bezeichnet]

Das nachstehende wichtige Dokument wurde dem ZK der WKP zunächst von 83 Genossen überreicht. Sehr bald wuchs die Zahl der Unterschriften auf 500. Diese Zahl war bereits vor dem 1. 7, erreicht. Wir zweifeln nicht daran, dass sie längst überschritten ist. Da die Niederlagenführung der WKP und ihre Marionetten in der Komintern selbstverständlich dieses Dokument unterschlagen, so veröffentlichen wir es mit den Dokumenten des EKKI-Plenums. Die Unterschriften zeigen viele altbekannte Namen, fast ausschließlich alter Bolschewiki, von denen wir beispielsweise die folgenden mit ihrem Parteialter rennen: Beloborodow (1907); Wisnewskaja (1905); Wujowitsch (1902); Wassiljew (1904); Wardin (1907); Gertik, A. (1902); Gordon, N. (1903); Jemeljanow (1899); Jewdokimow (1903); Shuk (1904); Sinowjew; Sax-Gladnew (1906); Kuklin (1903); Kawtaradse (1903); Lasjko (1905); Lisdin (1892); Muralow (1903); Ostrowskaja (1905); Pjatakow (1910): Radek (1902); Sserebrjakow (1905); Smirnow, Iw. N. (1899); Samsonow (1903); Sosnowski (1903); Ter Waganian (1912); Charitonow (1905); Scharow (1904); Zibulski (1904); Eljzin (1898).

An das Politbüro des ZK der WKP(B)

Der beifolgende Kollektivbrief wurde, wie aus seinem Text folgt, bald darauf abgefasst, als der Umsturz des Tschiang Kai-scheks und die Berliner Beschlüsse des anglorussischen Komitees die vollkommene Fehlerhaftigkeit der Politik bloßgelegt hatten, welche von der Mehrheit des ZK, in den Hauptfragen von internationaler Bedeutung getrieben wird. Gerade diese falsche Politik, zusammen mit den scharfen Verschiebungen in den inneren Fragen, hat in außerordentlichem Maße zur Schwächung der internationalen Lage der UdSSR, beigetragen. Der Kollektivbrief wird durch uns dem Zentralkomitee in dem Moment überreicht, wo die englischen Konservativen unter Ausnutzung der Halbheit unserer Politik in der chinesischen Revolution und in der Arbeiterbewegung von England selbst es bis zu einem Bruche der diplomatischen Beziehungen gebracht haben. Die auf diese Weise geschaffene, außerordentlich zugespitzte Lage erteilt unserer tiefen Überzeugung nach diesem Parteidokument eine verzehnfachte Bedeutung.

Eine richtige Linie braucht man immer. Aber dies umso nötiger, je schwieriger die Lage ist. Eine richtige Linie ist unter den heutigen Bedingungen für uns eine Frage von Leben und Tod. Wenn man jetzt die Fehler verschmiert, so geht man mit geschlossenen Augen am Rande eines Abgrunds hin. Das Geschrei darüber, dass wir die Reihen im Moment des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen mit England desorganisieren, oder noch schlimmer, dass wir „die Schwierigkeiten ausnutzen" wollen, dieses unvermeidliche Geschrei, werden wir mit voller Ruhe und mit dem Bewusstsein dessen, dass wir recht haben, übergehen. In der Schule Lenins haben wir gelernt, alles Bedingte, Heuchlerische, Dekorative, der proletarischen Politik Fremde, beiseite zu werfen. Je ernster die vor uns stehenden Aufgaben und Schwierigkeiten sind, desto energischer werden sie alle Grundfragen der Inneren, und der internationalen Politik hart vor die Partei stellen. In solchen Dingen, wie Revolution oder Krieg, hat kleinliches Manövrieren, Abwarten oder Herumscharwenzeln noch niemals, niemandem und keiner Sache geholfen.

Es ist unnötig, hier zu wiederholen, dass wir eine Politik, des Friedens brauchen. Aber falls wirklich der Krieg über uns kommen wird, so wird jeder Arbeiter, jeder Landarbeiter, jeder arme Bauer einerseits, jeder Kulak, jeder Bürokrat, jeder Nepmann andererseits die Frage kategorisch stellen: was für ein Krieg. Krieg im Namen wessen? mit welchen Methoden und Mitteln wird der Krieg geführt werden? Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik. Daher stellt die Kriegsgefahr auch alle Grundfragen der Politik kategorisch. Auf diese Fragen muss man klare und genaue Antworten geben, in Wort und Tat. Diese Antworten braucht jetzt, mehr als jemals, auch das internationale Proletariat und dessen Hilfe ist, wiederum mehr als jemals, im gegenwärtigen Moment für uns notwendig. Was uns verderben kann, das ist Zweideutigkeit, kleine Kunstgriffe, Schwankungen zwischen den Klassen, Halbheit. Was uns retten kann und sicher retten wird, das ist eine klare, genaue Leninsche revolutionäre Linie.

Das Unglück unserer Partei besteht darin, dass sie in der letzten Periode künstlich der Möglichkeiten beraubt war, die Fragen zu diskutieren und kollektiv zu lösen, von denen das Schicksal der Arbeiterklasse und des Arbeiterstaates abhängt. Es bestand die Meinung, dass irgend jemand für sie, für die Partei, wacht und Beschlüsse fasst. In der Periode großer Krisen wird ein solches System absolut unerträglich und unzulässig. Darüber macht eine Gruppe von alten Bolschewiken, alten Parteigenossen dem Zentralkomitee seine Erklärung. Das Zentralkomitee kann und muss der Partei den Ausweg aus der Krise erleichtern und ihr dadurch die Möglichkeit geben, in voller Rüstung den herannahenden Gefahren zu begegnen. Auf diesem einzigen rettenden Wege das Zentralkomitee mit allen Mitteln und Kräften zu unterstützen, sind wir bereit. 26. Mai 1927.

