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Leo Trotzki 19270528 Ist es nicht Zeit, zu begreifen?

Leo Trotzki: Ist es nicht Zeit, zu begreifen?

[Nach dem Sammelband „Der Kampf um die Kommunistische Internationale. Dokumente der russischen Opposition, nicht veröffentlicht vom Stalinschen ZK, veröffentlicht vom Verlag der ,Fahne des Kommunismus'“, Berlin 1927, S. 143-146]

Heute finden sich im Bulletin der „TASS" nicht für die Presse Nr. 116, einige Telegramme von ausschließlicher politischer Bedeutung. Diese Telegramme werden vor der öffentlichen Meinung nicht deshalb verborgen gehalten, weil sie dem Sowjetstaat oder der chinesischen Revolution Schaden zufügen könnten, sondern weil sie die Fehlerhaftigkeit des offiziellen Kurses und die Richtigkeit der Linie der Opposition beweisen. Wir führen nur die zwei, besonders auffallenden Telegramme an:

Schanghai, 24. 5. (TASS) Der zentrale politische Rat in Nanking hat beschlossen Feng Yui-hsiang zum Mitglied des Rates zu machen."

Davon, dass Tschiang Kai-schek den Feng Yui-hsiang zum Mitglied des Rats gemacht hat (vielleicht vorläufig ohne Zustimmung des vorsichtigen Feng Yui-hsiang). weiß jetzt die ganze Welt. Das soll aber ein Geheimnis für die Sowjetarbeiter bleiben. Weshalb? Weil man bei uns. bis in die letzte Zeit hinein, den Feng Yui-hsiang als echten „Arbeiter" oder „Bauer", als zuverlässigen Revolutionär usw. dargestellt hat, das heißt in Bezug auf den Feng Yui-hsiang alle Fehler hat dass heißt in Bezug auf den Feng Yui-hsiang alle Fehler gemacht hat, die man früher in Bezug auf Tschiang Kai-schek gemacht hat. Jetzt verbergen wir schon die letzten Wochen alle Telegramme über das mehr als zweideutige Benehmen des Feng Yui-hsiang. Weshalb? Wozu? Offenbar, weil man mit der stillen Hoffnung wartet: vielleicht wird er doch nicht Verrat üben. Wenn er aber verraten wird, dann werden wir sagen: das entspricht, vollkommen unserer Voraussage über den Weggang der Bourgeoisie von der nationalen Revolution. Und jetzt? Anstatt die chinesischen Arbeiter und die Partei zu warnen, anstatt die Massen der Arbeiter, Bauern und Soldaten zur Ergreifung wirklicher revolutionärer Maßnahmen gegen die Generalität zu ergreifen, verschweigen wir, verbergen wir die Telegramme in der Tasche. Das wird nichts, helfen. Die Klassenlogik der Revolution kann man nicht in der Tasche verstecken.

Das zweite Telegramm:

Die Lage in Hankau. Hankau, 23. 5. (TASS) Das ZK der Kommunistischen Partei hat dem Verband zu der Stärkung der revolutionären Front von Hubei vorgeschlagen, die Beziehungen zwischen den Arbeitern und der Kleinbourgeoisie in Ordnung zu bringen. Das ZK hat die Notwendigkeit der Erhöhung der Disziplin unter den Arbeitern und der Befolgung der Dekrete der Nationalregierung unterstrichen und erklärt, dass die Gewerkschaften nicht das Recht haben, jemanden zu verhaften und sich jedes Mal an die Behörden zu wenden haben, wenn sie die Verhaftung dieser oder jener Person für notwendig halten."

Dieses Telegramm ist noch wichtiger als das erste. Für jeden ernsthaften Revolutionär beleuchtet es blitzartig das ganze Milieu und beweist die absolute Fehlerhaftigkeit der offiziellen Linie, die direkte Verderblichkeit dieser Linie, und die absolute Richtigkeit der Linie der Opposition.

