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Leo Trotzki 19270500 Zusatzanträge zur Resolution über die Lage in England

Leo Trotzki: Zusatzanträge zur Resolution über die Lage in England

[Nach dem Sammelband „Der Kampf um die Kommunistische Internationale. Dokumente der russischen Opposition, nicht veröffentlicht vom Stalinschen ZK, veröffentlicht vom Verlag der ,Fahne des Kommunismus'“, Berlin 1927, S. 138-142]

1. Das Plenum stellt fest, dass für die ganze Richtung unserer Arbeit in der englischen Arbeiterbewegung, insbesondere für das richtige Verständnis und die Durchführung der Taktik der Einheitsfront gegenwärtig die Frage des anglorussischen Komitees eine entscheidende Bedeutung besitzt. Ohne klare prinzipielle Einstellung in dieser Frage würde die Komintern und in erster Linie die britische kommunistische Partei zu immer neuen und neuen Fehlern und Schwankungen verurteilt sein. Beim Kampfe gegen die Kriegsgefahr ist die Lösung der Frage des anglorussischen Komitee die Grundvoraussetzung für alle übrigen Fragen, ähnlich wie beispielsweise im Jahre 1914 man keinen Schritt vorwärts machen konnte, ohne vorher die Frage gelöst zu haben, ob sozialdemokratische Abgeordnete für das Kriegsbudget stimmen können.

2. Die führende Rolle in der englischen Gewerkschaftsbewegung wie auch in der Arbeiterpartei spielen Reformisten verschiedener Spielarten, die in ihrer Mehrheit liberale Arbeiterpolitiker sind. Angesichts der tiefen Linksentwicklung der Arbeitermassen muss man zugeben, dass die gefährlichste Spielart der liberalen Arbeiterpolitiker Politiker vom Typus Purcell, Hicks, Brailsford und Co. sind. Das wankende Gebäude des englischen Imperialismus stützt sich momentan nicht so sehr auf Thomas und Mac Donald wie auf Purcell. Brailsford und ähnliche, ohne welche Politiker, wie Thomas und Mac Donald, trotzdem sie von der Bourgeoisie unterstützt werden, ihre führende Stellung in der Arbeiterbewegung nicht mehr halten könnten.

Der unversöhnliche und schonungslose Kampf gegen die linken Lakaien des Imperialismus, sowohl in den Gewerkschaften wie in der Arbeiterpartei wird besonders dringlich jetzt, wo die sich verschärfende internationale und innere Lage notwendigerweise jede Halbheit und Heuchelei unbarmherzig schlagen wird.

3. Die Gewerkschaften und die Partei haben zweifellos ihre besonderen Kennzeichen, ihre besonderen Arbeitsmethoden, insbesondere ihre besonderen Methoden der Durchführung der Einheitsfront. Aber gerade in der Frage des politischen Blocks mit der reformistischen Spitze ist der Unterschied zwischen den Trades Unions und der Partei vollkommen verwischt. In allen wichtigen und kritischen Fällen handelt der Generalrat Hand in Hand mit dem Exekutivkomitee der Arbeiterpartei und der Parlamentsfraktion. Beim Abbruch des großen Streiks gingen die führenden Politiker und Trade Unionisten Hand in Hand. Unter solchen Bedingungen wird kein einziger ehrlicher Arbeiter begreifen, warum in politischer Beziehung Purcell ein linker Lakai der Bourgeoisie sein soll, wahrend dagegen in gewerkschaftlicher Beziehung wir zu ihm in „herzlichen Beziehungen", „gegenseitigem Verständnis" und „Einmütigkeit" stehen.

4. In einzelnen Fällen kann die Taktik der Einheitsfront zu zeitweiligen Vereinbarungen mit dieser oder jener linken Gruppe der Reformisten gegen die Rechte führen. Aber derlei Vereinbarungen dürfen keinesfalls sich in einen lang andauernden politischen Block verwandeln. Irgendwelche prinzipiellen Konzessionen unsererseits zu dem Zweck der künstlichen Aufrechterhaltung solcher politischen Blocks müssen als dem Grundziel der Einheitsfront entgegengesetzt anerkannt werden und als höchst schädlich für die revolutionäre Entwicklung des Proletariats. Ein solcher höchst schädlicher, durch und durch konservativer Faktor ist während des letzten Jahres das anglorussische Komitee geworden.

