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Leo Trotzki 19271023 Letzte Rede vor dem ZK

Leo Trotzki: Letzte Rede vor dem ZK

[Nach Die Aktion, 18. Jahrgang, Heft 1 (Februar 1928) Spalte 7-11]

Trotzki: (liest) Mein Vorschlag, die Frage des Wrangel-Offiziers und der Militärverschwörung getrennt zu besprechen, wurde abgelehnt.

Skworzow-Stepanow: Schon wieder! Es ist eine Schande!

Trotzki: Ich habe dem Wesen nach die Frage gestellt, weshalb, wie und durch wen die Partei betrogen wurde, da gesagt wurde, dass die mit der Opposition verbundenen Kommunisten an einer konterrevolutionären Organisation beteiligt sind. Das ist ja über das ganze Land verbreitet worden. Darüber wird morgen bestimmt die ganze Welt sprechen. Um ein übriges Mal zu zeigen, was Sie unter einer Diskussion verstehen, haben Sie beschlossen, meine kurze Rede über den falschen Ordonnanzoffizier aus dem Stenogramm herauszunehmen, d. h. vor der Partei zu verbergen. Bucharin hat uns hier eine Philosophie des thermidorianischen Amalgams auf Grund der Dokumente Menschinskis verabreicht, die weder zur Druckerei noch zur Opposition in irgendeiner Beziehung stehen.

Skrypnik: Und jetzt Schtscherbakow. Da hast du es!

Trotzki: Was wir brauchen, ist keine billige Bucharinsche Philosophie . . .

Unschlicht: Sondern die trotzkistische

Trotzki: . . . sondern Tatsachen. Tatsachen gibt es hier nicht-

Skrypnik: Und Schtscherbakow?

Trotzki: Deshalb wird die ganze Frage durch ein Kunststück in eine Diskussion über die Opposition verdreht. Alle von Menschinski veröffentlichten Dokumente sprechen durchaus gegen die jetzt betriebene Politik, man muss diese Dokumente nur durch eine marxistische Analyse beleuchten. Darüber sprach Genosse Sinowjew. Mir verbleibt noch, die entscheidende Frage zu stellen: Auf welche Weise hat sich die jetzt führende Fraktion..

Skworzop-Stepanow: Fraktion?

Trotzki: … gezwungen gesehen, die Partei zu betrügen, indem sie einen Agenten der GPU. als einen Wrangel-Offizier ausgab und Splitter einer noch nicht abgeschlossenen Untersuchung heranzog, um die Partei durch eine falsche Mitteilung über die Beteiligung der Oppositionellen an einer konterrevolutionären Organisation in Schrecken zu versetzen. Woher kommt dies? Wohin führt dies? Nur diese Frage hat eine politische Bedeutung. Alles andere tritt auf den zweiten und auf den zehnten Platz.

Tschubar: Er rückt die Druckerei auf den ersten Platz.

Trotzki: In unserer Juli-Deklaration des vorigen Jahres haben wir mit absoluter Genauigkeit alle Etappen vorausgesagt, die die Zerstörung der Leninschen Parteiführung und dessen vorübergehende Ersetzung durch die Stalinsche zurücklegen wird.

Skrypnik: Das heißt, Sie hatten vorher aufgezeichnet, was Sie machen werden.

Trotzki: Ich spreche von einer vorübergehenden Ersetzung, denn je mehr „Siege" die führende Gruppe erringt, umso schwächer wird sie. Die Juli-Prophezeiung des vorigen Jahres können wir jetzt durch folgende Schlussfolgerung ergänzen: Der jetzige organisatorische Sieg Stalins geht seinem politischen Zusammenbruch voraus. Dieser ist ganz unausbleiblich …

Tschubar: Ist das nach dem „Sozialistischen Boten"?

Trotzki: … und wird entsprechend dem Stalinschen Regime mit einem Male eintreten. Die Hauptaufgabe der Opposition besteht darin, darauf zu achten, dass die Folgen der verderblichen Politik der jetzigen Führung der Partei und ihrer Verbindung mit den Massen so wenig wie möglich Schaden zufügen.

Sie wollen uns aus dem Zentralkomitee ausschließen. Wir geben zu, dass sich diese Maßnahme voll und ganz aus dem Kurs der jetzigen Führung im jetzigen Stadium seiner Entwicklung oder richtiger gesagt, seines Zusammenbruches logisch ergibt.

