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Leo Trotzki 19281216 Brief an der ZK der WKP und das EKKI

Leo Trotzki: Brief an der ZK der WKP und das EKKI

[Nach Die Aktion, 19. Jahrgang, Heft 3-4 (Ende Mai 1929), Spalte 63-67

An das Zentral-Komitee der WKP.

An das Exekutiv-Komitee der Kommunistischen Internationale.

Heute, am 16. Dezember, überbrachte mir der Bevollmächtigte des Kollegiums der GPU, Wolynski, mündlich folgendes Ultimatum:

Die Arbeit Ihrer Gesinnungsgenossen im Reich – fast wörtlich erklärte er es – nimmt in letzter Zeit einen neuen offen konterrevolutionären Charakter an: die Bedingungen, unter denen Sie in Alma-Ata leben, geben Ihnen die volle Möglichkeit, diese Arbeit zu leisten; aus diesem Grunde beschloss das Kollegium der GPU, von Ihnen die kategorische Verpflichtung zu fordern, – diese Arbeit zu unterlassen, im anderen Falle muss das Kollegium Ihre Existenzbedingungen ändern im Sinne einer völligen Isolierung vom politischen Leben; im Zusammenhang hiermit erhebt sich auch die Frage der Änderung Ihres Aufenthalts."

Ich erklärte dem Bevollmächtigten der GPU, dass ich ihm nur eine schriftliche Antwort auf eine schriftliche Formulierung des Ultimatums erteilen werde. Meine Absage, mündlich der GPU zu antworten, wurde durch Erfahrungen aus früherer Zeit hervorgerufen; meine Worte würden böswillig verstümmelt werden, um die arbeitenden Massen der UdSSR, und der ganzen Welt irrezuführen.

Unabhängig davon, welche Schritte die GPU, die übrigens keine selbständige Rolle in dieser Sache spielt, sondern nur technisch den alten und mir längst bekannten Beschluss der engeren Fraktion Stalins ausführt, weiterhin unternehmen würde, halte ich es für notwendig, folgendes dem ZK. der WKP. und dem Ekki der Komintern zu unterbreiten:

Die mir vorgelegte Forderung, mich von der politischen Tätigkeit loszusagen, bedeutet ein Lossagen vom Kampf um die Interessen des internationalen Proletariats, einem Kampf, welchen ich ohne Unterbrechung zweiunddreißig Jahre, d. h. während meines ganzen bewussten Lebens, führe. Der Versuch, diese meine Tätigkeit als konterrevolutionär darzustellen, geht von denen aus, die ich vor dem internationalen Proletariat der Verschandlung der Grundlehren von Marx und Lenin beschuldige, der Verletzung der historischen Interessen der Weltrevolution, des Abgleitens von den Traditionen und dem Erbe des Oktobers, der unbewussten, und darum der gefährlichsten Vorbereitung zum Thermidor. Sich von der politischen Tätigkeit loszusagen, bedeutet den Kampf gegen die Blindheit unserer Leitung aufgeben, welche auf die objektiven Schwierigkeiten des sozialistischen Aufbaus immer mehr und mehr politische Schwierigkeiten aufhäuft, die aus der opportunistischen Unfähigkeit, eine proletarische Politik von großem historischen Maßstabe zu führen, entspringen; das würde das Lossagen vom Kampf gegen das alles erstickende Parteiregime bedeuten, welches den wachsenden Druck der feindlichen Klassen auf die proletarische Avantgarde widerspiegelt;

das würde bedeuten, sich in passiver Art mit der wirtschaftlichen Politik des Opportunismus zufriedengeben, einer Politik, die die Grundlagen der proletarischen Diktatur unterwühlt und zerstört, die das materielle und kulturelle Wachsen dieser Diktatur hemmt und zu gleicher Zeit dem Bündnis der Arbeiter und der arbeitenden Bauern, der Grundlage der Sowjetmacht, heftige Schläge versetzt.

Das Lossagen von der politischen Tätigkeit bedeutet mit seinem Stillschweigen die unglückselige Politik der internationalen Leitung zu decken,

die in Deutschland 1923 zum Aufgeben großer revolutionärer Positionen ohne Kampf geführt hat; einer Politik,

die versuchte, die opportunistischen Fehler mit den Abenteuern in Estland und Bulgarien zu decken; die auf dem V, Kongress die internationale Lage falsch bewertete und den Parteien Direktiven gab, die sie nur schwächten und spalteten;

eine Politik, die durch das anglo-russische Komitee den Generalrat, die Stütze der imperialistischen Reaktion, in den für die Verräter-Reformisten schwierigsten Monaten unterstützte;

die in Polen, bei der schroffen inneren Wendung die Avantgarde des Proletariats in eine Nachhut von Piłsudski verwandelte;

welche in China die historische Linie des Menschewismus bis zu Ende durchführte und dadurch der Bourgeoisie half, das revolutionäre Proletariat zu erschlagen; welche überall die Komintern schwächt, ihr ideelles Kapital verschleudert.