Man bedenke doch: Die Gewerkschaften auf dem Gebiete der Hankauregierung verhaften die Feinde der Revolution. Das bedeutet, dass die Gewerkschaften infolge der ganzen Logik der Lage gezwungen sind, die Aufgaben revolutionärer Sowjets auf sich zu nehmen. Was tut nun das ZK der KP? Es empfiehlt den Gewerkschaften sich der illegalen Handlungen zu enthalten, sich den „Dekreten" der Wuhanspitze zu fügen und im Notfalle, wenn man einen Gegenrevolutionär, einen Verräter, einen Verschwörer, verhaften oder erschießen muss, sich hochachtungsvoll an die Behörde zu wenden, welche mit diesem Verschwörer höchstwahrscheinlich verwandt oder verschwägert sein wird. Ist das nicht eine Verhöhnung der Revolution, ihrer Bedürfnisse und ihrer elementarsten Aufgaben? Anstatt die Massen direkt aufzurufen, den Feind an Ort und Stelle zu erledigen, verbietet die Wuhanregierung dieses. Noch mehr, sie verbietet das nicht im eigenen Namen, sondern durch die KP. Das ZK der KP spielt in diesem Falle die Rolle eines politischen Kommis feiger bürgerlicher Radikaler und Pseudoradikaler, die sich vor den revolutionären Massen fürchten und zusammen mit Martynow glauben, dass man die Revolution durch Schlichtungskommissionen, nicht aber durch die Erledigung der Feinde durch die Massen, durchführen kann. Ist das nicht ungeheuerlich? Ist das nicht eine Verhöhnung der Revolution? Wohin gehen wir, Genossen?

Daneben ist bemerkenswert, dass dem „Verband zur Verstärkung der Revolutionsfront" von Hubei ein Spezialauftrag gegeben wird, nämlich „die Beziehungen zwischen Arbeiter und Kleinbourgeoisie" in Ordnung zu bringen. Diese Beziehungen kann man nicht durch einen besonderen Verband und nicht auf besondere Bestellung in Ordnung bringen, sondern nur durch richtige Politik. Die Räte der Arbeiter und der halbproletarischen armen Stadtbevölkerung müssen die breiten Organe einer solchen Alltagspolitik der Revolution sein. Wenn die Gewerkschaften gezwungen sind, die Funktionen von Sowjets auf sich zu nehmen, so werden sie fast unvermeidlich in bestimmten Fällen die berechtigten Interessen der kleinbürgerlichen armen Stadtbevölkerung außer Acht lassen oder verletzen. Das Fehlen von Sowjets trifft so auch die Kleinbourgeoisie und untergräbt deren Bündnis mit dem Proletariat.

So ist der Zustand in der Wirklichkeit. Die von den Massen vorwärts getriebenen Gewerkschaften versuchen, die Fehler der chinesischen und Moskauer Führung zu korrigieren und schreiten zur unmittelbaren Erledigung der Feinde. Das ZK der Kommunistischen Partei aber, welches der geistige Vater und Führer dieser rauen Erledigung sein müsste, pfeift die Arbeiter an, befiehlt ihnen, ihre „Disziplin" (der Bourgeoisie gegenüber) zu erhöhen und sich stumm vor den Hankauer Kerenskis und Zeretellis in Bezug auf die Agenten des Imperialismus zu neigen, ebenso vor der Bourgeoisie und dem Tschiang Kai-schek.

Das ist Martynowsche Politik, nicht in Worten sondern in Taten!

Eine ganze Reihe von Telegrammen, insbesondere aus Tokio spricht über den „Zerfall" der Hankauer Regierung, über ihren bevorstehenden Untergang usw.

Natürlich muss man solche Telegramme mit der größten Vorsicht genießen. Das sind die Telegramme eines Feindes, der auf den Untergang der Revolution wartet, ihn erhofft, darauf lauert, sich allerhand Sachen ausdenkt und lügt. Aber die beiden oben angeführten Telegramme wie auch viele andere Telegramme der gleichen Art. die fast jeden Tag eintreffen, zwingen anzuerkennen, dass die Lage der Hankauer Regierung hoffnungslos werden kann. Wenn sie die Arbeiter und Bauern stören wird, die Gegenrevolutionäre zu erledigen, dann wird sie untergehen. Mit seiner falschen Politik fördert das ZK. der kommunistischen Partei ihren Untergang. Würde die Hankau-Regierung unter dem Ansturm der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte untergehen, so würden wir natürlich das nicht bedauern. Wenn aber die Hankau-Regierung in dieser verderblichen Politik unterstützt wird, wenn die chinesischen Arbeiter und Bauern von der unmittelbaren Erledigung der Feinde und von der Schaffung von Sowjets zurückgehalten werden, dann hilft die chinesische Kommunistische Partei der Hankau-Regierung, in kürzester Zeit unterzugehen, und dabei eines ruhmlosen Todes zu sterben, nicht von der Hand von Arbeiter- und Bauernmassen, sondern von der Hand der bürgerlichen Reaktion. Allerdings wird bei solcher Politik die Hankau-Regierung, ehe sie „untergeht", höchst wahrscheinlich sich mit Tschiang Kai-schek vereinigen – gegen die Arbeiter und Bauern.

Ist es nicht endlich Zeit das zu begreifen?

28. Mai 1927.

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