5. Die Schaffung des anglorussischen Komitees war in einem gewissen Moment ein durchaus richtiger Schritt. Unter der Einwirkung der Linksentwicklung der Arbeitermassen haben die liberalen Arbeiterpolitiker, ähnlich wie die bürgerlichen Liberalen im Anfang einer revolutionären Bewegung, einen Schritt nach links gemacht, um ihren Einfluss in den Massen zu behalten. Sie hierbei zu fangen, war durchaus richtig. Man musste jedoch klar im Bewusstsein behalten, dass, genau wie alle Liberalen, die englischen Reformisten unvermeidlicherweise einen Sprung rückwärts nach der Seite des Opportunismus machen würden. sowie die Massenbewegung offen revolutionäre Formen annehmen wird. So geschah es auch im Moment des Generalstreiks. Aus Anlass dieses gigantischen Ereignisses musste man die zeitweilige Vereinbarung mit den Spitzen schonungslos brechen und den Bruch zur Kompromittierung der „linken" Führer bei den breiten proletarischen Massen ausnutzen. Der Versuch, sich an den Block mit dem Generalrat nach dem offenen Verrat des Generalstreiks und sogar nach dem Verrat des Bergarbeiterstreiks zu klammern, war einer der größten Fehler in der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung. Die Berliner Kapitulation ist ein schwarzer Fleck in der Geschichte der Komintern und stellt eine unvermeidliche Folge dieser falschen Linie dar.

6. Man muss ein Blinder oder ein Heuchler sein, um den „Hauptmangel" der Berliner Beschlüsse darin zu sehen, dass sie die Kompetenz des anglorussischen Komitees verengert haben, anstatt sie zu erweitern.

Die „Kompetenz" des anglorussischen Komitees bestand während des letzten Jahres darin, dass der WZSPS versuchte, den Generalstreik zu unterstützen, während der Generalrat ihn brach. Der WZSPS half in weitem Maße den Bergarbeitern während der Generalrat sie verriet. Redet man über die Erweiterung der Tätigkeit des anglorussischen Komitees (vergl. § 29 der Resolution der Kommission) so stellt man sich heuchlerisch so. als ob diese Tätigkeit irgendwelchen realen Interessen der Arbeiterkreise gedient habe, während in Wirklichkeit das anglorussische Komitee nur die gemeine und verräterische Arbeit des Generalrats geschirmt und gedeckt hat. Diese seine „Tätigkeit" zur erweitern, widerspricht den Grundinteressen der Arbeiterschaft.

Einen lächerlichen und unwürdigen Charakter besitzt der Versuch, die Berliner Beschlüsse lediglich durch die Berufung darauf, dass die Verantwortung für sie der Generalrat trägt (vergl. wieder § 29 des Resolutionsentwurfs) loszuwerden. Dass Streikbrecher, die immer tiefer fallen, ihre Streikbrecherarbeit vor jeder Einmischung von außen zu behüten suchen; dass Streikbrecher sich bemühen, ihre Streikbrecherarbeit durch die Kapitulation des WZSPS zu decken, das ist durchaus in der Ordnung. Aber alles das rechtfertigt die Tatsache unserer Kapitulation nicht um ein Jota.

7. Das Plenum lehnt mit Entrüstung das platte, spießbürgerliche, durch und durch menschewistische Argument ab, dass Chamberlain „auch" die Sprengung des anglorussischen Komitees will. Der Versuch selber, unsere revolutionäre Linie zu orientieren nach dem willkürlichen Rätselraten darüber, was in jedem gegebenen Moment Chamberlain will oder nicht will, ist sinnlos. Die Aufgabe für ihn besteht darin, so weit wie möglich, die linken Lakaien in seine Hand zu bekommen. Zu diesem Zweck drückt er auf sie, entlarvt er sie, erpresst er sie und fordert den Bruch mit den Bolschewiken. Unter der Einwirkung dieses Drucks und dieser Erpressung erpresst der Generalrat den WZSPS und droht seinerseits mit dem Bruch. Unter dem Druck des Generalrats geht der WZSPS auf die Kapitulation ein. Auf diesem kombinierten Wege ist die Aufgabe Chamberlains erreicht worden, denn seine Erpressung hat zur Kapitulation des WZSPS geführt.