Sich politisch nicht mehr zu betätigen, bedeutet sich passiv zu versöhnen mit dem Abstumpfen und der direkten Fälschung unserer wichtigsten Waffe, der marxistischen Methode, und der strategischen Lehren, die wir mit Hilfe dieser Methode unter der Leitung von Lenin im Kampf erobert haben. Das würde die Versöhnung und die Deckung bedeuten: der Theorie über das Hineinwachsen des Kulaken in den Sozialismus, des Mythos über die revolutionäre Mission der kolonialen Bourgeoisie, der Losung der „zusammengesetzten Arbeiter- und Bauernpartei" für den Osten, einer Losung, die mit den Grundlagen der Klassentheorie bricht, und endlich als Krönung der reaktionären Märchen, der Theorie des Sozialismus in einem einzelnen Lande, dem größten Verbrechen am revolutionären Internationalismus. Der Leninsche Flügel der Partei erträgt Schläge, angefangen von 1923, d. h. seit der beispiellosen Niederlage der deutschen Revolution. Die Stärke dieser Schläge wächst mit den weiteren Niederschlägen des internationalen und des russischen Proletariats als Resultat der opportunistischen Leitung,

Der theoretische Verstand und die politische Erfahrung lehren, dass die Periode des historischen Ableitens, d. h. der Reaktion nicht nur nach der bürgerlichen, sondern auch nach der proletarischen Revolution eintreten kann. Sechs Jahre leben wir in der UdSSR, unter den Bedingungen der wachsenden Reaktion gegen den Oktober, und damit der Wegbahnung für den Thermidor. Der offenste und vollendetste Ausdruck dieser Reaktion innerhalb der Partei ist die wilde Hetze und die organisierte Zerschlagung des linken Flügels. In ihren letzten Versuchen, den offenen Thermidorianern entgegenzutreten, benutzt die Stalinsche Fraktion die „Abfälle" und die „Überbleibsel" der Ideen der Opposition. Schöpferisch ist sie ohnmächtig. Der Kampf nach links nimmt ihr jede Standhaftigkeit. Ihre praktische Politik hat keine Zügel, ist falsch, widerspruchsvoll und nicht vertrauenswürdig.

Die so lärmvolle Kampagne gegen die rechte Gefahr bleibt zu Dreiviertel nur eine Scheinkampagne und dient vor allem dazu, den vernichtenden Kampf gegen die Bolschewiken-Leninisten vor den Massen zu decken. Die internationale Bourgeoisie und der internationale Menschewismus segnen alle beide diesen Krieg: „das historische Recht" haben diese Richter schon lange Stalin zuerkannt.

Wenn nicht diese blinde, feige, talentlose Politik der Anpassung an den Bürokratismus und das Kleinbürgertum wäre, so würde die Lage der arbeitenden Massen im zwölften Jahr der Diktatur viel günstiger sein; die militärische Verteidigung viel fester und vertrauenerweckender; die Komintern würde ganz anders dastehen, und müsste nicht Schritt für Schritt vor der Sozialdemokratie zurücktreten.

Die unheilbare Schwäche dieser Apparat-Reaktion besteht bei all ihrer Macht darin, dass sie nicht weiß, was sie tut.

Sie erfüllt den Befehl der feindlichen Klassen.

Es kann keinen größeren historischen Fluch geben für eine Fraktion, die die Revolution untergräbt. Die große historische Stärke der Opposition besteht bei all ihrer Schwäche im gegebenen Moment darin, dass sie die Hand am Puls des internationalen historischen Prozesses hält, dass sie klar die Dynamik der Klassenkräfte sieht, dass sie die Zukunft voraussieht und sie bewusst vorbereitet. Sich von der politischen Tätigkeit lossagen, bedeutet, sich von der Vorbereitung des nächsten Tages loszusagen.

Die Drohung, meine Existenzbedingungen zu ändern und mich von der politischen Tätigkeit zu isolieren, klingen so, als ob ich nicht 4000 Kilometer von Moskau entfernt bin, 250 Kilometer von der Eisenbahn, und ungefähr genau so entfernt von den Grenzen der wüsten westlichen Provinzen Chinas, wo die heftigste Malaria sich in die Herrschaft mit der Lepra und der Pest teilt. Als ob die Fraktion Stalins, deren unmittelbares Organ doch die GPU ist, nicht alles getan hat, was sie kann, um mich nicht nur vom politischen, sondern auch von jedem anderen Leben zu isolieren. Die Moskauer Zeitungen kommen hier in einer Frist von 10 Tagen bis zu einem Monat und noch länger an. Als äußerste Seltenheit gelangen Briefe an mich, nachdem sie zwei bis drei Monate in den Schubfächern der GPU und des Sekretariats des ZK herumgelegen haben.

Zwei meiner nächsten Mitarbeiter seit dem Bürgerkrieg, die Genossen Sermuks und Posnanski, die freiwillig mich nach dem Ort der Verbannung begleiteten, wurden sofort nach ihrer Ankunft verhaftet, mit Kriminellen in den Keller gesteckt, um dann in die entferntesten Winkel des Nordens verschickt zu werden. Von meiner hoffnungslos krank danieder liegenden Tochter, die Sie aus der Partei ausgeschlossen haben und von der Arbeit entfernt haben, brauchte ein Brief an mich aus dem Moskauer Krankenhaus 73 Tage, so dass meine Antwort sie schon nicht mehr lebend angetroffen hat.