G. Jewdokimow. G. Sinowjew. I. Smilga. L. Trotzki.

An das Zentralkomitee der WKP(B)

Genossen!

Die ernsten Fehler, welche bei der Führung der chinesischen Revolution gemacht worden sind, haben die schwere Niederlage herbeigeführt, aus der man nur dann herauskommen kann, wenn man auf den Weg Lenins zurückkehrt. Die äußerst abnormen Zustände, unter welchen die Diskussion der Fragen, die mit der chinesischen Revolution zusammenhängen, vor sich geht, schaffen eine überaus gespannte Lage in der Partei. Die einseitige „Diskussion", die auf den Seiten der „Prawda" und des „Bolschewik" geführt wird, und die bewusste Verdrehung der Anschauungen der Opposition (beispielsweise die ihr zugeschriebene Forderung des Austritts aus der Kuomintang) zeugen von dem Willen der leitenden Gruppe des Zentralkomitees, ihre Fehler durch eine Hetze gegen die Opposition zu verdecken. Alles das lenkt die Aufmerksamkeit der Partei in eine falsche Richtung.

Im Zusammenhang damit, und ebenso im Zusammenhang mit der falschen Linie des ZK in den Grundfragen der Parteipolitik, halten wir es als Bolschewiken und Leninisten für unsere Pflicht, uns mit dieser Erklärung an das Zentralkomitee zu wenden.

1. Es handelt sich nicht darum, dass wir in China eine kolossale Niederlage erlitten haben, sondern darum, wie und weshalb wir sie erlitten haben.

Trotzdem wir in China bereits eine mächtige Arbeiterklasse haben, trotzdem die Schanghaier Proletarier unter den schwierigsten Umständen es verstanden, den Aufstand zu machen und die Stadt zu besetzen; trotzdem das chinesische Proletariat in China eine mächtige Unterstützung im aufständischen Bauern besitzt; mit einem Wort, trotzdem alle Voraussetzungen für den Sieg des „chinesischen Jahres 1905" (Lenin) vorhanden waren, ergab es sich in Wirklichkeit so, dass die chinesischen Arbeiter die Kastanien für die Bourgeoisie aus dem Feuer geholt haben und bisher in Wirklichkeit die gleiche Rolle gespielt haben, zu welcher die Arbeiter in den Revolutionen des Jahres 1848 verurteilt waren.

Alle Voraussetzungen zur Bewaffnung der chinesischen Arbeiter (in erster Linie derer von Schanghai und Hankau) waren vorhanden. Und trotzdem blieben die heroischen Proletarier von Schanghai waffenlos, und die Arbeiter von Hankau sind in ihrer Masse auch heute nicht bewaffnet, trotzdem in Hankau die „linken" Kuomintangleute herrschen.

Die „Leitung" in China beschränkte sich in Wirklichkeit darauf, dass man die Arbeiter nicht bewaffnen darf, dass man keine revolutionären Streiks organisieren darf, dass man die Bauern nicht endgültig gegen die Großgrundbesitzer auf die Beine bringen darf, dass man keine kommunistische Tageszeitung herausgeben darf, dass man die Herren Bourgeois aus der rechten Kuomintang und die Kleinbürger aus der „linken" Kuomintang nicht kritisieren darf, dass man keine kommunistischen Zellen in den Heeren Tschiang Kai-scheks organisieren darf, dass man die Losung der Sowjets nicht aufstellen darf – um nicht die Bourgeoisie „abzustoßen", um nicht die Kleinbürger „einzuschüchtern", um nicht die Regierung des „Blocks der vier Klassen" zum Schwanken zu bringen. Als Antwort hierauf, aus Dankbarkeit hierfür, erschießt die chinesische „nationale" Bourgeoisie, wie man es auch erwarten musste, die chinesischen Arbeiter und lädt sich heute japanische, morgen amerikanische und übermorgen englische Imperialisten zur Hilfe ein.

In den kommunistischen Parteien der ganzen Welt (darunter auch in breiten Kreisen der WKP) besteht im Zusammenhang mit der chinesischen Niederlage die größte Verwirrung. Noch gestern bewies man aller Welt, dass die nationalen Armeen in ;China rot sind, dass Tschiang Kai-schek ihr revolutionärer Führer ist, dass China, wenn nicht heute, so morgen, den „nichtkapitalistischen" Entwicklungsweg beschreiten wird – und heute erscheinen im Kampfe gegen die wirklich echte Leninsche Linie des Bolschewismus hilflose Artikel und Reden, welche besagen, in China gäbe es ja überhaupt keine Industrie, keine Eisenbahnen, China durchlebe ja erst so ungefähr den Beginn der feudalen Periode, die Chinesen könnten nicht lesen und schreiben usw., es sei verfrüht, in China das Programm der revolutionären demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft aufzustellen und Sowjets zu schaffen. Anstatt dass man die Fehler verbessert, vergrößert man sie.