Die regierende Fraktion, die aus der Partei Hunderte und Hunderte der besten Parteimitglieder, standhafte bolschewistische Arbeiter ausschließt: die Membranfraktion, die es wagt, solche Bolschewiki auszuschließen wie Mratschkowski, Serebrakow, Preobraschenski, Scharow, Sarks, Wujowitsch, d. h. Genossen, die allein ein Parteisekretariat bilden könnten, das viel autoritativer ist, viel geeigneter, viel leninistischer ist … (Lärm.)

Woroschilow: Ihre Partei, das ist das Sekretariat.

Petrowski: Eine menschewistische Rede.

Trotzki: … als unser jetziges Sekretariat (Lärm): die Fraktion Stalin-Bucharin, die in das innere Gefängnis der GPU vorzügliche Parteimänner, wie Njetschajew, Stückgold, Wasslljew, Schmidt, Fischelew und viele andere bringt; die Membranfraktion, die sich durch Vergewaltigung der Partei, durch Unterdrückung des Parteigedankens, Desorganisierung der proletarischen Avantgarde nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in der ganzen Welt erhält; die durch und durch opportunistische Fraktion, hinter der im letzten Jahr Tschiang Kai-schek, Feng Yu Hsiang, Wang Tschin Wei, die Purcell, Hicks, Ben Tillet, die Kuusinen, die Smeral (Lärm), die Pepper, die Heinz Neumann, die Rafes, die Martynow, Kondratjew und Ustrjalow einher trotteten und es noch weiter tun …

Petrowski: Eine empörende Rede, eine menschewistische Rede, ganz furchtbar!

Trotzki: … diese Fraktion,, kann uns im Zentralkomitee selbst einen Monat vor dem Kongress nicht mehr dulden. Wir begreifen es. Unsere Plattform hat man versteckt, oder, richtiger gesagt, zu verstecken gesucht. (Lärm.)

Babuschkin: Sie muss man verstecken!

Skrypnik: Was soll man ihn anhören, das ist ja durch und durch ein Geschimpfe gegen das ZK. Goloschtschjekin: Er verherrlicht sich.

Trotzki: … (wegen des Lärms hört man nicht die Protestrufe) … Was bedeutet die Angst vor der Plattform? Es ist klar, die Angst vor der Plattform ist die Angst vor der Masse.

Wir haben Ihnen am 8. September erklärt, dass wir die Plattform entgegen allen Verboten der Partei zur Kenntnis bringen werden. Wir haben es gemacht. Wir werden diese Arbeit zu Ende führen. Die Genossen Mratschkowski, Fischelew und alle anderen, die unsere Plattform gedruckt und verbreitet haben, handelten und handeln in vollkommener Solidarität mit uns oppositionellen Mitgliedern des ZK und der ZKK unter unserer ganzen politischen wie organisatorischen Verantwortung. (Lärm.)

Lomow : Und Schtscherbakow, ist der auch mit ihnen solidarisch?

Trotzki: Grobheit und Illoyalität, von der Lenin schrieb, sind nicht mehr persönliche Eigenschaften; sie sind Eigenschaften der führenden Fraktion ihrer Politik, ihres Regimes. Es handelt sich nicht um äußere Methoden. Der Grundzug des jetzigen Kurses liegt darin, dass er an die Allmacht der Gewalt glaubt, selbst gegenüber der eigenen Partei, (Lärm.)

Babuschkin: Der „Sozialistische Bote" spricht hier. Ein Kleinbürger im proletarischen Staate. Skrypnik: Noch ein Aufsatz aus dem „Sozialistischen Boten".

Ausrufe : Menschewik!

Trotzki: Dank der Oktoberrevolution bekam unsere Partei einen machtvollen Zwangsapparat in die Hand, ohne den eine proletarische Diktatur undenkbar ist. Die Konzentration der Diktatur ist das Zentralkomitee unserer Partei, (Lärm.) Unter Lenin, unter dem leninistischen Zentralkomitee war der Organisationsapparat der revolutionären KlassenpoIitik von Weltmaßstab untergeordnet. Stalin flößte als Generalsekretär Lenin von Anbeginn Befürchtungen ein. „Dieser Koch wird nur scharfe Gerichte bereiten", hat Lenin im engen Kreise im Augenblick des X. Parteikongresses gesagt. Heute wurde hier ein solches scharfes Gericht mit der Mitteilung über die Militärverschwörung serviert. (Lärm.)

Ausrufe: Menschewik, genug!