Den Brief über die schwere Erkrankung meiner zweiten Tochter, die Sie ebenfalls aus der Partei ausgeschlossen und von der Arbeit entfernt haben, habe ich vor einem Monat aus Moskau am 43. Tage erhalten. Die telegraphischen Anfragen über die Gesundheit gelangten in den meisten Fällen gar nicht an die Adresse. In gleicher und noch viel schlechterer Lage befinden sich tausende der besten Bolschewiken-Leninisten, deren Verdienste an der Oktober-Revolution und am internationalen Proletariat unendlich viel größer sind als die Verdienste derer, die sie verbannen oder in die Kerker geworfen haben.

Bei der Vorbereitung neuer Repressalien gegen die Opposition versucht die enge Fraktion Stalins, den Lenin in seinem „Testament" grob und unloyal (gewissenlos) nennt, zu einer Zeit, als sich diese seine Eigenschaften noch nicht zum hundertsten Teil so entwickelt haben wie jetzt, der Opposition irgendeine „Verbindung" mit den Feinden der Diktatur in die Schuhe zu schieben. Im engen Kreise sagen die heutigen Führer: „Das muss man wegen der Massen tun."

Und manchmal noch zynischer: „Das ist für die Dummen!"

Meinen nächsten Mitarbeiter, Georgi Wassiljewitsch Butow, Sekretär des Revolutionären Kriegsrates während des Bürgerkrieges, hat man verhaftet und unter unerhörten Bedingungen festgehalten; von diesem reinen und bescheidenen Menschen und tadellosen Parteigenossen versuchte man die Bestätigung von bewusst falschen und untergeschobenen Beschuldigungen im thermidorianischen Sinne zu erhalten. Butow antwortete mit seinem heldenmütigen Hungerstreik, der 50 Tage dauerte, und ihn im September dieses Jahres im Gefängnis aufs Sterbelager warf,

Vergewaltigungen, Schläge, Folter – physische und moralische – werden an den besten Arbeiter-Bolschewiken für ihre Treue zum Oktober angewandt. Das sind die Bedingungen, welche nach den Worten des Kollegiums der GPU der politischen Betätigung der Opposition und meiner insbesondere „nicht im Wege stehen".

Die elende Drohung, diese Bedingungen zu ändern, bedeutet nichts anderes als den Beschluss der Fraktion Stalins, die Verbannung durch den Kerker zu ersetzen. Dieser Beschluss ist, wie weiter oben gesagt, für mich nicht neu. Schon 1924 in der Perspektive vorgemerkt, wird dieser Beschluss allmählich in die Tat umgesetzt, über einer Reihe von Stufen, um die gedrückte und betrogene Partei von hinten herum an die Methoden Stalins zu gewöhnen, deren grobe Unloyalität heute bis zur vergifteten bürokratischen Ehrlosigkeit herangereift ist. In der „Erklärung" an den VI. Kongress gaben wir, nachdem wir die Verleumdung, die ihre Verfasser selbst beschmutzt, zurückgewiesen haben, unsere unerschütterliche Bereitschaft kund, im Rahmen der Partei für die Ideen Marx' und Lenins mit allen Mitteln der Parteidemokratie zu kämpfen, ohne welche die Partei erstickt, versteinert und abbröckelt. Wir haben von neuem kundgetan, unsere unerschütterliche Bereitschaft, mit Wort und Tat dem proletarischen Kern der Partei zu helfen, den politischen Kurs zu ändern, die Partei zu gesunden, wie auch der Sowjetmacht mit vereinigten Kräften – ohne Erschütterungen und Katastrophen. An diesen Worten halten wir auch jetzt fest. Auf die Anschuldigung der Fraktionsarbeit haben wir geantwortet, dass sie nur dann sofort liquidiert werden kann, wenn der uns treulos auferlegte Artikel 58 widerrufen wird und wir wieder in die Partei aufgenommen werden, nicht als reuevolle Sünder, sondern als revolutionäre Kämpfer, die ihr Banner nicht verraten haben. Und als ob wir das uns heute vorgelegte Ultimatum vorausgeschaut hätten, schrieben wir wörtlich in der Erklärung: „Von Revolutionären diese Absage zu verlangen (von der politischen Tätigkeit, d. h, von dem Dienst an der Partei und dem internationalen Proletariat), kann nur ein bis in die Wurzel verdorbenes Beamtentum. Solche Art von Bedingungen können nur verächtliche Renegaten stellen."

Ich kann an diesen Worten nichts ändern. Ich lasse sie wieder dem ZK der WKP und dem EKKI der Komintern wissen, die die volle Verantwortung für die Arbeit der GPU tragen. Jedem das Seine.

Ihr wollt auch weiter die Einflüsterung der dem Proletariat feindlichen Klassenkräfte durchführen. Wir kennen unsere Pflicht. Wir werden sie bis zu Ende durchführen.

16. Dezember 1928. Alma-Ata.

L. Trotzki

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