Die chinesische Niederlage kann in unmittelbarster Weise auf das Schicksal der UdSSR schon in der nächsten Zeit einwirken, Wenn es den Imperialisten gelingt, China für eine längere Zeit zu „zähmen", so werden sie darauf gegen uns anrücken, gegen die UdSSR. Die Niederlage der chinesischen Revolution kann den Krieg gegen die UdSSR außerordentlich nahe rücken. Dabei ist die Partei der Möglichkeit beraubt, die chinesische Frage durch zu diskutieren, die jetzt für sie als für die erste Partei der Komintern die wichtigste Frage ist. Die prinzipielle Erörterung der Fragen der chinesischen Revolution ist verboten. Gleichzeitig wird aber in Wirklichkeit eine wüste Diskussion geführt, aber bloß einseitig, d.h. als Hetze gegen die Opposition, mit dem Zweck der Vertuschung der falschen Linie des leitenden Kerns des ZK.

2. Der Generalstreik in England im Vorjahre, der vom Generalrat verkauft und verraten worden ist. erlitt eine Niederlage. Mit einer Niederlage endete auch der Bergarbeiterstreik. Trotz einer kolossalen Verschiebung von Millionenmassen nach links, trotzdem kaum jemals die Treulosigkeit und Gemeinheit des Reformismus mit solcher Vollkommenheit sich gezeigt hat, wie während der großen englischen Streiks, hat der revolutionäre Flügel in der englischen Arbeiterbewegung äußerst wenig gewonnen. Die Hauptursache hierfür liegt in der unentschlossenen, inkonsequenten, von Halbheiten strotzenden Führung von unserer Seite. Die Unterstützung mit Geldmitteln, welche den englischen Bergarbeitern durch die Arbeiter der UdSSR geleistet wurde, war vorzüglich. Dagegen war die Taktik des ZK in der Frage des anglorussischen Komitees vollkommen falsch. Wir haben die Autorität der Verräter des Generalrats in den für sie kritischsten Wochen und Monaten während des Generalstreiks und des Bergarbeiterstreiks unterstützt. Wir haben ihnen geholfen, sich zu halten. Wir haben damit geschlossen, dass wir vor ihnen auf der letzten Berliner Konferenz kapituliert haben, indem wir den Generalrat als einzigen Vertreter des englischen Proletariats (und sogar als einzigen Vertreter der Anschauungen desselben) anerkannt haben, und das „Prinzip" der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Arbeiterbewegung Englands anerkannt haben.

Vor dem Hintergrund der chinesischen Ereignisse erhalten die Beschlüsse der letzten Konferenz des anglorussischen Komitees eine besonders verhängnisvolle Bedeutung. In der ganzen internationalen Presse haben Tomski und die anderen Vertreter des WZSPS erklärt, dass die Konferenz in Berlin einen „herzlichen Charakter" besaß, dass alle Beschlüsse „einmütig" angenommen wurden, dass diese Beschlüsse angeblich, ein Sieg des internationalen Proletariats sind usw.

Diese Heuchelei und Lüge können die Arbeiterbewegung der Welt lediglich in neue Niederlagen hereinführen.

Die Berliner Konferenz des anglorussischen Komitees hat kein einziges Wort über die Räuberrolle der englischen Imperialisten im China gesagt, sie hat nicht einmal die Forderung auf Abberufung der imperialistischen Heere aus China erhoben. In einem Moment, wo in China der direkte Krieg der Imperialisten gegen die chinesische Revolution eröffnet wurde, hat das anglorussische Komitee in verbrecherischer Weise geschwiegen, d.h. genau das getan, was die englische Bourgeoisie braucht.

Kann man daran zweifeln, dass diejenigen, welche jetzt vor den Augen der ganzen Welt offen die Interessen des englischen Proletariats selbst bei einer solchen Frage verraten wie die der Freiheit der Gewerkschaften in England, dass sie morgen, im Falle eines Krieges gegen die UdSSR, eine ebenso gemeine und verräterische Rolle spielen werden, wie diese Herrschaften sie im Jahre 1914 gespielt haben?

Zwischen der falschen Linie in der chinesischen Frage und der falschen Linie in der Frage des anglorussischen Komitees, besteht ein ganz enger innerer Zusammenhang. Die gleiche Linie zieht sich jetzt durch die gesamte Politik der Komintern hin. In Deutschland werden jetzt Hunderte von linken Proletariern, fortgeschrittenen Arbeitern nur deshalb aus der Partei ausgeschlossen, weil sie mit der russischen Opposition solidarisch sind. Die rechten Elemente erhalten ein immer größeres Übergewicht in allen Parteien. Die gröbsten rechten Fehler (in Deutschland, Polen, Frankreich usw.) bleiben unbestraft. Die kleinste Stimme der Kritik von links führt zur Abspaltung. Die Autorität der WKP und der Oktoberrevolution werden so ausgenutzt zur Verschiebung der kommunistischen Parteien nach rechts, von der Leninschen Linie weg. Alles das zusammengenommen beraubt die Komintern der Möglichkeit, den Kampf gegen den Krieg auf Leninsche Art vorzubereiten und: durchzuführen.

3. Für jeden Marxisten ist es unbestreitbar, dass die falsche Linie in China und in der Frage des anglorussischen Komitees nicht zufällig ist. Sie setzt die falsche Linie in der inneren Politik fort und ergänzt sie.

