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Leo Trotzki 19280712 An den VI. Weltkongress der Komintern

Leo Trotzki: An den VI. Weltkongress der Komintern

[Nach Die Aktion, 18. Jahrgang, Heft 10-12 (Mitte Dezember 1928) Spalte 207-218]

Der Kongress der Komintern versammelt sich nach einer Pause von mehr als vier Jahren, die von größten internationalen Ereignissen und groben Fehlern der Führung ausgefüllt waren. Die Opposition der Bolschewiki-Leninisten, zu der der Unterzeichnete gehört, hatte mehrfach durch ihre Artikel und Reden und eine Reihe von Dokumenten die Bewertung dieser Ereignisse und Fehler gegeben. Der Standpunkt der Opposition hat sich in den hauptsächlichsten und wesentlichsten Punkten durch den Gang der Ereignisse mehr und mehr bestätigt (die Bewertung der deutschen Niederlage von 1923 und der Perspektive der Stabilisation, die Bewertung der demokratisch-pazifistischen Ära und der Evolution des Faschismus und der Sozialdemokratie, die gegenseitigen Beziehungen zwischen Amerika und Europa, die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa, die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung der UdSSR, die strategischen Probleme der chinesischen Revolution und des Anglo-russischen Komitees, die Frage des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande usw.). Zu diesen Fragen, die bereits von uns genügend beleuchtet worden sind, im Rahmen der gegenwärtigen Erklärung zurückzukehren, ist weder möglich noch notwendig. Es genügt zu wiederholen, dass alle grundsätzlichen Fehler der Führung dem Herabgleiten von der marxistischen, bolschewistischen Linie auf die zentristische – welche bis zuletzt immer mehr und mehr nach rechts abbog – entsprungen sind. Der falsche Kurs, der hartnäckig im Laufe mehrerer Jahre – angefangen von 1923 – durchgeführt wurde, ist untrennbar verbunden mit der Ausartung des Parteiregimes in der Komintern und in einer Reihe seiner Sektionen, besonders in der WKP zu einem bürokratischen Apparatregime, Die Bürokratisierung hat in dieser Periode ganz unerhörte Ausmaße und Formen angenommen, welche die Grundlage der Partei des internationalen Proletariats selbst bedrohen.