Trotzki: … Unter der Leninschen Führung, in der Leninschen Zusammensetzung des Politbüros hat das Generalsekretariat eine ganz untergeordnete Rolle gespielt. (Lärm.) Die Lage begann sich während der Krankheit Lenins zu ändern. Die Auslese der Leute durch das Sekretariat, die Apparatgruppierung der Stalinianer bekamen einen selbständigen, von der politischen Linie unabhängigen Charakter. Das war der Grund, weshalb Lenin, als er die Perspektive seines Wegganges von der Arbeit erwog, der Partei den letzten Rat gab: „Entfernt Stalin, der die Partei zur Spaltung und zum Untergang führen kann!" (Lärm.)

Skworzow-Stepanow: Alte Verleumdung!

Thalberg : Ach du Schwätzer, Prahlhans!

Ausrufe : Schande!

Skrypnik: Wohin er sich verstiegen hat! Welche Gemeinheit!

Petrowski: Sie verächtlicher Menschewik!

Kalinin: Kleinbürger!

Stimme: Martow!

Trotzki: … (Wegen des Lärms und der Protestausrufe nicht zu hören): … Die Partei.erfuhr nicht rechtzeitig von diesem Rate. Der ausgesiebte Apparat verbarg ihn. Nun stehen die Folgen vor uns in ihrer ganzen Größe. (Lärm.)

Die führende Fraktion glaubt, dass man mit Hilfe von Gewalt alles erreichen kann.

Stimme : Dies ist auch aus dem „Sozialistischen Boten".

Ausrufe: Fort mit Trotzki! Genug geschwatzt! Man kann solche Dinge gar nicht dulden!

Trotzki: … Dies ist ein gründlicher Irrtum. Gewalt kann eine ungeheure revolutionäre Rolle spielen, jedoch nur unter der einen Bedingung, dass sie einer richtigen Klassenpolitik dient. (Lärm.) Die von den Bolschewiki an der Bourgeoisie, an den Menschewiki, an den Sozialrevolutionären geübte Gewalt ergab — unter bestimmten historischen Bedingungen —. gigantische Resultate. Die Gewaltakte Kerenskis, Zeretellis an den Bolschewiki haben die Niederlage des kompromisslerischen Regimes nur beschleunigt. Die regierende Fraktion lässt ihre Schläge auf die eigene Partei niedersausen, indem sie mit den Mitteln des Hinauswurfs, der Arbeitsberaubung, der Verhaftung arbeitet. (Lärm.)

Zurufe: Herunter! Welche Gemeinheit! Menschewik! Verräter! Man darf ihn gar nicht anhören! Was für ein Hohn gegenüber dem ZK.!

Trotzki: Der der Partei angehörende Arbeiter fürchtet sich in seiner eigenen Zelle auszusprechen, was er denkt, fürchtet nach seinem wahren Willen abzustimmen. Die Diktatur des Apparats (Lärm) schüchtert die Partei ein, die der höchste Ausdruck der Diktatur des Proletariats sein muss Indem sie die Partei einschüchtert, setzt die herrschende Fraktion

Stimmen: Lüge! Herunter!

Trotzki: … setzt die regierende Fraktion die Fähigkeit der Partei, die Klassenfeinde im Schach zu halten, herab. Das Parteiregime lebt aber nicht für sich selbst. Im Parteiregime kommt die ganze Politik der Parteileitung zum Ausdruck. Diese Politik hat in den letzten Jahren den Klassenhebel von links nach rechts gerückt: vom Proletariat zum Kleinbürgertum, vom Arbeiter zum Spezialisten, vom einfachen Parteimitglied zum Apparatschik, vom Tagelöhner und armen Bauern zum Kulak, vom Schanghaier Arbeiter zu Tschiang Kai-schek, vom chinesischen Bauern zum bürgerlichen Offizier, vom englischen Proletarier zu Purcell, Hicks, zum Generalrat usw. Das ist das wahre Wesen des Stalinismus.

Woroschilow: Im „Rul" wird dies besser gesagt, Onkelchen!

Trotzki: Auf den ersten Blick macht es den Eindruck, als wenn der Stalinsche Kurs durchaus siegreich wäre. Die Stalinsche Fraktion verteilt Schläge nach links (Moskau, Leningrad), nach rechts (Nordkaukasus). In Wirklichkeit vollzieht sich die ganze Politik der zentristischen Fraktion unter den Schlägen zweier Knuten: von rechts und von links. (Lärm.) Die klassenmäßig bodenlose, bürokratisch-zentristische Fraktion schwankt zwischen zwei Klassenlinien hin und her …

Stimmen: Lüge! Herunter!