Die Wirtschaft der Sowjetregierung hat im großen Ganzen Ihre Wiederherstellungsperiode abgeschlossen. Im Verlauf dieser Periode sind beim Wirtschaftsaufbau ernste Erfolge erhielt worden. In der Industrie, in der Landwirtschaft und in anderen Zweigen der Volkswirtschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken kommen wir entweder an das Vorkriegsniveau heran, oder haben es bereits überschritten. Auf dem Gebiet des Genossenschaftswesens sind ebenfalls Erfolge erzielt. Diese Erfolge sind der beste Beweis für die Richtigkeit der Neuen Ökonomischen Politik, die von Lenin proklamiert worden ist und die beste Antwort an die Feinde der Oktoberrevolution. Das Land der proletarischen Diktatur erwies sich als durchaus fähig zum sozialistischen Aufbau, zeigt auf diesem Gebiete erste Erfolge und bereitete dadurch, zusammen mit dem Proletariat der anderen Länder, den endgültigen Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt vor.

Aber gleichzeitig mit diesen ernsten Errungenschaften zeigten sich als Resultat der Wiederherstellungsperiode große Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten, welche aus der ungenügenden Entwicklung der Produktivkräfte, aus unserer wirtschaftlichen Rückständigkeit stammen, werden vergrößert dadurch, dass man sie vor den weiten Parteimassen verbirgt. Anstelle einer marxistischen Analyse der wirklichen Lage der proletarischen Diktatur in der UdSSR, wird der Partei die kleinbürgerliche „Theorie des Sozialismus in einem Lande" serviert, welche nichts mit dem Marxismus und Leninismus gemein hat. Dieses gröbliche Verlassen des Marxismus führt dazu, dass es für die Partei schwerer wird, den Klasseninhalt der vor sich gehenden ökonomischen Prozesse zu sehen. Aber gerade in den für das Proletariat ungünstigen Klassenverschiebungen und in der schwierigen Lage breiter Volksmassen; bestehen die negativen Erscheinungen der von uns durchlebten Periode der Revolution.

Die Fragen des Arbeitslohns und der Arbeitslosigkeit nehmen immer schärferen Charakter an.

Die falsche Politik beschleunigt das Wachstum der der proletarischen Diktatur feindlichen Kräfte: des Kulaken, des Nepmanns, des Bürokraten. Das führt zur Unmöglichkeit, im notwendigen Maße und in richtiger Weise die im Lande vorhandenen materiellen Quellen für die Industrie und die gesamte. Staatswirtschaft auszunutzen. Das Zurückbleiben der Großindustrie hinter den Anforderungen, die an sie sowohl durch die Volkswirtschaft (Warenhunger, hohe Preise, Arbeitslosigkeit) wie durch das Sowjetsystem im Ganzen (Landesverteidigung) gestellt werden, führt zur Verstärkung der kapitalistischen Elemente der Sowjetunion, insbesondere auf dem Lande. Das Wachsen des Arbeitslohns ist stehen geblieben mit der Tendenz zur Senkung des Lohnes für einzelne Arbeiter-Gruppen. Anstelle der bis zur letzten Zeit durchgeführten Hebung des Arbeitslohns entsprechend dem Wachstum der Arbeitsproduktivität, wird jetzt als Regel festgestellt, dass der Lohn lediglich auf Kosten der Erhöhung der Arbeitsintensität wachsen soll (vergl. § 2 der Beschlüsse des Sowjetkongresses nach dem Referat des Gen. Kuibyschew). Das heißt, der Arbeiter in der UdSSR kann von jetzt ab seine materielle Lage nicht im Zusammenhang mit dem Wachstum der Wirtschaft und der Verbesserung der Technik verbessern, sondern nur infolge größeren Aufwands an Arbeit, an Muskelkraft. Eine solche Fragestellung wird zum ersten Male gegeben, während die Intensität der Arbeit heutzutage im Großen und Ganzen das Vorkriegsniveau erreicht hat und stellenweise sogar höher ist. Eine solche Politik geht gegen die Interessen der Arbeiterklasse.

Die Arbeitslosigkeit wächst nicht nur auf Kosten der vom Dorfe Herkommenden, sondern auch auf Kosten der Kader des Industrieproletariats. Die wirkliche Arbeitslosigkeit ist höher als die registrierte. Die Vergrößerung der Arbeitslosenarmee verschlechtert die wirtschaftliche Lage der ganzen Arbeiterklasse.

Die Wohnungsbedingungen für die Arbeiter verschlechtern sich an einer Reihe von Orten nach wie vor, sowohl was die Wohnfläche betrifft, wie auch, was die Bedingungen der Benutzung der Wohnung betrifft.

Die Verringerung der Verteidigung der heranwachsenden Arbeiter und die Abschaffung der kostenlosen Lehrzeit verschlechtert scharf die Lage der Arbeiterjugend.

Die aus alledem entstehenden Gefahren sind klar, da die Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse und unserer Partei entscheidend sind für das Schicksal eines Arbeiterstaates.

Die Preissenkung bei den Industriewaren gelingt nur in äußerst geringem Maße; trotzdem die Opposition auf dem Februarplenum des ZK für die Resolution über die Preissenkung gestimmt hat, ist die gesamte offizielle Agitation auf die Beschuldigung der Opposition gerichtet, sie wolle nicht die Preissenkung. Eine solche Agitation führt die Partei irre und zieht ihre Aufmerksamkeit von den Grundfragen unserer Wirtschaftspolitik ab. Die Frage der Preissenkung wird dadurch um keinen Schritt vorwärts gebracht. Inzwischen wachsen Unzufriedenheit und Ungeduld der städtischen und ländlichen Konsumenten.