Einen deutlichen unbestreitbaren Beweis dieses Bürokratismus und der Apparatewillkür bildet die Tatsache, dass die Führung während der größten internationalen Ereignisse im Laufe von mehr als vier Jahren ohne einen Kongress der Komintern ausgekommen ist; wobei das auf dem 5. Weltkongress gewählte Exekutivkomitee einem völligen inneren Umbau unterworfen worden ist, und dessen leitender von dem 5, Weltkongress gewählter Kern beseitigt wurde. Das Ergebnis der falschen Linie und der daraus befolgten schwersten Niederlagen war: ein Stillstand im Wachstum des Einflusses der Komintern, eine Schwächung der internationalen Lage der USSR und Verlangsamung des Tempos der wirtschaftlichen Entwicklung und (des sozialistischen Aufbaus des ersten Arbeiterstaates. Die beginnende Radikalisierung der Massen in Europa, welche gegenwärtig die erste Etappe durchschreitet, stellt die Komintern vor die größten Aufgaben, welche eine gründliche Änderung des Kurses und eine innere Kräfteumgruppierung erfordern. Die politische und die wirtschaftliche Lage der Sowjetrepublik stellt an die WKP nicht weniger scharfe Anforderungen. Der sechste Kongress versammelt sich in dem Augenblick, wo unter dem Andrang der Ereignisse der Bruch in der führenden Linie der letzten Jahre bereits vorliegt, und die Linksschwenkung bereits in einer Reihe von Beschlüssen wie auch durch praktische Schritte des ZK der WKP ausgedrückt wird. Dasselbe ist der Fall bei einigen Entscheidungen des Februarplenums. Die Elemente dieser widerspruchsvollen Linksschwenkung finden ihren Widerhall auch in dem dem sechsten Kongress vorgelegten Programmentwurf, welcher aber gerade aus diesem Grunde einen äußerst eklektischen Charakter trägt und in keiner Weise fähig ist, der Avantgarde des internationalen Proletariats als Anleitung zu dienen. Der Unterzeichnete hat in zwei ausführlichen Arbeiten den Versuch unternommen, eine Bewertung dieses Programmentwurfs in Verbindung mit der veränderten internationalen politischen Lage (besonders in den letzten 5 Jahren), und ebenfalls die Bewertung der letzten Schwenkung des ZK der WKP und des Februarplenums des EKKI in Verbindung mit der Lage in der UdSSR und in der Komintern, zu geben. Diese Arbeiten sind für den sechsten Kongress geschrieben. Die eine von ihnen ist bereits abgeschickt, während die andere gleichzeitig mit der gegenwärtigen Erklärung zugeht. Das Ziel dieser „Erklärung" ist, vor der höchsten Instanz der Kommunistischen Internationale die Frage der Wiedereinreihung der Bolschewiki-Leninisten (Opposition) in die Partei auf der Grundlage einer klaren und deutlichen Darlegung ihrer Stellungnahme zu der gegenwärtigen Lage und zu den Aufgaben der Komintern aufzuwerfen. Die gewaltsame Isolierung der Anhänger der Plattform der Bolschewiki-Leninisten (Opposition) in Sibirien, Zentralasien usw., viele Tausende unwegsamer Kilometer vom Zentrum und voneinander entfernt, schließt die Möglichkeit der Ausarbeitung einer kollektiven Erklärung aus. Von den an die verbannten Oppositionellen versandten Briefen – auch eingeschriebenen – gelangen höchsten von 3 bis 4 Briefen nur ein einziger als Ausnahme an den Adressaten. Und das auch nur in einem Zwischenraum von 2 bis 3 Monaten, Unter diesen Bedingungen bin ich gezwungen, die Erklärung an den sechsten Kongress nur mit meinem Namen zu zeichnen. Es ist sehr wahrscheinlich und sogar zweifellos, dass bei einer kollektiven Beratung in den Text wesentliche Änderungen hineingearbeitet worden wären. Doch sogar bei dem gegenwärtigen beschnittenen und unterdrückten Briefverkehr mit den Gesinnungsgenossen kann ich mit voller Überzeugung behaupten, dass die vorliegende Erklärung in seinen Hauptgrundsätzen der Ansicht der erdrückenden Mehrheit der Anhänger der oppositionellen Plattform entspricht, wenn nicht gar aller. Insbesondere gilt das von den vielen Hunderten der Verbannten. Eine richtige Politik in der UdSSR ist ohne eine richtige Politik der Komintern undenkbar. Darum steht die Frage der Linie der Komintern, d. h. also die strategische Linie der internationalen Revolution, für uns über allen anderen Fragen. Doch die Lage hat sich geschichtlich so gestaltet, dass die WKP den Schlüssel zur Politik der Komintern bildet. Es ist hier überflüssig, über die Bedingungen und die Gründe zu sprechen, welche der WKP mit Recht die Rolle der führenden Partei der Komintern zuteilten. Die Komintern hat in den ersten Jahren ihres Bestehens nur dank der Leitung der WKP ihre wirklich gigantischen Eroberungen gemacht. Doch die weitere falsche Politik der Leitung der WKP und die Bürokratisierung ihres Regimes hat dazu geführt, dass an Stelle des fruchtbaren ideellen politischen Einflusses des Bolschewismus auf die Komintern immer mehr rein administrative apparatmäßige Kombinationen gesetzt werden. Das erklärt die Tatsache der Nichteinberufung des Kongresses im Laufe von 4 Jahren, ebenso wie die Tatsache, dass das letzte EKKI-Plenum (Februar) es für möglich hielt, die Resolution, welche lautet, dass die Taktik der Opposition der WKP den Sturz der Sowjetmacht erstrebt (!), anzunehmen. Eine Behauptung, welche höchstens jene kompromittiert, die sie der Exekutive vorgelegt haben und jene, die dafür gestimmt haben, doch nicht im geringsten die revolutionäre Ehre der Bolschewiki-Leninisten (Opposition) anzutasten vermag. Die ganze Aufgabe besteht darin, dass man versuchen muss, indem man den bestimmenden Einfluss der Ideen und der Politik des Bolschewismus auf die jüngeren Parteien der Kommunistischen Internationale zu bewahren oder richtiger wiederherzustellen versucht, diese gleichzeitig von dem bürokratischen Kommando befreit. Diese Aufgabe ist untrennbar mit der Aufgabe der Änderung des Kurses und des Regimes in der WKP selbst verbunden. Wir gehen somit in unserer Erklärung von der internationalen Perspektive und den grundsätzlichen Interessen der Komintern aus und wenden unsere ganze Aufmerksamkeit der Krise in der WKP zu, deren inneren Gruppierungen und jenen Umständen, die nach unserer Ansicht daraus folgern.

Es wäre ein Leichtsinn, jene großen objektiven Schwierigkeiten, auf welche jede Führung der WKP bei der gegenwärtigen Lage stoßen müsste, nicht zu sehen. Diese Schwierigkeiten entspringen vor allem den zwei Hauptgründen: dem kleinbürgerlichen Charakter des Landes und der kapitalistischen Umgebung.