8. Würden wir mit dem Generalrat brechen, um jede Einmischung in die Angelegenheit der englischen Arbeiterklasse einzustellen; würden wir nach dem Bruche uns auf unsere inneren Angelegenheiten beschränken, während die britische kommunistische Partei ihre Kampagne gegen den Generalrat nicht mit verdoppelter Kraft entwickeln würde, so hätte Chamberlain allen Anlass mit dieser Sachlage zufrieden zu sein. Aber die Sprengung des anglorussischen Komitees soll ja genau das Entgegengesetzte bedeuten. Indem wir das Berliner Prinzip der Nichteinmischung als das Prinzip des Chauvinismus, nicht aber des Internationalismus, rundweg ablehnen, müssen wir mit verdoppelter Energie die britische kommunistische Partei und die Minderheitsbewegung bei ihrem verdoppelten Kampfe gegen die linken Lakaien Chamberlains unterstützen. Bei einer solchen Politik wird Chamberlain sich sehr bald davon überzeugen, dass der revolutionäre Flügel der Bewegung viel stärker geworden ist, nachdem er die reaktionäre Verbindung mit dem Generalrat abgeworfen hat.

9. Das Plenum hält es daher für unbedingt notwendig, in kürzester Zeit den politischen Block zu sprengen, der eine verhängnisvolle Zweideutigkeit in unsere ganze Politik dem englischen Reformismus gegenüber hinein trägt.

Das Plenum ist der Ansicht, dass die englische kommunistische Partei sofort die Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen dem WZSPS und dem Generalrat offen stellen muss. Die englische Komm. Partei, darauf auch die linke Gewerkschaftsminderheit müsste die sofortige Einberufung des anglorussischen Komitees fordern, um im Namen des WZSPS ein klares, revolutionäres Kampfprogramm gegen den Krieg und die Offensive der Bourgeoisie gegen das Proletariat zu entwickeln. Das Programm muss so formuliert sein, dass es keinen Scharlatan-Kunststücken der pazifistischen Partei Baldwins Raum gibt.

Ablehnung des Generalrats, das anglorussische Komitee einzuberufen, oder die Ablehnung seiner Delegation, das Kampfprogramm annehmen, soll zum sofortigen Bruch des Blocks von unserer Seite führen und zu einer breiten Kampagne gegen die Reformisten, insbesondere die linken, welche besser, breiter, mehr als alles Übrige im gegebenen Moment den englischen Konservativen helfen, die englische Arbeiterklasse in den Krieg hineinzuziehen, ohne dass sie es selbst merken.

10. Unter allseitiger Unterstützung der Bewegung der wirklich revolutionären Minderheit und insbesondere unter Unterstützung der annehmbaren Kandidaturen der Vertreter dieser Minderheit für diese oder jene Posten der Gewerkschaftsbewegung (jedes Mal auf der Grundlage eines besonderen praktischen Programms), darf die britische Kommunistische Partei in keinem Fall und unter keinen Bedingungen sich mit der Minderheitsbewegung identifizieren oder die Organisationen vermischen. Die britische Komm. Partei muss die volle Freiheit der Kritik sowohl in Bezug auf die Minderheitsbewegung im Ganzen, wie auch in Bezug auf einzelne ihrer Führer, deren Fehler und Schwankungen bewahren.

11. Der in England sich zuspitzende Klassenkampf und die herannahende Kriegsgefahr schaffen Bedingungen, unter welchen die Politik der einzelnen „Arbeiter", Parteien, Organisationen, Gruppen und „Führer" schnell durch den Gang der Ereignisse nachgeprüft werden wird.

Die Nichtübereinstimmung von Wort und Tat dürfte sich in kürzester Zeit äußern. In derlei Perioden kann die Komm. Partei ihre revolutionäre Autorität schnell erhöhen, ihre Mitgliederzahl und insbesondere ihren Einfluss, vorausgesetzt, dass sie eine klare, feste, kühne, revolutionäre Politik treibt, die alle Tatsachen mit ihrem Namen nennt, keinerlei prinzipielle Konzessionen macht, scharf die zeitweiligen Bundes- und Weggenossen überwacht und ihre Schwankungen, Kniffe und erst recht direkte Verrätereien schonungslos entlarvt.

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