Die Differenzierung der Bauernschaft geht in immer schnellerem Tempo vor sich. Von der Losung, „bereichert euch" bis zur Aufforderung an die Kulaken, sie mögen in den Sozialismus „hineinwachsen" ist der führende Kern des ZK zur Verschweigung der Differenzierung der Bauernschaft gekommen, zur Verkleinerung dieser Differenzierung einerseits, andererseits aber zur praktischen Orientierung auf den wirtschaftskräftigen Bauern. Zum zehnjährigen Jubiläum der Oktoberrevolution haben wir eine solche Lage, dass etwas über 3½ Millionen von Landarbeitern eine nur äußerst geringe Rolle in den Sowjets, in den Genossenschaften, in den Parteizellen spielen, und dass der Dorfarmut immer noch ungenügend Aufmerksamkeit und Hilfe zugewandt wird. Die Resolution des letzten Sowjetkongresses über die Landwirtschaft spricht überhaupt nicht über die Differenzierung auf dem Lande, d.h. über die Grundfrage seiner ökonomischen und politischen Entwicklung. Alles das schwächt unsere Stütze im Dorfe, und erschwert das Bündnis der Arbeiterklasse und der Dorfarmut mit den Mittelbauern. Dieses Bündnis kann nur unter systematischem Kampfe gegen die Ausbeutertendenzen des Kulakentums sich entwickeln und befestigen, dessen Wachstum und Bedeutung bei uns verkleinert wird. Eine solche Politik stellt eine Gefahr dar, welche sich allmählich akkumuliert und plötzlich zum Durchbruch kommen kann. Inzwischen schlägt der ganze offizielle Apparat, sowohl der Parteiapparat wie der Sowjetapparat, gegen links und öffnet dadurch der wirklichen, d.h. der klassenmäßigen Gefahr von rechts Tür und Tor.

Der Vorschlag, 50 Prozent der Bauernwirtschaften, d.h. die armen Bauern und die ärmeren Bauern, von der Landwirtschaftssteuer zu befreien, wird zu einer Hetze ausgenutzt.. Dabei rechtfertigt sich dieser Vorschlag immer mehr durch die wirtschaftliche und politische Lage des Dorfes. Einige Dutzend Millionen Rubel haben, bei einem 5-Milliarden-Budget eine sehr bescheidene Bedeutung. Dagegen ist die Eintreibung dieser Summe bei den ärmeren Wirtschaften einer der Umstände, welche den Differenzierungsprozess beschleunigen und die Positionen der proletarischen Diktatur im Dorfe schwächen. „Kompromisse mit den mittleren Bauern erzielen können, ohne auch nur für einen Augenblick auf den Kampf gegen den Kulaken zu verzichten und sich nur auf den armen Bauern stützen" (Lenin) – so muss die Grundlinie unserer Politik im Dorfe sein.

Im September des vorigen Jahres haben wir einen Aufruf gelesen, der von drei Genossen unterschrieben war, welche verantwortlichste Stellungen einnehmen (die Gen. Rykow, Stalin, Kuibyschew), darüber, dass die Opposition, d.h. ein Teil unserer eigenen Partei und ein Teil ihres Zentralkomitees angeblich die Bauernschaft „ausrauben" will. Anstelle dessen versprach der Aufruf auf dem Wege des Sparregimes die unproduktiven Ausgaben um 300 bis 400 Millionen Rubel pro Jahr einzuschränken. In Wirklichkeit hat der bürokratisch verzerrte Kampf um das Sparsamkeitsregime zu einem neuen Herumreißen der Arbeiter geführt, und hat keinerlei irgendwie spürbare Resultate geliefert.

Die Rationalisierung der Industrie trägt einen zufälligen, unstimmigen, undurchdachten Charakter, führt zur Ausstoßung immer neuer Arbeitergruppen in die Reihen der Arbeitslosen, ohne wenigstens die Senkung des Selbstkostenpreises zu liefern.

Man muss alle Beschlüsse der letzten zwei Jahre, welche die Lage der Arbeiterklasse verschlechtern, außer Kraft setzen und ein für alle Mai feststellen, dass ohne systematische und planmäßige Verbesserung, mag sie anfangs auch klein sein, der Lage der Arbeiterklasse, dieser „grundlegenden Produktivkraft" (Marx), unter den heutigen Umständen man weder die Wirtschaft noch die sozialistische Industrie heben kann.

Die Hauptbedingungen zur Lösung der Frage, die gegenwärtig auf dem Gebiete des Wirtschaftsaufbaus vor der Partei, unter höchst komplizierter Klassenverflechtung innerhalb des Landes, unter dem Wachstum eines feindlichen Angriffs gegen die UdSSR von außen her stehen, unter den Bedingungen der Verzögerung der internationalen proletarischen Revolution, das sind die Fragen der Belebung der Innerparteilichen Demokratie und der Verstärkung des lebendigen aktiven Zusammenhangs der Partei mit der Arbeiterklasse.

Wir brauchen eine eiserne Parteidisziplin wie zu Lenins Lebzeiten. Wir brauchen auch innerparteiliche Demokratie, wie zu Lenins Lebzeiten.

Die ganze Partei muss von oben bis unten auf bolschewistische Weise ideologisch und organisatorisch zu einer fest zusammengeschweißten Kollektivkraft werden, die mit ihrer ganzen Masse ihre wirkliche, nicht aber nur offizielle und scheinbare, Teilnahme an der Lösung aller Fragen, welche vor der Partei stehen, durch die Arbeiterklasse und durch das ganze Land besitzt.