Man kann Fehler verurteilen, doch das allein wird noch nicht ihre Folgen beseitigen, die sich bereits in objektive Tatsachen verwandelt haben. Eine jede Leitung wäre genötigt, von der schwierigen objektiven Lage auszugehen, welche bis zum letzten Grade durch eine hartnäckige Anhäufung von Fehlern kompliziert worden ist. Das bedeutet, dass es einen einfachen grundsätzlichen Ausweg nicht gibt. Man könnte sogar in gewissem Sinne eingestehen, dass ein entschiedener rechter Ausweg: eine Erweiterung des Rahmens der NEP und Einschränkung des Außenhandelsmonopols, raschere und unmittelbarere Ergebnisse zeitigen würde als ein Linkskurs. Nur die Ergebnisse würden uns auf einen ganz besonderen Weg führen. Eine reichhaltige Einfuhr von ausländischen Waren und Kapitalien als das Ergebnis der Beseitigung und Einschränkung des Außenhandelsmonopols, Herabsetzung der Preise für Industrieprodukte, eine Steigerung des Exports usw., das alles würde für die nächste Zeit eine Milderung der Disproportion der Schere bedeuten. Eine gewisse Festigung des Marktes und Bereicherung des Dorfes, d. h. dessen Spitzen, es würde sogar vorübergehend die Arbeitslosigkeit vermindern. Doch das wären alles Erfolge auf dem kapitalistischen Wege, welche nach einigen kurzen Etappen die UdSSR in die imperialistische Kette eingliedern würde. Und Russland würde in dieser Kette wieder das schwächste Glied sein mit dem daraus folgenden halbkolonialen Dasein. Insofern und bevor es offenbar würde, dass der rechte Weg der Weg eines rückständigen unterjochten Kapitalismus wäre, der Weg einer furchtbaren Ausbeutung der Arbeitenden und der Weg der neuen Kriege im Dienste der internationalen imperialistischen Herrscher, wären die nächsten Ergebnisse der rechten Politik vorübergehend annehmbar. Nicht nur für die breiten Massen auf dem Lande, sondern auch für die städtische Bevölkerung wäre dies eine Art Ausweg aus ihrer gegenwärtigen ökonomischen Sackgasse mit ihrem Warenmangel, Brotschlangen und mit ihrer Arbeitslosigkeit. Gerade darin besteht die politische Gefahr des rechten Kurses, dass er nach den drückenden Erfahrungen der zentristischen Politik auf seiner ersten Etappe solche Ergebnisse zeitigen würde, die uns allmählich in den Abgrund des Kapitalismus führen würden. Ein einfaches linkes Rezept für einen raschen Ausweg aus den Schwierigkeiten auf dem sozialistischen Weg gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Diese Schwierigkeiten, welche der Verzögerung der Weltrevolution entspringen, im nationalen Rahmen völlig zu überwinden, ist überhaupt unmöglich. Das muss man deutlich, fest und ehrlich heraus sagen Aus der untrennbaren Abhängigkeit des sozialistischen Aufbaus von der internationalen Revolution, gehen aber ebenso wenig pessimistische Folgerungen für die UdSSR hervor, wie sie für die deutsche Revolution aus der Tatsache hervorgehen, dass diese unmittelbar von den Erfolgen der Diktatur in der UdSSR abhängt. Der Gedanke allein schon, dass aus der Anerkennung der internationalen Bedingtheit unseres sozialistischen Aufbaus Pessimismus entspringen müsste, ist für einen Marxisten eine Schande. Doch die internationale Bedingtheit der Revolution befreit nicht die Parteien jedes Landes von der Verpflichtung, ihrerseits in allen Dingen das Maximum zu tun. Im Gegenteil. Diese Verpflichtung wächst nur dadurch, denn die inneren wirtschaftlichen Fehler der UdSSR verzögern nicht allein den Aufbau des Sozialismus in unserem Lande, sondern schädigen unmittelbar auch die Weltrevolution.

Wenn schon rechtzeitig, d. h. vom 12. Parteitag ab, ein fester wirtschaftlicher Kurs zur Überwindung der Disproportion, durch eine richtige Politik der Verteilung des Volkseinkommens und der Verstärkung der Industrialisierung genommen worden wäre, so wäre unsere Lage gegenwärtig unvergleichlich günstiger. Auch in diesem Falle ständen die grundsätzlichen Schwierigkeiten vor uns. Doch in dem internationalen Kampf, den wir führen, entscheidet die Frist und das Tempo, Bei einem rascheren Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung, das bedeutet also bei einem günstigeren inneren Kräfteverhältnis der Klassen, würden wir viel sicherer dem Siege des Proletariats in den fortgeschrittenen Ländern entgegengehen. Der Linkskurs kann einen selbständigen Aufbau des vollendeten Sozialismus nicht versprechen. Er kann nicht einmal versprechen, die inneren Widersprüche zu überwinden, solange noch die internationalen Widersprüche bestehen: Doch er kann allmählich, eine vom Standpunkt des sozialistischen Aufbaus günstigere Regulierung der inneren Klassenwidersprüche vornehmen. Er kann das Wachstumstempo durch eine richtigere Politik bei der Verteilung des Volkseinkommens beschleunigen. Er kann eine ernste systematische Festigung der Kommandohöhen des Proletariats erreichen. Er kann eine klarere und festere Linie in der Klassenpolitik durchführen. Er kann eine engere Verbindung mit der Arbeit der Komintern herstellen, und er kann endlich eine marxistische Perspektive und Führung bei den Grundproblemen der Revolution des internationalen Proletariats sichern. Zusammengefasst ergibt dies alles, was für einen Sieg im internationalen Maßstab erforderlich ist. Ein Linkskurs setzt einen kühnen, großen und tief durchdachten Wirtschaftsplan für eine ganze Reihe von Jahren voraus, der unter den Schlägen der Konjunkturmanöver, welche unbedingt notwendig, aber nicht entscheidend sind, nicht hin und her schwanken würde. Ein Linkskurs setzt die größte Festigkeit der Führung voraus, welche fähig sein muss, gegen den Strom zu schwimmen, und die strategische Generallinie, durch alle taktischen Windungen derselben, durchzuhalten. Dazu ist vor allem ein wirklicher Optimismus in den Fragen der internationalen proletarischen Revolution erforderlich. Und als eine unerschütterliche Grundlage, ein tiefer Glaube an die Möglichkeit des siegreichen sozialistischen Aufbaus in unserem Lande.