Trotzki: … hierbei systematisch von der proletarischen Linie auf die kleinbürgerliche hinab gleitend Dieses Hinabgleiten vollzieht sich nicht auf einer geraden Linie, sondern in Form eines starken Zickzacks.

Skrypnik: Menschewik! (Lärm.)

Trotzki: … Solcher Zickzacklinien hatten wir in der Vergangenheit nicht wenige. Besonders klar und denkwürdig war die Erweiterung der Wahlinstruktion unter dem Druck des Kulaken (Knute von rechts.) (Lärm.) Dann deren Aufhebung unter dem Druck der Opposition (Knute von links). (Lärm.) Nicht wenige Zickzacklinien gab es auf dem Gebiete der Arbeitsgesetzgebung, des Arbeitslohnes, der Steuerpolitik, des Verhältnisses zum Privathandel usw. usw. Der allgemeine Kurs richtet sich hierbei nach rechts. Das letzte Manifest bedeutet fraglos einen Zickzack nach links. Wir übersehen keinen Augenblick lang, dass dies nur Zickzack ist …

Jaroslawski : Eine Seelenmesse für Trotzki — Stimme : Trauermarsch!

Trotzki: … der an sich die allgemeine Richtung der Politik nicht verändern wird und schon in der nächsten Zukunft das weitere Hinabgleiten des leitenden Zentrums nach rechts beschleunigen muss

Stimmen: Menschewik! (Lärm.)

Trotzki: Die heutigen Rufe nach einem forcierten Angriff gegen den Kulak, dem man gestern zurief: „Bereichere dich!" können die Linie nicht verändern, wie sie die Jubiläumsüberraschungen in der Art des siebenstündigen Arbeitstages nicht verändern werden. (Lärm. Zischen.) Die politische Linie der jetzigen Führung wird nicht durch einzelne abenteuerliche Zickzacklinien bestimmt …

Tschubar: Ein größeres Abenteurertum, als das deinige, kann es nicht mehr geben!

Skrypnik: Menschewik! Mach, dass du aus der Partei fortkommst!

Trotzki: … sondern durch den sozialen Stützpunkt, den diese Linie im Kampfe gegen die Opposition um sich versammelt hat. Durch den jetzigen Apparat, durch das gegenwärtige Regime übt man auf die proletarische Avantgarde einen Druck aus … (Der Lärm steigert sich unausgesetzt, so dass die Rede Trotzkis fast nicht mehr zu hören ist) … die eingenisteten Bürokraten, darunter auch Arbeiterbürokraten … (Der Lärm und das Pfeifen nehmen unausgesetzt zu) … die Administratoren, die Wirtschaftler, die neuen Besitzer, die privilegierten Intellektuellen in Stadt und Land …

Woroschilow: Sinowjew, hör doch mal diese Gemeinheit an!

Skrypnik : Die Tribüne des ZK ist nicht für solche Gemeinheiten da!

Skworzow-Stepanow: Dan ist auf Gastreisen gegangen!

Trotzki: alle jene Elemente, die dem Proletariat die Faust zu zeigen beginnen, indem sie hinzufügen: „Das ist nicht mehr das Jahr 1918". Entscheidend ist nicht der Zickzack, sondern die politische Grundlinie. Entscheidend ist die Wahl der Gesinnungsgenossen. Entscheidend sind die Kader. Entscheidend ist der soziale Stützpunkt. Man kann die Arbeiterzellen nicht an die Wand drücken, und zugleich auf den Kulak einen Druck ausüben. Eines ist mit dem anderen unvereinbar … (Lärm, Zischen.)

Stimmen: Totengräber der Revolution! Schande! Hinaus mit dem Renegaten!

Trotzki: Sobald der linke Jubiläumszickzack sich seiner Verwirklichung nähern wird, wird er auf den erbittertsten Widerstand in den Reihen der Mehrheit selbst stoßen. Heute „Bereichere dich" und morgen … (Lärm) … Hinter dem Rücken der extremen Apparatschik steht die innerliche Erstarkung der Bourgeoisie … (Lärm. Zurufe: Herunter!)

Woroschilow: Genug, es ist eine Schande! (Zischen, zunehmender Lärm. Ungeheurer Lärm, es ist nichts zu verstehen, Glocke des Vorsitzenden, Pfeifen, Stimmen: Herunter von der Tribüne! Der Vorsitzende sagt eine Pause an. Der Genosse Trotzki liest unausgesetzt weiter, doch ist kein Wort zu verstehen. Die Mitglieder des Plenums erheben sich von den Plätzen und beginnen hinauszugehen.)

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