Das in der letzten Zeit eingerissene innerparteiliche Regime aber führt zu einer ungeheuren Senkung der Aktivität der Partei, dieser führenden Kraft der proletarischen Revolution. Die Möglichkeiten der bewussten Teilnahme an der Lösung der wichtigsten Fragen der proletarischen Revolution sind für die breiteren unteren Parteimassen im äußersten Grade verengert und verringert worden.

Das musste sich widerspiegeln und spiegelt sich in der negativsten Weise ab an den Beziehungen der Arbeiterklasse zur Partei und an der Aktivität der Arbeiterklasse im Ganzen.

Das Regime, das sich in der Partei eingestellt hat, wird vollständig auf die Gewerkschaften übertragen. Die russische Arbeiterklasse, welche die Erfahrungen von drei Revolutionen hinter sich hat, die sie unter der Führung der bolschewistischen Partei und Lenins durchgemacht hat, die durch das Blut ihrer besten Söhne das Fundament des Sowjetstaates gelegt hat, die Wunder an Heroismus und Organisiertheit vollführt hat, besitzt alle Voraussetzungen dafür, dass sie in breitester Weise ihre schöpferischen, organisierenden Kräfte entwickelt. Aber das jetzt eingerissene Regime hindert die Arbeiter, ihre Aktivität zu entwickeln, stört sie im notwendigen Maße ihre Hände beim sozialistischen Aufbau zu rühren.

Die proletarische Diktatur wird in ihrer klassenmäßigen Grundlage selbst geschwächt.

Auf dem elften Parteitag sagte Wladimir Iljitsch der Partei, dass die Hauptaufgabe der Wirtschaftsarbeit die richtige Auswahl von Menschen ist. Dagegen ist der jetzige Kurs eine direkte Negation dieser Direktiven. In Wirklichkeit werden an einer ganzen Reihe von Stellen systematisch die selbständigsten qualifizierten Parteigenossen, unternehmungsfreudige Wirtschaftler, aus den Betrieben ausgestoßen, und sie werden durch die Bank durch solche Elemente ersetzt, welche nicht dem Sozialismus dienen, sondern sich an ihre nächstvorgesetzte Obrigkeit anschmieren. Die himmelschreienden Abnormitäten des Parteiregimes spiegeln sich so in den allerwichtigsten Lebensfragen der Millionen Massen ab.

Die internationale Lage wird immer gespannter. Die Kriegsgefahr wird größer. Die zentrale Aufgabe der WKP und der ganzen Avantgarde des internationalen Proletariats besteht jetzt darin, den Krieg abzuwehren (oder wenigstens auf eine möglichst lange Frist hinauszuschieben), um jeden Preis die Friedenspolitik durchzuhalten, welche bis zu Ende zu führen nur unsere Partei und die Sowjetregierung fähig ist.

Die Sache der UdSSR ist die Sache des internationalen Proletariats. Die über dem Haupte der UdSSR schwebende Gefahr eines neuen Krieges abzuwehren, ist die wichtigste Aufgabe des internationalen Proletariats. Das kann man aber nicht leisten durch einen Block mit den Verrätern aus dem Generalrat. Es ist kein ernster Kampf zur Abwehr des Krieges im Bündnis mit den Purcells und Citrines möglich. An die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter kann man nur dann herankommen, man kann sie in den Kampf gegen den Krieg nur dann hereinziehen, wenn man das über die Köpfe dieser verräterischen Führer hinweg und im Kampfe gegen sie tut.

Wir bestehen darauf, dass unser ZK der bevorstehenden Plenarsitzung des EKKI helfen soll, ausführlich, ernsthaft und vorurteilslos, auf Grund von Dokumenten, die letzten Ereignisse in China zu beurteilen (unter Heranziehung von Genossen, welche unseren Standpunkt kennen, zu dieser Arbeit), damit das EKKI die chinesische und die anglorussische Frage in vollem Umfange stellen kann, damit in der Presse unserer Partei und in der internationalen kommunistischen Presse die Möglichkeit gegeben wird, diese Grundfragen allseitig und ausführlich zu besprechen (natürlich unter Wahrung der notwendigen Konspiration).

Die internationale Befestigung der UdSSR erfordert die Befestigung der proletarischen revolutionären Linie innerhalb der UdSSR. Sie werden geschwächt durch das Stehenbleiben des Wachstums der Löhne, durch die sich verschlechternde Wohnungswirtschaft für die Arbeiter und durch die wachsende Arbeitslosigkeit. Wir werden geschwächt durch die falsche Politik der Dorfarmut gegenüber. Wir werden geschwächt durch die Fehler in der Wirtschaftspolitik. Wir werden geschwächt durch die Niederlage der englischen Arbeiter und der chinesischen Revolution. Wir werden geschwächt durch das falsche innerparteiliche Regime.

Unsere gesamte Parteipolitik leidet am Rechtskurs. Wenn der jetzt vorbereitete neue Schlag gegen die Opposition, geführt werden wird, so wird das endgültig die Hände der rechten, unproletarischen und antiproletarischen. Elemente, teils auch in unserer eigenen Partei, hauptsächlich aber außerhalb ihrer Reihen, freimachen. Der Schlag gegen die Linken wird als notwendige Folge im Triumph der Tendenzen von Ustrjalow mit sich führen. Einen solchen Schlag gegen die Opposition fordert Ustrjalow längst im Namen der Neonep. Ustrjalow ist der konsequenteste, prinzipiellste und unversöhnlichste Feind des Bolschewismus. Die selbstzufriedenen Verwaltungsmenschen, die Beamten, die sich nach der Obrigkeit richten, die Kleinbürger, die sich bis zu Kommandoposten durchgefressen haben und hochmütig auf die Masse herunterblicken, fühlen immer mehr Grund unter ihren Füßen und erheben immer höher ihr Haupt. Das sind lauter Elemente der Neonep. Hinter ihnen steht der Spezialist, welcher ein Ustrjalow-Anhänger ist und in der nächsten Reihe der Nepmann und der Kulak unter der Firma des wirtschaftskräftigen Bauern. Von hier kommt die wirkliche Gefahr.