Nach dem Programmentwurf ist nur ein linker Zick-Zack-Kurs möglich. Einen wirklichen Linkskurs kann man nach dem Programmentwurf nicht durchführen. Zur Verwirklichung eines proletarischen leninistischen Linkskurses ist für unsere Partei eine Neuorientierung und eine neue Umgruppierung der Kräfte von oben bis unten erforderlich. Das. ist ein ernster, langwieriger Prozess, Es ist notwendig, der Partei ihren freien kollektiven Geist, ihre Beweglichkeit wiederzugeben. Es ist notwendig, dass die Partei aufhört, Angst vor dem Apparat zu haben. Man muss erreichen, dass der Apparat es nicht mehr wagen darf und auch nicht mehr könnte, die Partei zu schrecken. Es ist eben notwendig, dass die Partei wieder die Partei wird. Eine rechte Politik ist möglich mit offensichtlichen und Verhältnismäßig raschen „Erfolgen" – für den Kapitalismus. Eine linke Politik ist möglich, als eine systematische Politik der proletarischen Diktatur, des sozialistischen Aufbaus und der internationalen Revolution. Was aber auf die Dauer nicht möglich ist, das ist der „Linkskurs" nach der Methode der zentristischen Kombination, bei einer Unterdrückung und Fortsetzung der Zertrümmerung des linken Flügels. Ein solcher zentristischer Zick-Zack-Kurs muss, falls die Partei ihn nicht in einen wirklichen Linkskurs verwandelt, unfehlbar scheitern, lange bevor er irgendwelche praktischen Ergebnisse zeigen wird. Dann werden alle Trümpfe in den Händen der Rechten sein, die sich sofort aus den Reihen der jetzigen Zentristen auffüllen, und vielleicht auch aus diesem Bestand ihre Führer nehmen werden. Diejenigen sind vollkommen im Irrtum, die da glauben, dass die gegenwärtige Linksbewegung des Apparats die rechte Gefahr beseitigt. Im Gegenteil, diese war noch nie so groß und stark, so unmittelbar, wie jetzt. Bei einer sehr steilen Steigung ist die Lage eines Wagens dann am gefährlichsten, wenn dessen beide Vorderräder den Gipfel bereits erreicht haben, während der ganze übrige Teil des Wagens mit seiner ganzen Last an Gütern und Passagieren sich noch in der Steigung befindet. Gerade hier ist die höchste Anstrengung des Kutschers und der Pferde und hauptsächlich der Passagiere selbst erforderlich, die mit ihrer ganzen Kraft in die Speichen der Räder greifen müssen. Wehe aber, wenn die Passagiere schlafen oder unschlüssig hin und her trippeln, der Kutscher seinen Kopf nach hinten wendet und mit der Peitsche des Artikels 58 alle jene verjagt, die mit ihren bloßen Händen die Speichen festhalten, und sich gegen den Rücklauf des Wagens stemmen wollen. Das ist gerade der Augenblick, in welchem der Wagen mit seinem ganzen Gewicht nach hinten stürzen und in den Abgrund rollen kann. Noch nie war die rechte Gefahr so groß, so stark und so unmittelbar wie jetzt.

Was bedeutet in der gegenwärtigen Periode die rechte Gefahr? Das ist nicht so sehr eine Gefahr der offenen, vollen, bürgerlichen Konterrevolution, wie die Gefahr des Thermidors, d.h. also eines solchen teilweisen konterrevolutionären Umsturzes oder Schwenkung, welcher sich gerade wegen seiner Unvollständigkeit noch lange Zeit hindurch durch äußerliche revolutionäre Formen decken kann, der aber seinem ganzen Wesen nach schon einen entscheidenden bürgerlichen Charakter tragen wird. Die Folge davon ist, dass eine Rückkehr vom Thermidor zur Diktatur des Proletariats nicht anders als durch eine neue Revolution möglich wäre. Wir hatten bereits mehrfach ausgesprochen, insbesondere auch auf dem Februarplenum des Jahres 1927, dass die zentristische Leitung, die nach links ausschlägt, unfehlbar hinter sich einen langen rechten Schwanz, sowohl in der Partei wie auch weit über deren Grenzen hinaus mit sich schleppt, der mit völlig bewussten aktiven Thermidorjanern abschließt. Wir haben vorausgesagt, dass dieser schwerwiegende Schwanz einmal unfehlbar dem Kopf einen Schlag versetzen wird, wobei dieser Schlag zum Ausgangspunkt einer grundlegenden Umgruppierung innerhalb der Partei werden wird, d. h. zu einer frecheren Herausbildung des rechten Flügels der Partei, zu einer kühneren jäheren Wendung des proletarischen Flügels der Partei nach links, und zu einem krampfhaften Sich-hin-und-her-Werfen der geschwächten zentristischen Fraktion des Apparates führen wird. Der unblutige Kulakenaufstand von 1927-1928, mit der Unterstützung durch Parteimitglieder, welche mit allen Klassen in Frieden zu leben wünschen, war bereits ein solcher Schlag des Schwanzes auf den Kopf. Dass in unserer Partei der Einfluss von Thermidorianern oder ein halbthermidorianischer Flügel bereits existiert, das ist jetzt auch offiziell anerkannt worden, und zwar in dem Leitartikel der „Prawda" vom 15. Februar. Keine späteren Beschwichtigungen werden das verwischen können. Wer anders kann denn überhaupt in unserer Partei als Thermidorianer gelten, wenn nicht der, der stets bereit ist, Pogrome gegen die Opposition zu veranstalten, aber dafür bereit ist, mit den Kulaken in Frieden zu leben, welcher den Mittelbauer gegen die Sowjetmacht aufwiegelt. Wir wollen damit nicht etwa sagen, dass jeder, der diese Politik mit durchgeführt hat, bewusst die Linie des Thermidors verfolgte. Nein, die Thermidorianer, noch mehr die Halbthermidorianer, zeichnen sich überhaupt nicht durch ein starkes historisches Bewusstsein aus. Gerade das erlaubt vielen von ihnen, ihre Rolle im Dienste der anderen Klasse zu erfüllen. Der Schlag auf den Kopf war ein ernstes, doch vorläufig immerhin nur warnendes Signal. Die Umgruppierung innerhalb der Partei hat, wenn auch vorläufig, noch sehr ungenügend und unsystematisch, bereits begonnen. Eins der Ergebnisse des Prozesses bildet das Auswachsen des linken Manövers der Leitung zu einem ernsten linken Zick-Zack, wodurch die beiden Vorderräder der Partei, vielleicht aber auch nur eines derselben, anscheinend bereits auf dem Gipfel sind, während der ganze Wagen mit der schweren Last sich noch immer in der Steigung befindet, die für ihn ein schrecklicher Absturz v/erden kann.