In den inneren Fragen äußern sich die Verschiebungen nicht so deutlich wie in den äußeren, da alle inneren Prozesse sich viel langsamer entwickeln, als der Generalstreik in England oder die Revolution in China. Aber die Grundtendenzen der Politik sind hier wie dort gleich, und je langsamer sie im inneren sind, desto ernsthafter können sie sich äußern.

Lenin definierte den Sowjetstaat als einen Arbeiterstaat in einem Lande mit bäuerlicher Mehrheit der Bevölkerung und mit bürokratischen Entartungen. Das wurde Anfang 1921 gesagt. Die Leninsche Definition ist jetzt lebendiger als je. In den Jahren der Nep ist die neue Bourgeoisie in Stadt und Land als eine ernsthafte Kraft herangewachsen. Schlägt man unter solchen Umständen gegen die Opposition, so ist das nichts anderes als der Versuch, unter dem heuchlerischen Geschrei von der Verteidigung der Einheit („die Anstifter jeder Spaltung schreien am lautesten von der Vereinigung", sagte Engels) den linken, proletarischen. Leninschen Flügel unserer Partei zu diskreditieren und zu zerschlagen. Eine solche Zerschlagung würde die unvermeidliche und rasche Verstärkung des rechten Flügels der WKP und die ebenso unvermeidliche Perspektive der Unterwerfung der Interessen des Proletariats unter die Interessen anderer Klassen bedeuten.

5. Die Einheit der Partei brauchen wir stets, besonders unter den heutigen Bedingungen. In der Schule Lenins haben wir alle gelernt, dass ein Bolschewik die Einheit anstreben muss auf der Grundlage einer revolutionären, proletarischen, politischen Linie. Unter den schwierigsten geschichtlichen Bedingungen, in den Jahren der Illegalität, dann im Jahre 1917, wo wir in der Umkreisung des Krieges um die Macht kämpften, im Jahre 1918. wo unter beispiellos schweren Bedingungen die Frage des Friedens von Brest Litowsk entschieden wurde und in den darauf folgenden Jahren hat die Partei unter Lenin offen die Streitfragen diskutiert und den richtigen Weg zur wirklichen, nicht bloß scheinbaren Einheit gefunden. Das hat uns unter unvergleichlich schwereren Bedingungen als es die heutigen sind, gerettet.

Die Hauptgefahr besteht darin, dass der wirkliche Inhalt der Differenzen vor der Partei und der Arbeiterklasse verborgen wird. Jeder Versuch, die Streitfragen vor die Partei zu bringen, wird als Attentat gegen die Parteieinheit erklärt.

Die falsche Linie wird von oben her auf mechanischem Wege fixiert. Es wird eine äußerliche Einheit und offizielles Wohlbefinden hergestellt. In Wirklichkeit aber führt das zur Schwächung der Positionen der Partei in der Arbeiterklasse, und der Positionen der Arbeiterklasse in ihrem Kampfe gegen die Klassenfeinde. Eine solche Lage schafft ungeheure Hindernisse für das politische Wachstum der Partei und für eine richtige Leninsche Leitung der Partei, und muss unvermeidlicherweise die ernstesten Gefahren für unsere Partei bei der ersten schroffen Wendung, beim ersten ernsthaften Schlage von innen oder im internationalen Rahmen mit sich bringen.

Wir sehen diese Gefahr deutlich, und wir halten es für unsere Pflicht, das Zentralkomitee davor zu warnen, gerade um der Zusammenschweißung der Reihen der Partei willen, auf der Grundlage einer Leninschen Politik, sowohl international wie im Inneren.

*

Wie soll man die Differenzen überwinden, wie soll man die Klassenlinie berichtigen, ohne dabei auch nur im Geringsten: die Einheit der Partei zu schädigen?

So, wie das stets zu Lenins Zeiten gemacht wurde.

Wir schlagen vor, das ZK möge folgendes beschließen:

1. Spätestens drei Monate vor dem 15. Parteitag wird ein besonderes Plenum des ZK einberufen zur vorhergehenden Diskussion aller Fragen des 15. Parteitags.

2. Dieses Plenum muss sich die Aufgabe stellen, alles Mögliche zur Ausarbeitung einstimmiger Beschlüsse zu tun, was am besten die größtmöglichste Einheit und wirkliche Liquidierung des innerparteilichen Kampfes sicher stellen würde.

3. Dasselbe Plenum muss die Vertretung der WKP in der Komintern beauftragen, im EKKI eine Reihe von Maßnahmen in Angriff zu nehmen, zur Wiedergewinnung derjenigen ausgeschlossenen Genossen, welche die Komintern darum angehen und auf dem Boden der Komintern stehen, und zur Schaffung einer vollen Einheit in den Bruderparteien (es handelt sich selbstverständlich nicht um Elemente wie Katz und Korsch).