Welches sind unter diesen ausnehmend kritischen Umständen die Aufgaben der Opposition gegenüber ihrer Partei?

Wir sprechen hier natürlich nur von der wirklichen leninistischen Opposition und nicht von zufälligen Mitläufern, die stets bereit sind, wenn man sie recht nachdrücklich darum bittet, auf ihre Anschauungen zugunsten anderer Anschauungen, die für sie weniger beschwerlich sind, zu verzichten. Um diese Frage von den Pflichten der Opposition beantworten zu können, müssen wir mit den schlimmsten Varianten, d, h. mit der folgenden Annahme, beginnen: Unter Ausnutzung der Fehler, welche von der Führung von Jahr zu Jahr begangen wurden, unter Ausnutzung der ständigen Zerrüttung des Marktes, der Teuerung, der Arbeitslosigkeit, des Hin- und Herzerrens von oben, wird der thermidorianische Schwanz von Bürokratie, Bourgeoisie und Kulaken an einem der nächsten Gefälle, sobald Schwierigkeiten entstehen, wiederum einen noch ernsteren Schlag auf den Kopf zu führen versuchen, d, h. er wird versuchen, von den gegenwärtigen halblegalen Formen der kapitalistischen Sabotage zum offenen Bürgerkriege überzugehen. Ist das ausgeschlossen? Nein, zum Unglück ist das nicht ausgeschlossen. Besonders nicht im Falle von internationalen Konflikten, Wer da sagt, es wäre ausgeschlossen, der versucht nur, die Partei verräterisch einzuschläfern. Kann man befürchten, dass ein genügend großer Prozentsatz der Säulen der falschen Politik von Smolensk, Artemowsk, Schachty, ja, auch von Leningrad und sogar von Moskau in einem schwierigen Moment schwankend werden, beiseite treten oder auch direkt zu Verrätern werden? Das muss man sogar befürchten. Die gegenwärtigen Enthüllungen haben nur einen Zipfel des bürokratischen Vorhanges gehoben. Die Partei muss in dieser Hinsicht auf große Gefahren gefasst sein.

Kann man sich andererseits einen Oppositionellen vorstellen, der also sprechen würde: „Die haben es durch ihre Politik selbst dazu gebracht, nun mögen sie selbst sehen, wie sie wieder herauskommen?" Nein, es ist unmöglich, sich einen solchen Oppositionellen vorzustellen, falls er nicht ein Weißgardist oder Spitzel ist, der in die Reihen der Opposition eingedrungen ist, um diese zu schädigen. Für die Oktoberrevolution werden die Oppositionellen so kämpfen, wie es einem selbstlosen Revolutionär, als welchen sie sich gezeigt hatten, als sie in den schwersten historischen Momenten die Fahne des Bolschewismus unter der Hetze und den Verfolgungen hochgehalten haben, geziemt. Die Kader der Opposition sind geprüft. Und sogar, wenn die bürokratische Dummheit des Apparates es versuchen würde, sogar im Augenblick der höchsten Gefahr die Oppositionellen daran zu hindern, ihren Platz in den Reihen der Regulären einzunehmen, werden sie als Partisanen gegen den Klassenfeind kämpfen, denn ein Revolutionär verteidigt die Revolution nicht nur auf Befehl, Wenn nicht das böswillige Geschrei von dem Defätismus der Opposition und ihrer angeblichen Hoffnung auf den Fall der Sowjetmacht wäre, dann brauchte ich überhaupt nicht davon zu reden,

Die Versuche, die Sache so darzustellen, als ob es gar keine Bedeutung für die Verteidigung der Diktatur hätte, wie sich die Oppositionellen dazu stellen, da sie nur schwach sind, sind gegenwärtig besonders abwegig. Wenn die Opposition so schwach wäre, warum ist dann die Hauptbeschäftigung des Apparates, der Presse, der offiziellen Redner, der Lehrer in den Parteischulen usw., im Laufe der letzten fünf Jahre, und der GPU in der gesamten letzten Periode, der Kampf gegen die Opposition gewesen? Warum gehen denn sämtliche Reden, Artikel, Rundschreiben, Instruktionen und Bücher von dem Kampf gegen die Opposition aus und kehren zu ihm zurück? Doch ganz gleich, wie groß oder klein der offenbare, verhältnismäßige Einfluss heute oder morgen sein wird; eins steht fest, dass auf diese ihre eiserne Kohorte, die Partei der proletarischen Diktatur sich unter allen Umständen völlig verlassen kann. Doch eine mehr aktuelle Frage ist die:

Was kann und muss die Opposition gegenwärtig in dieser kritischen Übergangsperiode tun?

Auch hier werden wir die Frage ganz eindeutig stellen, damit kein Platz für irgendwelche Unklarheiten oder Missverständnisse bleibt. Kann die Opposition die Rechten, gegen die formell an der Macht befindlichen Zentristen unterstützen, um sich an ihnen für die skandalöse Hetze, für ihre Grobheit und Unloyalität, für ihren Wrangelschen Offizier, für den Artikel 58 und ihre anderen berüchtigten dunklen Taten zu rächen? Eine solche Kombination von Linken und Rechten ist bereits in verschiedenen Revolutionen vorgekommen. Solche Kombinationen aber vernichteten diese Revolutionen. Die Rechten stellen in unserer Partei jenes Glied dar, an welchem die bürgerlichen Klassen es versuchen, die Revolution auf den Weg des Thermidors hinüber zu ziehen. Das Zentrum macht augenblicklich den Versuch eines Widerstandes oder wenigstens den Versuch eines halben Widerstandes. Es ist klar, dass die Opposition mit den abenteuerlichen Kombinationen, die darauf berechnet sind, mit Hilfe der Rechten das Zentrum zu verdrängen, nichts gemein haben kann. Die Opposition unterstützt jeden noch so zögernden Schritt zu einer proletarischen Linie, jeden, auch noch so unentschlossenen Versuch des Widerstandes, den thermidorianischen Elementen gegenüber. Die Opposition hat das seither gemacht und wird es auch in Zukunft machen, ganz unabhängig davon, ob das sich auf die Rechten stützende Zentrum es will oder nicht. Die Opposition macht das ohne irgendwelche Verständigungen oder Konzessionen. Sie rechnet nur damit, dass augenblicklich der taktische Zick-Zack-Kurs des Zentrums eine Strecke lang parallel der strategischen Linie der bolschewistischen Politik läuft. Dass die Opposition, auch wenn sie außerhalb der Partei steht, sich nicht von den Verpflichtungen und der Verantwortung eines Parteigenossen vor dem Lande und der Partei als Ganzes befreit fühlt, das haben wir zum letzten Male auf dem 15, Parteitag durch Genossen Smilga erklärt. Hier kann nur das dort Gesagte restlos wiederholt werden: Das bedeutet also insbesondere, dass trotz der Hetze, der Ausschlüsse, des Artikels 58, jeder Oppositionelle nach wie vor bereit ist, einen Auftrag der Partei, ganz unabhängig davon, welches die gegenwärtige Leitung und das von ihr durchgeführte Regime ist, durchzuführen Kann aber nun die Opposition vor der Partei die politische Verantwortung für die gegenwärtige Wendung, als einer wirklichen leninistischen, übernehmen? Nein, das kann sie nicht. Die Unterstützung einer jeden, wenn auch nur teilweisen Linkswendung durch die Opposition darf niemals zu einer parteispießbürgerlichen Bejahung des, wenn auch linken Zentrismus, zu einem Verschweigen der widerspruchsvollen Halbheit des Zentrismus führen. Ebenso wenig werden wir eine Fortsetzung der Fehler des Zentrismus verschweigen oder pharisäisch die Augen vor den revisionistischen Theorien desselben verschließen, durch welche nur neue Fehler vorbereitet werden. Indem sie jeden linken Schritt des regierenden Zentrums, der gegen die Rechte gerichtet ist, unterstützt, muss und wird die Opposition die völlige Unzulänglichkeit dieser Schritte und das Unsichere der gesamten Linkswendung kritisieren, solange diese nur einen befehlsmäßigen Charakter trage und keine wirkliche in den Massen verankerte Linkswendung ist. Die Opposition wird unerbittlich auf die ungeheuren Gefahren hinweisen, welche vor der Partei stehen und die der Unfolgerichtigkeit, der theoretischen Undurchdachtheit des politisch widerspruchsvollen gegenwärtigen Kurses entspringen, der sich nach wie vor ausschließlich auf einen Block des Zentrums mit den Rechten gegen die Linken stützt. Kann die Opposition in dieser Lage auf ihre Plattform verzichten? Jetzt weniger denn je. Auf die Plattform verzichten würde heißen, dass man auf einen durchdachten, systematisch begründeten Linkskurs verzichtet und damit den Rechten den besten Dienst erweist, die ihre ganzen Erwartungen und Hoffnungen auf den unfolgerichtigen Zick-Zack-Kurs der Zentristen gesetzt haben. Der weitere Kampf für die Ideen und Vorschläge der Plattform bedeutet eine richtige, ernste und ehrliche Unterstützung eines jeden einigermaßen linken Schrittes des Zentrums. Nur unter diesen Umständen kann man ernstlich hoffen, dass es der Partei gelingen wird, durch die Methode einer Parteireform, den zentristischen linken Zick-Zack-Kurs zu einem wirklichen leninistischen Kurs zu verwandeln. Ist ein Kampf für die oppositionelle Plattform mit der Einheit der Partei vereinbar? Unter einem bürokratischen, d. h. falschen und ungesunden Regime kann er sich als unvereinbar erweisen, wie das die Ausschlüsse der Opposition aus der Partei gezeigt haben. Das Rundschreiben vom ZKK vom 3. Juni ist zwar eine offene, wenn auch erzwungene Anerkennung, dass dieses Regime, welches sich im Laufe der letzten fünf Jahre in unserer Partei eingebürgert hat und dringend einer gründlichen Änderung bedarf, ungesund und unerträglich ist. Bei einem gesunden Regime ist selbst die härteste Kritik von grundsätzlichen Fehlern mit der Einheit der Partei und mit einer eisernen Disziplin völlig vereinbar. Die Meinungsverschiedenheiten selbst würden, nachdem