4. Wenn trotzdem innerhalb dieses besonderen Plenums des ZK sich prinzipielle Differenzen zeigen sollten, so müssen sie rechtzeitig formuliert und veröffentlicht werden. Jeder Genosse muss die Möglichkeit erhalten, seinen Standpunkt vor der Partei, in der Presse und Versammlungen, zu verteidigen, wie das stets zu Lenins Lebzeiten der Fall war.

5. Die Polemik muss in streng kameradschaftlichem, sachlichem Rahmen geführt werden, ohne Zuspitzung und Übertreibung.

6. Die Thesenentwürfe, sowohl des ZK wie auch der einzelnen Organisationen, einzelner Parteimitglieder und Gruppen der Parteimitglieder müssen in der „Prawda" (oder in einer Beilage zur „Prawda") ebenso in den lokalen Parteizeitungen veröffentlicht werden, ungefähr bereits zwei bis drei Monate vor dem 15. Parteitag.

7. Die Parteiverlage müssen ebenfalls das rechtzeitige Erscheinen von Broschüren, Büchern, Sammelbänden usw. auch für diejenigen Parteigenossen sicherstellen, welche wünschen werden, der Partei Anschauungen vorzulegen, welche bisher in der Partei keine Mehrheit gefunden haben.

8. Die Hauptlosung der ganzen Vorbereitung des 15. Parteitags muss die Losung der Einheit, der wirklichen Leninschen Einheit der WKP. sein.

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P. S. Unsere Erklärung, die durch die Unterschriftensammlung naturgemäß etwas verspätet herauskam, müssen wir jetzt einreichen in einem Augenblick, wo von oben her eine Kampagne gegen den Genossen Sinowjew angekurbelt wird unter dem Vorwand seines Auftretens am 9. Mai in einer angeblich parteilosen Versammlung. Diejenigen von uns, welche die Rede des Genossen Sinowjew gehört hatten oder die Möglichkeit hatten, das Stenogramm dieser Rede kennen zu lernen, würden, ohne einen Augenblick zu zaudern, ihre Unterschrift unter diese Rede setzen, welche in gemäßigter und tadelloser parteimäßiger Form die Unruhe weiter Kreise gegen die Vergewaltigung durch den Martynowschen Kurs in der „Prawda" zum Ausdruck brachte. Die Rede des Genossen Sinowjew gilt selbstverständlich nur als äußerer Vorwand für die gegen ihn geführte Hetze, Wie aus unserer ganzen Erklärung hervorgeht, begann die unmittelbare Vorbereitung zur Kampagne gegen die Opposition gleichzeitig mit den ersten Nachrichten über die Niederlage der chinesischen Revolution

Soweit man den Sinn begreifen kann, ist der unmittelbare Zweck der Kampagne gegen den Gen. Sinowjew der Versuch, ihn vor dem Parteitag und ohne Parteitag aus dem Zentralkomitee zu entfernen, um einen der Kritiker der falschen Linie während der Vorbereitungen zum 15. Parteitag und auf dem 15. Parteitag selbst loszuwerden Das Gleiche kann morgen auch mit den übrigen oppositionellen Mitgliedern des ZK. geschehen. Durch solche Kniffe kommt nichts heraus als Schaden für die Partei. Die auf Betreiben des Politbüros geschehene Nichtzulassung des Gen. Sinowjew, eines der Begründer und des auf den Vorschlag von Lenin gewählten ersten Präsidenten der kommunistischen Internationale, zum EKKI, ist eine beispiellose Tatsache in der Geschichte der kommunistischen Bewegung, Die Nichtzulassung des Gen. Sinowjew, der Mitglied des EKKI ist, zur Beratung der wichtigsten Fragen der Weltarbeiterbewegung können wir nur durch Mangel an politischem Mut bei denen erklären, welche vorziehen im Kampf der Ideen durch die verwaltungstechnische Befehle zu ersetzen. Diese Tatsache ist, abgesehen von ihrer politischen Bedeutung, eine grobe Verletzung der formalen Rechte des Gen. Sinowjew, der ein auf dem 5. Kongress einstimmig gewähltes Mitglied des EKKI ist. Der Weg der Beseitigung und Brandmarkung der Leninisten ist nicht der Weg der Einheit für die Kommunistische Internationale.

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass unsere Erklärung Anlass dazu geben wird, uns einer fraktionellen Aktion zu beschuldigen. Besonders eifrig werden die zu allem bereiten Beamten und „Literaten" aus der „neuen" Schule der „Jungen" sein. Aber unser Brief ist unter anderem auch gegen sie gerichtet. Einige von ihnen werden in der Minute der Gefahr als erste die Sache des Proletariats im Stiche lassen. Indem wir diese Erklärung abgeben, erfüllen wir die Pflicht von Revolutionären und Parteimenschen, wie man das stets in den Reihen der Leninschen Bolschewiken verstand.

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Unter dieser Erklärung wurden in kurzer Frist einige Dutzend Unterschriften von alten Bolschewiken gesammelt. Wir zweifeln nicht daran, dass auch eine Reihe anderer alten Bolschewiken, die jetzt an einer Reihe von Orten der UdSSR und im Auslande sind, ihre Unterschrift geben würden, wenn sie rechtzeitig davon erfahren hätten.

Wir zweifeln nicht daran, dass der in diesem Dokument dargestellte Standpunkt von einem großen Teile unserer Partei geteilt wird, insbesondere von ihrem Arbeiterteil. Wer die wirkliche Stimmung der Arbeiter, der Mitglieder unserer Partei kennt, der weiß, dass das so ist.

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