sie durch die ungeheuren Ereignisse geprüft worden wären, verhältnismäßig leicht durch die Partei liquidiert, falls diese sich wieder ihre elementaren Rechte zurückgeholt hätte. Darauf laufen jetzt alle Fragen hinaus: Ist der Kampf für die in der Plattform der Bolschewiki-Leninisten (Opposition) dargelegten Anschauungen mit einem Verzicht auf die fraktionelle Methode der Verbreitung dieser Anschauungen vereinbar? Bei einem Regime, das selbst nach einem Ausdruck des Rundschreibens vom 3, Juni vom bösartigsten Bürokratismus befallen ist, ist selbst jede Kritik des Gouvernementskomitees, Rayonkomitees oder des Sekretärs einer Zelle zu einer fraktionellen gestempelt worden. Und oft ist sie gewaltsam auf den fraktionellen Weg gedrängt worden. Bei einem Regime, das wirklich auf der „Selbstkritik" begründet wäre oder richtiger auf der Parteidemokratie, wäre der Kampf für die Anschauungen der Plattform vollkommen ohne Fraktionsarbeit möglich. Die Opposition ist bereit, ihre Anschauungen nur streng im normalen Parteirahmen, auf der genauen Grundlage der gegenseitig bindenden Beschlüsse des 10. Parteitages über die Parteidemokratie und des Verbots der Fraktionsarbeit zu vertreten. Doch die Opposition macht sich auch jetzt nach den letzten Manifesten und Rundschreiben keine Illusionen betreff des Parteiregimes. Die selige Leichtgläubigkeit, welche Worte für Taten ansieht und die sich widersprechenden Manifeste für einen folgerichtigen gesicherten Linkskurs, war noch nie und wird auch nie die Eigenschaft eines proletarischen Revolutionärs sein. Besonders, wenn dieser auf Grund seiner Erfahrungen ernstlich über die Geschichte der letzten fünf Jahre nachgedacht hat. Noch nie hat die Fraktionsarbeit die Partei so zersetzt, wie jetzt nach dem Versuche der mechanischen Erledigung der Opposition. Die Rechten, eine Puffergruppe, das Zentrum, die in zwei gleiche Hälften gespaltene Leningrader Opposition, die Bolschewiki-Leninisten (Opposition) – das sind gegenwärtig die Hauptgruppierungen innerhalb der Partei. Die Unterfraktionen werden dabei noch gar nicht gerechnet. Der Zentrismus der leitenden Fraktion bildet durch seine politisch-ideologische Unförmlichkeit und Widerspruchsfülle eine wirklich nahrhafte Suppe für alle Arten rechter und linker Fraktionsarbeit. Durch äußerliche Maßnahmen, wie Manifeste plus Verhaftungen, kann man aus einer solchen Lage nicht herauskommen … Unwürdig und wenig am Platze sind die Beschuldigungen gegen die Opposition, dass diese auch nach dem 15. Parteitage, trotz ihrer Erklärung, sich bereitwillig den Beschlüssen der Partei zu fügen, ihre fraktionelle Arbeit nicht eingestellt habe, sondern weiterführte. Wir haben diese Verpflichtung dem Parteitag abgegeben in der Annahme, dass wir in der Partei bleiben können und in deren Reihen für unsere Anschauungen kämpfen können. Anderenfalls hätte diese Verpflichtung einen Verzicht auf die politische Tätigkeit überhaupt, d. h. also auf jeden Dienst gegenüber der Partei und der internationalen Revolution bedeutet. Einen derartigen Verzicht von einem Revolutionär zu fordern, könnte nur ein von Grund auf entartetes Bürokratentum und nur ganz [verächtliche Renegaten könnten auf eine solche Verpflich]tung eingehen.1 Bei einer solchen prinzipiellen Einstellung können wir selbstverständlich nichts gemein mit der Politik jener sogenannten Leninisten haben, welche versuchen, die Partei zu überlisten, mit dem Klassenkampf Diplomatie zu treiben und mit der Geschichte Blindekuh zu spielen. Sie erkennen nach außen hin ihre Fehler an, während sie stillschweigend predigen, dass sie doch recht hatten. Sie konstruieren das Mythos vom „Trotzkismus", sie liquidieren ihn, um ihn immer wieder neu erstehen zu lassen, Mit einem Worte, sie führen innerhalb der Partei eine Politik des Friedens von „Brest-Litowsk" durch. Mit anderen Worten, ihre Kapitulation ist vorübergehend und unaufrichtig in der Erwartung einer Revanche, was nur gegenüber einem Klassenfeind zulässig ist. Ihre Politik ist also gegenüber der eigenen Partei durch und durch abenteuerlich und unehrlich. Wir verachten jene byzantinische Büßerphilosophie, die da sagt, dass eine Anerkennung der Parteieinheit in der Epoche der Diktatur des Proletariats, einen Verzicht auf jene Anschauungen, oder auf die Verteidigung jener Anschauungen voraussetzt, welche die gegenwärtige Leitung in der Furcht für ihr Prestige für unzulässig erklärt und sogar mit allen Mitteln der Staatsmacht verfolgt. Wir würden uns selbst für verbrecherisch halten, wenn der schwere Parteikampf, den wir im Laufe der letzten 15 Jahre geführt haben, von uns im Namen solcher billiger Anschauungen geführt worden wäre, auf die man auf Kommando oder aus Furcht vor dem Ausschluss aus der Partei sofort wieder verzichten könnte. Der Kampf in der Partei ist untrennbar von dem Kampfe für eine richtige politische Linie, Verächtlich ist jenes Parteimitglied, das wegen der Gefahr des vorübergehenden Verlustes der Parteimitgliedschaft, obwohl dieser Verlust sehr schwerwiegend ist, die Verpflichtung, für die grundsätzlichen Traditionen der Partei und für deren Zukunft zu kämpfen, aufgibt.

Durch und durch falsch sind die Behauptungen, als ob das gegenwärtige Vorgehen der Opposition, die ihren Anschauungen treu geblieben ist und für sie weiter kämpft, unvereinbar sei mit deren Erklärung über die Einheit der Partei. Wenn wir der Meinung wären, dass der Kreis der Parteientwicklung mit dem 15. Parteitag abgeschlossen worden wäre, so könnte es für uns keinen anderen historischen Ausweg mehr geben, als die Schaffung einer zweiten Partei.

Doch wir haben bereits betont, dass wir mit solchen Anschauungen nichts gemein haben. Wenn in einem kurzen Abschnitt die Angelegenheit von Schachty, von Artemowsk, von Smolensk und vieles andere noch an das Tageslicht kommt, so zeugt das allein schon 'davon, dass der unausbleibliche Prozess der Differenzierung innerhalb der Partei, der Selbstläuterung, der Selbstreinigung noch vor uns steht. Und der wirkliche proletarische Parteikern wird noch Gelegenheit genug haben, sich davon zu überzeugen, dass unsere Bewertung der Parteipolitik, der Parteizusammensetzung, und der allgemeinen Tendenzen ihrer Entwicklung durch Tatsachen von entscheidender Bedeutung bestätigt wird. Während wir wegen des falschen und ungesunden Partei-Regimes eine gewisse Zeit außerhalb der Partei bleiben, leben wir trotzdem mit der Partei und arbeiten für deren Zukunft. Die Richtigkeit unserer Linie und Prognose, die wirklich parteimäßigen Methoden unseres Kampfes für die leninistischen Anschauungen wird es keiner Kraft der Welt gestatten, uns von der Partei loszulösen und in einen Gegensatz zu der proletarischen Avantgarde und der kommunistischen Revolution zu bringen. Am allerwenigsten kann das durch die Anwendung des Artikels 58 erreicht werden, der nur jene schlägt, die ihn gegen uns anwenden. Jener Widerspruch, der uns zwingt, formell außerhalb der Partei gegen jene zu kämpfen, welche die Partei von innen heraus unterwühlen und desorganisieren, ist ein durch die historische Entwicklung begründeter Widerspruch, Durch juristische Sophismen kann man aus diesen Widersprüchen heraus nur zu einer Plattform des ideologischen Renegatentums gelangen. Der Widerstand, in den wir durch unser Verhältnis zur Partei gestellt sind, ist nur ein Ausdruck der allgemeinen tieferen Widersprüche, die nur durch eine Lösung der Grundprobleme der Komintern und der WKP durch leninistische Methoden überwunden werden können. Bis dahin bleibt die Frage der Opposition ein Prüfstein für die Linie und das Regime der Partei. Die Abrechnung mit der Opposition, die jetzt noch durch verschiedene Schritte und Beschlüsse des ZK selbst bestätigt worden ist, bildet den Ausdruck der schlimmsten und himmelschreiendsten Methoden des Apparatregimes der Parteileitung. Neue Ausschlüsse und Verbannungen der oppositionellen Bolschewiki-Leninisten terrorisieren trotz aller beschwichtigenden Rundschreiben auch heute noch die Partei. Die Frage der Wiedereinreihung der Oppositionellen in die Partei, die Rückkehr der Verbannten, die Befreiung der Verhafteten wird somit zu einem Hauptprüfstein der Ernsthaftigkeit und der Tiefe aller letzten linken Schritte. Die Partei und die Arbeiterklasse werden nicht nach Worten, sondern nach Taten urteilen. Das haben Marx und Lenin gelehrt. Das lehrt auch die Opposition.

Der sechste Kongress der Komintern kann in hohem Maße die Wiederherstellung der Parteieinheit erleichtern, indem er den zentralen Stellen der WKP den nachdrücklichsten Rat gibt, sofort die Anwendung des Artikels 58 gegenüber der Opposition einzustellen, da dieser nur auf einer groben politischen Illoyalität und Machtmissbrauch begründet ist. Eine Wiedereinreihung der Bolschewiki-Leninisten (Opposition) in die Partei ist eine notwendige unumgängliche Vorbedingung einer wirklichen Wendung zum leninistischen Weg. Das betrifft natürlich nicht nur die WKP, sondern auch alle übrigen Sektionen der Komintern, Nachdem jeder Oppositionelle innerhalb der Partei seinen ihm zustehenden Platz wieder eingenommen hat –, wir wiederholen hier, dass keine Kraft der Welt ihn von der Partei loslösen kann –, wird er alles tun, was er kann, um der Partei die Überwindung der gegenwärtigen Krise und die Liquidierung der Fraktionen zu erleichtern. Es kann keinen Zweifel darüber geben, dass eine solche Verpflichtung die einmütige Unterstützung aller Bolschewiki-Leninisten (Opposition) findet.

Alma-Ata, 12. Juli 1928.

L. Trotzki

1Hier war im Text eine Zeile doppelt, die folgende fehlt dafür, die Lücke wurde nach dem französischen Text sinngemäß ergänzt.

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